Eine Herausforderung für alle

Nicht selten übernimmt der Schreiner gratis die Planungsaufgaben für andere. Bild: Pixabay

Projektierungskosten.  Wenn der Schreiner für andere arbeitet, ohne dafür eine Entschädigung zu erhalten, stimmt etwas nicht. Zwei Schreiner erzählen von ihren Erfahrungen mit dem Thema Projektierungskosten in der Praxis.

Der Schreiner leistet für seine Kunden und Partner häufig Planungsleistungen, die er schliesslich nicht oder nur teilweise verrechnen kann. Doch wie das nachfolgende Beispiel der Kellenberger AG Schreinerei im aargauischen Oberentfelden zeigt, ist der Verzicht auf die im eigenen Betrieb anfallenden Projektierungskosten nur ein Teil des ganzen Problems, denn der Auftraggeber bezieht diese Leistungen meistens von mehreren Schreinern gleichzeitig.

Eine Woche gratis gearbeitet

Für eine Kundin erarbeitet Max Kellenberger, Geschäftsinhaber der gleichnamigen Schreinerei, nach einer dreistündigen Beratung in seinem Küchenstudio eine Offerte mit den dazugehörigen Preisanfragen und Plänen für den Neubau eines Einfamilienhauses. Nach einiger Zeit erhalten er und fünf weitere Schreiner vom ausführenden Architekten eine Ausschreibung, basierend auf der Offerte von Kellenberger. Alle sechs Schreinereien erarbeiten daraufhin ein Angebot und reichen dieses ein.

Am Ende hat zwar Kellenberger den Auftrag erhalten. Aber wenn man sich die gesamten Aufwände vor Augen hält, ist dieses Vorgehen fragwürdig. Die Schreinerei Kellenberger hat in die Planung zirka 12 Stunden investiert. Jeder der fünf weiteren Schreiner hat sicherlich nochmals 5 Stunden für sein Angebot aufgewendet, das sind rund 30 Stunden. Das macht insgesamt 42 Stunden, also eine Woche Arbeit vonseiten der Schreiner, die unbezahlt gearbeitet wurden. Bezieht man sich auf die branchenüblichen 10 Prozent Gewinn pro Auftrag, ist dieser bereits verflogen.

Das Vorgehen in diesem Beispiel ist bei Weitem kein Einzelfall, und viele Schreiner machen regelmässig solche Erfahrungen. «Besonders bei Küchenumbauten stelle ich fest, dass die Projektplanung sehr oft nicht verrechnet wird», sagt Stefan Liechti, Inhaber der Schreinerei Werthmüller AG in Burgdorf BE. Oftmals rechtfertigt der Schreiner sein Vorgehen als zusätzliche Dienstleistung und behandelt die Projektierungskosten wie eine Offerte.

Technische Möglichkeiten wären da

Die Entwicklungen der letzten Jahre im Bereich der Digitalisierung bieten eigentlich eine optimale Grundlage, um das Thema der Verrechnung anzugehen. Alle Aufwände können sofort erfasst und in Echtzeit sauber ausgewiesen werden. «Privatkunden haben nach meiner Erfahrung ein grosses Verständnis bei sauber ausgewiesenen Projektierungskosten», sagt Liechti.

Obwohl im eigenen Betrieb durch die Digitalisierung die Grundlagen einfach abrufbar wären, scheitert es oftmals an der Kommunikation mit dem Partner oder Kunden. «Technisch kann heute jeder seine Kosten problemlos ausweisen, aber der Schreiner ist oftmals zu gutmütig. Man will durch die Vorarbeit zuerst Vertrauen aufbauen, welches in der Praxis oftmals nicht honoriert wird», sagt Kellenberger.

Einmaligen Mehrwert vermitteln

Ein möglicher Ansatz, um seiner Kundschaft die Projektierungskosten schmackhaft zu machen, ist das Aufzeigen des Mehrwertes. Der Kunde erhält eine individuelle Projektplanung mit zusätzlichen Vorschlägen und hat einen persönlichen Ansprechpartner. «Privatkunden sind gewillt, unsere Dienstleistung zu honorieren. Wenn ich Umbauten plane und das Projekt und Bauleitungskosten sauber ausweise, weiss der Kunde auch, dass er gute Betreuung verlangen darf und immer auf ein offenes Ohr stösst», sagt Liechti. So gilt es auch, die Mitarbeiter mit Kundenkontakt darauf zu sensibilisieren. «Wir bringen das Thema intern regelmässig auf den Tisch und diskutieren die Erfahrungen mit unseren Mitarbeitern», sagt Kellenberger. Im Idealfall sollte auf der Internetseite explizit darauf hingewiesen werden, dass es sich bei der Projektleitung um ein zusätzliches Angebot des Schreiners handelt.

