Der Rücken ist nicht aus Holz

Zusammen statt alleine: Lernende der Lehrwerkstatt Zürich tragen ein schweres Stück Holz gemeinsam. Bild: VSSM

Rückenschäden.  Falsches Heben und falsches Transportieren von schweren Lasten können gravierende Rückenprobleme und Verletzungen verursachen. Um diesen entgegenzuwirken, macht die Sicherheitskommission Schreinergewerbe auf die richtige Art und Weise aufmerksam.

Ein Holzelement, das 100 Kilogramm wiegt, noch schnell auf die andere Seite wuchten, aber es ist grad niemand zum Helfen verfügbar? Viele Schreinerinnen und Schreiner kommen immer wieder in die Situation, dass sie schwere Gegenstände heben müssen. Hand aufs Herz – die meisten machen es schnell alleine, obwohl sie wissen, dass das für den Rücken nicht gut ist. Vor allem in jungen Jahren nicht. Die Folgen können gravierend sein.

Das hat auch Michele Ceretti erfahren müssen. Mit Mitte 20 hat der gelernte Schreiner einen Bandscheibenvorfall erlitten. Dieser zwang ihn zu einer zweimonatigen Pause. «Solange nichts wehtut, lupft man halt und überlegt sich nichts. Als Junger sowieso nicht», erinnert sich der Ostschweizer.

Eine Rückkehr war nicht möglich

Doch auch nach der Auszeit war an eine Rückkehr in seinen Traumberuf aus gesundheitlichen Gründen nicht mehr zu denken. Ceretti stand vor einem Scherbenhaufen. Ihm fehlte eine Perspektive, was er beruflich künftig machen solle.

Die Invalidenversicherung (IV) schickte ihn schliesslich in die Schreinerschule, heute Stiftung WQ Solothurn. Dort werden Fachleute aus der Schreiner- und Holzbranche, die wegen einer Krankheit oder eines Unfalls nicht mehr in ihrem Beruf tätig sein können, wiederqualifiziert und erhalten so neue Berufschancen. Michele Ceretti sollte zuerst zum CNC-Maschinisten umgeschult werden. Doch die Verantwortlichen sahen seine Stärken und bildeten ihn zum Sachbearbeiter Planung aus.

Chancen auf dem Arbeitsmarkt

«Ich habe dank der Schule eine grosse Chance erhalten, auch wenn ich heute nicht mehr in meinem alten Beruf arbeiten kann», sagt Ceretti. Nach der Wiederqualifikation hat er zuerst als technischer Planer beim Ladenbauer Jegen AG gearbeitet. Heute ist er bei der Elibag AG in Elgg ZH als Projektleiter tätig. Seine Rückenprobleme hat er dank gezieltem Krafttraining mittlerweile im Griff.

Anpacken ja – aber richtig

Um Unfällen und krankheitsbedingten Ausfällen wie bei Michele Ceretti vorzubeugen, hat sich die Sicherheitskommission (Siko) Schreinergewerbe in Zusammenarbeit mit der Schweizerischen Unfallversicherung (Suva) dem Thema in der Kampagne «Lasten richtig anpacken, heben und transportieren» angenommen. «Das Gewicht der zu hebenden Last kann zwar oft nicht beeinflusst werden, sehr wohl aber die Körperhaltung», heisst es auf der Siko-Website.

Dort werden für Schreinerbetriebe und deren Mitarbeitenden kurze Informationen und Anleitungen zum richtigen Heben und richtigen Transportieren zur Verfügung gestellt. Es ist zudem eine Kurzlektion zu Hebetechniken verfügbar, die in den Betrieben durchgeführt werden kann. Der Kurs ist für Kleingruppen von vier bis neun Teilnehmenden konzipiert und dauert zwischen 20 und 30 Minuten.

Wunsch an die Sicherheitsbeauftragten

«Wir würden es begrüssen, wenn sich die Sicherheitsbeauftragten im Betrieb, kurz Sibe, mit diesen Lektionen vertraut machen und dann mit den Kollegen in Kleingruppen dieses Thema schulen», sagt Urs Sager, der Siko-Geschäftsführer.

