Die schönsten Wege sind aus Holz

Im selbst umgebauten Bauwagen hat Daniel Furrer seine Berufung gefunden. Bild: Beatrix Bächtold

Arbeitsmodell.  Der Elektroingenieur Daniel Furrer bog vom Siliconhighway auf den Holzweg ab. Seitdem machen ihn Handwerkzeug und Holz glücklich. Und weil Glück sich vervielfacht, wenn man es teilt, gibt er neuerdings auch Kurse für Gleichgesinnte.

Es sind Menschen jeden Alters und jeden Berufs, die seit rund drei Jahren unter der Regie des 42-Jährigen einfache Sitzmöbel mit traditionellem Handwerkzeug herstellen. «Bänklikurs» nennt er das. Büroleute nehmen teil, aber auch Handwerker, die tagtäglich mit Holz arbeiten. «Diese entdecken neue Facetten ihres Berufs und Werkzeuge, die mit Gewissheit in keiner modernen Werkstatt zu finden sind», sagt Daniel Furrer. «Speziell für Schreiner wäre es sicherlich lehr- und genussreich, zumindest einmal mit dem scharfen Ziehmesser in der Hand auf der Ziehbank zu sitzen und der Faser entlang ein Stuhlbein zu schnitzen», sagt er. In seinem zur Werkstatt umgebauten Bauwagen mit Blick auf Gebenstorf im Kanton Aargau macht Furrer gerade Mittagspause. Feuer knistert im Kanonenofen. Es riecht nach Kaffee. Brot, Käse und Birnen liegen auf dem Holzbrett. Vor dem Fenster blühen Löwenzahn und Apfelbäume. Furrers blosse Füsse stehen auf einem Riemenboden aus Pitch Pine. Ursprünglich stammen diese Dielen aus einer Villa, einem Abrissobjekt am Zürichsee.

«Sie kamen mit dem Schiff über den Atlantik. Auf ihnen verbrachten Menschen ihr Leben. Mich reizt es, aus Altem wieder etwas Neues zu machen», sagt er, stellt den selbst gedrechselten Holzbecher zur Seite und legt noch eine Handvoll Späne, die beim Drechseln anfielen, aufs Feuer. Abfall gibt es bei Furrer kaum. Alles nützt noch irgendwie. So wie kürzlich, als er aus einem Reststück Arvenholz einen Beissring für seinen sechs Monate alten Sohn herstellte. Das Holz für die Stuhlbeine, die er gleich vor dem Bauwagen anfertigen will, stammt von einer frisch geschlagenen Esche aus dem Garten eines Bekannten. Für Furrer macht die Materialbeschaffung mit persönlichem und regionalem Bezug Sinn. Erst kürzlich spaltete er eine gefällte Eiche nach Absprache mit dem Förster vor Ort und transportierte sie mit dem Velo ab.

Stuhlbeine mit eigenem Schwung

Furrer bei der Arbeit zu beobachten, ist ein Erlebnis – so wie an jenem Tag, bei der Herstellung von diesen acht Stuhlbeinen. Das Stück vom Stamm, das er bearbeitet, ist noch frisch. Grünholz lässt sich leichter von Hand spalten und schnitzen. Zuerst spaltet er das Rugel in zwei Hälften; mittig, damit sich das Holz genau entlang der Faser teilt. Dazu benutzt er ein Spaltmesser und einen massiven Klüpfel. Diesen hat er selbst aus dem Holz einer Hagebuche gemacht. «Mit vielen Ästen, damit er nicht zerspringt», sagt er. Nach dem beschriebenen Prinzip macht er aus den zwei Stammhälften Viertel und Achtel. Aus jedem Achtel entsteht später ein Stuhlbein. Weil durch diese Art von Herstellung jedes einzelne Bein exakt der Faserrichtung des Holzes folgt, trägt auch jedes seinen eigenen Schwung, seinen eigenen Charakter in sich.

Die Einzelteile trocknen ein halbes Jahr in einem kleinen Unterstand hinter dem Bauwagen, bevor ihnen Furrer an der Ziehbank mit dem Schweifhobel den letzten Schliff verleihen wird. Apropos Schliff. Weil die Klinge beim Handwerkzeug extrem scharf sein muss, schärft sie Furrer selbst mithilfe von japanischen Wassersteinen. Neben den Kursen, die er gibt, fertigt er auch Möbel auf Bestellung an. Unikate, von denen man sich vermutlich nie wieder trennt.