Auf Anzeichen achten

Damit der Schreiner nicht unnötig zum Rechnungsbüro für den Bauherrn wird, gilt es, lieber einmal mehr nachzufragen. «Ich habe gute Erfahrungen gemacht, wenn ich mit dem Architekten oder Bauherrn kurz telefonisch Kontakt aufgenommen und gefragt habe, wie viele Schreinereien die Ausschreibung erhalten haben», sagt Kellenberger. So kann jeder Schreiner schon im Vorfeld abwägen, ob für ihn die Eingabe einer Offerte realistisch ist. Wenn eine Ausschreibung von einem Generalunternehmen an 22 Schreinereien versendet wird, sinken die Erfolgsaussichten enorm. Neben der ganzen innerbetrieblichen Sensibilisierung benötigt es jedoch auch eine Aufklärung der Branche. «Viele Schreiner sind sich der Problematik noch nicht ganz bewusst, weshalb sie weiter munter Offerten eingeben oder ihre Aufwände nicht korrekt abrechnen», sagt Kellenberger.

Gemeinsame Lösungen erarbeiten

Für einen einzelnen Schreiner ist es, wie bereits erwähnt, sehr schwierig, etwas an dieser Praxis zu ändern – es reicht einfach einer weniger eine Offerte ein. Deshalb werden übergreifende Lösungsansätze, die von den Schreinern gemeinsam erarbeitet werden, benötigt. «Wir könnten beispielsweise ein erstes Angebot gratis erarbeiten und dann bei Auftragserhalt verrechnen, wenn kein Auftrag resultiert, sollten alle einen Pauschalbetrag je nach Auftragssumme verrechnen. Zudem ist es wichtig, unsere Kunden wie auch Schreinereien mittels einer Kampagne auf die Problematik aufmerksam zu machen», sagt Kellenberger. Besonders im Bereich der offenen Kommunikation könnte hier einiges bewegt werden. «Es ist zentral, dass wir alle unsere Aufwände ausweisen und verrechnen», sagt Liechti.

Umweg über Innenarchitektur

Damit die Projektierung separat abgerechnet werden kann, betreiben einige Schreinereien eine eigene Innenarchitekturabteilung oder arbeiten eng mit einem Innenarchitekturbüro zusammen. So gibt es eine Rechnung für die Planung und Projektierung und eine für die Fertigung. «Auch wir arbeiten bei grösseren Aufträgen mit einem externen Innenarchitekten zusammen», sagt Kellenberger. «Dann ist es jedoch nicht mehr unser Schreinerauftrag, und ich will meine Leistungen ja ebenfalls verrechnen können.»

Lösungsansatz auf Verbandsebene

Für das Jahr 2022 plant der VSSM eine Sensibilisierung hinsichtlich der heute oftmals verschenkten Beratungsleistungen. Dadurch wird der Unternehmer zukünftig nicht mehr darum herum kommen, zwischen seinen Produkten sowie der individuellen Dienstleistung zu unterscheiden. Die Dienstleistungen sollen auf diese Weise zunehmend an Bedeutung gewinnen und einen entscheidenden Faktor dabei spielen, wie sich ein kompetenter Fachbetrieb vom Massenmarkt der Billigstanbieter differenzieren kann.

Angedacht ist zudem die Erarbeitung von Grundlagen, die sich zu einem Branchenstandard entwickeln lassen und so zur Selbstverständlichkeit führen, dass die Fachberatung von Schreinereien nicht mehr kostenlos zu haben ist.

www.kellenbergerag.chwww.werthmuellerag.chwww.vssm.ch

Noah Gautschi

Veröffentlichung: 04. November 2021 / Ausgabe 45/2021

Artikel zum Thema

09. Mai 2024

Digital zu neuem Personal

Social Recruiting.  Viele Schreinereien kennen die Herausforderung: Volle Auftragsbücher und ein überlastetes Team – aber über herkömmliche Wege sind kaum Fachkräfte zu finden. Ist das Netzwerk ausgeschöpft, müssen Unternehmen neue Wege beschreiten, etwa über Social Media.

mehr
04. April 2024

Kontakte fürs Leben

Unternehmenstag.  Gut 80 Firmen haben am Mittwoch vergangener Woche den Unternehmenstag Holz in Biel genutzt, um sich den Studierenden an der Berner Fachhochschule zu präsentieren. Dabei eröffneten sich spannende Chancen für die Zukunft.

mehr

weitere Artikel zum Thema:

Wirtschaft