Für Feste geschaffen

In fünf Monaten wurde der vorfabrizierte Innenausbau der Oper zusammengesetzt. Bild: Achim Bunz (Bayerische Schlösserverwaltung)

Restauration.  Zu barocken Zeiten war es üblich, hölzerne Architektur für höfische Feste zu erstellen und bald wieder abzureissen. Mit einer Ausnahme: Das Opernhaus in Bayreuth hat 270 Jahre überdauert. Heute können Besucher den restaurierten Innenausbau bewundern.

«Das Opernhaus Bayreuth ist das letzte seiner Art. Es ist ein ausserordentlicher Glücksfall, dass diese Festarchitektur aus Holz und Leinwand, eigentlich nur für eine Fürstenhochzeit geschaffen, die Zeit überstanden hat», sagt Alexander Wiesneth, Oberkonservator der Bayerischen Schlösserverwaltung. 2012 ist es daher in die Unesco-Liste des Weltkulturerbes aufgenommen worden. Nach sechs Jahren aufwendiger Restauration ist das Gebäude nun wieder für die Öffentlichkeit zugänglich.

Das barocke Opernhaus Bayreuth wurde vom berühmten Theaterbaumeister Giuseppe Galli Bibiena erbaut, der von 1696 bis 1757 lebte. Der Mann stand immer wieder in den Diensten des Preussenkönigs Friedrich des Grossen. Dessen Schwester, die kunstbeflissene Markgräfin Wilhelmine von Brandenburg-Bayreuth, gab das Opernhaus für die Hochzeitsfeier ihrer einzigen Tochter in Auftrag.

Jagd nach Spektakulärem

Festarchitektur, die man in kurzer Zeit für repräsentative Anlässe des Adels errichtete, war in der Barockzeit selbstverständlicher Teil der höfischen Vergnügungen. Diese sogenannten ephemeren (temporären) Bauten waren als vergängliche Architektur konzipiert, die alsbald Neuem weichen musste. Man wollte in dieser atemlosen Epoche stets noch Spektakuläreres schaffen. Was nicht abgebrochen wurde, ging irgendwann in Flammen auf. Theaterbrände waren wegen der ungünstigen Kombination aus Holzkonstruktion und Kerzen- und Talgbeleuchtung an der Tagesordnung.

In Bayreuth, das man eher für sein schmucklos-nüchternes Festspielhaus und die dort alljährlich stattfindenden Richard-Wagner-Festspiele kennt, ist das barocke Opernhaus über die Jahrhunderte erhalten geblieben. Dies verdankt es der Tatsache, dass das Gebäude nur zehn Jahre lang wirklich in Betrieb war und dann in Vergessenheit geriet. Es war mit 800 Plätzen völlig überdimensioniert für die damals gerade mal 3000 Einwohner zählende Stadt. Schon die Kosten für die zahlreichen Wachskerzen zur Beleuchtung verschlangen Unsummen.

Der Opernbetrieb der kunstliebenden Markgräfin endete mit ihrem Tod 1758. Die Finanzen der kleinen von der Landwirtschaft geprägten Markgrafschaft konnte man schon zu Wilhelmines Lebzeiten eigentlich nicht stemmen. Die Markgräfin komponierte und schauspielerte, und als man die preussische Prinzessin aus politischen Gründen in die Provinz verheiratete, wollte sie es zumindest kulturell mit den grossen Bühnen ihrer Zeit aufnehmen.

Barocke Fertigbauweise

Das Opernhaus entstand in einer ausgefeilten Fertigbauweise. Wie damals üblich, begann man mit den Aussenmauern. Richtfest war im Oktober 1747, und erst als im Dezember das Dach eingedeckt war und man über eine trockene Baustelle verfügte, konnte man mit dem Innenausbau beginnen. Dieser war im Mai 1748 schon «fast vollendet», wie die Markgräfin begeistert schrieb. In nur etwa fünf Monaten hatten Giuseppe Galli Bibiena und sein Sohn Carlo ein Logenhaus mit drei Zuschauerrängen samt der nötigen Zugänge installiert.

«Das gelang nur durch das akkordartige Vorgehen», wie Wiesneth sagt. Die komplette Innenausstattung wurde in Serie vorfabriziert und musste vor Ort nur noch zusammengesetzt werden. In der nahe gelegenen Kaserne wurden Pilaster, Säulen und Balustraden geschreinert, bemalt und mit Zeichen versehen, die ihre Position bei der Endmontage angaben. «Wir haben Teile gefunden, deren Farbspuren kopfüber verlaufen. Ein klarer Hinweis, dass sie vorgefertigt und anders herum montiert als bemalt wurden», sagt der Bauhistoriker. «Im Prinzip ist das ganze Innere des Opernhauses eine ziemlich windige Architektur, alles besteht aus Holz und ist bestimmt nicht für die Ewigkeit gemacht.»

