Höher, immer höher hinaus

An der Baarerstrasse in Zug entsteht bis 2024 das bisher höchste Holzhochhaus in der Schweiz, das 80 Meter in den Himmel ragt. Visualisierung: Filippo Bolognese

HOchhäuser.  Die Entwicklung des modernen Holzbaus in den letzten Jahrzehnten findet ihren Niederschlag immer öfter in mehrgeschossigen Bauten. Inzwischen gehören Holzhochhäuser schon fast zum Standardportfolio der Branche, die derzeit einen enormen Aufschwung erlebt.

Überall auf der Welt sind in den letzten Jahren Hochhäuser aus Holz entstanden, etwa in Kanada, Australien, England, den USA, Finnland oder Norwegen. Den aktuellen Weltrekord liefert das 85,40 m hohe Mjøstårnet im norwegischen Brumunddal. Doch auch in der Schweiz gibt es beachtliche Holzbauprojekte, die ihresgleichen suchen. Sowohl solche, die schon fertiggestellt sind, als auch solche, die gerade entstehen, und erst recht solche, die geplant sind. Auch wenn es dabei nicht darum geht, den Höhenwettlauf zu gewinnen, sind doch einige Ausnahmebauten darunter, die als wegweisend zu betrachten sind.

Der erste Zehngeschosser in Rotkreuz

Das erste «richtige» Holzhochhaus hierzulande war das zehngeschossige Bürogebäude «S22» auf dem Suurstoffi-Areal in Risch-Rotkreuz im Kanton Zug. Im Sommer 2018 fertiggestellt, war es damals auch das erste Holzhochhaus im deutschsprachigen Raum. Hinter dem 36 m hohen Zehngeschosser schliesst ein Sechsgeschosser von 25,50 m Höhe an. Diese sich überschneidenden Kuben in Holzskelettbauweise bilden einen Bürokomplex. Die Erschliessung erfolgt über zwei Stahlbetonkerne, welche die Treppenhäuser und Aufzüge aufnehmen und das Gesamttragwerk aussteifen.

Brettschichtholz-Stützen und Unterzüge aus Buche-Furnierschichtholz («Baubuche») bilden das Tragwerk, während für die Geschossdecken spezielle Holz-Beton-Verbundelemente eingesetzt wurden. Letztere hat die Erne AG Holzbau aus Laufenburg entwickelt, die den Holzbau auch geplant und ausgeführt hat. Die vorgefertigten Elemente lagern auf den Unterzügen und sind zu Deckenscheiben verbunden. Die Unterzüge aus Baubuche haben massgeblich dazu beigetragen, dass die maximale Raumhöhe von 2,80 m durchgängig erreicht werden konnte. Denn Unterzüge aus Nadelholz wären bei gleicher Tragfähigkeit fast doppelt so hoch ausgefallen und hätten die Raumhöhe entsprechend reduziert. Und zu guter Letzt konnten alle tragenden Bauteile sichtbar gelassen werden.

Das Gebäude wurde komplett über Building Information Modeling (Bim) geplant und mithilfe von «Lean Construction» (Verknüpfung der Arbeitsvorbereitung und Vorfertigung mit Bim) errichtet. Dieser industrielle Ansatz der Vorfertigung, wie man ihn etwa aus der Automobilbranche kennt, ermöglicht hochpräzise Bauteile und führte in Rotkreuz zu einem ausgesprochen wirtschaftlich hergestellten Bauwerk.

Gleichenorts ging es noch höher

Ein Jahr später, im Sommer 2019, wurde auf demselben Areal direkt beim Bahnhof Rotkreuz ein weiteres Pionierprojekt fertig: das «Suurstoffi BF1», wobei das Kürzel BF1 für «Baufeld 1» steht. Das 15-geschossige Bürohaus namens «Arbo», das zum Teil die Hochschule Luzern nutzt, ist mit seinen 60 m Bauhöhe ab diesem Zeitpunkt der höchste Holzhybridbau in der Schweiz. Der 41,40 m breite und 20,40 m tiefe Turm ist ein Holz-Beton-Hybridbau mit einem Holzskelett als Tragwerk und Holz-Beton-Verbunddecken. Stützen und Träger bestehen aus Brettschichtholz – allerdings nicht ganz: Weil einzelne Stützen besonders hoch belastet sind, deren Querschnitte aber nicht grösser ausfallen durften als jene der anderen Stützen, haben die Tragwerksplaner für diese Ausnahmefälle die Holzart gewechselt. Hier kam ebenfalls Baubuche zum Einsatz. Die Stützen erhielten einen Umleimer aus Fichtenholz, damit sie wie Brettschichtholz-Stützen aussehen. Als Holz-Beton-Verbunddecken kam wie bei «S22» das von Erne entwickelte System «Suprafloor» zum Einsatz: Rippendecken aus Brettschichtholz-Rippen und einer Beton-Fertigteilplatte, die durch eingeklebte Lochbleche schubfest miteinander verbunden sind. Dabei dient die Fertigteilplatte als verlorene Schalung für den Aufbeton. Der Raum zwischen den Rippen wird für die Leitungsführung genutzt.

«Arbo» zeigt exemplarisch, welche Bedingungen es für ein erfolgreiches Holzhochhausprojekt braucht: zum einen eine engagierte Bauherrschaft, die auf Holz setzt, nicht zuletzt aus Gründen der Nachhaltigkeit, aber auch, weil sich mit Holz durch den hohen Vorfertigungsgrad Termine gut einhalten und viel Bauzeit einsparen lässt. Zum anderen braucht es Architekten, Ingenieure und Holzbauunternehmen, die gestalterisch und technisch nach überzeugenden und innovativen Lösungen für die jeweilige Bauaufgabe suchen, eventuell auch in Zusammenarbeit mit Forschungspartnern oder den Hochschulen.

