«Holz ist nur bei der Natur ausgeliehen»

Die leimfreie Breiten-verbindung mittels Klick gehört zum Markenkern. Bild: Christian Härtel

Nachhaltiges Bauen.  Designpreise empfangen und alle Hände voll zu tun haben: Die Schreinerei Lindauer AG hat mit ihren nachhaltigen Konstruktionen Erfolg. Ein wichtiger Grund dafür ist die Auflösung von scheinbaren Widersprüchen. Roger Lindauer sagt, wie das geht.

Vor über zehn Jahren präsentierte der Schreiner Roger Lindauer im Rahmen seiner Abschlussarbeit der Weiterbildung Baubiologie eine nach ökologischen Gesichtspunkten gestaltete Küche. Dazu gehörten leimfreie Massivholzverbindungen und der Verzicht auf Oberflächenbeschichtungen, aber auch der Einsatz von rein mechanischen Verbindungen statt Klebstoffen. Ebenso sollen Materialien wie Altglas und regionaler Stein mit wenig grauer Energie verwendet werden.

Inzwischen ist die heutige Lindauer AG enorm gewachsen, von einigen wenigen Akteuren zu knapp 40 Mitarbeitenden. Gerade entsteht ein weiterer Anbau am Schwyzer Standort in Steinen. Ein leistungsfähiger, neuer Hobelautomat ist schon da. Mit sieben Spindeln und eigens angefertigten Werkzeugsätzen für eine Schreinerei eher untypisch. Aber Lindauer verarbeitet viel Massivholz. Seine Arbeiten in nachhaltiger Konstruktion sind gefragt.

Leimfreie Breitenverbindungen sind im Schreinerhandwerk nach wie vor eine Ausnahme. Freilich eine, die von der Kundschaft inzwischen gesucht wird. Auch von berufener Seite gibt es inzwischen Anerkennung: Der letzte Swiss-Kitchen-Award steht in Steinen. Im Gespräch wird schnell klar: Roger Lindauer ist sich treu geblieben und weiter voller Motivation für ökologisches Handwerk und Bauen.

