Die etwas andere Montage

Das neue Tor fügt sich perfekt in die denkmalgeschützte Fassade der alten Malerei auf dem Gefängnishof ein. Bild: SZ, Noah J. Gautschi Bild: Form & Holz GmbH

Im Gefängnis.  Die Torrenovation zur alten Malerei in der Justizvollzugsanstalt Lenzburg bot eine spezielle Arbeitsumgebung. Von der Planung bis zur Montage hielten die hohen Sicherheitsbestimmungen für den Schreiner die eine oder andere ungewohnte Herausforderung bereit.

Mit 300 Insassen in Vollbesetzung ist die Justizvollzugsanstalt (JVA) Lenzburg das zweitgrösste Gefängnis der Schweiz. Mit all seinen internen Gewerbebetrieben hat es den Charakter einer kleinen Stadt. Die Aargauer Anstalt erhält derzeit eine Totalrenovation. Da der Betrieb der JVA während der Renovationsarbeiten weiterläuft, werden die Arbeiten in mehreren Etappen durchgeführt. Das benötigt eine aufwendige Planung vonseiten der Gefängnisführung, der Bauleitung und natürlich auch von den involvierten Handwerkern.

Die alte Malerei

Ein Bestandteil der ersten Etappe war die Renovation der alten Malerei. Eigentlich handelt es sich in diesem Fall schon eher um eine Restauration. Das Nebengebäude im Vorhof des Gefängnisses beinhaltete bis Ende 2013 die hauseigene Malerei, wie der Namen schon erahnen lässt. Unter der Leitung der kantonalen Denkmalpflege sollte die alte Malerei zu einem Gruppenraum umgenutzt werden.

Akribische Recherchen über die Farben, die Materialien und die Konstruktion prägten das ganze Projekt. Das alte Eingangstor wurde vom Schreiner nach dem vorhandenen Vorbild in Eiche massiv nachgebaut. Bei diesem Auftrag standen jedoch nicht nur die Konstruktion oder der Denkmalschutz als grosse Herausforderung im Vordergrund, sondern auch die erhöhten Sicherheitsbestimmungen im ganzen Planungs- und Montageablauf.

Besichtigung obligatorisch

Um überhaupt eine Offerte einreichen zu können, mussten die Handwerker auch an einer geführten Besichtigung teilnehmen. So konnten sie sich einen ersten Überblick über die anstehenden Arbeiten verschaffen und bekamen gleichzeitig einen Einblick in das ungewohnte Umfeld.

Manch einem Handwerker kamen bei der Besichtigung schon die ersten Zweifel. Bei der Kalkulation waren Fingerspitzengefühl und das richtige Abwägen gefragt. «Für uns stellte sich die grosse Frage, wie wir den Aufwand korrekt einschätzen können», sagt Stephan Wildi, Inhaber der Form & Holz GmbH. Denn bei der Kalkulation stellte sich die Berechnung des Aufwandes als zentrales Element heraus.

Dank ihrer grossen Erfahrung und der präzisen Vorgehensweise konnte die Schreinerei die unüblichen Aufwände jedoch einschränken und zu Papier bringen.

Messen und Planen

Zur Massaufnahme musste sich der Schreiner speziell vorbereiten, um nicht ein wichtiges Mass zu übersehen. «Ich habe bei der obligatorischen Begehung schon genau geschaut und wusste so, welche Masse ich nicht vergessen darf», sagt Max Stangl, Projektleiter bei der Form & Holz GmbH. Bei der weiteren Planung musste eine Lösung für die optisch originalgetreue Nachbildung der alten Tür und für die Sicherheitseinbauten gefunden werden. «Da es sich um einen Nachbau unter Auflagen des Denkmalschutzes handelte, hatten wir einen regen Austausch mit dem zuständigen Denkmalpfleger», erklärt Max Stangl. So konnten die nötigen Anpassungen direkt abgesegnet und umgesetzt werden. «Uns war klar, dass wir bei diesem Auftrag genauer pla- nen müssen, da nicht eben schnell ein Teil nachgeliefert werden konnte», ergänzt Max Stangl.

