An der Weltspitze

Die Raiffeisenbank Villmergen AG baute 2020 die Geschäftsstelle Dottikon um. Die Decke wurde mit «Topperfo»-Paneelen mit Mikroperforation verkleidet (Eichendekor aus Melamin). Bild: René Rötheli (Atelier für Fotografie)

Akustik.  Es ist bemerkenswert, was Schweizer Schreinereien in den letzten Jahrzehnten auf dem Gebiet der Raumakustik vollbracht haben. Allen voran die Topakustik AG in Lungern. Sie ist seit genau 30 Jahren Pionierin mit Akustikprodukten, die Technik und Ästhetik vereinen.

Guido Achermann steht in der Werkhalle und greift nach dem Lieferschein einer fertig gerüsteten Palette. «Hier, schauen Sie, diese Ware geht nach Holland!» Andere Paletten sind mit einer Ortschaft in der Romandie beschriftet, wieder andere mit Adressen in Frankreich und Grossbritannien. Und als wäre das nicht schon genug: «Sehen Sie dort drüben, die Holzkisten werden für den Transport per Schiff bereit gemacht.» Ihr Ziel: Hongkong, Indien, Kuwait, USA.

Achermann ist ein Urgestein bei der Topakustik AG, der Herstellerin von Akustiklösungen in Lungern OW am Fusse des Brünigpasses (siehe Kasten). Gut 2100 Einwohnerinnen und Einwohner zählt das malerische Dorf am Ufer des Lungerersees. Es herrscht Ruhe im Ort. Wenig deutet darauf hin, dass hier seit drei Jahrzehnten spektakuläre Schreinergeschichte geschrieben wird. «Topakustik», gleich wie neuerdings das Unternehmen, heisst die Innovation, die ab 1991 die Welt erobert hat: Täferriemen, die dank einer Rillenfräsung, einer rückseitigen, wabenförmig angeordneten Bohrung und einem aufkaschierten Vlies akustisch wirksam sind und ein angenehmes Raumgefühl schaffen. Seither sind natürlich viele neue Produkte hinzugekommen. Allen ist gemeinsam: Sie werden in Lungern gefertigt und in die ganze Welt geliefert. «In 50 Ländern sind unsere Elemente schon verbaut worden», sagt CEO Marcel Müller. Der Export macht etwa 70 Prozent des Umsatzes aus, 30 Prozent umfasst das Geschäft im Inland. Die Zielgruppe sind Schreiner und Architekten. Die Einbauten macht die Firma nicht selber.

Aus der Not eine Tugend gemacht

Wie so oft, wenn Geniales entsteht, war auch bei Topakustik am Anfang etwas Glück im Spiel. Gemäss Schilderung in der Jubiläumsbroschüre «30 Jahre Topakustik» wollte Arthur Fries, damaliger Leiter der Schreinereisparte bei der Mutterfirma Neue Holzbau AG, sein Chefbüro umbauen. Er war kurz zuvor als Retter in die Schreinerei gekommen, die mehr schlecht als recht lief. Im Büro wünschte er sich einen gepflegten Innenausbau mit einer «repräsentativen, möglichst schallabsorbierenden Decke». Fries fertigte eine Skizze an, wie die Riemen aufgebaut werden sollten, drückte sie einem Lernenden in die Hand und gab ihm den Auftrag, einen Prototyp in der Grösse 1000 × 96 mm herzustellen. Nach etwa zwei Stunden war das erste «Topakustik»-Element fertig. «Fries war sich sofort bewusst, dass hinter diesem Prototyp grosses Potenzial steckte», heisst es in der Chronik weiter. Er hatte ein «Produkt mit einem hohen Alleinstellungsmerkmal» gefunden. Genau dies brauchte er, um die Schreinerei wieder fit zu machen.

Um das Produkt zu patentieren, zu vermarkten und vor allem auch ins Ausland exportieren zu können, gründete Fries eine neue Gesellschaft, die NH Akustik + Design AG. Diese nahm 1991 ihre unternehmerische Tätigkeit auf, 1992 folgten erste Exporte nach Deutschland. Hier angelte sich Topakustik 1996 einen grossen Prestigeauftrag: Beim Umbau des Reichstagsgebäudes in Berlin durch den britischen Stararchitekten Norman Foster konnte Topakustik für den Plenarsaal die geschwungenen Wände hinter dem Rednerpult anfertigen. Auch in allen Sitzungsräumen kamen Akustikelemente aus Lungern zum Einsatz.

