Führung verändert sich stark

Wie die Figuren beim Schach haben Vorgesetzte und Mitarbeitende ihre spezifischen Rollen. Bild: Pixabay

Führungsmodelle.  Führungsstile gibt es fast so viele wie Vorgesetzte. Doch welcher ist der richtige in Zeiten des digitalen Wandels? Der Trend geht weg von autoritären zu flachen, flexiblen Hierarchien. Expertin Anita Meier-Odermatt gibt Tipps, wie eine Chefin oder ein Chef das für sich passende Modell findet.

Vom autoritären Chef, der alles selber entscheidet, über einen Vorgesetzten, der seine Mitarbeitenden stark einbindet, bis zur Führungsperson, die einfach machen lässt. Führungsstile und -modelle gibt es viele. Und diese verändern sich laufend. Doch gibt es eine beste Führungsmethode? Und welche passt ideal zu welcher Person und welchem Unternehmen?

«Durch die digitale Transformation leben wir in einer Umbruchphase. Neue Techniken und Materialien, globaler Wettbewerb, neue Ansprüche von Kunden und jungen Talenten verändern unsere Arbeitswelt radikal. Dadurch wird auch das Thema Führung/Leadership stark beeinflusst», sagt Anita Meier-Odermatt, Expertin für Führungs- und Personalmanagement mit eigener Firma sowie Referentin an der Höheren Fachschule Bürgenstock. «Das Personal war noch nie so gut ausgebildet wie heute. Gute Mitarbeitende wollen bei der Arbeit nicht einfach den Kopf ausschalten, sondern möchten mitdenken, mitreden und teilweise mitbestimmen. In dieser Beziehung hat sich ein Wertewandel vollzogen, der beim Trend zu flacheren Hierarchien und Organisationen sichtbar wird.» Führungspersonen müssen deshalb umdenken, wenn sie gutes Personal finden und binden wollen. Entscheidungsprozesse können nicht einfach von oben nach unten verlaufen, sondern die Mitarbeitenden wollen gehört, respektiert und wertgeschätzt werden. «Zeitgemässe Führung bedeutet, auf die Angestellten einzugehen, sie mit klaren Aufträgen und Arbeiten herauszufordern und ihre Stärken und Potenziale zu fördern.»

Es gibt keinen Stil, der für alles passt

Den für sich passenden Führungsstil zu finden, ist nicht einfach. «Es gibt heute keinen idealen Führungsstil, der in allen Branchen und Firmensituationen als bester empfohlen wird. Lange Zeit wurde von guten Vorgesetzten das kooperative Führungsverhalten nach dem Managerial Grid von Blake/Mouton gefordert», sagt Anita Meier-Odermatt. Dabei wird eine Angelegenheit zuerst mit dem Team besprochen, bevor eine Entscheidung gefällt wird. Die Führungskraft arbeitet eng mit den Mitarbeitenden zusammen und kann die unterschiedlichen Kompetenzen ideal nutzen. «Über die Jahre hat man jedoch gemerkt, dass diese Idealvorstellung auch grosse Schwächen hat.» Sie passt nicht zu jeder Situation. «Im Alltag müssen beispielsweise oft schnelle oder auch unbeliebte Entscheidungen gefällt werden. Da machen Endlos-Diskussionen im Team einfach keinen Sinn.»

Gemäss der Expertin gilt heute eine Führungsperson als erfolgreich, wenn sie die Erwartungen erfüllt. Folgende vier Orientierungspunkte helfen bei der Wahl eines richtigen Führungsverhaltens:

  • Was erwartet die Geschäftsleitung von den Führungskräften? Welche Führungskultur gilt im Betrieb?
  • Wie kompetent sind die Mitarbeitenden, und wie viele Freiheiten erwarten sie? Welchen Führungsstil sind sie gewohnt? Dies ist wichtig, weil Angestellte oft negativ auf einen starken Führungs- wechsel reagieren.
  • Wie ist die Arbeitssituation? Stehen Standardprozesse oder die Entwicklung und Herstellung von Neuartigem im Zentrum? Arbeiten die Angestellten vor Ort oder auf Baustellen? Hier muss abgeklärt werden, wie stark die Arbeitssituation Fachkompetenz und Eigenverantwortung verlangt.
  • Dann geht es um die Führungsperson selbst. Was bedeutet für sie gute Führung? Welches Menschenbild prägt sie? Ein Führungsstil muss zur Persönlichkeit passen. Nur so wird sie im Alltag authentisch und überzeugend auftreten und führen.

