Aus eins mach zwei

Aus der Teenager-Loge wird die Wohnküche der neuen Einlieger-wohnung. Bild: Andreas Graber Photography

Wohnraum.  Einliegerwohnungen können ein Rezept sein, um flexibel auf Veränderungen im privaten Umfeld zu reagieren oder – in Tourismusregionen – mit dem Zweitwohnungsgesetz umzugehen. In beiden Fällen ergeben sich interessante Aufträge für Schreiner.

Was denn eine Einliegerwohnung sei? Würde man diese Frage auf dem Barfüsserplatz in Basel, an der Kramgasse in Bern oder an der Bahnhofstrasse in Zürich den Passantinnen und Passanten stellen, die Antworten wären ganz unterschiedlich. Und wohl manch eine befragte Person würde auch einfach mit der Schulter zucken, weil sie es schlicht nicht weiss, nicht wissen kann. Denn Einliegerwohnungen führen so etwas wie ein Schattendasein. Nicht nur, weil sie sich oft dort befinden, wo halt noch Platz ist, zum Beispiel auf einer freien Fläche im Souterrain, sondern weil es darüber, was eine Einliegerwohnung ist, keine einheitliche Meinung gibt. Am konkretesten werden diesbezüglich die Regelwerke der Vereinigung Kantonaler Feuerversicherungen (VKF). Diese schreibt in der «Brandschutzarbeitshilfe Wohnbauten» von 2018: «Als Einliegerwohnung wird eine zusätzliche Wohnung in einem Einfamilienhaus bezeichnet, die gegenüber der Hauptwohnung von untergeordneter Bedeutung ist.» Und aus der Funktion als untergeordnete Wohnung ergebe sich, dass «die Einliegerwohnung nicht zwingend einen direkten Wohnungszugang vom Freien aus haben muss». Aber sie darf einen haben und ist damit – Hand aufs Herz – eine ziemlich vollwertige Wohnung, wenn auch durch ihren Stellenwert der Hauptwohnung untergeordnet.

Zahlen gibt es nicht

Nach einer Anfrage beim Bundesamt für Statistik (BFS) wird es noch etwas schwieriger, den Begriff zu fassen. Dieses führt mit der Gebäude- und Wohnungsstatistik jährlich Buch über den Bestand und die Struktur der Schweizer Wohngebäude. Ausgewertet werden unter anderem Gebäudekategorie, Bauperiode, Anzahl Stockwerke und Angaben im Energiebereich. Die Statistik ist eine Vollerhebung. Doch Zahlen zu Einliegerwohnungen sucht man beim BFS vergeblich. «Einfamilienhäuser mit Einliegerwohnungen werden als Mehrfamilienhäuser erfasst», heisst es. Ein Einfamilienhaus bestehe nur aus einer Wohnung. Für das BFS sei jede «bauliche Einheit», die über eine Küche verfüge, eine Wohnung. Der Begriff der «Wohnung von untergeordneter Bedeutung» existiert beim BFS nicht.

Chance für die Schreiner

Damit herrscht eine groteske Situation: Aus feuerpolizeilicher Sicht muss eine Einliegerwohnung zwingend Bestandteil eines Einfamilienhauses sein, während aus Sicht des Bundesamtes ein Wohngebäude mit Einliegerwohnung unmöglich ein Einfamilienhaus sein kann. Immerhin: Für Schreinerinnen und Schreiner ist die Definition der Statistiker eher zweitrangig. Für sie ist entscheidend, wie sie die Wohnform der Einliegerwohnung für sich zunutze machen können. Und da zeigt sich, dass es ein Glück ist, gibt es die Möglichkeit, in einem Einfamilienhaus eine zweite Wohnung einzubauen. Für Schreiner entstehen dadurch interessante Aufträge. Und diese haben Potenzial, je mehr Hausbesitzer die Vorteile einer Einliegerwohnung erkennen. Das Portal «Hausinfo», ein Online-Ratgeber der Gebäudeversicherung Bern und des Hauseigentümerverbands Schweiz, hebt die «zahlreichen Vorteile» der Einliegerwohnung hervor – «als ergänzende Wohnform». Dabei gehe es um die «Absicherung für verschiedene Lebenssituationen». Damit ist die Idee des Generationenhauses gemeint. Die ältere Generation kann in die Einliegerwohnung ziehen und den Hauptteil des Hauses den Nachkommen überlassen. Die Familie ist nahe beisammen, wenn mal Hilfe nötig wird. «Hausinfo» spricht im Weiteren von «Vorteilen finanzieller Natur». Diese kommen zum Tragen, wenn etwa durch den Auszug der Kinder Platz frei wird, der zu einer Wohnung umgebaut und fremdvermietet werden kann.