SchreinerZeitung: Angefangen haben Sie mit der ökologischen Küche. Im letzten Jahr haben Sie den Swiss-Kitchen-Award für die beste Küche erhalten. Spielt die Ökologie nicht mehr die entscheidende Rolle?
Roger Lindauer: Ganz im Gegenteil. Unser Ziel ist es, gutes Design mit dem ökologischen Anspruch zu vereinen. Bei unserer neuen Küche haben wir für die Front Keramikplatten verwendet, diese aber nicht auf einen Rahmen geklebt, wie das üblicherweise gemacht wird, sondern mechanisch verbunden. Dazu verwenden wir einen kleinen Holzriegel, der die Teile miteinander verspannt. Das ist übrigens gar kein Problem. Die Herstellung eines Holzzapfens auf der CNC dauert eine Minute. So wollen wir auch das gehobene Segment näher zur Ökologie bringen, indem wir dem Cradle-to- Cradle-Prinzip entsprechen (vom Ursprung zum Ursprung, Red.).
Ihre Designer können das?
Das Design entsteht bei uns im Haus. Früher war das vor allem die Aufgabe meines Geschäftspartners Dominik Tanner und mir. Inzwischen haben wir Mitarbeitende, die das mindestens genauso gut machen. Wir haben sehr viele kreative Köpfe bei uns. Das ursprüngliche Prinzip ist im Grunde geblieben, wurde verbessert und vereinfacht. Das gilt vor allem für die Konstruktion. Etwa das wichtige Detail der Verbindung mit Traversen, das Glas als Tablare und keine doppelten Seiten. Bei den Fronten haben wir neue Wege gesucht, auch andere Materialien ökologisch sinnvoll zu verwenden.
Wie schaffen Sie eine wirtschaftliche Produktion?
Ich versuche ständig zu optimieren, vor allem die Anzahl der Arbeitsschritte und den Zeitbedarf zu minimieren. Deshalb haben wir vor einigen Tagen einen neuen Hobelautomaten mit sieben Spindeln in Betrieb genommen. So können wir viele Teile im Durchlauf fixfertig erzeugen, einschliesslich Fasen der Kanten. Davor gingen manche Teile nach dem Hobeln zum Bearbeitungszentrum. Das entfällt nun. Auch Details und einzelne Produktionsschritte für die leimfreien Verbindungen entwickeln sich stets weiter. Am Anfang dachte ich, was will ich bei einem Schritt ein paar Sekunden einsparen. Aber über die Zeit und je nach Stückzahl gesehen, macht das am Ende sehr wohl etwas aus. Bei den leimfreien Massivholztüren konnte ich die Verkaufspreise über die Jahre so fast halbieren. Mein Ziel ist es generell, dass wir noch weiter runterkommen beim Preis, damit möglichst viele den Zugang zur Ökologie finden.
Wie sieht die leimfreie Verbindung konkret aus?
Wir haben zwei Varianten für die leimfreien Breitenverbindungen. Zum einen das Klick-system und zum anderen die konisch eingeschobene Profilverbindung. Die Breitenverbindungen für massive Türblätter erstellen wir mit einem konisch zulaufenden Konterprofil. Die Friese werden dann – ähnlich wie bei einer Gratleiste – mit zwei Kilo-newton Druck zusammengeschoben. Wir haben eine Vorrichtung gebaut, mit deren Hilfe wir das kontrolliert, sprich auch mit einer Druckmessung, bewerkstelligen können. Denn jedes Holz verhält sich natürlich anders. Es ist ein Unterschied, ob die Tür aus Tannenholz oder Birnbaum ist. Man muss auch herausfinden, wo man Luft gibt, damit es funktioniert. Während es beim Klicksystem an der richtigen Stelle etwas Luft hat, damit geringfügige Bewegungen des Holzes nicht zum Werfen führen, sitzen die Friese bei der Tür ohne Luft mit Kraft zusammen. Wenn jetzt eine Seite des Blattes mit feuchterer Luft in Berührung kommt, müsste sich das Ganze eigentlich werfen. Das macht es aber nicht, obwohl es keine Gratleiste gibt.
Wird Holz unterschätzt?
Absolut. Wir machen so gute Erfahrungen, etwa mit den massiven, leimfreien Türblättern, dass es einen wirklich umhaut. Man muss natürlich grosses Augenmerk auf die Konstruktion legen. Wenn sie stimmt, ist massives Holz oft viel unproblematischer als etwa ein Holzwerkstoff. Wir haben inzwischen sogar schon Haustüren gemacht. Klar muss man sich genau überlegen, wie eine solche Tür gerade bleibt und wie man die Dämmwerte erreicht. Aber mit einer Rahmenkonstruktion, die durch Doppel geschützt wird, geht auch so etwas. Zu den intelligenten Holzverbindern gehört für mich deshalb auch das Holzgewinde, mit dem wir vorgehängte Doppel befestigen. Das ist einfach und gut. Man könnte das sogar mit einem Drei-Achs-Bearbeitungszentrum (Baz) hinbekommen.
Müssen die Lehrbücher neu geschrieben werden?