Ein Leader hat Mut und Visionen

«Durch die Veränderungen und Unsicherheiten im Marktumfeld sind die Anforderungen an eine Chefin oder einen Chef markant gestiegen», sagt Anita Meier-Odermatt. «Um diese neuen Führungsqualitäten hervorzuheben, spricht man lieber von Leadership statt Mitarbeiterführung.» Ein Leader habe den Mut, Bewährtes zu hinterfragen und Grenzen zu überschreiten. Er sei ein Vordenker mit Visionen, der seinen Mitarbeitenden eine Richtung vorgebe, sie dafür begeistere und in den Umsetzungsprozess einbinde.

Den Führungs- und Wertewandel beobachtet die Expertin auch in der Schreinerbranche. «Die Hölzigen sind, was den digitalen Umbruch angeht, langsamer unterwegs als andere», sagt sie. 2017 hat deshalb das BFH-Zentrum Holz in Biel die Initiative «Wald & Holz 4.0» gestartet, um die Betriebe bei der Aktivierung ihrer digitalen Potenziale zu unterstützen. Der Kampf um qualifizierte Fachkräfte werde härter, da Wettbewerbs-Vorteile vor allem über fachkompetente, innovative und engagierte Mitarbeitende gewonnen werden.

Flache Hierarchie: Im Start-up sind alle gleichberechtigt

Zwei Brüder und deren Cousin haben im September 2019 einen Schreinereibetrieb in Zimmerwald BE gegründet. KLN Swiss steht für Kim Muhmentaler, Luca Oberli und Nico Muhmentaler. «Jeder besitzt einen Drittel der GmbH, alle sind gleichberechtigt, und jeder ist für einen Bereich zuständig», erklärt Oberli die Organisation des Start-ups. Der Betriebswirtschaftslehre-Student führt das Unternehmen und ist für die Strategie zuständig. Kim Muhmentaler ist gelernter Schreiner und absolviert eine Weiterbildung bis zum Schreinermeister. Er leitet die Produktion und steht auch selbst in der Werkstatt. Nico Muhmentaler, der noch die Pädagogische Hochschule besucht, ist für den Verkauf zuständig. «So hat jeder sein Spezialgebiet.»

Ein Jahr Zeit gegeben

Die drei sind froh, dass sie den Schritt in die Selbstständigkeit gewagt haben. «Wir haben von klein auf viel zusammen gemacht. Vor einer Weile haben wir eine Drohne gekauft und mit Bildern von dieser einen Nebenerwerb aufgebaut», schildert Oberli. Durch einen Bekannten sei die Idee aufgekommen, Brothalter aus Holz zu produzieren. «Weil dies gut ankam, haben wir uns schliesslich für den hölzigen Fokus entschieden.» Die drei haben ihre Jobs gekündigt und sich ein Jahr Zeit gegeben, den Betrieb zum Fliegen zu bringen. Nun konzentrierten sich jedoch alle auch auf ihre Weiterbildungen, weswegen Studium und Betrieb parallel zu managen sehr intensiv sei.

Sie können schnell reagieren

Sie hätten sich bewusst für eine agile Organisationsform entschieden, sagt der Geschäftsführer. Diese sei typisch für Start-ups. «Wir konzentrieren uns auf die Kunden, sind kreativ, haben schlanke Strukturen und können schnell reagieren und etwas realisieren.»

Das Rechtliche und die harten Fakten der GmbH haben die drei Firmengründer in einem Vertrag geregelt. «Die Strategie haben wir in mehreren Sitzungen diskutiert und das Organigramm bestimmt», sagt Luca Oberli. «Solche kurze Treffen machen wir auch heute regelmässig. Diese sind wichtig.» Da jeder seinen Bereich mit hohen Kompetenzen selbstständig führe, sei es umso wichtiger, die anderen darüber auf dem Laufenden zu halten. «Gibt es eine neue Idee, wird diese diskutiert. Es kommt schon vor, dass wir nicht alle gleicher Meinung sind.» Dann heisse es, Lösungen und Kompromisse zu finden, bis jeder dahinter stehen könne. Das dauere auch mal länger, sagt Oberli und lacht. «Doch wir wollen, dass alle drei zufrieden sind. Sonst verlieren wir an Power.»

Verwandtschaft ist kein Problem

Die enge Verwandtschaft der Firmenpartner ist kein Hindernis. «Unsere Familie war zuerst skeptisch, dass die Geschäftsidee funktioniert, weil wir uns fast zu gut kennen und uns nahe stehen», erzählt der Geschäftsführer. Das sei jedoch kein Problem, und sie verständen sich nach wie vor sehr gut. «Vertrauen ist einer unserer Erfolgsfaktoren. Wir reden uns nicht rein und verlassen uns aufeinander.»