Auf der Siko-Website ist zudem eine Liste von Hebehilfsmitteln zu finden. Diese können die Mitarbeitenden in der Werkstatt oder auf der Baustelle beim Heben und Transportieren schwerer Elemente oder Maschinen unterstützen. Es handelt sich dabei zum Beispiel um Hubtische, elektrische Treppensteiger oder Plattenwagen (Bild links). Bei jedem Hilfsmittel ist der entsprechende Händler vermerkt, zudem sind meistens auch gleich die Preise zum Kauf oder zur Miete angegeben.

www.siko2000.chwww.suva.ch




Neue Perspektiven für Fachleute

Ist eine Person krankheitsbedingt oder nach einem Unfall in ihrer bisherigen Tätigkeit nicht mehr arbeitsfähig, gibt es für sie Möglichkeiten einer beruflichen Umorientierung. Seit über 25 Jahren nimmt sich die Stiftung WQ Solothurn, früher Schreinerschule, diesen Mitarbeitenden aus der Holzbranche an. Mit Erfolg.

Herr Hofmann, Ihre Stiftung hilft Fachkräften weiter, die nicht mehr in ihrem gelernten Beruf arbeiten können. Welche Verletzungen oder Krankheiten haben diese Personen?

Peter Hofmann: Zu uns kommen Personen, die in ihrer aktuellen Tätigkeit arbeitsunfähig sind. Oft krankheitsbedingt und wenige nach einem Unfall. Grossmehrheitlich leiden die Leute an Rückenbeschwerden wie zum Beispiel einem Bandscheibenvorfall, Gelenk-, Hüft- oder Augenverletzungen. Bei den Krankheiten haben wir öfter Fälle von MultiplerSklerose. 

Können Sie für jede Person, die bei Ihnen wiederqualifiziert wird, ein passendes neues Berufsfeld finden?
In rund 95 Prozent der Fälle erreichen wir in der verfügten Zeit eine Umschulung und eine Anschlusslösung. Klappt es nicht sofort, gelingt es mehrheitlich in den ersten drei Monaten nach der Weiterbildung. Nur in sehr wenigen Fällen entsteht eine vorübergehende Arbeitslosigkeit. 

Was für Tätigkeiten üben die Wiederqualifizierten aus? 
Wir schulen bei uns hauptsächlich Fachkräfte aus der Schreinerbranche und dem Holzbau um. Dabei bauen wir auf ihren Erfahrungen auf. Die meisten sind in der zweiten Hälfte ihrer Dreissiger. Wir haben aber Kandidaten zwischen 20 und 60 Jahren bei uns. Die meisten bleiben in der Branche. Sie wechseln von der Werkstatt in den Planungsbereich, also zum Beispiel in die Arbeitsvorbereitung. Möglich sind aber auch Förderungen in Spezialbereichen: Fenster-, Küchenplanung, Beratung oder Verkauf bei einem Werkstoffanbieter oder einem anderen Zulieferer.

Wie vielen Personen konnten Sie bereits einen zweiten Start ins Berufsleben ermöglichen?
Die Stiftung WQ Solothurn gibt es seit 1994. Bald freuen wir uns über den 500. Absol­venten. Wir verfügen derzeit über eine Kapazität von 50 Plätzen und unterrichten in Gruppen. 

 

 
 
 
 

www.stiftung-wq.ch

Clever anpacken

Drei Grundsätze zum Heben

Der Lastentransport von Hand könne getrost als Sport verstanden werden, heisst es auf der Website und in der Broschüre der Sicherheitskommission (Siko) Schreinergewerbe. Um ihn gefahrlos auszuüben, sind drei Grundsätze zu beachten, die man vom Sport kennt:

1. Auf die Plätze! Je kürzer die Hebelarme, desto leichter die Last. – Die ideale Startposition finden: Den Schwerpunkt der Last und den Schwerpunkt des Körpers so nahe wie möglich zusammenbringen. Das heisst, entweder zur Last hintreten oder die Last zu sich heranziehen.

2. Fertig! Körper und Last stabil miteinander verbinden. – Sicher auf beiden Füssen stehen und die Last greifen. Wenn es geht, einen Ellbogen am Körper stabilisieren, auf einem Oberschenkel oder am Oberkörper.

3. Los! Die Last liegt am Körper auf, oder wird mit hängenden Armen getragen. – Das Abheben der Last beginnt mit dem Aufbau der Körperspannung (Bauch rein!). Der Blick wird nach vorne gerichtet, das streckt den Rücken. Die Last wird ohne Hektik über den Drehpunkt der abgestützten Hand direkt am Körper hochgehievt. Die Schultern bleiben dabei immer locker und die Arme am Körper.

ndo

Veröffentlichung: 25. Juni 2020 / Ausgabe 26/2020

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