Bauklötzchen für Erwachsene

Stefan Medam und Geraldine Bard sehen den Touch-Reality-Tisch als einzigartiges Kundenerlebnis. Bild: Monika Hurni

Verkaufsinstrumente.  Die neuen Medien werden auch im Verkauf immer wichtiger. Mit dem Touch-Reality-Tisch können Küchen in einfachster Weise geplant und ohne Zeitverzögerung in 3D auf dem Bildschirm dargestellt werden. So wird die Beratung zum Spass.

Wer erinnert sich nicht gerne daran zurück, wie viel Spass das Bauen mit Klötzchen gemacht hat? Eine Idee im Kopf zu haben, diese mit den einfachen Bauklötzchen umzusetzen und zu sehen, wie das im Kopf kreierte Objekt Gestalt annimmt.

In der Ausstellung der Schreinerei Bard AG mitten in Basel wird auch heute noch mit Klötzchen gebaut. Allerdings mit einer raffinierten Technologie im Hintergrund: Mit dem Touch-Reality-Tisch können Vorstellungen direkt in Bilder umgewandelt werden. Das Herzstück des Tisches ist ein Touchscreen. Darauf gibt Stefan Medam in einem ersten Schritt den Grundriss der Küche sowie Position und Dimension von Türen und Fenstern ein. «Es ist wichtig, dem Kunden das gesamte Raumgefühl inklusive der unterschiedlichen Materialien zu vermitteln», erklärt der Verantwortliche für Planung und Verkauf bei Bard, während er aus einer hinterlegten Bibliothek den Boden für die geplante Küche auswählt. Danach kommen die besagten Bauklötzchen zum Einsatz, welche für die einzelnen Elemente einer Küche wie Hochschrank, Korpusmöbel, Kochinsel oder diverse Küchengeräte stehen. Sie werden durch aufgeklebte Systemcodes an der Unterseite von den 24 unter dem Touchscreen eingebauten Kameras beim Platzieren als solche erkannt und direkt auf dem zweiten Bildschirm in 3D angezeigt. «Da liegt der grosse Vorteil gegenüber einer einfachen Visualisierung», erklärt Medam. «Die Übertragung erfolgt in Echtzeit. So kann der Kunde nicht nur das Entstehen der Küche live mitverfolgen, sondern auch verschiedene Variationen direkt miteinander vergleichen.»

Ein Tisch zum Autopreis

Der Touch-Reality-Tisch ist eine belgische Entwicklung und in der Schweiz erst in wenigen Betrieben anzutreffen. Er kann nicht gekauft, sondern nur gemietet werden, denn er soll stets auf dem laufenden Stand gehalten werden und ist sehr wartungsintensiv. Im Schnitt erfolge alle zwei Tage ein Update, sagt Medam. Die Miete des Tisches inklusive Support sei deshalb nicht ganz billig. «Der Jahresbetrag entspricht in etwa einem Mittelklassewagen», verrät Medam.

Für ihr 30-köpfiges Unternehmen, in welchem pro Jahr rund 100 Küchen produziert werden, sei es die Investition wert, sagt Geschäftsführerin Geraldine Bard. «Wir haben den Tisch im September 2019 an einer Messe gesehen. Damals befand sich unsere Firma im Umbruch.» So wurde nicht nur der Produktionsstandort in Allschwil BL bezogen, sondern auch der heutige Showroom mit angegliederter Wein- und Kaffeebar in Basel eröffnet. «Der Tisch passte perfekt in unser Erlebniskonzept», erklärt Bard. Ein stimmiges Gesamtbild sieht sie als wertvolles Verkaufsinstrument. «Für den Kunden ist es wichtig, dass ein Unternehmen glaubwürdig ist und überzeugend auftritt», sagt sie. «Wir setzen in unserem Showroom auf ein ganzheitliches Erlebnis und einen intensiven Kundenkontakt, da passt der Tisch perfekt rein und bietet einen zusätzlichen ‹Wow-Effekt›.»

Instrument mit Potenzial

Im Kundenerlebnis sieht auch Roland Hebeisen, verantwortlich für Marketing und Produktentwicklung der «Emme Küchen» bei der Schreinermanufaktur Röthlisberger AG in Schüpbach BE, den Hauptvorteil des Tisches. Die «Emme Küchen» werden zusätzlich zum regionalen Direktvertrieb auch über Firmenkunden wie beispielsweise über Sanitas Troesch vertrieben, wo der Touch-Reality-Tisch auch als Verkaufsinstrument im Einsatz steht. «Dank dieser Zusammenarbeit ergab sich die Möglichkeit, unseren Katalog ins Programm integrieren zu lassen und den Tisch in unserer Ausstellung zu installieren», erklärt Hebeisen. Bisher sind im Bearbeitungsprogramm neben einigen Herstellerkatalogen bei den Geräten lediglich die Daten von Electrolux hinterlegt, doch die Entwicklung ist im Fluss.

