Die Verwirklichung eines Traumes

Auf den Bauplänen sind die künftigen Lichtbänder sowie die Dachfenster gut erkennbar. Bild: Andreas Brinkmann

Bauplanung.  Konsequente und gute Zusammenarbeit ermöglicht Erstaunliches. Das zeigt das Beispiel des Stettlerhauses mitten im Dorf Sumiswald. Die neuen Besitzer erwecken das imposante Gebäude nach langjährigem Dahindämmern wieder zum Leben.

An der Marktgasse 18 im Zentrum von Sumiswald BE steht ein imposantes Haus, das Stettlerhaus, benannt nach einem der früheren Besitzer. Das Gebäude wurde 1828 freistehend auf einem Keller von 1806 erbaut und erhielt 1830 eine grosse Scheune mit einem Krüppelwalmdach – also mit verkürztem Walm auf der Giebelseite –, welches man mit dem Dach des Wohnteiles verband. Die Art der Liegenschaft mit Mansardwalmdach war damals typisch für ein Käsehandelshaus, und die beiden grossen Gewölbekeller darunter ergaben geeignete Lagerräume. Das imposante Dach mit geknicktem, steil stehendem Dachaussenrand und kleinen Gauben erlaubte den Einbau von Mansardenzimmern.

Von 1896 bis 1922 befand sich die Poststelle mit dem Telegrafenamt im Erdgeschoss. Die Strasse davor hiess noch Postgasse und vor dem Haus hielt die Postkutsche. Nach dem Verkauf 1962 an die Einwohnergemeinde zog der Werkhof in das Ökonomiegebäude ein. Das Wohnhaus wurde zwar von verschiedenen Parteien genutzt, erhielt aber keine besondere Pflege, ebenso der Keller mit den beiden Gewölben, der als Jugendtreff genutzt wurde.

Eine Vision entsteht

Ulrich Kühni ist Mitinhaber der Generalunternehmung Kühni AG in Ramsei BE. Das Holzbauunternehmen wirbt mit der Aufforderung «Baue deinen Traum». Ulrich Kühnis Traum ist das Stettlerhaus in Sumiswald. Er und seine Frau Katharina wohnen schon seit Jahren im Ort und haben das Gebäude architektonisch als schön, in seinem Zustand aber als Schandfleck wahrgenommen. «Die Marktgasse galt früher als das Zentrum des dörflichen Lebens», sagt er. «Viele aussergewöhnliche Häuser säumen diese Strasse und mit der Renovierung und neuen Nutzung des Hauses Nummer 18 soll dieses Leben wieder zurückkommen.»

Beginn der Umsetzung

Begonnen hat alles damit, dass die Gemeinde einen neuen Werkhof baute und die alte Liegenschaft verkaufen wollte. Damit entstand für das Ehepaar Kühni die Möglichkeit, ihre gemeinsame, ganz besondere Vision einer Markthalle umzusetzen – eines Ortes, an dem man sich trifft, wo es die Dinge gibt, die so im Dorf noch nicht vorhanden sind. Es war 2019, als sie die Liegenschaft kauften. Die Gemeinde hatte aber noch ein ganzes Jahr lang das Nutzungsrecht und so blieb vorerst alles beim Alten. Für die Kühnis entstanden somit keine Liegenschaftskosten. Und sie konnten die Zeit optimal für eine umfassende Planung nutzen. Im Oktober 2020 ging das Stettlerhaus dann auch wirklich in ihren Besitz über.

Doch schon im Sommer 2019 hat die ANS Architekten und Planer SIA AG den Auftrag erhalten, Bestandspläne zu erstellen. Damit gab es eine Grundlage für die weitere Planung. Der ANS-Architekt Rolf Nöthiger blieb weiterhin mit Kühnis im Boot. Und es wurde sogleich Kontakt mit der kantonalen Denkmalpflege in Bern aufgenommen, um nicht Ausführungspläne auszuarbeiten, ohne die Leitplanken konkret zu kennen.

