Dominik Frei: «Für uns passt das Modell»

Unterstützung: Das Vorruhestandsmodell soll Berufsarbeitern auf flexible Art den Weg zur Pensionierung erleichtern. Bild: Shutterstock

Vorsorge.  In der Schreinerbranche steht es zur Diskussion, in der Gebäudehüllenbranche ist es bereits seit zehn Jahren im Einsatz: das sogenannte Vorruhestandsmodell. Im Interview mit der SchreinerZeitung berichtet Dominik Frei über Erfahrungen, Chancen und Knackpunkte.

Dominik Frei muss es wissen. Er ist stellvertretender Geschäftsführer und Leiter Sozialpolitik bei Gebäudehülle Schweiz. Gleichzeitig amtet er als Arbeitgebervertreter, Mitglied und Vizepräsident des Stiftungsrates, welcher als strategisches Führungsorgan für das VRM (Vorruhestandsmodell) in der Gebäudehüllenbranche verantwortlich ist. Er war schon bei dessen Entwicklung und Einführung im Jahr 2010 dabei.

Das schweizerische Gebäudehüllengewerbe hat als erste Branche im Baunebengewerbe ein Vorruhestandsmodell eingeführt. Wie fällt Ihre Bilanz nach zehn Jahren VRM aus?
Dominik Frei: Das VRM ist eine gute Lösung, die für unsere Branche passend und auch breit akzeptiert ist. Das Modell bietet dem Unternehmer und dem Berufsarbeiter die nötige Flexibilität, wie sie die Zeit vor der ordentlichen Pensionierung gestalten. Diese Chancen für die Arbeitnehmer und Arbeitgeber gilt es zu nutzen.
Wo liegen die Unterschiede des VRM Gebäudehülle zum aktuell vorliegenden VRM der Schreinerbranche?
Meines Wissens sind bei den beiden Modellen grundsätzlich nur minime Unterschiede auszumachen. Unser VRM ist auch auf folgenden Rahmenbedingungen aufgebaut:
  • VRM-Leistungsbezug frühestens fünf Jahre vor der ordentlichen AHV-Pensionierung
  • Der Mitarbeitende muss mindestens 15 Jahre in der Branche tätig sein
  • Von diesen 15 Jahren muss er die letzten 7 Jahre ununterbrochen in der Branche tätig gewesen sein
Unser Vorruhestandsmodell ist nicht so rigoros ausgerichtet wie das System des flexiblen Altersrücktritts (FAR) im Bauhauptgewerbe. Wir waren mit unserem Pilotprojekt da etwas vorsichtiger und hatten kaum Erfahrungswerte von anderen Modellen. Diese defensive Haltung war rückblickend in Bezug auf die Finanzierung und den VRM-Leistungskatalog von Vorteil.
Stichwort Finanzierung: Wie steht die Stiftung Ihres VRM im Jahr 2020 finanziell da?
Auch da können wir eine positive Bilanz ziehen. Zum Start des Vorruhestandsmodells haben wir uns auf ein beidseits verträgliches Finanzierungsmass geeinigt, zu dem die Arbeitgeber 60 Prozent und die Arbeitnehmer 40 Prozent beitrugen. Konkret hiess das 2010: Das System basierte zu Beginn auf total 1,6 Lohnprozenten, was für die Arbeitgeber 0,95 Lohnprozente und für die Arbeitnehmer 0,65 Lohnprozente ausmachte.
Das vorgeschlagene VRM für die Schreinerbranche ist auf einem rein paritätisch aufgebauten Finanzierungssystem aufgebaut; beide Parteien, Arbeitnehmer und Arbeitgeber, tragen die Kosten des Vorruhestandsmodells zu gleichen Teilen.
Hat sich das Finanzierungssystem in Ihrem Fall bewährt?
Ja, absolut. Die Entwicklung des Stiftungskapitals erlaubte es uns sogar, bereits zwei Leistungsverbesserungen zu realisieren. In einem ersten Schritt konnten wir schon nach drei Jahren den Leistungsgap, der bei den VRM-Bezügern in Bezug auf die Pensionskasse entstand, ausgleichen. Nach sechs Jahren konnte der Beitragssatz bei gleichzeitigen Verbesserungen der Leistungen von total 1,6 auf 1,35 Prozent reduziert werden. Heute trägt der Arbeitgeber somit 0,85 und der Arbeitnehmer 0,50 Lohnprozente. Trotzdem ist das System der VRM-Finanzierung nach wie vor gut abgesichert.
Was ist der Schlüssel zum Erfolg Ihres Vorruhestandsmodells?
Wichtig ist die demografische Altersverteilung der Branche. Kennt man diese Strukturen, sind die Grundlagen für die Modellberechnungen und somit für die Finanzierung gegeben. Denn das VRM ist ein reines Umlageverfahren. Die Argumentationskette war bei der Einführung natürlich auch darauf aufgebaut, dass wir mit diesem System die Fachleute bis zur Pensionierung in der Branche halten können. Dies verhindert, dass das ganze Know-how der erfahrenen Gebäudehüllenspezialisten in den letzten Arbeitsjahren verschwindet und die Berufsleute mit wichtigen Funktionen den Betrieb frühzeitig verlassen.
Welche Argumente führten Sie bei der Einführung Ihres VRM sonst noch ins Feld?
Im Gespräch mit unseren Unternehmern ist uns bewusst geworden, wie wertvoll die älteren Arbeitnehmenden gerade im Kontakt mit der treuen Kundschaft als Serviceleute sind – dies ist wohl beim Schreiner nicht anders.
Ein weiteres Argument für die Einführung unseres Vorruhestandsmodells war die Tatsache, dass viele Unternehmer für Arbeitnehmende ab 60 Jahren sinnvolle und körperlich nicht so anspruchsvolle Sonderaufgaben anbieten können, welche für die Berufsarbeiter auch in einem reduzierten Pensum zu bewältigen sind. Da kommen die Möglichkeiten, die ein VRM bietet, beidseits wie gerufen.
Sie bieten in Ihrem Vorruhestandsmodell verschiedene Möglichkeiten zur Reduktion der Arbeitszeit an. Welche Modelle werden in Ihrer Branche angewendet?
Das ist eine interessante Frage. Über alle Bezüger der VRM-Leistungen gesehen, sind es bei uns rund 60 Prozent, die zum frühestmöglichen Termin – nämlich in der Regel ab 60 Jahren – ihr Arbeitspensum reduzieren. Die anderen rund 40 Prozent warten zirka bis zum 63. Lebensjahr und wählen dann den vollen vorzeitigen Ruhestand; sie ziehen sich bis zur ordentlichen Pensionierung aus dem Arbeitsprozess zurück.
Was von beiden Parteien extrem geschätzt wird, ist die Mehrstufigkeit des Systems. Das gibt die flexible Möglichkeit, das Pensum zu reduzieren. Der Start kann beispielsweise im 60. Altersjahr mit einer Reduktion auf 80 Prozent, in einem zweiten oder dritten Schritt auf ein 50-Prozent-Pensum erfolgen.
Wie viele Betriebe haben bereits von Ihrem VRM profitiert?
Laut Statistikzahlen hatten immerhin bereits 15 Prozent aller Unternehmen in ihrem Betrieb Leistungsbezüger.
Wo haben Sie Knacknüsse beim VRM Gebäudehülle geortet?
Die Umsetzung zeigt, dass wir nach der Systematik des Pareto-Prinzips rund 20 Prozent der Betriebe nicht erreichen. In diesen Unternehmen fehlt es an gegenseitiger Kommunikation und Interaktion zwischen Arbeitnehmern und Arbeitgebern. Das Thema wird kaum angesprochen und das System somit weder verstanden noch genutzt. Dass die Einführung eines solchen Systems in der ersten Phase Kosten generiert, ist unbestritten. Das stösst beim Unternehmer auf wenig Gegenliebe. Kann man aber im Gegenzug am Verhandlungstisch mit den Sozialpartnern Kompromisse erwirken, ist diese Investition beidseitig von nicht mal einem Lohnprozent schnell kompensiert.
Wo sehen Sie die grössten Unterschiede zwischen Gebäudehüllenunternehmen und Schreinern in Bezug auf das VRM?
Es ist offensichtlich, dass unsere Dachdecker die überwiegende Arbeitszeit im Freien verbringen. Der physische Anspruch und Verschleiss beim Schreiner ist wohl nicht ganz so hoch. Trotzdem ist die Belastung von älteren Mitarbeitern hoch, was ein VRM für den Arbeitnehmer interessant macht.
Aber für den Arbeitgeber bringt diesbezüglich ein VRM nur wenig Vorteile.
Da bin ich nicht einverstanden. Die Rückmeldungen von unseren Betrieben zeigen eindeutig, dass schon die Reduktion des Pensums auf vier Arbeitstage pro Woche und die längere Regenerationszeit mehr Motivation und Leistungsbereitschaft bringt. Und was heute zunehmend zu beobachten ist: Die Erholung bezieht sich nicht nur auf die körperlichen, sondern auch auf die immer zunehmenden mentalen Belastungen.
Es muss festgehalten werden: Mit dem VRM verfolgen wir nicht das Ziel, die älteren Mitarbeitenden so früh wie möglich aus dem Arbeitsprozess herauszunehmen, sondern sie dort möglichst lange, gezielt und sinnvoll einzusetzen.
Schlussfrage: Wie sind die jungen Berufsleute gegenüber dem VRM eingestellt?
Wenn man die Jungen direkt auf die Abzüge anspricht, dann ist für die Tatsache, dass leistungsmässig erst rund 40 Jahre später profitiert werden kann, wenig Verständnis vorhanden. Wenn man aber die Chance hat, das Modell zu erklären, dann findet das System auch bei jüngeren Berufsleuten unserer Branche Anklang.
www.vrm-gebaeudehuelle.ch

