Das Modell muss passen

Bild: Pixabay Arbeit, Kinder und Freizeit können miteinander vereinbart werden.

Arbeitszeitmodelle.  Schreinereibetriebe bekunden immer öfter Mühe, neue Angestellte zu finden. Gleichzeitig denken viele Schreinerinnen und Schreiner darüber nach, die Branche zu wechseln. Was macht einen Arbeitgeber attraktiv? Eine Suche nach Lösungsansätzen.

Woran liegt es, dass 33 Prozent der Mitarbeitenden von Schreinereibetrieben darüber nachdenken, die Branche zu wechseln? Gemäss Branchendemografie, die 2018 von VSSM, Unia und Syna erstellt worden ist, hatten Unternehmen im Erhebungsjahr deutlich mehr Schwierigkeiten, offene Stellen zu besetzen, als fünf Jahre davor. Dies gilt für Kadermitarbeitende und Berufsarbeitende. Das wirft die wichtige Frage auf: Was macht einen Arbeitgeber attraktiv, damit er Fachkräfte gewinnen kann?

Gemäss einer nicht repräsentativen Umfrage der Schreinerzeitung auf Instagram im letzten April scheint das Arbeitszeitmodell ein wichtiger Faktor zu sein: Für über die Hälfte der knapp 300 Schreinerinnen und Schreiner, die teilgenommen haben, ist es am wichtigsten, dass sie interessanten Tätigkeiten nachgehen dürfen. Für weitere 36 Prozent folgt an zweiter Stelle die Work-Life-Balance. Nur 11 Prozent gaben an, dass der Lohn für sie an erster Stelle steht. Freizeit scheint mehr wert zu sein als Geld: Für rund zwei Drittel der Umfrage-Teilnehmenden ist es wichtig, dass sie in Teilzeit arbeiten können. Auf die Frage, warum sie gerne in Teilzeit arbeiten, gaben viele den Grund «Familie» an. Aber auch «Zeit für Hobby» oder «private Projekte» wurden oft genannt.

Ein Teilnehmer der Instagram-Umfrage hat sich bereit erklärt, stellvertretend tiefer gehende Fragen zu beantworten: Joël Blatter (Bild), 39 Jahre alt, dreifacher Familienvater aus Widnau SG. Er arbeitet bei der Gautschi Holz- und Fensterbau AG in St. Margrethen SG in Verkauf und Kalkulation Schreinerei. Der Bereich Holz- und Fensterbau beschäftigt rund 50 Mitarbeitende.

Schreinerzeitung: Wo stehen Sie beruflich und im privaten Leben?

 

Joël Blatter: Ich bin gelernter Möbelschreiner und erlangte mit 25 Jahren den Fachausweis zum Technischen Kaufmann. Statt dann eine weitere Weiterbildung zu absolvieren, kaufte ich ein Haus und sanierte es eigenhändig. Dabei habe ich sehr viel gelernt. Ich arbeite heute 80 Prozent wegen meiner Familie. Wir haben drei Kinder. Das Jüngste ist fünf Jahre alt. Mir und meiner Frau ist es wichtig, dass unsere Kinder nicht fremdbetreut werden, wir möchten die Erziehung in unserer Hand haben. Meine Frau arbeitet 50 Prozent, und meine Mutter übernimmt auch einen Teil der Betreuung.

 

Wie sind bei Ihrem Job die Arbeitszeiten geregelt?

Wir haben fixe Arbeitszeiten. In meinem Team sind noch mehr Familienväter. Wenn einer mal früher gehen muss wegen familiärer Verpflichtungen, geht das in Ordnung. Ich kann teilweise im Homeoffice arbeiten. Manchmal warte ich morgens, bis die Kinder aus dem Haus sind, und schalte schon mal den Computer ein, ehe ich ins Büro fahre. An einem Arbeitstag, an dem ich teilweise die Kinder betreue, arbeite ich entsprechend länger. Für mich stimmt es, weil ich so alles unter einen Hut bringen kann.

Was würden Sie beachten, wenn Sie einen neuen Arbeitgeber suchen würden?

Dass der Arbeitgeber eine gewisse Flexibilität bezüglich der Arbeitszeiten zeigt. Wobei die Zeiten generell fix sein dürfen, doch Ausnahmen sollten möglich sein. Ausserdem arbeite ich persönlich gerne in einem kleinen Team von fünf bis zehn Personen. Wichtig ist mir auch meine Tätigkeit – ich mag Abwechslung bei der Arbeit. Der Lohn ist für mich nicht das Wichtigste.

Was kann ein Arbeitgeber tun, um den Ansprüchen der jungen Berufsleute gerecht zu werden?

Die Möglichkeit zur Teilzeitarbeit anbieten. Das funktioniert, wenn die Stellen aufgeteilt werden, damit laufende Arbeiten von jemand anderem abgeschlossen werden können. Grundsätzlich müsste jede Stelle von zwei Personen ausgeführt werden können, das liegt auch im Interesse des Betriebs. Während der Coronakrise haben wir gemerkt, dass Teilzeitarbeit und Homeoffice einen Mehraufwand bedeuten. Aber wir haben auch gesehen, dass es Lösungen gibt, an die wir vorher nicht gedacht haben. Was die fixen Arbeitszeiten und den Lohn betrifft, ist der Schreinerberuf nicht sehr attraktiv. Als Schreiner ohne Weiterbildung verdient man nicht so gut wie in manchen anderen Berufen. Da ist es wichtig, dass andere Faktoren wie Tätigkeit, Team und Arbeitsbedingungen stimmen.

Warum, denken Sie, verlassen so viele Schreinerinnen und Schreiner zwischen 20 und 30 Jahren die Branche?

Ein Grund ist sicherlich, dass junge Leute noch etwas anderes sehen möchten. Der Berufsentscheid mit 13 Jahren ist sehr früh. Meiner Meinung nach ist es wichtig, dass man die Lehre abschliesst und danach seinen Weg findet. Dazu kommt, dass der jungen Generation Freizeit und Flexibilität wichtiger sind als der älteren. Sie wollen einen Monat Ferien machen können, ohne dass ihnen ein Unternehmer im Weg steht. Darum suchen sie sich lieber einen Arbeitgeber in einer Branche, der sie gehen lässt.

Gibt es noch weitere Faktoren?

Um die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter nicht zu vergraulen, sollte man sie dort einsetzen, wo sie gerne arbeiten. Natürlich gibt es immer Aufgaben, die man weniger gern macht. Die Aufträge müssen ja abgearbeitet werden. Aber es bringt nichts, unnötig stur zu sein. Unternehmerinnen und Unternehmer sollten beachten, dass heute viele Frauen wie Männer in Teilzeit arbeiten möchten, und sie sollten dies bei der Ausgestaltung ihrer Arbeitszeitmodelle berücksichtigen.

Serie Neue Lohn- und Arbeitszeitmodelle

Die Arbeitswelt verändert sich, neue Berufe werden geschaffen, intelligente Programme und Roboter werden ein- gesetzt, und die Digitalisierung erlaubt ein hohes Tempo. Nur eines blieb unverändert: die 42-Stunden-Woche. Hat das Modell Normalarbeitszeit aus- gedient? Wie sieht das Arbeitsmodell der (nahen) Zukunft aus? Welche Ansprüche stellt die neue Generation an die Arbeitswelt? Ist das 80-Prozent-Pensum die neue Vollzeit? Die lose Serie «Neue Lohn- und Arbeitszeitmodelle» geht diesen Fragen nach.

www.schreinerzeitung.ch

Michèle Ofri

Veröffentlichung: 26. August 2021 / Ausgabe 35/2021

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