Eine Schreinerei (fast) wie jede andere

Thomas Barth (l.) arbeitet bereits seit 32 Jahren in der Erlenhof-Schreinerei. Florian Reich will die Leitung dereinst übernehmen. Bild: Isabel Hempen

STiftung.  Der Erlenhof in Reinach wird von der gleichnamigen Stiftung betrieben und ist seit 1929 im Bereich der Jugendhilfe und der Berufsintegration tätig. Die Arbeit in der Schreinerei dort ist gleichermassen herausfordernd wie kreativ – für die Ausbildner wie für die Lernenden.

In der Schreinerei des Erlenhof-Zentrums in Reinach BL ist gerade wenig los. Es ist früher Mittwochnachmittag, und keiner der elf jungen Klienten, wie sie hier genannt werden, ist in der Werkstatt. Auch gut: So haben Betriebsleiter Thomas Barth und sein Stellvertreter Florian Reich Zeit für ein ausführliches Gespräch.

Das 1929 gegründete Erlenhof-Zentrum liegt idyllisch inmitten unverbauter Basler Landschaft und wird von der Stiftung Erlenhof betrieben. Auf rund 28 Hektaren verteilen sich hier unter anderem Wohngebäude, eine Gärtnerei, ein Technischer Dienst, eine Hauswirtschaft, eine Schreinerei, eine Schlosserei, ein Elektroservice, ein Forstbetrieb, ein Landwirtschaftsbetrieb und ein Hofladen mit eigenem Café. Auf den umliegenden Wiesen weiden Schottische Hochlandrinder und Pferde. «Ich kann mir keinen schöneren Arbeitsort vorstellen», sagt Barth, der bereits seit 32 Jahren in der Schreinerei tätig ist.

Jugendhilfe und Berufsintegration

Im Pausenraum des hellen, modernen Betriebsgebäudes nimmt der 60-Jährige einen Schluck von seinem Kaffee. Wenn er in einigen Jahren in Pension geht, soll Kollege Florian Reich die Werkstattleitung übernehmen, das steht bereits fest. Auch der 41-Jährige ist schon seit 13 Jahren dabei. «Ich bin damals eher zufällig hier gelandet», sagt Reich lachend, er habe eine Veränderung zur Routine des Schreineralltags gesucht. Und gefunden: «Den Beruf ausüben, den ich liebe, und gleichzeitig jungen Leuten Wissen zu vermitteln – diese Kombination finde ich sehr bereichernd», sagt er. Und Barth stimmt ihm zu: «Geht mir auch so. Deshalb macht mir die Arbeit immer noch Spass.»

Einfach ist diese Arbeit nicht immer, aber wie Barth augenzwinkernd meint: «‹Einfach› kann jeder.» Als Institution im Bereich der Jugendhilfe und der Berufsintegration stand der Erlenhof ursprünglich ausschliesslich jungen Männern offen. Seit 2013 werden hier sowohl Männer als auch Frauen zwischen dem 12. und dem 60. Lebensjahr in ihrer persönlichen, gesellschaftlichen und beruflichen Entwicklung begleitet. Zu den rund 200 Personen, die sich hier jedes Jahr aufhalten, zählen etwa schwer erziehbare Jugendliche oder solche mit Lernschwierigkeiten, IV-Empfänger, Geflüchtete oder Personen im Massnahmenvollzug. Im Auftrag der öffentlichen Hand werden in den Bereichen Wohnen, Schule, Ausbildung, Therapie, Beratung, Produktion und Freizeit verschiedene Dienstleistungen angeboten, welche flexibel auf die Bedürfnisse der Klienten abgestimmt werden. Für jede und jeden von ihnen erhält die Stiftung Beiträge, sei es von Bund, Kanton oder Sozialversicherungen. «Wir haben ein sehr flexibles Baukastensystem – es gibt Klienten, die im Erlenhof wohnen und arbeiten, andere leben nur hier, andere arbeiten hier und wohnen auswärts – alles ist möglich», erklärt Thomas Barth.