Erfassung des historischen Bestandes

Bei der Denkmalpflege nutzte man die gegebenen Möglichkeiten ebenfalls. Sie beauftragte den Studiengang «Konservierung und Restaurierung» an der Hochschule der Künste Bern, ein Raumbuch der Liegenschaft zu erstellen. Eine Grundlage bildeten die Bestandspläne, die Kühnis zur Verfügung stellten. Neun Studierende des Ateliers «Architektur und Ausstattung» erfassten unter fachkundiger Leitung im Herbst 2019 zerstörungsfrei den damaligen Bestand aller Räume. Dieses Festhalten des Ist-Zustandes zeigt gut auf, was original noch vorhanden ist und was wann verändert wurde. Beispielsweise war die Laube auf der Hausrückseite nicht von Beginn an vorhanden und den Sanitärtrakt mit WC und Badezimmer erbaute man erst 1905. Damals wurde das Haus auch elektrifiziert. Aufputzkabel mit Isolatoren sind in einigen Räumen noch immer vorhanden.

Gemeinsam Lösungen abklären

Schnell war für die Bauherrschaft klar, dass in den Wohnteil auf den drei Etagen total sechs Wohnungen hineinkommen sollen. Im Ökonomieteil sollte die Markthalle über das ganze Erdgeschoss ihren Platz finden und im Dachgeschoss darüber drei Wohnungen. Damit waren auch die üblichen Problemstellungen, die bei jedem Bau bedacht werden müssen, so weit klar. Bei einem historischen Gebäude kommt dazu, das die bestehende Substanz möglichst erhalten werden sollte und dennoch eine Nutzung nach heutigen Massstäben möglich sein muss. Die Immobilie soll schliesslich für die nächste Zeitperiode fit gemacht werden und nicht einfach als Museum dienen. In Zusammenarbeit mit Simon Spring und Tatiana Löri von der Denkmalpflege Bern wurden die Anforderungen mit den Möglichkeiten direkt vor Ort angeschaut und Stück für Stück nach gangbaren Lösungen gesucht. Auch Kühnis wollten so manche historische Zeitzeugen retten und im Gebäude behalten. Dafür brauchte es gute Ideen im Detail und auch das nötige Fachwissen für die Umsetzung.

Mit der alten Struktur bauen

Da die Raumstrukturen auf allen Stockwerken schon im Ursprung fast identisch waren und im gleichen Sinn zwei Wohnungen pro Etage eingebaut werden sollten, ergaben sich für die Steigleitungen keine grossen Probleme. Vom Keller bis in den Estrich war aber ein Lift geplant, dessen Platzierung und Einbau schon anspruchsvoller war. Schliesslich sollten die Tragstrukturen nicht wesentlich tangiert werden. Die Lösung dafür fand man auf der Seite mit den kleineren Wohungen, womit auch der Keller und der Estrich erschlossen werden konnten.

Mehr Tageslicht ins oberste Stockwerk

Für heutige Verhältnisse kommt viel zu wenig Tageslicht in die Räume im oberen Stockwerk. Das zu ändern, bedurfte einiger Überlegungen. Die Dachgauben blieben in ihrer Grösse. Darüber und beim Ökonomiegebäude wurden Dachfenster und auf dessen Längsseiten je ein Lichtband bewilligt.

Grundlagen für die Planung

Für die definitive Planung war natürlich die Markthalle mit allen erforderlichen Räumen massgebend. Eine Catering-Firma wird die Markthalle betreiben. Eine der Wohnungen über der Halle und ein Teil der Wohnung im Erdgeschoss wurden somit für die Küche und sonstige Firmenräume gebraucht. Die Markthalle selbst soll man später auch für Anlässe mieten können, womit die Marktgasse dann noch mehr belebt wird. Einer der beiden Gewölbekeller wird zu einem Eventraum ausgestaltet. Durch ein Schaufenster in der Verbindungswand soll man dann in den zweiten, wieder als Käselager genutzten Gewölbekeller schauen können. Unter die Halle kommt noch ein grosser Kühl- sowie ein Gefrierraum. Beide werden mit den übrigen Kellerräumen und der Küche verbunden. Für die Planung von Markthalle und Ökonomiegebäude war es von Vorteil, dass die künftige Nutzung durch die Catering-Firma bereits früh klar war. Das Gleiche gilt beim Wohnhaus, wo im gesamten Erdgeschoss eine Tierarztpraxis ihren neuen Standort haben sollte. Damit konnte das Gebäude und die Umgebung – auch im Sinne der Denkmalpflege – vollständig durchgeplant und bewilligt werden. Mittlerweile ist die Tierarztpraxis bereits eingezogen.