Schreiner machen den Unterschied

Dank der Pionierleistung von Topakustik hatte die Schweiz im internationalen Vergleich früh eine führende Rolle bei der Herstellung von Akustikelementen inne. Und das Unternehmen hat mehreren Mitbewerbern den Weg geebnet, die heute ebenfalls sehr erfolgreich Akustikverkleidungen herstellen und exportieren. Trotzdem hat Topakustik die Position als Vorreiterin bis heute wahren können. «Unser Vorteil ist, dass bei uns in der Produktion fast ausschliesslich Schreiner arbeiten», sagt Achermann, selber Schreinermeister und tätig in Verkauf und Marketing. So habe man nicht einfach industriell gefertigte Elemente im Angebot, sondern man könne auf die individuellen Wünsche der Kundschaft eingehen. In der Werkhalle hängt noch der Prototyp einer gebogenen Akustikverkleidung, die Topakustik, ebenfalls für Norman Foster, am europäischen Hauptsitz des Medienkonzerns Bloomberg in London realisieren konnte. Mit über 5000 verschiedenen, mikroperforierten Elementen aus Roteiche wurde der spektakuläre Eingangsbereich des Geschäftsgebäudes ausstaffiert.

Ein weiteres Beispiel findet man im Untergeschoss der Produktionshalle. Dort sind die Schreiner daran, gewölbte Wandelemente für den Hauptsitz eines Medizinaltechnikunternehmens in Kalifornien zu bauen. Jedes Element sei ein Einzelstück, sagt Achermann. «Das können nur Schreiner.»

Drittes Beispiel: Eine Arzneimittelfirma aus Frankreich liess bei Topakustik HPL-beschichtete Elemente mit gelaserten, floralen Ornamenten fertigen. Der Auftraggeber lieferte dazu eigenes Material. In der Produktion stellten die Fachleute von Topakustik fest, dass alle Platten leicht geschüsselt waren, weil die HPL-Schicht auf Vor- und Rückseite ungleiche Stärken aufwies. Eine präzise Laserbearbeitung war so nicht möglich. Neues Material konnte indes der Auftraggeber nicht liefern. Also frästen die Spezialisten in Lungern Schlitze in die Rückseite der Platten. «So konnten wir den Platten die Spannung nehmen, sie konnten danach normal bearbeitet werden», sagt Achermann. Solche Lösungen könne man nur bieten, wenn das Fachwissen im Unternehmen vorhanden sei. «Und das ist unser Trumpf gegenüber anderen Anbietern.»

Freie Formen in der Oberfläche

Fachwissen und Ausbildung sind also weitere Faktoren, die dazu führen, dass beim Thema Akustik an den Schweizern kein Weg vorbei führt. «Unser Berufsbildungssystem schafft einen deutlichen Konkurrenzvorteil», sagt Achermann. Und einen perfekten Boden für Innovationen. Topakustik produziert zwar nach wie vor das gleichnamige Standardprodukt, die gerillten Lamellen oder Platten. Über die Jahre sind diverse Produkte mit einer praktisch unsichtbaren Mikroperforation von 0,5 Millimetern dazu gekommen («Topperfo Micro»). Zudem produziert Topakustik feuerfeste Elemente mit einer Trägerplatte aus Gipsfasern statt MDF. Neu sind seit diesem Herbst die Produkte mit dem Namen «Topakustik Line». Dabei handelt es sich um Platten mit gelaserten Ornamenten. Diese können auch individuell ausgeführt werden, zudem sind bei der Wahl des Oberflächenmaterials kaum Grenzen gesetzt.

Topakustik hat heute rund 80 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter und gehört damit zu den 25 grössten Schreinereien in der Deutschschweiz. Inzwischen besitzt das Unternehmen auch eine Tochterfirma in Baden-Württemberg, das die vorfurnierten MDF-Platten liefert. «Alle Werkstoffplatten, die wir verwenden, sind arm an Formaldehyd. Auch das ein Punkt, der uns sehr wichtig ist», sagt Achermann.

Die Nische mit den kleinsten Löchern

Weiterentwicklungen und neue Produkte sind auch bei der Akustik & Raum AG in Olten SO ein grosses Thema. Das Unternehmen hat vor einigen Jahren Akustikelemente mit der Perforation «Feinmikro» auf den Markt gebracht. Die Öffnungen in der Oberfläche, die den Schall aufnehmen, haben noch einen Durchmesser von gerade mal 0,3 mm. Ein Quadratmeter weist fast eine halbe Million Löcher auf. Laut Geschäftsführer Markus Bürgi war die Entwicklung möglich geworden, weil das Unternehmen auf ein Stanzverfahren setzte.

