Den digitalen Wandel nutzen

Der Schreiner sollte Prozesse wie die Digitalisierung pragmatisch und gezielt anpacken. Bild: Pixabay

Ablaufplanung.  Grössere Kundenaufträge eröffnen dem Betrieb auch Chancen, die eigenen Prozesse und Abläufe zu optimieren. Zwei Experten zeigen auf, worauf der Schreiner schauen muss, wenn er sich dafür auf den digitalen Weg begeben will.

Das moderne Arbeitsumfeld ist immer in Bewegung und somit einem stetigen Wandel ausgesetzt. Neue Angebote, Produkte, Methoden und auch Technologien ergänzen das bestehende Sortiment und schaffen alternative Lösungs- und Fertigungsansätze, beispielsweise bei grösseren Umbauten oder anderen Grossaufträgen für Schreinereien. Einige dieser neuen Möglichkeiten ziehen lediglich eine marginale Veränderung mit sich. Andere hingegen, wie die Digitalisierung, haben das Potenzial, eine ganze Branche, einen Wirtschaftssektor und sogar die private Lebensweise zu beeinflussen. Auch im Bausektor ist der digitale Wandel eine Veränderung, der sich alle beteiligten Unternehmen stellen müssen. Begriffe wie Durchgängigkeit oder Bim werden bereits seit Jahren als Schlagwörter zelebriert, gefordert und teilweise auch forciert. Begibt man sich auf Veranstaltungen oder Messen auf die Suche nach digitalen Lösungsansätzen, bleibt am Ende jedoch oftmals das eine oder andere Fragezeichen offen. Dies hat primär damit zu tun, dass man die Digitalisierung nicht als Komplettpaket nach einem einheitlichen Schema bestellen und anschliessend implementieren kann. Vielmehr benötigt es ein digitales Umdenken. Dies zeigen auch Beispiele von Unternehmen, die bereits erfolgreich erste Schritte im Bereich der Datendurchgängigkeit gegangen sind.

Die Digitalisierung eines Prozesses, eines Unternehmens und schliesslich einer gesamten Branche benötigt nebst grundsätzlichem Neudenken der gewohnten Abläufe auch eine auf die jeweiligen Bedürfnisse individuell abgestimmte Vorgehensweise.

Übersicht und Know-how

Alle Unternehmen, die momentan ein Digitalisierungsprojekt angehen, stehen vor den gleichen Herausforderungen. Es benötigt ein Ziel. Und damit man ein Ziel definieren kann, bedarf es des nötigen Gesamtüberblicks und des notwendigen Wissens. «Die Beschaffung der Ressourcen ist in der Praxis nicht das Hauptproblem. Vielmehr fehlt dem Schreiner das Know-how im IT-Bereich», sagt Urs Scherer (Bild) von der Beratungsfirma Tre Innova AG aus Hünenberg ZG. Er weiss aus eigener Erfahrung, dass es praktisch nicht möglich ist, einen unabhängigen Berater im IT-Bereich zu finden: «Nur mittels einer unabhängigen Sicht über den eigenen Betrieb und über die verschiedenen Lösungsansätze kann ein individuelles Vorgehen mit den zu erreichenden Meilensteinen evaluiert werden.»

Die nötige Distanz zum Tagesgeschäft darf beim Prozess hin zur Digitalisierung nicht unterschätzt werden. «Nur mit einem Schritt zurück ist strategisches Denken möglich», sagt Rolf Baumann, Bereichsleiter Forschung, Dienstleistung und Weiterbildung an der Berner Fachhochschule in Biel BE. «Es gibt heutzutage viele Möglichkeiten, Lösungsansätze, Plattformen und Inputs, die ohne das richtige Vorgehen zwangsläufig zu einer Überforderung führen.» Der digitale Wandel in einem Unternehmen ist kein zeitlich begrenztes Projekt. Vielmehr handelt es sich um ein auf unbestimmte Zeit laufendes Vorhaben. Deshalb ist es wichtig, die Treppe der Digitalisierung Tritt für Tritt zu begehen. «Es gilt, den für das jeweilige Unternehmen passenden Rhythmus zwischen Planen und Umsetzen zu finden», sagt Baumann. Als Schreiner sollte man sich ebenfalls darüber Gedanken machen, wie weit und ab wann man seine Aufträge digitalisieren will. «Ein Kleinauftrag ist heutzutage nur rechenbar, wenn er sehr schlank abgehandelt werden kann. Wenn für die Daten mehr Aufwand anfällt als für den Auftrag an sich, muss ich über die Bücher», sagt Scherer.