Industriestadt baut mit Holz

In Winterthur entsteht auf einem ehemaligen Industrieareal der Stadtteil Neuhegi. Auch hier spielt der Holzbau eine gewichtige Rolle. Etwa beim Projekt namens «Sue & Til», das 2018 fertig wurde. Dahinter verbirgt sich ein grossdimensionales Bauwerk auf 1,7 Hektar Fläche: fünf- respektive sechsgeschossige Skelettbauten aus Brettschichtholz-Stützen und -Trägern mit Holzrahmenbau-Elementen als Gebäudehülle, 200 m lang, mit 307 Wohnungen, zusammengefügt aus rund 250 000 vorgefertigten Holzbauelementen. Die Massivholzdecken aus Brettsperrholz mit Spannweiten von bis zu 7,40 m erhielten oberseitig eine 8 cm hohe Splitschüttung aus gebrochenen Steinkörnern mit einem elastischen Bindemittel, die dem Schallschutz Rechnung tragen. Mit dem neuen Wohnquartier «Lokstadt» entsteht in Winterthur derzeit ein weiterer, neuer Stadtteil in Holzbauweise, der seinesgleichen sucht. Die neue Überbauung auf dem Areal der ehemaligen Produktionsstätte der Schweizerischen Lokomotiven- und Maschinenfabrik (SLM) soll eine Vorzeigesiedlung werden. Das zeigen die Ziele der Bauherrschaft: Sie will den SIA-Effizienzpfad 2040 (2000-Watt-Gesellschaft im Gebäudebereich) ebenso umsetzen wie den Minergie-P-Standard.

Der erste Baustein der «Lokstadt» ist das Haus «Krokodil». Der Name ist eine Hommage an die einst dort gefertigten Gotthard-Lokomotiven. Der sechs- bis achtstöckige Holzbau beherbergt 254 Eigentums-, Miet- und Genossenschaftswohnungen und gehört mit rund 30 000 Quadratmetern Nutzfläche zu den grössten seiner Art in der Schweiz. Die 106 m lange und 65 m tiefe Blockrandbebauung um einen 2000 Quadratmeter grossen Innenhof ist in Anlehnung an die ehemaligen Industriehallen als Holz-Skelett- Konstruktion mit einheitlichem Raster für den gesamten Gebäudekomplex konzipiert. Für die Geschossdecken wählten die Tragwerksplaner grossformatige Brettsperrholz-Elemente von 2,5 m Breite und 19 m Länge. Um sie zu aussteifenden Scheiben zu fügen, haben sie Schwalbenschwanzverbinder aus Baubuche eingesetzt. Überhaupt entwickelten die Ingenieure viele Holz-Holz-Verbindungen auf Basis traditioneller Fügetechnik und minimierten dadurch den Einsatz von Stahl und Beton, soweit es ging.

Keine Ende in Sicht

Ein weiteres Hochhaus aus Holz soll in Regensdorf ZH entstehen: Hier entwickelt Pensimo Management als Eigentümer- und Bauherrenvertreterin auf dem Areal Zwhatt das «Hochhaus H1». Der Holz-Hybridbau soll 150 Wohnungen umfassen. Geplant ist eine Konstruktion, bei der Erschliessungskern und Sockelgeschoss in Beton und die Geschossdecken in Holz-Beton-Verbund-Bauweise erstellt werden. Ein Holzskelett aus Stützen und Trägern soll auch hier wie bei den erwähnten anderen Projekten die wirtschaftliche Primärstruktur bilden. Und zu guter Letzt sind auf dem Papieri-Areal in Cham ZG gleich zwei Holz-Hybrid-Hochhäuser aus Modulen geplant. Im Rahmen eines interdisziplinären Forschungsprojekts wurde das horizontal und vertikal flexible «Modul 17» entworfen, das zu fast 90 Prozent aus Holz besteht und sich an unterschiedliche Stadtstrukturen anpasst. Anhand eines etwa 130 m hohen Prototyps aus insgesamt 58 Modulen haben die Forschenden in Zusammenarbeit mit Fachleuten aus der Praxis die Erkenntnisse ausgewertet und die Tauglichkeit nachgewiesen. Dabei sei erwähnt, dass man in der Schweiz erst seit 2015 mit Holz unbegrenzt in die Höhe bauen darf. Die Zukunft kann kommen.

www.suurstoffi.chwww.lokstadt.chwww.zwhatt.chwww.papieri-cham.ch

«Projekt Pi» überragt alles

27 Geschosse und 80 Meter

Nebst den beiden ersten Holzhochhäusern in Risch-Rotkreuz steht im Kanton Zug ein weiteres Hochhausprojekt vor der Realisierung. Mit dem «Projekt Pi» (siehe Visualisierung links) plant V-Zug-Immobilien in der Stadt Zug ein Wohnhochhaus aus Holz mit 27 Geschossen und 80 Metern Höhe – das dann höchste Holzhochhaus der Schweiz. Der Ent- wurf des Büros Duplex Architekten aus Zürich schlägt dabei eine Vielfalt an Wohnungstypologien vor, die durch das spezielle Tragwerkskonzept und die konsequente Trennung von Primär- und Sekundärstruktur erst möglich werden soll: Zwei ineinandergesteckte Röhren werden tragend ausgebildet. Dieses Bauprinzip geht auf die Stahlrahmenkonstruktionen aus dem Chicago der 1950er-Jahre zurück und wird in eine zukunftsorientierte Konstruktion aus Holz übersetzt. Die Fertigstellung ist für 2024 geplant.

Susanne Jacob-Freitag und, Marc Wilhelm Lennartz, SJF/MWL

Veröffentlichung: 06. Mai 2021 / Ausgabe 19/2021

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