Ausbildungsangebot in 13 Betrieben

Der Erlenhof hat rund 260 Mitarbeitende und insgesamt 13 Produktionsbetriebe, vor Ort in Reinach ebenso wie extern – darunter eine Autogarage in Basel, eine Metallwerkstatt in Bättwil und Biel-Benken sowie ein Bistro in Aesch und ein Gourmetrestaurant in Pratteln. Die Klienten haben in allen Bereichen die Möglichkeit, eine klassische Lehre mit Eidgenössischem Fähigkeitszeugnis (EFZ), eine Kurzlehre mit Eidgenössischem Berufsattest (EBA), einen zwei Jahre dauernden Kompetenznachweis oder aber eine Berufseignungsabklärung, ein Arbeitstraining oder eine Berufsvorbereitung zu absolvieren. «Bei uns in der Schreinerei liegt das Augenmerk auf der Ausbildung für den ersten Arbeitsmarkt», sagt Barth. Ein Team von sechs Schreinerinnen und Schreinern ist hier für bis zu sechzehn Jugend- liche verantwortlich. Von derzeit elf Klienten machen vier eine Schreinerlehre EFZ, sieben eine Lehre mit abschliessendem EBA. «Und dann haben wir noch Personen, die bei uns eine Tagesstruktur erhalten und sich so ans Arbeiten gewöhnen können», ergänzt Reich.

Das Ziel ist eine schwarze Null

Mit ihrer Fläche von rund 400 Quadratmetern und dem üblichen Maschinenpark ist die Werkstatt gut ausgestattet. Selbst als Teil einer sozialen Einrichtung funktioniert die Schreinerei wie jede andere auch: «Abgesehen von Fenstern machen wir alle klassischen Schreinerarbeiten – seien das Einbaumöbel, Küchen, Schrankwände, Haustüren oder Innenausbauten», sagt Barth. Und das zu den üblichen Branchenpreisen. Am liebsten seien ihnen Privatkunden – «solche Aufträge sind überschaubar», immer öfter würden sie aber auch für Architekten arbeiten – «ein bis zwei Grossaufträge im Jahr nehmen wir gern – bei mehr kämen wir jedoch an den Anschlag».

Denn die Erlenhof-Klienten arbeiten nicht ganz so schnell wie andere Auszubildende. Jugendliche mit einer Lernschwäche etwa benötigen schon mal vier Tage statt einem zur Fertigung einer Tür. Um ihre Lernziele zu erreichen, werden gewisse Lernschritte immer wieder repetiert. Und trotzdem: Auch wenn der Betrieb keinen Gewinn abwerfen muss, eine schwarze Null sollte am Ende des Jahres herausschauen. In der Schreinerei wird dieses Ziel meist erreicht – und ist das einmal doch nicht der Fall, wird sie von den anderen Produktionszweigen des Erlenhof quersubventioniert. Das Modell funktioniert gut: «Unsere Betriebe laufen super», sagt Barth.

Für das laufende Jahr ist die Schreinerei bereits voll ausgebucht. «Aber auch wenn wir voll sind, nehmen wir nebenbei noch kleine Sachen an – was er mir immer wieder vorwirft», sagt Barth lachend mit Blick auf Florian Reich. Nebst solchen Kleinaufträgen – Grabkreuzen für die Gemeinde, einer Tischplatte für einen Privatkunden oder einem Ziegenstall für den Tierpark Reinach etwa – ist eben erst ein Grossprojekt in Gelterkinden abgeschlossen worden: Ein Mehrfamilienhaus mit Küchen, Toilettenmöbeln, Garderoben und Fenstersimsen für zwölf Wohnungen. «Das war eine grosse Nummer», sagt Barth. Und: «Trotz Zeitdruck waren wir nicht schlecht dabei», schiebt Reich nach, der allerdings so einige Überstunden gemacht hat.

Jugendliche Herausforderungen

Die Erlenhof-Schreinerei ist gut vernetzt. Sie arbeitet mit acht Schreinerbetrieben in den Kantonen Baselland, Basel-Stadt und Solothurn zusammen. In diesen können die Jugendlichen regelmässig mitarbeiten, um Praxis auf dem ersten Arbeitsmarkt zu sammeln. «Da sie bei uns quasi ein Schonprogramm haben, können sie in anderen Betrieben jeweils zwei Wochen lang ihren Ausbildungsstand überprüfen», erklärt Reich. Wer sich gut macht dabei, findet in einem dieser Betriebe nach der Ausbildung vielleicht eine Stelle. «Schliesslich wollen wir die Jugendlichen nach der Lehre im Markt unterbringen», erklärt er – das klappe nicht bei allen, aber doch bei vielen.

