«Den langen Atem braucht es»

Hochwertiges Design zu entwerfen, ist für Raphael Bertschinger eine spannende Aufgabe. Sein Hauptaugenmerk gilt aber dem vielfältigen Alltagsgeschäft. Bild: Kellenberger Kaminski Photographie

Der Weg zur eigenen Kollektion.  Der Traum vieler: die eigene Kollektion herstellen. Gerade in der Schweiz, wo Designerprodukte einen hohen Stellenwert geniessen, scheint alles möglich. Die SchreinerZeitung hat drei Schreiner zu ihren Erfahrungen mit der eigenen Kollektion befragt.

Raphael Bertschinger hat es geschafft: Neben dem vielfältigen Tagesgeschäft der gleichnamigen Innenausbau AG hat er seine eigene Möbelkollektion auf den Weg gebracht. Dazu gehören Messeauftritte, Medienberichte, externe Vertriebspartner und die Aufnahme auf Internetportalen wie «Best Swiss» oder «Architonic». Als zeitlos, formschön und regional beschreibt Bertschinger seine Möbel.

Eine Verbindung von schlichtem Design mit hochwertigem Handwerk – soweit alles klar. Bertschinger folgt nicht nur bei den Argumenten für seine Kollektion eine klare Linie, auch das Design spricht deutlich.

Der Schreiner – Ihr Designer

Ein jeder Schreiner ist immer auch ein Gestalter. Die meisten haben einen ausgeprägten Sinn für Formen und Farben und entwerfen gerne Möbel. Die eigene Kollektion ist wohl eine Art Königsdisziplin in der Schreinerzunft. «Möbeldesign ist wunderbar und schwer», sagt Bertschinger. Nicht wenige versuchen, den Schritt von der Auftragsarbeit zum Konzept um die eigenen Entwürfe als Markenzeichen zu lancieren. Dem Designer haben die Schreiner dabei eines voraus: die Kundennähe.

Im Mittelpunkt stehen die Freude an der eigenen Idee sowie die Freude des Kunden an des Schreiners Leistung. Viele Schreiner machen deshalb beides. Sie verwirklichen im Auftrag von Architekten und Bauherren einmalige Projekte und feilen doch an den eigenen Entwürfen, oft neben dem Tagesgeschäft, nicht selten in der Freizeit – ganz einfach, weil es inspirierend ist. Raphael Bertschinger weiss heute allerdings auch: «So nebenbei ist es schwierig, man muss es tausendprozentig machen, sonst klappt es nicht.» Gemeint ist damit nicht die Umsetzung der vielen Ideen des Schreiners, sondern Zeit, Kraft und Mittel, die er investieren muss, um das eigene Design auch zum wirtschaftlichen Erfolg zu führen. Der Zuspruch kommt manchmal recht schnell, einige holen sich sogar Auszeichnungen. «Wenn man gutes ‹Zeugs› macht, dann kommen auf einmal alle auf einen zu, die im Designsektor unterwegs sind. Aber die wollen ja auch Geld verdienen mit einem», erklärt Bertschinger. «Ich hatte auf einmal unglaub- lich grosse Resonanz und viele Anfragen. Aber der Verkauf ist dann auch nochmal eine andere Sache. Wer Neues entwirft, der brennt auf Resonanz. Darüber kann kurzfristig schon in Vergessenheit geraten, dass es am Ende um den Verkauf geht. Bertschinger weiss: Das Interesse ist oft gross, aber die Abschlüsse sind weniger zahlreich. Was Schreinern oft begegnet im Kundenkontakt: Der Entwurf passt, aber bitte in einer anderen Farbe! «Dann ist die Kalkulation für die Kollektion dahin. Wenn schon Kollektion, dann muss das Modell sitzen», sagt Bertschinger.

Der Schreiner – Ihr Alleskönner

Die Arbeit in der freien Zeit kennt auch Erich Weiss nur zu gut. Die Kollektion der A. + S. Weiss Schreinerei AG steht seit dem letzten Jahr. Weiss macht fast alles selbst: Entwurf, Fotografie, Layouts und das Marketing. Ein entscheidender Vorteil für den Schreiner ist dabei die Geschwindigkeit. «Von der Idee bis zur Umsetzung brauche ich nur recht wenig Zeit», sagt Weiss. Einen Vorteil, den Schreiner gegenüber Designern haben. Deren Arbeit könnte Weiss ohne- hin nur schwer finanzieren. Die Mittel verwendet der Schreiner stattdessen für zwei Messeauftritte im Früh- und Spätjahr. Zeitliche Ressourcen verwendet er für die Pflege des Internetauftritts und für Aktivitäten im Social-Media-Bereich.