Schon einige Male hat er ein Arvenbett aus Bündner Holz gebaut. Solche Möbelaufträge wie Betten, Tische oder Ähnliches startet er in seiner Maschinen-Werkstatt in der Spinnerei Turgi AG. Dort verfügt er über Maschinen älterer Bauart, um die Klotzbretter aufzusägen, abzurichten, zu fügen und auf Dicke zu hobeln. «Ich arbeite sehr gerne an Maschinen. Da bin ich nicht dogmatisch. Aber mein Herz schlägt schon mehr für das alte Handwerk, welches ich in meinem Bauwagen praktiziere. So setze ich auch Akzente an meinen Möbeln. Diese unverkennbare Handschrift ist etwas Einzigartiges», sagt er. Und so entstehen im Bauwagen für das Bett auch die grossen, mit Holzdübeln verzapften Schwalbenschwanz- Eckverbindungen in traditionellem Handwerk. Die Oberfläche hobelt Furrer immer von Hand mit scharfem Hobel und zischendem Geräusch. Überhaupt findet der Holzfreak eine Oberfläche erst dann ästhetisch, wenn die Spuren der Bearbeitung noch fein spürbar sind; lesbar, wie er es nennt.

Handholzwerk, nicht Holzhandwerk

Im Dezember 2020 erwarb Furrer den 13 m² grossen Bauwagen. Die Innenwände verputzte er mit Lehm, tünchte sie, baute alte Fenster ein. Herzstück des Bauwagens ist die Werkzeugwand. Die Handwerkzeuge sind oft uralt, manchmal auch selbst gemacht. So beispielsweise die Reibahle, die er mithilfe eines ebenfalls selbst gebauten Zapfenhobels – einer Art grossen Bleistiftspitzer – fabriziert hat. Beide Werkzeuge in Kombination sorgen für die formschlüssige Verbindung eines Stuhlbeines im Sitzbrett. Auf der Suche nach Werkzeug wird Furrer oft auch in England fündig. Wie zum Beispiel beim alten Travisher-Hobel, mit dem er der Sitzfläche seiner Hocker eine ergonomische Sitzmulde verpasst. «In England ist das Angebot an Kursen und Werkzeugen für traditionelles Holzhandwerk grösser als hierzulande», sagt er. Seit Sommer 2021 ist das Handwerk das einzige Einkommen des Familienvaters. Seine Firma nennt er nicht Holzhandwerk, sondern Handholzwerk. «Die Hand ist besonders wichtig. Deshalb steht sie im Firmennamen auch ganz vorne», erklärt er. Das tönt erstmal romantisch. Aber sobald Leidenschaft zum Beruf wird, spielt auch ein gewisser Erwerbsdruck mit. Deshalb steht sein «Erwerbsbänkli» momentan auch noch auf wackeligen Beinen. Aktuell stimmt dieser Holzweg für Furrer. Und wenn das einmal nicht mehr der Fall sein sollte? «Im Moment unvorstellbar. Und sollte sich das ändern, gibt es für jeden Holzweg ja auch einen Ausweg», erklärt er.

Glücklich, wenn die Späne fliegen

Furrer studierte an der ETH Zürich. Später entwickelte er als Elektroingenieur in einem grossen Unternehmen Mikrochips. Er war zwar Spezialist – und doch nur ein Rädchen im komplexen Entstehungsprozess eines millimetergrossen Stückchens aus Silizium. Und es kam mehr als einmal vor, dass so ein Projekt kurz vor seiner Vollendung abgewürgt und eingestampft wurde. Ein Strategiewechsel oder ein Managemententscheid genügte, und jahrelange Arbeit war für die Katz. «Der Lohn kam, aber die Befriedigung blieb aus», berichtet Furrer. Und da er ein Mensch ist, der sich über Sinn und Zweck von Tätigkeiten Gedanken macht, fand er die Kraft, sich auf den Holzweg zu begeben. Ein Weg, von dem er immer schon träumte, und der ihn als Mensch weiterbringt. Holz bedeutete ihm immer schon viel. Als Bub hat er vom Vater, der in einem Schrei-nerbetrieb aufwuchs, viel mitbekommen. Das traditionelle Handwerk hat er sich zum grossen Teil autodidaktisch angeeignet. Er sagt: «Bestimmt gibt es einige, die das nicht nachvollziehen können. Man könnte mich für einen realitätsfremden Idealisten halten, oder so. Ich kann und will nicht beeinflussen, was man über mich denkt, sondern folge lieber meinem Herzenswunsch. Diesem liegt das tief menschliche Bedürfnis zugrunde, mit den Händen etwas zu erschaffen.»

www.danielfurrer.ch

Beatrix Bächtold

Veröffentlichung: 18. August 2022 / Ausgabe 33/2022

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