Für Meilensteine raus aus dem Bildungsinstitut

Für die Studierenden der HFTG ging es raus aus dem Schulzimmer. Bild: HFTG

In einem interdisziplinären Projekt einer höheren Fachschule haben Studierende aus verschiedenen Studienrichtungen ein besonderes Projekt erarbeiten dürfen. Die Räume spielten dabei eine tragende Rolle.

Es ist ein Nachmittag in der Stadt Luzern: Passanten kaufen eifrig ein, suchen nach Schnäppchen und Besonderem. An bester Lage, an einer der grössten Einkaufsmeilen der Stadt, hat sich ein Pop-up-Store installiert. Das sind Läden, die nur temporär eingemietet sind, meist im Boutique-Stil. Auch «Lichterloh», so hiess der Laden, war elegant gehalten, unaufdringlich, das Sortiment auserwählt. Zu bestaunen und zu kaufen gab es vom 29. November bis am 21. Dezember Leuchten edelster und originellster Art: Das Material ist stets Holz, das Design einzigartig, die Objekte alle handgefertigt. Was wie ein Verkaufsraum eines Leuchten-Designers schien, war – ganz nüchtern betrachtet – ein Schulzimmer.

21 Stück müssen verkauft werden

Die Entwicklerinnen und Entwickler der Leuchten sind Studierende der Höheren Fachschule für Technik und Gestaltung (HFTG) in Zug. Sie erarbeiteten ihre Entwürfe jeweils zu zweit oder zu dritt. Im Verkaufsraum zeigten sie die Objekte, an denen sie in den letzten vier Monaten alles gelernt haben, was sie später im Berufsalltag beherrschen müssen. Dazu gehört viel mehr als das Entwerfen und Herstellen eines Objektes. Sie mussten für ihre Leuchte einen Businessplan erstellen, auf dessen Grundlage auch die Herstellung und der Verkauf basieren. Darum weiss die Studentin Natascha Schibli zum Beispiel, dass sie von ihrer Leuchte «hidden light» 21 Stück verkaufen muss, damit die Gewinnschwelle erreicht ist. Sie ist sich bewusst, wie sie ein Verkaufsgespräch führen muss und hat die Erfahrung gemacht, wie dank gutem Argumentieren vor der Jury von einem Business Angel Kapital zu bekommen ist.

Vor der Jury und den Kunden bestehen

Alle HFTG-Studierenden haben ihre Arbeiten nämlich vor einer Fachjury präsentiert. Die Leuchten, die in Luzern im Store «Lichterloh» zu sehen und zu kaufen waren, haben überzeugt und bekamen darum für die Herstellung ein zinsloses Darlehen. Später im Berufsalltag werden sie ebenfalls mit Investoren und Geldgebern verhandeln müssen. «Wir haben vier Monate lang Theorie und Praxis gewinnbringend verknüpfen können. Das Ganze unter enormen Zeitdruck, aber das war eine einmalige Erfahrung», sagt Schibli. Durch den Praxistest hofft sie, späteres Lehrgeld gar nicht erst zahlen zu müssen: Etwa die Erkenntnis, dass der Aufwand pro bestellter Lampe nochmals über vier Stunden Zeit in Anspruch nimmt.

Schibli ist Studierende der Fachrichtung Technik. Sie hatte an diesem Nachmittag Dienst, bedient und informiert also Kunden. Ihre Kollegin Michelle Christ absolviert den Lehrgang mit Schwerpunkt Gestaltung. Ihre Leuchte war nicht unter jenen, die verkauft wurden. «Ich habe es nicht geschafft», sagte sie. Später nahm Andreja Torriani, der an diesem Nachmittag zugegen war, die Studierende beiseite. «Das würde ich so nicht sagen», erklärte er im Flüsterton. Dabei ging es um das sogenannte Wording, wie es im Marketingjargon heisst. Also die Wortwahl, um auf die spezifische Frage zu antworten, welche Leuchte man denn nun selbst gemacht hat. Torriani ist studierter Betriebsökonom, Marketingexperte und doziert in beiden Klassen. Zudem trägt er als Leiter der HFTG mit seinem Team die Gesamtverantwortung für das Projekt.

Inspiration durch Raum

Das Thema Schulraum hat für Andreja Torriani eine besondere Bedeutung. Er ist überzeugt davon, dass eine inspirierende Umgebung Einfluss auf die Motivation und das Ergebnis hat. Wichtige Meilensteine dieses Projekts hatte man darum bewusst nicht im üblichen Schulraum kommuniziert. Für besondere Momente ging man extern an einen passenden Ort. Das Kick-off, also der Moment, wo den Studierenden das Projekt vorgeschlagen wurde, fand im Unternehmen Baltensweiler statt. Die Leuchtmanufaktur steht für Schweizer Qualität, Design und Funktionalität. Die Studierenden erhielten dadurch die Gelegenheit, sich mit den Unternehmensverantwortlichen auszutauschen.

Im Anschluss daran fand das Briefing für das ambitionierte Projekt statt. «Das wirkte auf mich viel motivierender und auch seriöser als wenn mir das Projekt im Schulzimmer vorgestellt worden wäre», sagt Studentin Natascha Schibli. Von Anfang an sei klar gewesen: Hier geht es um viel, auch um Geld, denn die Darlehen, welche eine Privatperson einschiesst, müssen pünktlich zurückbezahlt werden. Zudem erfuhren die Studierenden, dass Gabriel Baltensweiler und sein Designchef Samuel Friedrich, in der Jury sitzen werden, welche die Leuchten auswählt, die produziert werden sollen. Die Jurierung fand später wiederum an einem Ort mit Geschichte statt, den ehemaligen Produktionshallen Hallen von Viscosestadt in Emmenbrücke. Auf diesem ehemaligen Industrieareal etablieren sich gerade Kulturbetriebe und Kunstschaffende. Das Gebiet gilt als aufstrebend, jung, zukunftsorientiert.

Zusammenarbeit über drei Fachrichtungen

Dass die Studierenden ihre Leuchten nicht einfach nur im Bildungszentrum in Zug einem kleinen Kreis von Lernenden und Lehrenden zeigten, sondern in einem Pop-up-Store dem grossen Publikum zum Kauf anbieten, war die logische Konsequenz. Zudem war es der HFTG wichtig, nicht nur die beiden Fachrichtungen Technik und Gestaltung in das Grossprojekt einzubeziehen, sondern auch den Lehrgang Einrichtungsgestaltung. Die Studierenden dieser Disziplin waren zuständig für Konzept, Gestaltung und Ausführung des Ladens. Das Briefing für den Store «Lichterloh» haben die Studierenden der Technik und Gestaltung gleich selber übernommen. «Die Zusammenarbeit über drei Fachrichtungen war einmalig», sagt Torriani. Dafür stehe die HFTG eben.

Unterdessen verabschiedeten die beiden Studentinnen gerade Kunden. Sie haben ein wichtiges Gebot im Marketing bereits gelernt: Man soll jede Gelegenheit nutzen.

ph

www.hftgstore.ch

Veröffentlichung: 08. Januar 2019

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