Vorgängige Anmeldung

Nicht nur materialtechnisch, sondern auch bei der Einteilung der Mitarbeiter mussten die Handwerker genau und im Voraus planen. Jeweils am Donnerstag in der Vorwoche musste der Gefängnisverwaltung eine Liste mit den Arbeitern für die kommende Woche abgegeben werden.

Anhand dieser Liste führte das Gefängnis eine Personenüberprüfung durch und entschied, ob die Arbeiter überhaupt Einlass ins Gefängnis bekommen. «Über die genauen Prüfungskriterien können wir keine Auskunft geben. Aber es werden sicher die Vorstrafen und eventuelle Verbindungen zu Gefängnisinsassen abgeklärt», sagt Bernhard Taeschler, Gefängnisverwalter der JVA Lenzburg. Weiter zu beachten ist, dass Personen unter 20 Jahren keinen Zutritt zum Gefängnis erhalten.

Es war zudem sinnvoll, für unvorhersehbare Ausfälle von Mitarbeitern vorzusorgen. Bernhard Taeschler hat noch eine interessante Randbemerkung: «Ohne eine Firma oder eine Sparte zu nennen: Es gibt Berufsgattungen, bei welchen es schwieriger ist, eine Montagemannschaft zusammenzustellen. Manchmal kommt es auch vor, dass der Chef selbst die Baustelle nicht betreten darf.»

Einlass Mitarbeiter

Wenn ein Mitarbeiter vorgängig angemeldet wurde, konnte dieser das Gefängnis nicht einfach nach Belieben betreten und verlassen. Er musste sich bei der Gefängnispforte anmelden und seinen Ausweis abgeben. Anschliessend wurde je nach Aufenthaltsdauer ein neutraler Badge ausgestellt oder bei Handwerkern, die länger auf der Baustelle arbeiteten, ein persönlicher Badge abgegeben. Zusätzlich wurde das Gesicht elektronisch erfasst. «So hatten wir auch die Gewissheit, dass die Arbeiter auf der Baustelle auch die Arbeiter auf der Liste sind. Und zudem wollten wir nicht, dass am Abend eine falsche Person den Ausgang passiert», erklärt Bernhard Taeschler.

Bei Rot wird umgeladen

Während die Handwerker durch die Personenkontrolle gingen, wurde das Material und das Fahrzeug durch die grosse Fahrzeugschleuse hineingelassen. Hier wurde das Fahrzeug optisch kontrolliert. Zum einen ist der Blick auf und unter das Fahrzeug ein Bestandteil dieser Prüfung. Zum anderen wird das Fahrzeug verkabelt und elektronisch überprüft. «Mit unserer Technik suchen wir nach akustischen Signalen, wir können den Herzschlag einer Maus im Fahrzeug oder in der Fracht erkennen», sagt Bernhard Taeschler. In der Schleuse gibt es nur ein grünes oder ein rotes Licht. Bleibt das Licht aus irgendeinem Grund rot, geht die Schleuse nicht auf. «Es kommt auch vor, dass wir ganze LKW-Ladungen auf neue Paletten umräumen müssen», erklärt Bernhard Taeschler und zeigt auf einen Stapel Paletten.

Drin ist nicht gleich drin

Nach dem Einlass geht das Arbeiten aber nicht wie gewohnt weiter. Im Inneren des Gefängnisses darf kein Fahrzeug unverschlossen abgestellt werden. Auch dürfen nur vorgeschriebene Plätze und Wege benützt werden. «Wir haben unser Material und Werkzeug angeliefert und das Fahrzeug anschliessend wieder nach draussen gebracht», sagt Stephan Wildi. Auch beim Werkzeug gab es spezielle Regeln. Nur das benötigte Werkzeug für die jeweilige Arbeit durfte auf die Baustelle gebracht werden. Am Abend musste es wieder mitgenommen oder in spezielle, gegen Diebstahl gesicherte Bereiche gebracht werden. Zusätzlich musste das Werkzeug regelmässig nachgezählt und kontrolliert werden.