Die hinterlegten Möbelkataloge dienen als Planungsgrundlage. Die auf dem Touchscreen platzierten Klötzchen können im System anhand von Auswahl-Optionen in ihren Massen präzisiert werden. Daneben bietet der Tisch bereits einen recht grossen Umfang an Informationen und Gestaltungsmöglichkeiten. So können spezifische Angaben zu Geräten, Schubladenauszügen oder weiteren Beschlägen abgerufen werden, dies in gewissen Fällen auch in Form von Videos. Die Grunddaten können per Schnittstelle für die weitere Planung verwendet werden. Trotzdem darf der Tisch nicht mit einem Planungswerkzeug verwechselt werden. «Wir sehen Touch Reality als Ideenfindung bei der Grundrissentwicklung und bei der Visualisierung der Farb-Material-Kombinationen», sagt Hebeisen. «Perfekt ins Detail planen wir dann mit unserem Küchenzeichnungsprogramm.»

Auch der Verkaufsprozess hat sich laut Hebeisen noch nicht nachhaltig verändert. Der Tisch diene der Kundenbindung respektive -gewinnung.

Automatische Farbanpassung

Bei der Element-Küchen AG steht der Tisch in den Ausstellungszentren in Frauenfeld TG, Hunzenschwil AG, Köniz BE, Kriens LU, Malans GR, Zürich und Crissier VD zur Verfügung. Die Beratung läuft hier nach einem strukturierten Schema ab, dennoch streicht Peter Suter, Geschäftsleiter Zürich, insbesondere das positive Kundenerlebnis heraus: «Die Beratung wird zum Erlebnis und eignet sich für einfache und anspruchsvolle Kunden aller Altersgruppen.»

In der Regel erfolgt eine Erstberatung für Layout und Konzept, Boden, Farbauswahl, Fronten, Abdeckung und Griffe. Dafür kann im Voraus eine Bestandesaufnahme per Erfassungsblatt gemacht werden. Der Grundriss kann vorgängig oder vor Ort gemeinsam mit dem Kunden eingegeben werden.

Nach der Auswahl des Bodens werden die Elemente auf dem Grundriss angeordnet und verschiedene Varianten durchgespielt. Danach folgt die Auswahl von Wänden, Abdeckung und Fronten. In einer Zweitberatung folgen allfällige Möbelumstellungen und Farbvariationen. Um beispielsweise die Fronten anzupassen, kann ein physisch vorhandenes Muster auf den Touchscreen gelegt werden, wodurch dessen Farbe automatisch ins Layout übernommen wird.

Vom Planungs- zum Verkaufstool

Aus Sicht des Küchenplaners liegen die Vorteile des 3D-Tools darin, dass die Wünsche des Kunden auf einfache Weise erfasst und spielend angepasst werden können. Dies führt zu einer grossen Zeitersparnis bei der Beratung. Ausserdem wird mit dem erstellten Layout bereits eine verständliche Grundlage gelegt, welche in der weiteren Planung exakt ausgearbeitet werden kann. Auch müssen weniger Varianten offeriert werden, da diese ja bereits optisch durchgespielt worden sind.

Aus Sicht der Kunden liegen die Vorteile in der Unterstützung des räumlichen Vorstellungsvermögens. Oft tun sich Laien schwer mit dem Lesen von Plänen und deren gedanklichen Übertragung in den Raum. Dank dem Touch-Reality-Tisch können sie ihre Ideen aktiv einbringen und den Weg zur Wunschküche Schritt für Schritt mitgestalten. «Oft haben Kunden das Gefühl, bereits genau zu wissen, was sie wollen, und entscheiden sich dann doch nochmals um, sobald sie ihre Ideen dreidimensional auf dem Bildschirm dargestellt sehen», sagt Stefan Medam. Das Tool erlaubt es auch einem wenig technikaffinen Kunden, ohne Berührungsängste zu experimentieren und zu basteln. Am Ende verlasse er die Beratung mit einer Fotoperspektive seiner Küche und wird, inspiriert vom aussergewöhnlichen Beratungserlebnis, zum idealen Werbeträger. Der Touch-Reality-Tisch hat das Bauen mit Klötzchen auf eine neue Stufe gehoben. Doch im Grunde bleibt das Prinzip dasselbe. Und die Verwirklichung einer Vorstellung durch einfache Klötzchen löst auch im Erwachsenenalter noch positive Emotionen aus.

www.schreinerei-bard.chwww.schreinermanufaktur.chwww.emmekueche.chwww.elementkuechen.ch

Monika Hurni

Veröffentlichung: 21. Oktober 2021 / Ausgabe 43/2021

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