Fachkräfte dringend gesucht

Projektleitende und Mitarbeitende in der Avor sind in der Branche heiss begehrt. Bild: VSSM

Arbeitsmarkt.  Immer mehr Schreinerbetriebe bekunden Mühe, ihre freien Stellen zu besetzen. Auf Jobanzeigen folgen vermehrt wenig brauchbare bis keine Bewerbungen, wie Betroffene erzählen. Um dem Mangel an gutem Personal entgegenzuwirken, ist Umdenken gefragt.

Die vielen Stelleninserate im Print wie online fallen auf. Schreinerbetriebe suchen intensiv nach neuen Mitarbeitenden. Vor allem Angestellte in der Projektleitung und der Arbeitsvorbereitung sind sehr begehrt. Doch auch Monteure oder Schreinerinnen, die in der Werkstatt arbeiten, werden gesucht. «Der Fachkräftemangel ist derzeit ein grosses Thema. In den letzten zwei, drei Jahren hat sich dieser akzentuiert», sagt Urs Scherer (Bild), Unternehmensberater bei Tre Innova. «Ich bin seit 20 Jahren in der Beratung und Rekrutierung tätig, aber so eine Situation habe ich noch nie erlebt. Es ist für die Unternehmen sehr schwierig, neue Mitarbeitende zu finden, und dies in allen Bereichen und Qualifikationen.»

In der Woche erhalte er sicher drei Anfragen, ob er beim Besetzen einer Stelle weiterhelfen könne. «Denn die Unternehmen erhalten auf ihre Stellenausschreibungen teilweise ungenügende oder sogar keine Rückmeldungen. Das ist schon extrem», erzählt Scherer. Das betreffe nicht nur Büropersonal oder Kaderangestellte, sondern vermehrt auch Schreinerinnen und Schreiner, Maschinistinnen und Maschinisten oder Mitarbeitende für die Montage.

Verstärkter Wettbewerb um Fachkräfte

Die Schreinerbetriebe haben Arbeit, finden aber kein Personal. «Das ist natürlich schlecht. Bedenklich ist zudem die Entwicklung, dass Firmen sich Angestellte gegenseitig abwerben.» Für Wechselwillige ist die Situation vorteilhaft, da es viele Stellenangebote gibt. Viele Betriebe versuchen deswegen, ihre Mitarbeitenden mit zusätzlichen Leistungen zu halten und zu motivieren. Zum Beispiel mit flexibleren Arbeitszeitmodellen, internen Aufstiegsmöglichkeiten, flexibleren Ferienregelungen oder bezahlten Fort- und Weiterbildungen.

Für andere Branchen attraktiv

Der Fachkräftemangel ist als Hauptgrund auf die seit Jahren andauernde, extrem hohe Auslastung der ganzen Baubranche zurückzuführen. Andererseits werden die gut ausgebildeten Schreiner-Fachleute in anderen Branchen stark nachgefragt. Aus der Sicht von Urs Scherer führt dies zu einer gewissen Abwanderung von Berufsleuten. Dies sei aber schwierig nachzuweisen und sei auch wissenschaftlich nicht belegt. Der dritte Grund könnte darin liegen, dass andere Berufsgruppen gegenüber der Schreinerbranche ihre Attraktivität steigern konnten und so den Schreinerbetrieben die guten Schulabgängerinnen und -abgänger streitig machen.

In den letzten zehn Jahren hat die Anzahl Lehrverträge in der Schreinerbranche um gegen 20 Prozent abgenommen. Ein Grund dafür könnte auch sein, dass sich im gesamten Bauhauptgewerbe der Unterschied bei den Mindestlöhnen der Schreinerinnen und Schreiner gegenüber den anderen Bauberufen negativ entwickelt hat, obwohl diese eine der längsten Grundausbildungen aufweisen.

Mittelfristig Gedanken machen

Gemäss Aussagen von Scherer wird es schwierig, diesen Mangel an Fachkräften kurzfristig zu lindern oder zu eliminieren. Mittelfristig werde sich die ganze Schreinerbranche und auch der Verband Schweizerischer Schreinermeister und Möbelfabrikanten (VSSM) noch vermehrt Gedanken machen und die bestehenden Massnahmen verstärken müssen. Einerseits sollten die einzelnen Schreinerbetriebe der Personalpflege, -förderung und -entwicklung mehr Gewicht geben. Dies kann durch das Angebot von attraktiven Arbeitsplätzen und -aufgaben, flexiblen Arbeitszeitmodellen, regelmässigen Mitarbeiter-Gesprächen, die Förderung von Mitarbeiter-Entwicklungen, zeit- und aufgabengerechte Entlöhnung sowie Unterstützung von Fort- und Weiterbildungsmöglichkeiten geschehen.

