Massiv Leben gefragt

Schlichte und kühle Umgebung in Kombination mit der Wärme von Massivholz. Die Risse der Hocker und die Baumkante der Ablage verstärken diese Wirkung noch. Bild: Riva 1920

Massivholz.  Möbel aus massivem Holz sind teuer in der Herstellung und schwer zu beherrschen. Das sagen die einen. Andere arbeiten aus Überzeugung und mit speziellen Lösungen mit Massivholz und finden derzeit einen fruchtbaren Boden bei der Kundschaft vor.

Der «Urstoff» des Schreiners, das Holz am Stück, scheint heute bei Kunden so gefragt wie schon lange nicht mehr. Allen voran die Eiche in immer weiteren Varianten, der Nussbaum, die etwas streifige Lärche oder Weisstanne und seltener Obsthölzer, die Ulme oder andere Besonderheiten. Weniger hoch ist dagegen derzeit der Ahorn und schon gar nicht die Buche im Kurs. Solche Holzmoden gab es immer, wohl aber nicht in dieser Intensität wie in den letzten Jahren. «Die Holzart ist egal, solange es Eiche ist», bringt es Stephan Wildi, Geschäftsführer von Holz und Form, auf den Punkt. Denn bei ihm geht der Anteil bei Massivholzarbeiten derzeit in Richtung 99 %.

Gemeint ist damit freilich eher die Eiche, egal in welcher Ausprägung. Risse und Äste sind wie schlichte Streifen mit Spiegeln je nach Wunsch und gewünschter Wirkung gleichermassen gefragt. Ja, sogar die Baumkante ist salonfähig. Vor zwanzig Jahren: undenkbar. Eine Chance für den Holzkenner, den Schreiner. Denn auch das Banale, was man früher als Holzfehler betitelt hat, genau das steht derzeit oft hoch im Kurs und verlangt ein geschultes Auge vom Bearbeiter. «Astige Eiche hat in den letzten Jahren in der ganzen Schweiz einen wichtigen Platz eingenommen», weiss Jakob Röthlisberger, verantwortlich für das Sortiment und die Leitung des Einkaufes bei der Girsberger AG. Das Unternehmen produziert hochwertige Möbel mit Massivholz, gleichzeitig betreibt es Handel mit Schnittholz.

Warum massiv Holz gefragt ist

«Bei uns wird eine Tischplatte immer aus einem Stamm gearbeitet. Der Kunde sieht die handwerkliche Qualität vor allem beim Legen der Lamellen. Kennzeichen dafür sind neben dem Bild der Maserung auch die unregelmässige Anordnung der Leimfugen. Der Kunde möchte heute ein Möbel mit Charakter kaufen, nicht einfach irgendeinen Tisch. Er kann vielleicht nicht immer benennen, was das Spezielle ausmacht, aber er spürt es», sagt Röthlisberger. Denn die Sehnsucht ist gross. Die zeitgemässe, kubische, schlichte und kühle Architektur und Raumgestaltung verlangen förmlich nach einem starken Charakterobjekt mit warmer Anmutung, auch wenn die äussere Form des Tisches oder des Möbels selbst schlicht ist. Das Detail im Material macht den Unterschied.

Und es geht auch um Werte wie Echtheit und Ehrlichkeit. Hier ist das Holz am Stück ausser Konkurrenz. Das Verlangen danach spiegelt sich bei Kunden wider, die inzwischen häufig unbedingt die früher sogenannten Holzfehler in ihrem Möbel haben möchten. Also Äste, Risse und andere Merkmale, wenngleich Faulstellen sogleich nicht selten mit Kunstharz ausgefüllt werden. Den Trend hin zu ausdrucksstarken, massiven Holzflächen nimmt auch Roger Lindauer, Massivholzspezialist und Inhaber der Lindauer AG, wahr.

Anders nicht machbar

Die Frage, ob man unter wirtschaftlichen Gesichtspunkten solche Möbel nicht besser furnieren sollte, stellt sich gar nicht. «Es handelt sich dabei um völlig unterschiedliche und deshalb nicht zu vergleichende Ergebnisse», ist sich Röthlisberger sicher. Um rein optisch ein zumindest ähnliches Ergebnis erzielen zu können, wäre es etwa so, als ob man von jedem einzelnen Furnierpaket nur ein Blatt verwenden würde. Freilich müssten die Pakete dann aus ein und demselben Stamm entstammen. Der Charakter und die Anmutung wären trotzdem anders. Auch mit entsprechend gut ausgestatteter Werkstatt, wie etwa Vierseiten-Hobelmaschine und Verleimständer, sind Massivholzmöbel in der Produktion deutlich teurer gegenüber Holzwerkstoffen, ist Wildi überzeugt. «Unterschätzt wird vor allem der Verschnittanteil, wenn man mit Massivholz arbeitet. Wir rechnen immer mit mindestens 100 % Verschnitt, wenn man von Klotzbrettern ausgeht», sagt Wildi. Die lehrbuchmässigen Sätze von 50 bis 70 % hält der Schreiner für viel zu gering in der Praxis, vor allem wenn ein bestimmtes Bild aus massivem Holz erzeugt werden soll. Das sieht auch Lindauer so: «Selbst die 100 % sind oft eher knapp.» Nicht selten geht es schnell weit darüber hinaus, sind sich beide Schreinereiinhaber einig.

