Es gibt noch Luft nach oben

Für eine gute Vereinbarkeit von Beruf und Privatleben ist es wichtig, dass auf Betreuungsverpflichtungen von Mitarbeitenden Rücksicht genommen wird. Bild: Istockphoto

Arbeitszeitmodelle.  Wie gut lassen sich Beruf und Privatleben für die Mitarbeitenden von Schreinereien vereinbaren? Eine Umfrage des Verbands Schweizerischer Schreinermeister und Möbelfabrikanten ging dieser Frage nach. Es gibt einiges an Verbesserungspotenzial und Handlungsbedarf.

In einigen Branchen ist es üblich, den Mitarbeitenden flexible Arbeitszeitmodelle wie beispielsweise Teilzeitarbeit, Homeoffice oder Gleitzeit anzubieten, damit sie Beruf und Privatleben gut unter einen Hut bringen können. Wenn das gelingt, spricht man von einer guten Vereinbarkeit. Zu den Branchen mit guter Vereinbarkeit zählen gemäss der Schweizerischen Arbeitskräfteerhebung (Sake) 2019 des Bundesamts für Statistik die Sektoren «Finanz- und Versicherungsdienstleistungen» sowie «Information und Kommunikation». Im Baugewerbe seien gemäss der Sake flexible Arbeitszeitmodelle hingegen noch selten.

Fehlende Daten der Schreinerbranche

Bislang gab es keine Erhebungen darüber, wie es um die Vereinbarkeit in Unternehmen der Schreinerbranche steht. «Wir besassen keine Daten zu den Themen Vereinbarkeit und flexible Arbeitszeitmodelle. Für die Schreinerbetriebe sind dies aber wichtige Informationen im Bestreben, die Attraktivität als Arbeitgeber zu steigern», erklärt Mario Fellner, Direktor des Verbands Schweizerischer Schreinermeister und Möbelfabrikanten (VSSM).

Zur Unterstützung der Mitgliedsbetriebe und angesichts des Fachkräftemangels in der Schreinerbranche lancierte der VSSM zusammen mit der Fachstelle «Und» aus Zürich im Herbst letzten Jahres die Umfrage «Vereinbarkeit von Beruf und Privatleben». Die Erkenntnisse daraus dienen als Grundlage, um künftig gezielte Massnahmen zu planen mit dem Ziel, die Vereinbarkeit von Beruf und Privatleben zu verbessern und damit dem Fachkräftemangel der Schreinerbranche entgegenzuwirken. Zudem sollte so eine Antwort gefunden werden auf die Frage, ob mangelnde Vereinbarkeit ein Grund dafür ist, weshalb qualifizierte Schreinerinnen und Schreiner die Branche verlassen.

Repräsentativ fürs Verbandsgebiet

Der VSSM sendete im letzten Herbst allen Schreinerbetrieben im Verbandsgebiet eine Einladung zur Teilnahme, das heisst in der deutschen und der italienischen Schweiz. Befragt wurde mittels zweier unterschiedlicher Umfragen: Eine richtete sich an die Unternehmen, die andere an die Mitarbeitenden. 350 Unternehmerinnen und Unternehmer füllten den entsprechenden Fragebogen aus. Davon waren 170 Mikrobetriebe mit bis zu 9 Mitarbeitenden, weitere 165 Kleinbetriebe mit zwischen 10 und 49 Mitarbeitenden sowie 15 grössere Betriebe mit über 50 Angestellten. An der Umfrage für Arbeitnehmende nahmen 638 Personen teil, von welchen 78 Prozent Vollzeit arbeiten und 22 Prozent Teilzeit. Die Fachstelle «Und» führte die Umfrage durch und wertete die Ergebnisse aus.