Illusion eines Prachtbaus

Im Zuge der Renovierungsarbeiten, die im vergangenen Jahr abgeschlossen wurden, fand man sogar noch den glockenförmigen Grundriss des Logengebäudes, der in Originalgrösse in die Steinplatten des Bodens geritzt worden war. So wollte Galli Bibiena sicherstellen, dass alles am gewünschten Ort zu stehen kam. Das komplette Logenhaus ist eine Fachwerkständerkonstruktion, die mit bemalten, geschnitzten Balustraden und bemalter Leinwand die Illusion eines reich verzierten Prachtbaus erzeugte.

Das Nadelholz dafür bezog man aus den umgebenden, markgräflichen Wäldern. Es wurde in den Wintern 1746 und 1747 geschlagen. Noch heute sieht man, wie das bebeilte Holz während der Bearbeitung weiterarbeitete und Risse bildete. Lediglich das Lindenholz für die Skulpturen hatte man in abgelagertem Zustand beschafft.

Deckengemälde zusammengenäht

Das Deckengemälde, das vom Parterre aus sehr prächtig anmutet, ist ebenfalls vorgefertigt. Der Malgrund ist Leinen, das auf Holzrahmen gespannt, bemalt und erst vor Ort zu einem Ganzen zusammengenäht wurde. Das Bild ist einfach mit Eisenbändern an die Zerrbalkenlage des Dachwerks angehängt. Erst von den oberen Etagen des Logenhauses wird das Stückwerk erkennbar. Nach der Fertigstellung ging man nochmals mit Pinseln und Farben durch das gesamte Logenhaus, fügte Höhungen zu, retuschierte, wo nötig – und schon schien der Innenausbau aus einem Guss.

Das Logenhaus hat die Jahrhunderte erstaunlich gut überstanden. Lediglich die Abtrennungen in den Logen wurden irgendwann entfernt. Und in den 1960er-Jahren warf man dann die letzten Reste der barocken Theatermaschinerien achtlos weg, mit denen Donner, Wind oder Regen erstaunlich realistisch nachgeahmt werden konnten. Immerhin: Gut 90 Prozent des Logenhauses sind noch original.

Einzigartiger Dachstuhl

Das prächtige Logenhaus steht nach einer 30 Millionen Euro teuren Renovierung und Konservierung wieder täglich zur Besichtigung offen. Ein Meisterwerk der barocken Zimmermannskunst aber bleibt dem Publikum verborgen. Ebenso wie das Logenhaus hat der Dachstuhl ausdrücklich Anteil daran, dass das Opernhaus zum Weltkulturerbe geworden ist. Denn er überspannt 25 Meter. Die Markgräfin wünschte einen riesigen Zuschauerraum ohne störende Stützen und darüber hinaus eine der grössten Bühnen der damaligen Zeit – und bekam beides. Die Spielfläche betrug 180 Quadratmeter. Dafür musste der Hofzimmerer an die Grenze des technisch Machbaren gehen.

Nur durch sein mutiges Vorgehen liess sich die atemberaubende Raumwirkung erzielen, die der Markgräfin vorschwebte. «Der Dachstuhl ist ein relativ einfaches System mit dreifachem Hängesprengwerk, nichts Innovatives. Aber man muss sich erst einmal trauen, das Holz so zu verarbeiten», sagt Wiesneth. «Man würde eine Verbundkonstruktion erwarten. Aber der Zimmermann wählte einfach die maximalen Stammlängen aus, die er bekommen konnte. Mehr als 28 Meter sind da nicht drin.» Manche Balken sind daher am schmaleren Ende fast rund belassen. Man hat sie nicht um jeden Preis kantig behauen, weil die Stabilität gelitten hätte. Die notgedrungen rund belassenen Zopfenden waren daher kaum mehr für die Konstruktionsverbindungen zu bearbeiten.

«Das bautechnisch gewagte Werk steht den zeitgenössischen Holzbrückenkonstruktionen nahe und ist im heute noch erhaltenen Denkmalbestand in Deutschland ohne Vergleich. Das Werk der Zimmerleute verdient darum den langfristigen Schutz», sagt Wiesneth anerkennend.