Stufenweises Vorgehen

Das Spezielle bei den baulichen Erneuerungen des historischen Gebäudes ist, dass diese in Tranchen geschieht, was Spielraum für optimale Detaillösungen bieten soll. Zuerst wurde das Erdgeschoss des Wohnhauses fertig ausgebaut. In mehreren Räumen konnten die originalen Parkettböden restauriert und wieder eingebaut werden. Zwar ist der Haupteingang zum Praxisbereich fertig, doch das Treppenauge zu den oberen Etagen ist momentan noch verschlossen und der Liftschacht leer.

Die zweite Tranche widmet sich ganz der Markthalle. Beginnend bei den Kühl- und den Kellerräumen, den entsprechenden Zugängen und der Küche mit den Geschäftsräumen darüber, kann man auch die beiden Wohnungen über der Halle realisieren. Im Laufe der ersten Hälfte 2022 soll dann die Markthalle eröffnet werden.

Einige Zeitzeugen sollen bleiben

Damit das ehemalige Ökonomiegebäude eine Begegnungsstätte im Ortskern sein kann, entsteht hinter ihm ein Brunnenplatz mit den alten Steinen des ursprünglichen Kopfsteinpflasters. Damit gibt es einen Aussenbereich, der für Anlässe oder auch nur für ein gemütliches Zusammensitzen nutzbar ist. Bei Bauarbeiten im Erdgeschoss des alten Sanitärtraktes wurde überraschend ein acht Meter tiefer Sodbrunnen gefunden. Mit Glasplatte im Boden wird er nun Teil des Stillzimmers mit Wickeltisch und der behindertengerechten WC-Anlage. Die alten Sanitärräume im Stockwerk darüber sind ein Zeitzeugnis und bleiben als Museumsteil erhalten.

Wie die Fliesen und gemalten Bordüren im Sanitärtrakt gibt es auch im Wohnhaus solche oder Tapeten sowie Elektroinstallationen aus den Anfängen. Ulrich Kühni möchte gerne ein paar Dinge davon in irgendeiner geeigneten Form zeigen. Das soll natürlich gehen, ohne am zukünftigen Nutzen der Wohnungen Abstriche machen zu müssen. Es gibt noch Kachelöfen sowie eine Feuerstelle zum Kochen mit Rauchabzug, die 1828 eingebaut wurden. Damit für all diese und weitere Dinge nach guten Lösungen gesucht werden kann, soll etwas Zeit verstreichen dürfen. Kühnis geben sich und ihren Beratern noch drei bis vier Jahre Zeit für den Ausbau der oberen Stockwerke im Wohngebäude.

Einige Herausforderungen bleiben

Was eine gute und frühe Planung bringt, hat sich am Beispiel Liftschacht gezeigt. Dieser konnte am Stück in Holzbauweise vorgefertigt werden – mit Dreischichtplatten und Fermacell-Verkleidung. Im Gebäude wurden die entsprechenden Durchbrüche in den jeweiligen Etagenböden gemacht und das Dach so weit geöffnet, dass der Liftschacht hineingehoben werden konnte. Die Liegenschaft ist an ein Fernwärmenetz angeschlossen und es musste auch ein grosser Wärmespeichertank mit dem Kran in den Keller gelangen. Dieser wurde noch vor dem Liftschacht durch die gleichen Öffnungen gehoben und im Keller dann horizontal verschoben.

Eine planerische Herausforderung bleibt noch, die einiges an Kopfzerbrechen bewirken kann: Damit die beiden obersten Wohnungen auf der Mansardenebene des Wohnhauses genug Tageslicht in die Wohnräume erhalten, wurden zwar Dachfenster bewilligt. Diese werden von der Strasse aus nicht sichtbar sein und somit das Gesamtbild nicht stören. Da diese Fenster aber im Estrich platziert sein werden, braucht es eine Form von Lichtschächten, die Tageslicht so in die Räume leiten, dass diese ihre besondere Ausstrahlung behalten. Es ist somit gut, noch etwas Zeit für Ideen zu haben.

www.kuehni.chwww.ans-architekten.chwww.erz.be.ch

Andreas Brinkmann

Veröffentlichung: 16. Dezember 2021 / Ausgabe 51-52/2021

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