Unternehmen kennen die Bedeutung

Die wichtigsten Erkenntnisse aus der Unternehmensbefragung sind folgende: Die Unternehmerinnen und Unternehmer sind sich der grossen Bedeutung von guter Vereinbarkeit bewusst. Und es geht dabei nicht nur um mehr oder weniger zufriedene Mitarbeitende. Gemäss den Aussagen steigere die Förderung von guter Vereinbarkeit die Attraktivität des Arbeitgebers. Zweitens werde die Motivation gesteigert und somit auch die Produktivität der Mitarbeitenden. Drittens habe dies auch positiven Einfluss auf das Image des Betriebs und schliesslich nehme der Betrieb damit seine soziale Verantwortung wahr.

Tiefer Anteil von Teilzeitangestellten

Der Anteil an Teilzeitangestellten in der Branche mit durchschnittlich 17 Prozent ist im Vergleich mit dem gesamtschweizerischen Durchschnitt von 37 Prozent eher gering. Besonders tief ist der Teilzeitanteil bei Mitarbeitenden der Montage und beim Kader. Teilzeitarbeit wird hauptsächlich beim kaufmännischen Personal gefördert. Unternehmen, die Teilzeitarbeit bereits eingeführt haben, machten über alle Berufsgruppen hinweg gute Erfahrungen.

Demnach sind die am häufigsten umgesetzten Massnahmen für gute Vereinbarkeit (in absteigender Häufigkeit): flexible Ferienplanung, Berücksichtigung von privaten Verpflichtungen, Möglichkeiten zu Absprachen im Team und das Jahresarbeitszeitmodell. Wenig genutzt oder angeboten werden bisher: Gleitzeitmodell, Ferienkauf, flexibler Arbeitsort und familienergänzende Betreuungsangebote.

Wenig Unterstützung für Eltern

In 40 Prozent der Unternehmen finden gemäss Umfrage keine Gespräche mit werdenden Eltern statt. Rund ein Viertel der Unternehmen offeriert jedoch einmalige Zulagen bei Heirat, Geburt oder für Angehörigenpflege. Unbezahlter Urlaub wird grundsätzlich gewährt. Der Mutter- und Vaterschaftsurlaub ist auf dem gesetzlichen Minimum. Für VSSM-Mitgliedsbetriebe springt allerdings die Militär- und Ausbildungsentschädigungskasse (Maek) in die Bresche: Sie bezahlt für Frauen im Mutterschaftsurlaub die übergesetzlichen 20 Prozent, sodass keine Lohnlücken entstehen. Dasselbe ist auch für den Vaterschaftsurlaub in Vorbereitung. Auf der VSSM-Website unter Maek sind weitere Infos verfügbar.

Zehn Prozent sind nicht zufrieden

Erfreulich ist, dass etwa 45 Prozent aller befragten Mitarbeitenden Beruf und Privatleben gut vereinbaren können, weitere 45 Prozent eher gut. 10 Prozent gaben jedoch an, Beruf und Privatleben schlecht vereinbaren zu können. Grundsätzlich würden aus Sicht der Mitarbeitenden die Vorgesetzten Rücksicht auf die ausserberufliche Lebenssituation nehmen. Gute Bewertungen erhielten die Schreiner-Arbeitgeber in den Bereichen freie Ferienwahl, Flexibilität bezüglich dringender Kurzabsenzen sowie Bezug von unbezahltem Urlaub. Gut die Hälfte der Mitarbeitenden gab an, dass Aus- und Weiterbildung in ihrem Betrieb gefördert wird und über 90 Prozent fühlen sich in der beruflichen Entwicklung gleich behandelt.