Schnittstellen und Vernetzung

Die momentan grössten Herausforderungen im Bereich der Digitalisierung sind laut Scherer keine Unbekannten und beschäftigen den Schreiner bereits seit Jahren: «Die Datenvernetzung neuer Maschinen mit bestehenden ERP- oder CAD-Systemen zu einer effizienten Lösung erweist sich in der Praxis oftmals als grosse Herausforderung. Und sie treibt Aufwand und Kosten in die Höhe.» Zudem sucht der Schweizer immer nach der besten aller Lösungen, anstatt die anfallenden Schritte sukkzessive zu meistern. Es ist wichtig, die Digitalisierung pragmatisch und mit starken Partnern in Angriff zu nehmen.

Zusammen in die Zukunft

Einen spannenden Ansatz für die Umsetzung der Digitalisierung sieht Baumann in der Kooperation. Die Hotellerie oder der Mobilitätssektor wurden in den vergangenen Jahren beispielsweise bereits von Plattformen umgekrempelt. Hierfür ist es zentral, dass sich die Unternehmer nicht nur als Konkurrenten sehen, sondern gemeinsam am Fortschritt arbeiten. «Schreiner haben in dieser Hinsicht in letzter Zeit grosse Schritte gemacht», sagt Baumann. Heute kann man sich nicht mehr durch Qualität allein abheben, sondern es gilt, für den Kunden ein einmaliges Erlebnis zu erschaffen. Hier könnte beispielsweise eine übergeordnete Schreinerplattform den Weg vom Kundenwunsch bis zum Einbau eines Möbelstückes vereinfachen.

Neue Anreize und Methoden

Eine weitere grosse Herausforderung im Digitalisierungsprozess stellt der Miteinbezug der Mitarbeiter dar. Wie in jedem Veränderungsprozess sollte das Team auch bei der Digitalisierung dank laufender Information und aktivem Einbezug mitwachsen. «Arbeitsbilder werden sich ändern, und es gilt, mit den jeweiligen Mitarbeitern attraktive Alternativen zu erarbeiten», sagt Scherer. Es sei entscheidend, die gesetzten Meilensteine zu kommunizieren, gemeinsam zu erarbeiten und stetig voranzugehen.

Zu jedem Veränderungsprozess in der Praxis gehören Rückschläge und Stagnationen. «Es ist wichtig, trotz kleinerer Rückschläge an der Sache dranzubleiben und das gesetzte Ziel nicht aus den Augen zu verlieren», sagt Baumann. Um die Digitalisierung und die damit verbundenen Herausforderungen fassbarer zu machen, testet er in der «Werkstatt der Zukunft» diverse Ansätze und Technologien (siehe Box). Dort können interessierte Unternehmen mittels «Datencheck» auch eine erste Selbstanalyse vornehmen. Das Online-Tool ermittelt den Aufwand und zeigt das Sparpotenzial bei der Datenerzeugung in der eigenen Produktion. Das Tool macht neuralgische Bereiche sichtbar, um sie dann gezielt optimieren zu können.

Bevor man sich Hals über Kopf in die Digitalisierung stürzt, gilt es, die eigenen Prozesse und Abläufe zu kennen, sich realistische Meilensteine zu setzen und diese Schritt für Schritt zu erreichen. Und ganz wichtig: Da die Zukunft noch nicht in Stein gemeisselt ist, sollte man sich immer die nötige Agilität bewahren.

www.treinnova.chwww.bfh.ch

noah Gautschi

Veröffentlichung: 13. Mai 2021 / Ausgabe 20/2021

Artikel zum Thema

09. Mai 2024

Digital zu neuem Personal

Social Recruiting.  Viele Schreinereien kennen die Herausforderung: Volle Auftragsbücher und ein überlastetes Team – aber über herkömmliche Wege sind kaum Fachkräfte zu finden. Ist das Netzwerk ausgeschöpft, müssen Unternehmen neue Wege beschreiten, etwa über Social Media.

mehr
04. April 2024

Kontakte fürs Leben

Unternehmenstag.  Gut 80 Firmen haben am Mittwoch vergangener Woche den Unternehmenstag Holz in Biel genutzt, um sich den Studierenden an der Berner Fachhochschule zu präsentieren. Dabei eröffneten sich spannende Chancen für die Zukunft.

mehr

weitere Artikel zum Thema:

Wirtschaft