Die bestehenden, vielfältigen Aktivitäten des VSSM im Bereich der Sensibilisierung der Arbeitgeber und Förderung der gesamten Berufsausbildung müssen wahrscheinlich noch verstärkt werden. Denn die demografische Entwicklung, dass die geburtenstarken Jahrgänge – Anfang bis Mitte der 1960er-Jahre – langsam in das Pensionsalter kommen, werden den Druck im Bereich der Fachkräfte noch erhöhen.

Seit einem Jahr auf der Suche

Bettina Weishaupt (Bild), Geschäftsführerin der Weishaupt AG Innenausbau in Appenzell AI, kennt die geschilderte Situation bestens. Auf der Website des Betriebs sind mehrere Stelleninserate aufgeschaltet. Gesucht werden Mitarbeitende in der Projektleitung, in der Arbeitsvorbereitung, eine Schreinerin oder ein Schreiner sowie Lernende für einen Start im Sommer 2023. «Da ein Mitarbeiter bald pensioniert wird, wollten wir mit der Nachfolgeregelung früh beginnen und haben die betreffende Stelle vor gut einem Jahr ausgeschrieben, aber konnten sie noch nicht besetzen», sagt sie. Es sei dramatisch, denn es kämen kaum Bewerbungen rein. «Zuerst haben wir lokal gesucht mit Anzeigen auf Onlineportalen, in Zeitungen und später in den sozialen Medien. Seit letz- tem Dezember nutzen wir auf Facebook und Instagram eine professionelle Plattform, über die man sich in nur zwei Minuten vereinfacht bewerben kann. Doch auch so sind erst wenige Reaktionen gekommen.» Erklären kann sie sich das nicht. Weishaupt hat das Gefühl, dass ihr Betrieb eine moderne und spannende Schreinerei mit einem guten Maschinenpark und tollen Aufträgen bis ins Luxussegment sei. «Das müsste doch attraktiv sein.»

Die einzige Lösung sei, interne Mitarbeitende, die sich einen Wechsel in die Planung vorstellen können, zu schulen und aufzubauen. «Wir bilden auch viele Lernende aus. Im Sommer fangen gleich drei neue an. Doch die jungen Leute müssen ja zuerst Erfahrungen sammeln.» Bettina Weishaupt überlegt sich zudem, künftig auch Zeichnerinnen und Zeichner EFZ Fachrichtung Innenarchitektur auszubilden.

Die Zufriedenheit ist sehr wichtig

Extrem wichtig sei, die Mitarbeitenden im Betrieb halten zu können, sagt die Geschäftsführerin. Dazu gehört auch die Möglichkeit von Teilzeitarbeit. Diese sei überhaupt keine Diskussion. Gut ein Drittel des Personals arbeite in Teilpensen. Sie selbst auch. «Wir sind stolz auf den guten Teamgeist und die angenehme Atmosphäre und pflegen diese», betont Weishaupt. Die Zufriedenheit des Personals zeichnet den Betrieb aus. «Sonst wären einige sicher gegangen. Es ist erschreckend, wie mir Angestellte immer wieder berichten, dass sie von anderen Betrieben angefragt werden, ob sie zu ihnen wechseln würden und dabei mit vielen Goodies wie mehr Lohn, Geschäftsauto oder Ausbildung locken.»

Branche sollte Preise überdenken

Überdurchschnittliche Gehälter zu zahlen, sei schwierig, gibt Weishaupt zu. «Denn die Preisthematik ist derzeit ein grosses Problem. Viele Betriebe offerieren weiterhin auf einem Niveau wie vor der Pandemie. Dabei sind die Materialpreise extrem gestiegen.» Hier müsse in der Branche ein Umdenken stattfinden. «Die Preise müssen erhöht werden, da wir ja heute schon kaum Margen haben.» Hier wünscht sie sich seitens des VSSM etwas Unterstützung. Wie man dem Fachkräftemangel entgegentreten soll, dafür hat sie keine Lösung. «Definitiv könnte man aber die Berufsausbildung noch mehr unterstützen, pushen und zeitgemässer gestalten.» Innerhalb des Betriebs versuchen sie und ihr Team, sich anders zu organisieren und Einfaches zu automatisieren. «Not macht ja auch erfinderisch.»

Daniel Weber (Bild), Geschäftsleiter der Nyffenegger Kloten AG, kann aufatmen. Gerade konnte er zwei Stellen in der Projektleitung nach längerer Suche neu besetzen. «Wir haben ein halbes Jahr lang Stellenanzeigen geschaltet. Bekommen haben wir rund 25 Bewerbungen, von denen man über die Hälfte wegen nicht erfüllter Anforderungen nicht berücksichtigen konnte. Bei vielen anderen bemerkten wir im persönlichen Gespräch, dass sie zum Beispiel die Ausbildung noch nicht beendet hatten oder es sonst nicht passte», schildert er. Mit zwei Personen hat es aber geklappt. Einer wird zu 100 und einer auf Wunsch zu 50 Prozent angestellt. «Zwei Vollpensen wären mir lieber. Aber besser so als keinen.» Ohne Teilzeit anzubieten, geht es heute nicht mehr. «Da mussten wir unseren Fokus öffnen.»