Zumindest sollten wir den Standard und die liebgewonnenen Verfahren einmal hinterfragen. Kollegen sagen mir immer wieder, dass sie einfach Klebstoff nehmen, ohne darüber nachzudenken. Genau darum geht es. Manche Holzbauer sind da weiter und hinterfragen sich mehr. Dort gibt es inzwischen mehrere Akteure, die leimfreie und nachhaltige Häuser erstellen. Holz ist ein unglaublich ökologisches Material, eigentlich konkurrenzlos. Wenn ich die Oberfläche versiegle und zwischen dem Holz Leim habe, ist der Kreislauf aber gestört. Solches Holz wird entsorgt oder mit Nachteilen thermisch verwertet. Bei naturbelassenem Holz ist alles möglich. Es ist einfach nur bei der Natur ausgeliehen. Das betrachte ich als meinen Beitrag, dort kann ich etwas besser machen, als es üblich ist.
Verstehen Ihre Kunden das?
Meiner Erfahrung nach verstehen sie das oft besser als die Fachwelt. Wir haben natürlich sehr unterschiedliche Kunden. Wenn jemand Hochglanz möchte, dann predige ich nicht von massivem Holz. Wir haben aber auch sehr viele Kunden, die genau das suchen, aber erfolglos waren, bis sie uns gefunden haben. Und dann passt das Ganze recht schnell. Vor zehn Jahren kam oft die Frage nach dem Warum. Heute kommen die Kunden zu uns und fragen, ob denn wirklich kein Leim drin ist. In den letzten Jahren hat sich einiges getan auch im Bewusstsein bezüglich Nachhaltigkeit.
Gilt das auch für den Verzicht auf die Oberflächenbeschichtung?
Wir machen jetzt gerade für ein grosses Projekt 200 Türen. Die Oberflächen sind unbehandelt. Auch bei Küchenfronten verzichten wir auf Beschichtungen, wir finieren, also hobeln die Oberfläche ganz fein. Bei Fronten ist das kein Problem. Liegende Flächen, wie eine Abdeckung, ein Tisch oder auch ein Parkett, sind grossen Belastungen ausgesetzt. Da sieht man die Gebrauchsspuren. Andererseits sind geölte Flächen in der Pflege aufwendig. Vernachlässigt man sie, sieht man Spuren manchmal deutlicher als bei rohen Flächen. Wenn man heute die Produkte ansieht, fragt man sich, welch unglaublicher Aufwand betrieben wird, um Echtheit zu vermitteln. Massivholztische müssen Risse haben, Laminat wird aufwendig mittels Zufallsgenerator malträtiert, und so weiter. Dabei wäre es so einfach: Massivholz verwenden und alles andere kommt von allein. Das Verständnis der Kunden für diese Dinge ändert sich gerade. Und störende Gebrauchsspuren lassen sich einfach mit Seifenlauge entfernen. Wichtig ist, dass man Nachhaltigkeit zahlbar macht. Es ist unsere Aufgabe, die Produkte verkaufbar zu machen. Ob es gefragt wird, ist wieder etwas anderes. Diesen Weg zu gehen, ist risikoreich und aufwendig. Wer nachhaltig bauen möchte, muss sich fragen, ob die gewohnten Lösungen die richtigen sind. Man muss die Dinge neu denken, dann kommt man oft auf einfache Lösungen, die besser sind.
Ziehen Ihre Mitarbeiter da mit?
Bei uns ist die Eigenverantwortung des Einzelnen sehr hoch. Wir geben viel Freiheit, die auch geschätzt wird. Und auch bei den Mitarbeitern ist es so, dass immer öfter Schreiner zu uns kommen, weil wir nachhaltig arbeiten. Das heisst, wir finden auch die passenden Schreiner. Es gab sogar schon eine Anfrage aus Österreich wegen eines Ausbildungsplatzes.
Ihr wirtschaftliches Wachstum war enorm in den letzten Jahren. Wann erreichen Sie dreistellige Mitarbeiterzahlen?
Das sehe ich nicht. Am Anfang hatte ich noch nicht einmal Wachstum im Sinn. Wir wollen das Ganze immer weiter verbessern und optimieren. Sollte es weiter wachsen, werden wir andere Lösungen finden, etwa mit Lizenzen. Aber es ist richtig, dass wir die Aufträge gar nicht alle ausführen können. Richtig ist auch, dass wir erfolgreich arbeiten. Das ist auch ein schönes Signal an viele andere, die Ideen zu mehr Nachhaltigkeit haben. Normalerweise verbindet man wirtschaftlichen Erfolg mit konventionellen Produkten. Die Ökos sind die, die in Sandalen mit dem Schnitzmesser agieren. Zu zeigen, dass Ökologie und Hightech zusammengehen und der wirtschaftliche Erfolg dazukommt, ist ein wichtiger Punkt. Das Ganze geht aber nur mit gutem Design. Viele Kunden würden gerne ökologische Produkte kaufen, aber oft stimmt dabei das Design nicht. Damit das klappt, braucht es Innovation bei der Realisierung und dann wieder enorm viel Aufwand, um praktische Lösungen – die man nicht nachlesen kann – zu finden. Wenn man das alles zusammenbringt und dann noch bezahlbar produziert, dann hat Ökologie Zukunft.
www.lindauerag.ch

Weiterbildung

Nachhaltigkeit lernen

Das Zürcher Bildungszentrum Baubiologie bietet eine modulare und berufsbegleitende Weiterbildung zum nachhaltigen Bauen an. Der Kurs richtet sich an Planer und Handwerker und dient als Vorbereitung zur Berufsprüfung zum Baubiologen mit eidgenössischem Fachausweis. Der nächste Kurs startet am 26. Januar 2019. Die 25 bis 27 Kurstage sind dabei über mindestens zwölf Monate verteilt.

www.baubio.ch

ch

Veröffentlichung: 08. November 2018 / Ausgabe 45/2018

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