Schreinerbranche ist gefordert

Gesamtarbeitsvertrag GAV mit VRM: An der DV wird entschieden

Das vorliegende Vorruhestandsmodell (VRM) Schreinergewerbe, das zusammen mit dem neuen GAV zur Abstimmung kommt, ist ein flexibles Vorruhe- standsmodell, das älteren Arbeitnehmenden, die aktiv in der Schreiner- branche tätig sind und fünf Jahre vor der ordentlichen AHV-Pensionierung stehen, die Möglichkeit bietet, das Arbeitspensum anzupassen beziehungsweise zu reduzieren. Dies geschieht im Einvernehmen mit dem Arbeitgeber unter Berücksichtigung der gegenseitigen Bedürfnisse und der physischen Möglichkeiten des Arbeitnehmers.

Die Leistungen des VRM werden gemäss ausgehandeltem Modell paritätisch über die Beiträge der Arbeitnehmenden und Arbeitgebenden mit je 0,9 Prozent des massgeblichen Lohnes finanziert. Über den GAV mit dem VRM werden die Präsidenten der VSSM-Sektionen und -Fachgruppen am 19. und 20. Oktober und die 150 Delegierten des VSSM an der Delegiertenversammlung vom 17. November 2020 befinden. Zur Abstimmung vorgelegt wird der erarbeitete GAV mit VRM auch den Entscheidungsgremien der Gewerkschaften Unia und Syna.

www.vssm.ch/dossiers

Patrik Ettlin, pet

Veröffentlichung: 01. Oktober 2020 / Ausgabe 40/2020

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