Aktuell steht man mit einem Brandschutzprodukt kurz vor der Markteinführung: einer Gipsfaser-Trägerplatte mit Holzoberfläche, die eine «Feinmikro»-Perforation aufweist. «Und das alles ist im Verbund nicht brennbar», sagt Bürgi.

Die Akustik & Raum AG, im Jahr 2004 gegründet, macht ungefähr die Hälfte des Umsatzes im Ausland, vorzugsweise im deutschsprachigen Europa. Doch manchmal werden die «Makustik»-Produkte, wie sie heissen, auch weiter weg eingesetzt. Bürgi weiss zum Beispiel, dass in einem Ferienhaus des Facebook-Gründers Mark Zuckerberg in den Vereinigten Staaten «Makustik»-Paneele eingebaut worden sind.

Den Erfolg der Schweizer Anbieter im Akustikbereich erklärt sich Bürgi so: «Hier weiss man, was man kann.» Das führe zu realistischen Einschätzungen. «Man meidet das, woran man scheitern kann.» Doch ganz generell beobachtet er, dass die Nachfrage auch einfach gross ist. «Das hat vor allem mit dem modernen Bauen zu tun.» Es dominieren harte Oberflächen wie grosse Fenster, Parkett, Sichtbeton, offene Küchen – auch bei Umbauprojekten. «Das alles führt zu langen Nachhallzeiten und verlangt nach akustischen Verbesserungen.»

Neubau ist in Planung

In den nächsten zwei Jahren will Akustik & Raum einen weiteren Entwicklungsschritt machen. Die Räumlichkeiten beim Bahnhof Olten sind für die 35 Mitarbeitenden zu eng geworden und zu verwinkelt. «Die Abläufe sind einfach nicht optimal», sagt Bürgi. Das Unternehmen plant auf der grünen Wiese einen Neubau mit 5000 m2 Produktionsfläche, moderner Ausrüstung plus Büroteil. «Heute braucht man einen gewissen Automatisierungsgrad, um am Markt bestehen zu können», sagt Bürgi. Die Eröffnung ist im Herbst 2023 vorgesehen.

www.akustik-raum.ch

Neuer Name

NH Akustik + Design AG wird zu Topakustik AG

Vergangene Woche hat die NH Akustik + Design AG in Lungern, Herstellerin der bekannten Akustikpaneele «Topakustik», den Wechsel ihres Namens bekannt gegeben. Per sofort heisst das Unternehmen Topakustik AG. Gemäss Mitteilung wollte schon Gründer Arthur Fries vor 30 Jahren die Firma Topakustik AG nennen, was aber unter den damaligen Regeln des Handelsregisters nicht gestattet war.

www.topakustik.ch

Recycling-Produkte

Für nachträgliche Korrekturen

Nicht immer geniesst das Thema Raumakustik schon bei der Planung einen angemessenen Stellenwert. Oftmals werden Mängel dieser Art erst festgestellt, nachdem ein Umbau abgeschlossen und den Benutzerinnen und Benutzern übergeben worden ist. Das ist ärgerlich, weil üblicherweise der Wille fehlt, um bei einem eben abgeschlossenen Projekt nochmals bauliche Eingriffe vorzunehmen.

Die Amina Products GmbH mit Sitz in Muri AG bietet für solche Situationen eine Lösung. Mit «Silentpet» hat die Firma ein Akustikelement im Sortiment, das leicht ist und in allen Formen und Farben bezogen werden kann. Erhältlich sind Deckensegel (Bild), Stellwände, Elemente mit integrierter Leuchte oder Wandbilder. Produziert wird «Silentpet» zu 60 Prozent aus alten Getränkeflaschen, zu 40 Prozent aus neuem Material. «Dieses Verhältnis hat den Vorteil, dass wir die Kunststofffasern ohne Zugabe von Bindemitteln verkleben können», sagt Geschäftsführer Thomas Stutz. Es reicht ein thermisches Verfahren. Laut Stutz ist die Nachfrage steigend. Zielgruppe sind Deckenbauer und Schreiner.

www.silentpet.com

martin freuler, mf, mf, mf

Veröffentlichung: 16. Dezember 2021 / Ausgabe 51-52/2021

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