Flexibel bleiben für Veränderungen

So ähnlich war die Ausgangslage beim Einbau einer Einliegerwohnung in einem topmodernen, erst 2015 erstellten Einfamilienhaus im aargauischen Rombach. Als die Bauherrschaft das Gebäude plante, rechnete sie unter anderem zwei grosszügige Zimmer und ein separates Bad für die zwei Teenager ein. De facto war es ein ganzer Hausteil, der für die Jugendlichen und für ein Arbeitszimmer des Besitzers vorgesehen war. Von Anfang an verfolgte das Projekt des Aarauer Büros Gautschi Lenzin Schenker Architekten das Ziel, aus dieser Fläche nach Auszug der jungen Generation eine vermietbare Einliegerwohnung zu machen. Dazu kam es dann schon zwei Jahre später: Durch den Einbau einer Wand im Erdgeschoss und im ersten Obergeschoss trennten die Mitarbeiter der Schreinerei Kellenberger in Oberentfelden AG eine Einliegerwohnung mit 3,5 Zimmern und einer Fläche von 95 m2 von der Hauptwohnung ab, die neu noch 4,5 Zimmer mit 165 m2 umfasst. Bei der gewählten Holzständerkonstruktion mit Fermacell-Schalen und einer Hohlraumdämmung mit Mineralfaserplatten mussten die Schreiner dem Schallschutz besondere Beachtung schenken.

Anders gestaltet sich die Situation bei Einliegerwohnungen hinsichtlich Brandschutz: Sie zählen im Regelfall zum Einfamilienhaus, das in die Kategorie der «Gebäude mit geringen Abmessungen» fällt, und gelten brandschutztechnisch nicht als eigene Einheit. «Gebäude mit geringen Abmessungen» sollten höchstens 11 m hoch sein, nicht mehr als zwei Geschosse über Terrain haben und in der Summe maximal 600 m2 Geschossfläche umfassen. Innerhalb eines Gebäudes dieser Kategorie ist keine Brandabschnittsbildung nötig, es sei denn, es wird zum Beispiel eine Kinderkrippe, ein Massenschlag oder ein Lager mit gefährlichen Stoffen untergebracht. Solches stand in Rombach nicht auf dem Plan, sondern eine Mietwohnung mit gediegenem Standard. Dazu baute die Schreinerei Kellenberger im grössten Raum eine Küche mit Kochinsel ein – im gleichen Stil wie die Küche in der Hauptwohnung. Die Anschlüsse waren bereits da. Schon bei der Erstellung des Hauses hatte Kellenberger für sämtliche Schreinerarbeiten verantwortlich gezeichnet, die Firma konnte das Innenausbaukonzept nahtlos weiterführen.

Gesetz wirkte rasant

Die Lebensumstände wandeln sich, doch das Einfamilienhaus soll den neuen Bedürfnissen der Eigentümer weiterhin genügen. So lautet das klassische Argument, das für den Einbau einer Einliegerwohnung spricht. Doch seit einigen Jahren gibt es einen weiteren, gewichtigen Beweggrund: das Zweitwohnungsgesetz, das 2015 in Kraft gesetzt wurde, nachdem die Stimmbevölkerung 2012 die Zweitwohnungsinitiative gutgeheissen hatte. Es begrenzt die Zahl der Zweitwohnungen auf 20 %, was in touristisch geprägten Regionen teilweise tiefgreifende Auswirkungen auf die Bautätigkeit hatte. «Nach Inkrafttreten der Bestimmung war bei uns schlagartig Schluss mit dem Neubau von Ferienwohnungen», sagt Urs Kühne, Geschäftsleiter der Saugy Schreinerteam AG mit Sitz in Lenk BE. Der Wintertourismus ist der wichtigste Wirtschaftszweig in der Simmentaler Berggemeinde.

Für Kühnes Firma brachen Aufträge weg. «Umso wichtiger wurde das Geschäft mit den Umbauten», sagt er. Die Saugy Schreinerteam AG spezialisiert sich seit einiger Zeit darauf und bekommt immer wieder Aufträge zum Um- oder Einbau von Einliegerwohnungen, die vom Zweitwohnungsgesetz praktisch ausgenommen sind. «In vielen Simmentaler Chalets hat es noch Platz für eine Einliegerwohnung, die an Feriengäste vermietet werden kann.»