Zu gegebener Zeit

Auch ein wichtiger Punkt für die Planung war die strikte Einhaltung der Arbeitszeiten. So konnte die Schleuse ab 7.20 Uhr passiert werden. «Wir schauten immer darauf, nicht mit dem Gros der Handwerker Material anzuliefern, um so Zeit zu sparen», sagt Max Stangl. Ein normaler Eintritt benötigt zirka zehn Minuten: wenn mehrere Firmen zugleich die Schleuse passieren wollten, benötigte dies natürlich umso mehr Zeit. Max Stangl lobt aber zugleich: «In unserem Fall hatten wir immer sehr speditive und hilfsbereite Gefängnisangestellte.» Von 11.40 bis 13 Uhr galt Mittagsruhe, und spätestens um 17.30 Uhr war Feierabend. Hier wird gut ersichtlich, wie wichtig das Zeitmanagement für den Auftrag war: Nur mit einer genauen Planung kann ein solcher Auftrag mit Gewinn abgeschlossen werden.

Fast keine Anrufe

Natürlich gab es auch in weiteren Bereichen Regeln zu beachten, welche der Schreiner im Alltag so sicher nicht kennt. In der JVA Lenzburg herrschte ein striktes Verbot für Mobiltelefone und Kameras. Wenn also ein Telefon benötigt wurde, musste man in das Containerbüro der Bauleitung gehen, um den Projektleiter anzurufen. Das Containerbüro befand sich auf der anderen Seite der Anstalt, weshalb nur bei wirklichen Problemen ein Handwerker diesen Weg auf sich nahm. «Ich kann mich an keinen Auftrag erinnern, wo ich so wenig Telefonanrufe der Monteure erhalten habe», erzählt Max Stangl mit einem Lächeln.

Dieser Auftrag war eine äusserst interessante Arbeit für den Schreiner. Ausserdem zeigte er die Möglichkeiten einer modernen Schreinerei auf, sich auch in komplexen Aufträgen mit Erfolg zu behaupten.

Form & Holz GmbH

Die Schreinerei Form & Holz GmbH hat ihren Sitz in Seengen AG. Sie wurde im Jahr 1964 von Otto Ulmi gegründet. 1986 übernahmen die Zwillingssöhne Jürg und Markus Ulmi das Familienunternehmen in zweiter Generation.

Der Lehrling übernimmt

Seit 50 Jahren hat die Schreinerei nun die gleiche Adresse. Im Jahr 2014 gaben die beiden Vollblutschreiner den Schreinerbereich ab. Im Februar 2014 wurde die Schreinerei von Stephan Wildi ausgegliedert und neu gegründet. Er selbst hat in den Jahren 1984 bis 1988 seine Schreinerlehre im Betrieb absolviert. Mit der gleichen Belegschaft von 15 Mitarbeitern und an der gleichen Adresse befindet sich die Schreinerei nun erfolgreich in der dritten Phase der Firmengeschichte.

Seit 151 Jahren modern

Die JVA Lenzburg

Im Jahr 1864 wurde die Justizvollzugsanstalt Lenzburg als das modernste Gefängnis Europas eröffnet. Für knapp 230 Häftlinge wurde die Anstalt damals gebaut. Heute hat es in Vollbesetzung Platz für zirka 300 Häftlinge. In den Hochsicherheitsabteilungen «SITRAK I und II» sind die gefährlichsten Häftlinge untergebracht.

Umdenken aus Lenzburg

Der erste Vollzugsdirektor, Johann Rudolf Müller, brachte neue Denkansätze in den Strafvollzug ein.

Von Lenzburg aus breitete sich die Idee von der Abschaffung der Prügel- und Kettenstrafe in die ganze Schweiz aus. Auch bei der Einführung des «Pekuliums», der Entlöhnung von Häftlingen, nahm die Anstalt eine Pionierrolle ein.

Immer einen Schritt voraus

Noch heute ist die JVA Lenzburg auf dem neuesten Stand oder sogar einen Schritt voraus. Bereits 1999 wurde die biometrische Kontrolle eingeführt, und im Jahr 2007 war die JVA Lenzburg das erste Gefängnis der Schweiz mit einer Handystöranlage.

Als Anpassung an den demografischen Bevölkerungswandel wurde speziell für ältere Gefangene eine Altersabteilung «60Plus» geschaffen.

www.jvalenzburg.ch

njg

Veröffentlichung: 16. April 2015 / Ausgabe 16/2015

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