Für Weiss geht die Rechnung auf. «Es war wichtig für uns, den Betrieb durch die Fertigung der eigenen Kollektion besser auszulasten und uns neben den Architekten und Bauherren auch den Privatkunden zuzuwenden», sagt Weiss. Heute entfällt etwa die Hälfte des Geschäfts auf die eigene Kollektion. Das hat wiederum schwer mess- bare, aber positive Effekte bei den Architekturpartnern. «Neben den privaten Kunden nehmen uns auch die Planer anders wahr.» So erzielt die eigene Kollektion auch positive Werbeeffekte.

Die eigene Linie kommt äusserst vielgestaltig daher. Ein wichtiger Punkt für Weiss ist, das zu machen, was der Kunde wünscht, und nicht am Markt vorbei zu entwerfen. Die vielen Ideen, die Weiss immer wieder hat, speisen sich auch aus einer sorgfältigen Beobachtung der Realität und der Analyse von Trends. Eine genaue Marktanalyse gehört für den Profi dazu. Dann die eigenen Ideen schnell umsetzen – für Weiss wichtige Faktoren, das zu bieten, was Kunden anspricht. Aber auch Weiss kennt die Situation, dass der eine Entwurf gut funktioniert und der andere weniger. «Neben der Kreativität ist der Durchhaltewillen wohl das Wichtigste. Wenn es nicht gleich klappt, dann muss man es weiter probieren», so Weiss.

Die unterschiedlichen Ideen sind für den Schreiner auch bei seinen Messeauftritten wichtig. «Im direkten Austausch mit den Kunden vor Ort merke ich schnell, was ankommt und was nicht», sagt Weiss. Um seine Auftritte möglichst wohnlich zu gestalten, dienen dem Schreiner auch die eigenen Entwürfe von Accessoires wie Obstschale oder Kerzenständer. Die bunte Mischung zeige auch, «dass wir offen für anderes sind», so der Schreiner.

Nicht umsonst weisen Marketing-Profis immer wieder auf die Funktion solcher «Eisbrecher» hin. Wenn eine Kollektion auch Stücke enthält, die auf verschiedenen Preisniveaus liegen, fällt es vielen Interessenten leichter, sich konkret und unterbewusst mit dem Kaufgedanken anzufreunden.

Der Schreiner – Ihre Marke

Die Konkurrenz ist gross. Weltweit sollen täglich rund 5000 neue Produkte auf den Markt kommen. In einem solchen Dschungel an Produkten bieten Marken den Konsumenten Orientierung. Der gute Name eines Labels oder eines Designers ist deshalb Erfolg versprechend. Ein Nachteil für den Schreiner, der noch nicht selbst als Marke wahrgenommen wird.

Es braucht deshalb einen Grund, warum der Kunde das Sideboard des Schreiners kaufen soll und nicht ein anderes. Erich Weiss spielt deshalb die Karte der Flexibilität: «Ein Zentimeter mehr oder weniger – das ist für uns keine Sache.» Ein Regal ist ein Regal. Für Weiss ist deshalb klar, dass die eigenen Sachen etwas haben müssen, was die anderen nicht haben. «Und das ist nicht einfach», weiss der Allrounder.

Ein in der Breite verschiebbares Regal, wie es der Schreiner Beat Karrer für die Kollektion Röthlisberger entworfen hat, entsteht nicht jeden Tag. Meist ist ein Regal eben am Ende doch ein Regal und daneben gibt es hunderte andere. Wer nicht mit grossen Designernamen punkten kann, braucht dann andere Argumente. Manche Kreative erzählen deshalb eine spezielle Geschichte zum Produkt, andere arbeiten mit limitierten Auflagen ihrer Entwürfe und machen sich so interessant. Zum Beispiel Friedrich Aldrup, der in seiner «Tischlerei» die Kollektion «Seebühne» entworfen hat. Die Möbel mit dem trendigen Aussehen bestehen aus den originalen Brettern der Seebühne in Thun. Über den Sommer erhält das Holz durch die Benutzung an der Witterung eine gewisse Patina und auch Geschichte, die sich Aldrup zunutze macht.