Die Herausforderungen, vor denen die Lernenden im Erlenhof stehen, sind im Grunde nicht anders als anderswo. «Sie treten einfach ein bisschen öfter auf», sagt Reich. Will heissen: «Unsere Klienten sind nicht per se schlimmer als andere Jugendliche», wie er sagt – auch wenn einige von ihnen wegen Gewalttaten, Drogenmissbrauchs oder Diebstahls im Erlenhof sind. Allerdings hätten sich die Problematiken in den vergangenen Jahren verlagert: Schulschwächen und psychische Schwierigkeiten träten aktuell viel häufiger auf. Das Ausbildner-Team erhält beim Eintritt der Jugendlichen bestimmte Informationen zu deren Hintergrund. «Aber allzu viel wollen wir im Voraus gar nicht wissen, um sie nicht vorzuverurteilen», sagt Reich.

Individuelle Betreuung der Klienten

Inzwischen sind doch noch zwei Jugendliche in der Werkstatt eingetroffen. Einer von ihnen ist der 16-jährige Erdonay Redjeposki, der sich gerade anschickt, ein Brett für ein Küchenmöbel zu schleifen. «Es ist toll, am Ende des Tages zu sehen, was man gemacht hat», sagt der Lernende, der soeben sein erstes Lehrjahr abgeschlossen hat, während er seine Arbeit kurz unterbricht. Er sei schon immer handwerklich begabt gewesen und hantiere gerne mit Maschinen. «Am Anfang war ich unsicher, ob ich hierherpasse. Aber ich wurde sehr gut aufgenommen, es gefällt mir sehr», sagt er.

Doch wo sind nun eigentlich seine Gspänli? «Zwei sind in der Gewerbeschule, einer ist krank, jemand mochte nicht aufstehen, zwei sind in einer anderen Schreinerei, von einem wissen wir derzeit nicht, wo er ist, zwei sind in der Palettenwerkstatt…», erklärt Florian Reich. Normalerweise seien im Schnitt aber etwa neun Jugendliche in der Werkstatt. Und, fügt er an: «Wir müssen unglaublich kreativ sein, um die Jugendlichen abzuholen.» Denn wenn eine Person nicht arbeiten wolle, könne man sie nicht «hinauswerfen» – sondern müsse das Setting ständig wieder an die Bedürfnisse des Klienten anpassen. «Das ist cool, aber auch sehr anstrengend», sagt Reich. «Wir müssen uns dann fragen: Was können wir noch ausprobieren?» Um geeignete Lösungen zu finden, stehen die Mitarbeitenden aller Abteilungen in engem Austausch, ausserdem haben sämtliche Klienten im Erlenhof eine Bezugsperson sowie Therapie- und Coachingmöglichkeiten. «Wir lernen mit jedem Klienten dazu.»

Upcycling in der Palettenwerkstatt

Apropos Palettenwerkstatt: Diese gehört zur Schreinerei und befindet sich in einiger Entfernung auf dem Gelände des Erlenhofs. Thomas Barth schlägt vor, hinüberzuspazieren. In dem vergleichsweise kleinen Lokal unweit der Gärtnerei stapeln sich die Paletten, welche der Erlenhof kostenlos von der Brauerei Feldschlösschen erhält. Beschädigte Exemplare werden repariert und wieder verkauft, oder aber sie werden «upgecycelt»: Aus den Paletten-Bestandteilen entstehen Gebrauchsgegenstände wie Sitzgelegenheiten, Wurmkomposter oder Blumentröge. «Die Arbeit hier ist einfacher und der Druck geringer», erklärt Barth. Manche Klienten arbeiten stunden- oder tageweise hier – etwa, wenn sie bei der morgendlichen Teambesprechung den Wunsch nach einer Abwechslung oder einer Auszeit äussern. «Wir sind ein wahnsinnig dynamischer Betrieb», sagt Barth, «kein Jahr ist wie das andere». Laufend neue Klienten, neue Konzepte, neue Aufträge, neue Ideen. «Es wird nie langweilig», sagt Barth und lacht, bevor er sich wieder auf den Rückweg in die Schreinerei macht.

www.erlenhof-bl.ch

Isabel Hempen

Veröffentlichung: 18. August 2022 / Ausgabe 33/2022

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