Wenn alle ihre Weiterbildungen abgeschlossen haben, soll der Betrieb wachsen. Und zwar mit einer eigenen Werkstatt – momentan ist der Kleinbetrieb eingemietet – sowie Mitarbeitern und Lernenden. Der Fokus soll auf der Produktion von speziellen Lampen und dem Aufbau einer Erlebnisschreinerei liegen. «Die flache Hierarchie möchten wir beibehalten», sagt Luca Oberli. «Die Motivation ist bei Teams mit viel Eigenverantwortung hoch. Und man kann, wie gesagt, schnell reagieren.»

Er sei froh, dass sie den Schritt in die Selbstständigkeit gewagt hätten. «Das ist das Beste, was wir machen konnten. Es macht Spass, so ein Jungunternehmen aufzubauen und den Start-up-Spirit zu leben.»

www.kln.swiss

Der Familienbetrieb: Die Jungen reden mit, die Eltern bestimmen

Noch haben die Seniorchefs das Sagen. Doch auf den 1. Oktober 2022 geben Marianne und Josef Stulz die Leitung der Stulz AG in Malters LU nach 30 Jahren in die Hände ihrer Kinder Anja und Tobias. «Es sind noch unsere Unterschriften, die zählen», sagt Josef Stulz und lächelt. Er konzentriert sich auf die Schreinerei, die im Innenausbau tätig ist. Seine Frau Marianne Stulz ist Innenarchitektin und steht diesem Bereich vor. Die Geschäftsleitung teilen sie sich. Sohn Tobias ist nach der Ausbildung und der Weiterbildung zum eidgenössisch diplomierten Schreinermeister seit einer Weile im Familienbetrieb tätig. Anja Stulz etwas mehr als ein Jahr. «Es war nie ein Muss, dass wir in die Fussstapfen unserer Eltern tre- ten und den Betrieb übernehmen. Unsere Schwester macht zum Beispiel etwas ganz anderes», erzählt die 27-Jährige. «Das hat sich so ergeben. Ich habe mich einfach für Innenarchitektur interessiert und es studiert. So wie meine Mutter.»

Familiär und flache Hierarchie

Marianne und Josef Stulz pflegen eine flache Hierarchie, wie der Seniorchef sagt. «Uns mitgezählt, arbeiten 14 Personen im Betrieb, 7 davon im Büro. Da kennt man sich gut, und wir mögen den familiären Umgang. Es ist wichtig, dass alle am gleichen Strang ziehen und sich wohl fühlen.» Den Mitarbeitenden, zum Beispiel den Projektleitern, liessen sie entsprechend deren Fachkompetenz einen grossen Handlungsspielraum. Wichtige und finanzielle Entscheidungen treffen er und seine Frau jedoch alleine. Ihre beiden Kinder arbeiten sich nun in den Betrieb ein und bereiten sich auf die Übernahme und die künftigen Aufgaben vor.

«Wir planen, den Betrieb sozusagen 1:1 weiterzuführen», sagt Anja Stulz. «Es läuft gut, und wir wollen nicht gleich Änderungen vornehmen.» Es müssten sich sowieso zuerst alle an die neue Leitung gewöhnen. Tobias werde wie der Vater die Schreinerei führen, sie werde sich um die Innenarchitektur kümmern. «Die Anteile verteilen wir 50:50, und wichtige Entscheide fällen wir gemeinsam.»

Angst, dass sie sich mit ihrem Bruder streiten könnte, hat Anja Stulz nicht. «Wir kommen gut miteinander aus und müssen uns zuerst in die Rollen einfinden und uns unterstützen.» Gewisse Diskussionen und Meinungsverschiedenheiten seien jedoch normal.

«Das ist auch heute so. Ich bin mit meiner Frau oder meinem Sohn nicht immer einer Meinung», ergänzt Josef Stulz. «Dann diskutieren wir das aus.» Was die Übernahme der Jungen betrifft, ist er zuversichtlich: «Die beiden sind als Kinder schon sehr gut ausgekommen. Ich bin sicher, dass das gut kommt. Für uns ist das ein Glücksfall.» Von den Mitarbeitenden habe er betreffend den Inhaberwechsel bisher nur wenige Reaktionen erhalten, sagt er. «Sie sind froh, dass der Betrieb weitergeführt wird.»