Es gibt Optimierungspotenzial

Als Optimierungsmöglichkeiten wurden aus den Ergebnissen folgende Punkte ausgearbeitet:

  • Die Nachfrage nach mehr Teilzeitarbeit ist insbesondere für Personen in den Altersgruppen zwischen 36 und 45 Jahren hoch.
  • Für die Mitarbeitenden gibt es wenig Möglichkeiten zum selbst bestimmten Arbeiten bezüglich der Arbeitszeiten, der Einsatzplanung und mobil-flexiblem Arbeiten.
  • Personen mit ausserberuflichen Betreuungsverpflichtungen empfinden zusätzliche Belastungen wie Mehr- stunden und die Erreichbarkeit ausserhalb der Arbeitszeit als besonders belastend.
  • Im Alter zwischen 30 und 40 arbeiten wenige Frauen in den Schreinerbetrie- ben: Nur 23 von 133 Frauen (17 Prozent) in dieser Alterskategorie füllten den Fragebogen aus. Über die Hälfte der Teilnehmerinnen war unter 30 Jahre alt.

Im Kader ist es schwieriger

Folgende Funktionen sind gemäss der Umfrage am meisten von einer schlechten Vereinbarkeit betroffen: Produktionsleitende, Projektleitende, Geschäftsführerinnen und -führer, Monteure sowie die Funktionen Einkauf/Verkauf und Kalkulation. Sie verfügten gemäss der Ergebnis-Präsentation der Fachstelle «Und» über keine guten Stellvertretungen, hätten weniger Autonomie über die Tagesarbeitszeit und arbeiteten oft ungewollt länger. Die Betroffenen würden die Belastung ihrer Stelle unangemessen hoch empfinden und müssten oft ausserhalb der Arbeitszeit erreichbar sein. Der Anteil an Teilzeitangestellten in diesen Funktionen ist tief.

Es bleiben Fragezeichen

Tobias Oberli, Projektleiter der Fachstelle «Und», hält fest: «Die Umfrage hat gezeigt, dass Fachkräfte, insbesondere Frauen zwischen 30 und 40 Jahren, die Branche ganz oder temporär verlassen. Diese Branchenaussteigerinnen und -aussteiger konnten wir mit dieser Umfrage leider nicht erreichen. Wir müssten eigentlich auch sie befragen können, weshalb sie nicht mehr in einem Schreinerbetrieb arbeiten.» Trotzdem konnten die Verbesserungspotenziale klar aufgedeckt werden. Zudem habe die Umfrage auch gezeigt, dass einzelne Betriebe bei diesem Thema schon gut unterwegs seien. Es gelte nun, diese guten Beispiele allen Verbandsmitgliedern zugänglich zu machen, sagt Oberli.

Hierfür werde der VSSM das Thema weiter bearbeiten, wie es seitens des Verbands heisst. In Zusammenarbeit mit ausgewählten Mitgliedsbetrieben würde die Thematik zum Beispiel vertiefter bearbeitet und dann publiziert werden.

Michèle Ofri

Die Ergebnisse im Detail. 

www.vssm.ch

Serie Lohn- und Arbeitszeitmodelle

Die Arbeitswelt hat sich über die Jahre verändert. Nur eines ist gleich geblieben: die 42-Stunden-Woche. Hat das Modell Normalarbeitszeit heutzutage ausgedient? Wie sieht das Arbeitsmodell der (nahen) Zukunft aus? Im Rahmen der losen Serie mit dem Titel «Neue Lohn- und Arbeitszeitmodelle» geht die Schreinerzeitung diesen Fragen nach und zeigt Beispiele auf.

www.schreinerzeitung.ch

Die Fachstelle «UND»

Die Fachstelle «Und» entstand 2002 aus dem Zusammenschluss des Projektes Sonnhalde Worb «Arbeitsplatz Familie – Arbeitsplatz Beruf» und der Beratungs- stelle «und ...» in Luzern. Beide waren in der Deutschschweiz führend im Thema Vereinbarkeit von Familien- und Erwerbsarbeit tätig. Getragen wird die Fachstelle vom Verein Familien- und Erwerbsarbeit für Männer und Frauen. Finanziell unterstützt wird sie im Rahmen der Finanzhilfen nach dem Gleichstellungsgesetz des Bundes.

www.fachstelle-und.ch

 

Veröffentlichung: 12. Mai 2022 / Ausgabe 19/2022

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