Im Zuge der Spezialisierung auf Bestandesbauten ist Kühne noch einen Schritt weiter gegangen. Er bietet sich den Bauherrschaften als Generalplaner und Bauleiter an, macht die Kostenzusammenstellungen und koordiniert die Arbeiten auf der Baustelle. Dadurch haben die Bauherren einen Ansprechpartner für alles. Aktuell ist Kühne unter anderem daran, eine rund 30-jährige Parterre-Einliegerwohnung in der Nachbargemeinde St. Stephan zu renovieren. Dabei sind auch die alten Elektrospeicheröfen, gemeinhin als Stromfresser bekannt, entfernt und durch eine Luft-Wasser-Wärmepumpe ersetzt worden. Die Handwerker haben den Unterlagsboden rausgerissen und eine Bodenheizung eingebaut. Diese wird jetzt in Betrieb genommen, dann verlegen die Schreiner das Parkett auf den gewärmten Boden. Nächstens ist die Renovation abgeschlossen, und Kühne übergibt die Schlüssel dem Besitzer.

Bereits getan hat er dies für eine andere Einliegerwohnung mit zwei Zimmern. Auch diese befindet sich im Erdgeschoss. Die Schreiner verschlossen den Treppenaufgang zur Hauptwohnung mit einer zurückversetzten Trennwand aus Fermacellplatten. In die Luke, die dadurch in der Wand geschaffen wurde, bauten sie eine Garderobe ein, die sich mit zwei Schranktüren verschliessen lässt. Eines der beiden Zimmer bekam eine kleine Küchenzeile.

Und plötzlich steht man wieder am Berg

Unter anderem dank dem Geschäft mit den Einliegerwohnungen habe er es geschafft, die Folgen der Zweitwohnungsinitiative für seine Schreinerei aufzufangen, sagt Urs Kühne. Doch jetzt, wo eigentlich alles gut laufe, stehe man mit Corona vor einer neuen Herausforderung. «Ich hoffe einfach, dass den Eigentümern wegen der aktuellen Unsicherheit nicht die Lust vergeht, in ihre Häuser zu investieren.»

www.bsvonline.chwww.hausinfo.chwww.kellenbergerag.chwww.schreinerei-lenk.ch

Zweitwohnungsgesetz

In Altbauten kaum Einschränkungen

Das Zweitwohnungsgesetz (ZWG) von 2015 wurde nach Annahme der gleichnamigen Initiative erlassen. Die Idee der Initianten war es, die Zersiedelung der Landschaft in touristisch geprägten Regionen zu stoppen. Das Zweitwohnungsgesetz verbietet ganz grund- sätzlich den Bau neuer Ferienwohnungen in Gemeinden, die bereits einen Zweitwohnungsanteil von 20 % aufweisen. In altrechtlichen Häusern, die mindestens seit März 2012 bestehen, dürfen indes Erstwohnungen zu Zweit- wohnungen umfunktioniert werden. Es ist zudem möglich, in einem altrechtlich erstellten Haus eine neue Einliegerwohnung einzubauen und diese als Ferienwohnung zu vermieten. Eine vermietbare Einliegerwohnung ist sogar in einem Neubau erlaubt – allerdings nur unter Einschränkungen. So muss der Eigentümer des Neubaus im Haus wohnhaft sein und die Einliegerwohnung «touristisch bewirtschaften». Laut Gesetz heisst das: Die Wohnung muss zur kurzzeitigen Miete Gästen angeboten werden, und zwar zu «markt- und ortsüblichen Bedingungen».

martin freuler, mf

Veröffentlichung: 03. Dezember 2020 / Ausgabe 49/2020

Artikel zum Thema

09. Mai 2024

Schwungvolle Radien, fliessende Formen

Umbau.  Für die Raiffeisenbank in Olten wurde die Innenarchitektur im bestehenden Rundbau realisiert. Beratung und Empfang konzentrieren sich kreisförmig um das Zentrum. Radiale Konstruktionen in Holz, Gips, Glas und Metall forderten die beteiligten Schreiner heraus.

mehr
29. Februar 2024

Grosses Kino unterm Dach

Typisch britisch.  Den Dachausbau einer Villa in Burgdorf BE hat die Schreinerei Werthmüller ganz nach dem persönlichen Geschmack des Bauherrn umgesetzt. Das Heimkino und die Bibliothek sind geprägt durch britische Stilelemente, allen voran die Ölfarbe auf profilierten Flächen.

mehr

weitere Artikel zum Thema:

Umbauen