Kommunikation ist wichtig

Für den einen oder anderen werde es womöglich etwas speziell sein, wenn er auf einmal eine jüngere Vorgesetzte habe, ergänzt Anja Stulz. «Die einen kennen mich von klein auf. Es ist uns deswegen wichtig, dass die Angestellten damit umgehen können. Weil wir eine so familiäre Atmosphäre leben, denke ich aber nicht, dass das ein grosses Problem wird.» Beibehalten wollen sie deswegen auch Aktivitäten wie einen Ausflug, Mitarbeiteressen und gelegentlich ein Feierabendbier.

Ein grosses Augenmerk will die künftige Chefin auf die Kommunikation legen. «Es ist wichtig, dass die Mitarbeitenden Bescheid wissen. Wir wollen diese deswegen informieren und in den Betrieb einbinden. Zudem möchten wir, dass die Angestellten auch wissen, was wir von ihnen erwarten.» Das sei einerseits gut für das Arbeitsklima, andererseits spare man sich auch Zeit, wenn man sogleich informiere und sich nicht immer wieder erklären müsse.»

www.stulz-malters.ch

Die Genossenschaft: Geschäftsführer hat heute viele Kompetenzen

Heute läuft es etwas anders als 1948. Damals wurde die Gemi Schreinereigenossenschaft in Erlenbach ZH gegründet. Mitarbeitende schlossen sich zu einer Produktiv-Genossenschaft zusammen und retteten mithilfe der Gewerkschaften ihren Schreinereibetrieb, der konkurs war. «Wir sind nach wie vor eine Genossenschaft und legen Wert auf gute Sozialleistungen», sagt Michael Pieper, der Geschäftsführer. Allerdings habe sich der Betrieb aus wirtschaftlicher Sicht den heutigen Gegebenheiten anpassen müssen und sei mit einer Aktiengesellschaft oder GmbH vergleichbar. «Das heisst, dass ich als Geschäftsführer einen recht grossen Handlungsspielraum habe und nicht zuerst alles absegnen lassen muss.» Zum Beispiel bei der Anschaffung einer Maschine. «Ich muss diese einfach verantworten können.»

Der Geschäftsführer ist von einem sechsköpfigen Vorstand bestimmt worden. Dieser wiederum von der Genossenschafter-Versammlung, die einmal im Jahr stattfindet. Dort stehen regelmässig Wahlen und die Abnahme der Jahresrechnung auf der Traktandenliste. «Grössere Projekte wie Bauliches werden ebenfalls an der Versammlung vorgestellt, und die Genossenschafter können mitbestimmen», erklärt Pieper. 35 Personen besitzen Anteilscheine von Gemi, davon 10 Mitarbeitende.

Gewünscht, aber kein Muss

Wer bei Gemi arbeitet, muss nicht zwingend einen Anteilschein kaufen. «Wir begrüssen es, aber wir setzen es nicht voraus», sagt Pieper. Es sei jedoch schön, wenn sich die Mitarbeitenden für den Betrieb interessieren und sich beteiligen. Das sei gut für die Bindung und die Identifikation. Auch würden die Anteilscheine bei einem Gewinn gut verzinst. Entweder erhalten alle etwas oder keiner. «Wir haben sehr viele langjährige Mitarbeitende. Das spricht für unser Modell.» Er selbst zählt auch dazu.

Meinung der anderen kennen

Der Vorstand trifft sich in der Regel viermal jährlich und bestimmt die Strategie. Auf der operativen Ebene ist der Geschäftsführer relativ autonom. Michael Pieper bindet jedoch seinen Stellvertreter und die zwei Projektleiter in die Führungsarbeit mit ein. «Wir besprechen vieles. Das ist mir wichtig, und es hilft mir, wenn ich die Meinung der anderen kenne. So kann ich die Entscheidungen breiter abstützen.» Das würde ihn entlasten. Da die Schreinereigenossenschaft wirtschaftlich gut arbeite, sei das Vertrauen von Vorstand und Genossenschaftern vorhanden. «So können wir in Ruhe arbeiten.»

www.gemi.ch

Zur person

Anita Meier-Odermatt (64) hat an der Universität St. Gallen Führungs- und Personalmanagement sowie Organisations- und Arbeitspsychologie studiert. Seit 1998 ist sie Inhaberin der Unternehmensberatung Initial Management Consulting in Zuzwil SG. Seit drei Jahren ist sie Referentin an der Höheren Fachschule Bürgenstock für Personalwesen- und führung. Mit der Schreinerbranche hatte sie schon zuvor Kontakt aus Mandaten wie auch als Dozentin am Zentrum für berufliche Weiterbildung in Abtwil SG.

Nicole D'Orazio

Veröffentlichung: 04. November 2021 / Ausgabe 45/2021

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