Situation völlig geändert

In der Werkstatt konnte er bisher immer neue Schreinerinnen und Schreiner anstellen. Dort sei es noch nicht ganz so schwierig. «Allgemein kann man sagen, dass sich die Situation auf dem Stellenmarkt in den letzten zwei Jahren stark verändert hat», sagt Weber. Bei der Nyffenegger Kloten AG begegnet man dem schwierigen Stellenmarkt damit, auch Einsteiger auszubilden. «Womit die Verknappung aktuell aber nicht gelöst wird. Zudem bieten wir unseren Projektleitenden gute Anstellungsbedingungen wie einen guten Lohn, Mittagsspesen, fünf Wochen Ferien oder ein Geschäftsfahrzeug bei höheren Positionen.» Auch in ihrer Wochengestaltung bekommen die Kadermitarbeitenden viel Freiraum und viel Verantwortung für eigenständiges Arbeiten. So könne man das Personal langfristig halten und eine gute Atmosphäre im Betrieb aufbauen, sagt Weber. Das sei wichtig. Aufträge musste er bisher noch keine absagen. «Wir arbeiten mit externen Planern zusammen, wenn es eng wird.»

Wie man der Situation Herr werden könnte, dafür hat Daniel Weber auch keine Lösung parat. «Ich frage mich einfach, ob die Ausbildung bis zum Projektleiter wirklich drei Jahre dauern muss? Davor benötigt man ja schon den Fertigungsspezialisten. Das ist ein sehr weiter Zeithorizont.» Andere Weiterbildungen an Fachhochschulen dauern in der Regel eineinhalb Jahre. «Eine kürzere Ausbildungsdauer mit mehr Fokus auf die wirklich relevanten Dinge motiviert doch viel mehr.»

www.treinnova.chwww.weishaupt.chwww.nyffenegger-ag.ch

Das sagt der Verband

Der VSSM hat die Probleme erkannt

«Die Schreinerbetriebe kämpfen nicht nur mit dem Fachkräftemangel, sondern haben immer öfter Probleme, die Nachfolge im Unternehmen zu lösen», sagt Daniel Furrer, stellvertretender Direktor des VSSM und Bereichsleiter Technik und Betriebswirtschaft. Immer weniger Junge seien bereit, ein Unternehmen zu übernehmen.

«Andere Branchen haben gemerkt, dass unsere Fachkräfte sehr gut ausgebildet sind, und wollen sie zu sich locken.» Furrer stellt fest, dass die Schreinerinnen und Schreiner zum Beispiel im Holzwerkstoff-, Beschläge oder Zubehörhandel bis hin zu Hauswart, Polizei und der Kunststoffbearbeitung gern gesehen sind. Die Beweggründe, die Branche zu verlassen, seien vielschichtig, und es greife zu kurz, wenn man diese auf den Lohn reduziere. «Den Jungen bieten sich heute so viele Möglichkeiten wie noch nie. Zudem unterstützt der gesellschaftliche Wandel hin zu gleichberechtigter Familienarbeit und der sehr gute Bildungsstand der Frauen den Ruf nach flexiblen Arbeitsmodellen sowie der Möglichkeit zu Teilzeitarbeit.»

Der VSSM habe dies erkannt und widme sich deswegen aktuell dem Thema neue Lohn- und Arbeitszeitmodelle. «Eine nächste Gelegenheit, um noch besser auf die Bedürfnisse der Mitarbeitenden wie der Unternehmer einzugehen, wird bei der Ausarbeitung des neuen Gesamtarbeitsvertrages sein.» Dem VSSM sei es ein Anliegen, ein noch attraktiveres Berufsbild von Schreinerinnen und Schreinern zu schaffen, sagt Furrer. «Dabei muss man den künftigen Fachkräften ihre Perspektiven aufzeigen und den Bedürfnissen der Unternehmen Rechnung tragen.» Das Thema Entlöhnung sei wie in anderen Branchen auch schwierig und werde kontrovers diskutiert. «Die Unternehmen stehen im Spannungsfeld, dass sie ihren Angestellten einen guten Lohn gönnen mögen, jedoch auch das finanzielle Gleichgewicht gewahrt werden muss.»

www.vssm.ch

Nicole d'orazio, ndo

Veröffentlichung: 10. März 2022 / Ausgabe 10/2022

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