Wie einst Wilhelm Tell

Lego, Stokys-Baukästen und Modellflugzeuge. Ausprobieren, tüfteln und basteln: Das war schon als Bub die grosse Leidenschaft von Marco Steiger. «Damals gab es noch keine fixfertigen Modellbaukästen oder Spielkonsolen», schmunzelt der 50-jährige Erfinder und Unternehmer. Kein Wunder, wollte er Modellschreiner werden. Das hat zwar nicht geklappt, aber als der Jugendliche mal wieder an seinen Modellflugzeugen arbeitete, guckte ihm zufällig ein Schreinermeister über die Schultern. Was er sah, gefiel ihm – so sehr, dass er dem talentierten Modellbauer eine Ausbildungsstelle als Bauschreiner anbot. Marco Steiger nahm an und war zum ersten und letzten Mal in seinem Leben angestellt. «Ich wollte schon immer mein eigener Chef sein», sagt er. Sofort nach der Grundausbildung setzte er seinen Traum um: zuerst mit einer grossen Reise, dann, indem er sich selbständig machte. Der junge Berufsmann arbeitete temporär auf dem Bau, montierte im Akkord Küchen und wollte mit seinem Bruder, einem Stromer, Renovations- und Umbauprojekte verwirklichen. «Wir waren auf dem Bau zu Hause», bringt er jene Zeit auf den Punkt – sie endete abrupt, als der Bruder tödlich verunfallte.

Auch Steigers Leben nimmt eine Wende: Eines Tages ist er auf dem Weg in eine Dachwohnung. Dort pfeift der Wind durch Schlafzimmer und Stube. Der Schreiner hat eine asiatische Handsäge dabei und den Dreieckschleifer im Bus. Nur: Wie gelangt er in die Ecken? Wie schafft er es, die Stehbrettchen nicht zu beschädigen? Knifflige Sache. Er überlegt: «Es müsste doch möglich sein, ein Sägeblatt auf die Maschine zu setzen.» Kehrt um, fährt in seine Werkstatt im Keller des Elternhauses und tüftelt, tüftelt, tüftelt. Keine zwei Wochen später steht der Prototyp. «Hey, du hast soeben etwas erfunden, das die Arbeitswelt verändern wird!», realisiert er in diesem Moment. Euphorisch lässt er seine Erfindung patentieren. Seine Kollegen gehen abends in den Ausgang, er geht in den Keller, tüftelt weiter, entwickelt, produziert. An einem Tag in der Woche mutiert er vom Schreiner zum Aussendienstler, packt seine Sägeblätter in die Tasche, besucht Schreinereien – und wird belächelt. Die Reaktionen reichen von «Und das soll funktionieren?» bis zu «So en Seich». Der frischgebackene Unternehmer lässt sich nicht beirren. Bald erreicht er Tagesverkäufe von 50, dann von 100%. Er hängt den Schreinerberuf an den Nagel und setzt ganz aufs Geschäft, zusammen mit einem Zimmermann, der unabhängig von ihm das lange Sägeblatt erfunden hat. Schliesslich liefern die beiden exklusiv für den Weltmarktleader aus Deutschland, elf Jahre lang. Bis der Euro einbricht und die Forderung, noch billiger zu produzieren, das Machbare sprengt. Denn: Geht es um Qualität, lässt der Wahl-Thurgauer, der aus Überzeugung in der Schweiz produziert, nicht mit sich reden. Er steigt Ende 2011 aus dem Exklusivvertrag aus, vertreibt von Frauenfeld aus weltweit selber. Was gar nicht so einfach ist. «Wer hats erfunden?», würde er am liebsten rufen, wenn ausgerechnet «sein» Sägeblatt, das Schweizer Original, für eine schlechte Kopie des Marktleaders gehalten wird. Manchmal fühlt er sich wie im falschen Film. Oder wie in der Ricola-Werbung. Oder eben wie Wilhelm Tell. Der umtriebige Geschäftsführer macht sich keine Illusionen: «Ich fange wieder von vorne an.» An Kampfeslust fehlt es ihm nicht, und Visionär ist er schon immer gewesen. «Keine Angst, ich bleibe auf dem Boden», versichert er. Dabei beherrscht der ehemalige Modellflugzeugbauer das Abheben perfekt: Er fliegt eigene Modellhelikopter.

«Hey, du hast soeben etwas erfunden, das die Arbeitswelt verändern wird.»

hid

Veröffentlichung: 24. Mai 2012 / Ausgabe 21/2012

Artikel zum Thema

18. April 2024

Herausforderungen gemeinsam meistern

Furnierverband. Für die Generalversammlung sind die Mitglieder des Furnier-Verbands am Donnerstag vergangener Woche nach Tavannes gereist. Wie gewohnt, war der Anlass geprägt von einem Gefühl des Kollektivs und von gegenseitiger Wertschätzung.

mehr
18. April 2024

Fachmesse in Wettingen

mehr

weitere Artikel zum Thema:

News