Die Bühne wird jedes Jahr neu gebaut. So ist für Nachschub an Material gesorgt. Was sich anhört wie eine günstige Möglichkeit, Material zu verwenden, ist in Wirklichkeit aber viel Arbeit. «Das Säubern, die sorgfältige Auswahl der Bretter und das Oberflächenfinish für die Gebrauchstauglichkeit kostet viel Zeit», sagt Aldrup. Der Tischler selbst sieht sich erst am Anfang des Weges zu einer Kollektion.

Nachdem die ersten Stücke stehen und positive Rückmeldungen zahlreich sind, ist Aldrup auf die echte Resonanz in Form von Bestellungen gespannt. Nach dem gleichen Prinzip hat Aldrup einen Weinkeller ausgebaut. «Es ist für mich etwas Schönes, mich mit dem Gestaltungsprozess auseinanderzusetzen, Fehler zu beseitigen und am Ende ein entsprechend schönes Ergebnis zu haben», so Aldrup.

Der Schreiner – Ihr Manager

Für die Allrounder genauso knifflig wie der Entwurfsprozess und das Designen selbst, das Marketing und die rationelle Fertigung ist die Preisfindung für die Stücke der eigenen Kollektion. «Meiner Erfahrung nach ist es nicht so leicht, den richtigen Preis zu finden, damit es den Leuten nicht zu teuer wird», so Raphael Bertschinger. Denn bewegt man sich auf einem höheren Niveau, greifen viele potenzielle Kunden oft lieber zum Markenprodukt, das man kennt und wo man vielleicht das Gefühl hat, nichts falsch zu machen. Für Friedrich Aldrup ist klar, dass ein handwerklich gefertigtes Produkt auch etwas kosten darf. Er sieht seine Entwürfe aber auch als relativ einfache Produkte, weshalb der Preis nicht übertrieben wirken sollte. «Irgendwo dazwischen sehe ich den richtigen Weg», so Aldrup.

Eigentlich ein gutes Argument für die Stücke der Schreiner-Kollektion. Man bezahlt das Stück und nicht den Namen. Aber auch erklärungsbedürftig, geben die Praktiker zu bedenken, denn die Realität der Wahrnehmung bei den Kunden reicht von Interio-Niveau bis hin zum Luxusprodukt. «Der Kunde kann oft nicht nachvollziehen, warum etwas teurer oder günstiger ist», erklärt Erich Weiss. Die Preisfindung zwischen den Extremen ist für den Kollektionsschreiner schwierig, obwohl er es gewohnt ist, individuelle Schreinerarbeiten sauber zu kalkulieren. Die viele Freizeit für den langen Weg zur Kollektion ist mutmasslich oft gar nicht mit eingerechnet.

Aber ein Bett ist eben ein Bett und bei Interio liegt der Preis nunmal bei einem Bruchteil dessen, was der Kollektionsschreiner dafür haben muss. Am anderen Ende der Fahnenstange agieren Leute wie der Schauspieler Brad Pitt. Der hat bekanntlich im letzten Jahr eine eigene Möbelkollektion mit zum Teil zweifelhafter Entwurfsqualität auf den Markt gebracht. Wenn man bedenkt, dass die Berater des Schauspielers für einen Stuhl 45 000 US-Dollar wollen, möchte man gar nicht wissen, wie viel das Bett kostet. Es hat vermutlich seinen Preis, im Bett von Brad zu sein.

Damit seine Stücke nicht überteuert wirken, vertreibt Erich Weiss ausschliesslich direkt. Eine Händlermarge von 40 oder 50 Prozent zu kalkulieren, würde die Sache sonst deutlich erschweren. «Die Marge spare ich mir und kann dafür marktgerechte Preise und Produkte in hoher Qualität anbieten», erklärt er.

www.kollektionbertschinger.chwww.weiss-schreiner.chwww.tischlerei.ch

ch

Veröffentlichung: 09. Oktober 2014 / Ausgabe 41/2014

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