Es geht nicht nur um Kosten

Für Wildi ist es keine Frage: Arbeiten aus Massivholz sind das Gebot der Stunde, und der Kreis derer, die ein Unikat mit einzigartigem Charakter möchten, ist auch bereit, einen entsprechenden Preis dafür zu bezahlen. «Wir machen auch immer mehr Fronten aus Massivholz bei Korpusmöbeln», sagt Wildi. Auch hier geht es um ein ausdrucksstarkes Bild mit möglichst grossen Friesbreiten. Einfach Massivholz, industriell mit 40-mm-Friesbreiten gefertigt, ist wieder etwas anderes, nicht nur in der Wirkung, sondern wohl auch für ein anderes Kundenklientel.

Weil die Lindauer AG zum einen maschinell entsprechend ausgestattet ist und auch die Profile für die speziellen leimfreien Breitenverbindungen mit dem Vierseiten-Hobelautomat ausbildet, sieht Lindauer Massivholzmöbel auch preislich je nach Vergleichsgrundlage nicht unbedingt in einer schlechteren Ausgangslage. «Wenn man im Vergleich von fertig beschichteten Kunststoffplatten ausgeht, ist ein Massivholzmöbel natürlich auch massiv teurer. Vergleicht man eine fertig furnierte Platte, an die auch nur noch eine Kante angeklebt wird, mit Massivholz, dann gilt das Gleiche. Vergleicht man die Produktionskosten eines Korpusmöbels aus Massivholz aber mit Trägerplatten, die selbst furniert werden und massive Anleimer haben, dann wird es für uns interessant», ist sich Lindauer sicher. Es kommt beim Vergleich natürlich auch auf die Holzart an. «Geht es um Nussbaum massiv, liegen wir bei den Kosten gegenüber dem furnierten Stück deutlich höher, auch wenn die furnierte Alternative mit massiven Anleimern ausgebildet wird. Bei Holzarten im mittleren Preissegment sieht das Ganze dann aber schon anders aus», so Lindauer.

Qualität ist entscheidend

«Viele Schreiner haben wohl recht grossen Respekt vor der Arbeit mit Massivholz. Dieses kann sich verziehen und es arbeitet, wodurch nicht wenige Kollegen ihren Kunden zu Plattenwerkstoffen raten», sagt Lindauer. Er hat das Problem des Arbeitens von freien Flächen durch leimfreie Breitenverbindungsprofile gelöst, was der Schreinerei auch ein Alleinstellungsmerkmal eingebracht hat. «Zu mir kamen schon Kunden, die keinen Schreiner gefunden haben, der ihnen eine Massivholzküche machte. Denen wurde regelrecht davon abgeraten. Früher hat man Rahmen mit Füllungen gemacht, die möchte man heute aber meist nicht mehr, sondern grosse plane Flächen. Dann ist es natürlich für viele einfacher zu furnieren. Bei uns haben die Massivholzarbeiten mit den leimfreien Breitenverbindungen einen recht grossen Anteil», so Lindauer. Wildi würde am liebsten nur noch mit Massivholz arbeiten. Da im Moment vor allem die Eiche gefragt ist, hat er aber auch Schwierigkeiten, «ruhiges» Holz zu bekommen. «Nicht selten wird zu frisches Holz bei Bestellung noch schnell in die Trockenkammer gefahren und dann auf die Gebrauchsfeuchte heruntergetrocknet», sagt Wildi. Das sorgt in der Verarbeitung dann meist für Probleme, weil es sich wirft.

«Eine schonendere Holzbehandlung ist die allmähliche Lufttrocknung im Lager. Innerhalb von zwei bis vier Jahren sinkt die Feuchte im geschnittenen Holz auf 12 bis 16 %. Danach muss es nur noch kurz in die Kammer für eine schonende Trocknung auf 10 bis 11 %. Für Massivholztische ist solch reifes, gut abgelagertes Holz mit einer Feuchte von 11 % besser geeignet als frisches Holz, das in kurzer Zeit in Trockenkammern intensiv getrocknet wurde. Es ist entspannt und arbeitet kaum nach, vorausgesetzt, das Umgebungsklima fordert diese 11 %. Harmoniert die Holzfeuchte mit dem Umgebungsklima, nimmt es kein Wasser auf und gibt keines ab; das Holz arbeitet nicht, es gibt keine Risse und Verwerfungen», erklärt Röthlisberger das Verfahren für qualitativ hochstehendes Eichenholz.

Man muss das Holz verstehen lernen

Um massives Holz richtig zu verstehen, bietet die Girsberger AG unter der Leitung des Experten Röthlisberger auch Lehrgänge zum tieferen Verständnis des Werkstoffes an. «In unseren Massivholzseminaren vermittle ich Holzkompetenz, vor allem für Kundenberater, aber manchmal auch für Schreiner. Es geht darum, Hintergrundwissen zu transportieren, damit man den Wald, den Baum, den Stamm und am Ende das Holz versteht und nicht nur die Holzart erkennt. Warum sieht ein Brett so aus, wie es aussieht? Was hat der Baum erlebt und wie ist er gewachsen? Eben alles, was ein Stamm in seinem Holz an Geschichten zu erzählen hat», so Röthlisberger. Und Möbel mit Geschichte haben Charakter, was eben derzeit gefragt ist.

www.formundholz.chwww.girsberger.comwww.lindauerag.ch

ch

Veröffentlichung: 17. September 2015 / Ausgabe 38/2015

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