Bei der Aufrichtung des Dachstuhls verfuhren die Zimmerleute wegen der Eile zweigleisig und arbeiteten von zwei Positionen aus. Man kann das anhand der Abbundzeichen nachvollziehen. Eine weitere Finesse, die von der Kunstfertigkeit der Zimmerleute zeugt, ist erst zutage gekommen, als man den Dachstuhl am Computer in 3D modellierte. Von Auge war nichts aufgefallen. Das Grundstück nämlich, auf dem das Gebäude steht, ist nicht exakt rechteckig, sondern verspringt in der Breite an mehreren Stellen. So verläuft auch das Gebäude. Der Zimmermann brauchte aber einen gerade verlaufenden Dachfirst. Also musste er jeden Binder einzeln anreissen, um die Versprünge mal um 20, mal um 40 Zentimeter auszugleichen. «Im Grunde musste er vier einzelne Dächer bauen und zu einem Ganzen verbinden», sagt der Oberkonservator.

Mit Wagenhebern am Dachstuhl

Weil sich die Dachbinder teilweise um 20 Zentimeter gesenkt und sich an manchen Stellen die Fusspunkte gelöst hatten, musste das Dach bei der Renovierung mithilfe von Wagenhebern behutsam wieder gehoben werden. Die Anschlüsse wurden – wo nötig – wieder angepasst, von der Feuchtigkeit auf der Mauerkrone beeinträchtigte Balken wurden neu angeschuht und fehlerhaft ausgeführte Korrekturen der vergangenen Jahrhunderte wieder entfernt.

Alte Brandschutzanstriche

Heute sieht das Dach wieder aus wie damals. Wiesneth: «Die Balken haben die Rückverformung mit ihren 270 Jahren tadellos mitgemacht. Welches andere Material hätte das überstanden?»

Und es gibt noch eine Spezialität im Opernhaus Bayreuth. In den 1930er-Jahren hat man die Balken mit Brandschutzanstrich versehen. 30 Jahre später kamen die zwei hochgiftigen Stoffe PCB (polychlorierte Biphenyle) als Brandschutz- und Lindan als Holzschutzmittel dazu, sicherlich alles in der besten Absicht dieser Zeit. Unwiederbringlich ist die barocke Dachkonstruktion dadurch leider zu einem kontaminierten Bereich geworden, in dem man sich nur so kurz wie möglich aufhalten sollte.

Virtueller 360-Grad-Rundgang

Markgräfliches Opernhaus Bayreuth

Eine Oper mitten in der Stadt

Das markgräfliche Opernhaus im deutschen Bayreuth ist das grösste und prunkvollste, frei stehende barocke Hoftheater, das bis heute erhalten geblieben ist. 2012 ist es als Unesco-Weltkulturerbe aufgelistet worden. Damals wurden Hoftheater meist an bestehende Paläste angebaut. Das Bayreuther Opernhaus dagegen steht mitten in der Stadt (Bild unten, hinter dem Schlossturm). Bauherrin war Markgräfin Wilhelmine von Bayreuth (1709 bis 1758), die Schwester Friedrichs des Grossen, und Markgraf Friedrich (1711 bis 1763). Mit dem Bau wurde der damals berühmte Theaterbaumeister Giuseppe Galli Bibiena beauftragt. Das Opernhaus wurde einzig für die Hochzeit der Tochter erstellt, danach hatte die Markgräfin endlich ein Gebäude für ihre musikalischen Ambitionen, das ihrem Ehrgeiz entsprach. Wilhelmine holte Schauspieler, Sänger und Musiker nach Bayreuth, komponierte und schauspielerte auch selbst. Das Opernhaus folgt dem Typus des italienischen Logentheaters. Das hauptsächlich aus Holz und Leinwand gefertigte, vollständig erhaltene Logenhaus steht als selbsttragende Konstruktion in der steinernen Gebäudehülle. Die Sandsteinfassade wurde erst nach dem Hochzeitsfest fertiggestellt. Das Gebäude ist heute täglich für die Öffentlichkeit zugänglich.

www.bayreuth-wilhelmine.de

AVA

Veröffentlichung: 23. Mai 2019 / Ausgabe 21/2019

Artikel zum Thema

09. Mai 2024

Schwungvolle Radien, fliessende Formen

Umbau.  Für die Raiffeisenbank in Olten wurde die Innenarchitektur im bestehenden Rundbau realisiert. Beratung und Empfang konzentrieren sich kreisförmig um das Zentrum. Radiale Konstruktionen in Holz, Gips, Glas und Metall forderten die beteiligten Schreiner heraus.

mehr
29. Februar 2024

Grosses Kino unterm Dach

Typisch britisch.  Den Dachausbau einer Villa in Burgdorf BE hat die Schreinerei Werthmüller ganz nach dem persönlichen Geschmack des Bauherrn umgesetzt. Das Heimkino und die Bibliothek sind geprägt durch britische Stilelemente, allen voran die Ölfarbe auf profilierten Flächen.

mehr

weitere Artikel zum Thema:

Umbauen