Kraftakt in acht Riegeln

Das Foyer mit viel Holz unterstreicht die Funk-tion des Gebäudes. Teile des komplexen Tragwerks sind noch sichtbar, etwa das Fachwerk aus Bau-buche über der Treppe. Bild: Dirk Altenkirch

Besucherzentrum.  Holz, so weit das Auge reicht, gibt es nicht nur in den Wäldern darum herum, sondern auch am und im neuen Besucher- und Informationszentrum des Nationalparks Schwarzwald. Das komplexe Gebäude ist ein Vorzeigeobjekt zeitgenössischer Holzbaukunst.

Das Besucher- und Informationszentrum (Biz) für den Nationalpark Schwarzwald liegt inmitten einer einzigartigen Landschaft am Ruhestein, südöstlich von Baden-Baden. Die Realisierung dieses hochkomplexen Baus meisterten die Ingenieure unter Einsatz aller Baustoffe, allen voran Holz. Die acht Riegel des Gebäudes fügen sich so gut in die Umgebung ein, dass man es als Ganzes kaum überblicken kann – ausser aus der Luft. Das Bauwerk bietet 1150 m2 Ausstellungsfläche. Rund 1000 m2 davon für die Dauerausstellung, welche die Besucher auf eine Reise durch den Wald führt, der Rest für Wechselausstellungen. Aber auch Vortragsveranstaltungen und ein Kino sollen das Zentrum zu einem attraktiven Ausflugsziel machen.

Das Gebäude aus Holz, Stahl und Beton der Architekten Sturm und Wartzeck aus Dipperz in Osthessen ging als Siegerentwurf aus einem europaweit ausgeschriebenen interdisziplinären Wettbewerb hervor. Die Aufgabe bestand darin, die Wesensmerkmale des Nationalparks als naturbelassener Urwald zu visualisieren und das Gebäude als Blickfang zu gestalten.

Die volle Palette der Holzbaukunst

Daraus entwickelte sich die Leitidee einer Struktur von kreuz und quer übereinander liegenden Baumstämmen. Als Vorzeigeobjekt und Aushängeschild des jungen Nationalparks nimmt der Gebäudeentwurf damit das Bild einer natürlichen Waldsituation auf und setzt auch bei den Baumaterialien zum Grossteil auf Holz. Selbst die Fassaden nehmen Bezug auf das Thema: Die Bekleidung aus grossformatigen Holzschindeln soll an die Rindenstruktur eines Baumes erinnern. Ziel des Entwurfs war, den Baustoff Holz möglichst umfangreich und vor allem dort einzusetzen, wo es technisch sinnvoll und wirtschaftlich vertretbar ist. Dies war die erklärte Absicht der Planer, der Bauherrschaft und des Nutzers. Das Ergebnis zeigt die konstruktive Leistungsfähigkeit des modernen Holzbaus in grosser Bandbreite, insbesondere in Kombination mit anderen Baustoffen. Die Systemvielfalt, mit der all die speziellen Tragwerksanforderungen bewältigt werden konnten, ist ebenfalls gross: So besteht das Tragwerk aus Fachwerkträgern (Strickbau), Brettsperrholzscheiben, Holzrahmenbau- oder Hohlkastenelementen und vielem mehr.

Acht röhrenartige Boxen

Das Biz ist als aufgelöster Baukörper konzipiert und setzt sich aus 8 bis zu 65 Meter langen röhrenartigen Boxen zusammen. Sie wurden so platziert, dass sie sich möglichst schonend mit dem Baumbestand verzahnen und nur geringe Eingriffe in den bestehenden Lebensraum erforderlich waren. Dabei sind die Boxen respektive Riegel entsprechend dem Hangverlauf in Höhe und Lage gestaffelt angeordnet, kreuzen und queren sich und sind teilweise leicht geneigt. Das Bauwerk dient hauptsächlich Ausstellungszwecken, Vorführungen und Vortragsveranstaltungen.

Mischbau mit überwiegend Holz

Der Hauptzugang und der Empfangsbereich befinden sich in den Riegeln E und F (siehe Übersicht auf Seite 43). In den Riegeln G und H ist das Obergeschoss untergebracht. Die anschliessenden Riegel A, B, C und D sind in der Längsachse geneigt sowie punktuell gestützt. Der geneigte Aussichtsturm ist durch einen nicht überdachten Steg, «Skywalk» genannt, mit dem Riegel D verbunden. Der Gebäudeteil ragt freitragend in die schützenswerten Waldbestände hinein.

Für die optimale Tragfähigkeit der Riegel wurden je nach Abmessungen, Riegellänge, Auskragungen und Spannweiten die jeweils geeignetsten Baustoffe oder eine Mischung daraus gewählt. So konnten auch hochbelastete Punkte bewältigt werden. Entsprechend fiel die Entscheidung in Abhängigkeit der Tragwerksbeanspruchung auf Holz, Stahlbeton, Stahl oder Mauerwerk, Letzteres etwa für erdberührende Bauteile. Die jeweiligen Röhren sind wie folgt ausgeführt: die Riegel E, F und C sowie Teile der Riegel A und D in Massivbauweise, die Riegel G und H als Holz-Fachwerke aus Buchenfurnierschichtholz (sogenannte Baubuche), der Riegel B und der Mittelteil des Riegels A als Baubuche-Stahl-Fachwerke sowie der «Skywalk» als Brettschichtholz-Stahl-Fachwerk. Für den übrigen Teil des Riegels D sowie den Aussichtsturm kam Brettsperrholz zum Einsatz.

Erwähnenswert ist, dass gemäss Bauherrenwunsch nach möglichst viel Holz im Tragwerk grosse Teile der fünf Meter hohen Wände des Riegels A beziehungsweise der vier Meter hohen Wände des Riegels B, die als Stahlfachwerke ausgeführt werden sollten, in ein hybrides Holzfachwerk umgeplant wurden. Mit einem vergleichsweise einfach herzustellenden, nicht sichtbaren, N-förmigen Fachwerk mit Gurten und Druckpfosten aus Buchenfurnierschichtholz und Zugstangen aus Rundstahl ist eine effiziente Lösung zur Wandausbildung entstanden. Durch eine zusätzliche gegenläufige An-ordnung von Diagonalen wird das Fachwerk noch extra ausgesteift, um weniger anfällig auf Erdbeben zu sein, denn das Biz steht in einer Erdbebenzone sowie auf Schwingungen, die von den Besuchern hervorgerufen werden können.

Riegel D stützt sich an seinem oberen Ende am Hauptgebäude und auf dem Erschliessungsturm ab. Die vergleichsweise geringe Spannweite und die Lagerungsbedingungen erlauben in diesem Riegel den Einsatz von Brettsperrholz (BSP) als wandartiger Träger.

Tragstruktur ist exemplarisch

Das Haupttragwerk des rund 8 Meter breiten Gebäuderiegels G bilden 57 Meter lange und 4,25 Meter hohe Fachwerkträger aus Baubuche mit einer Festigkeitsklasse von GL 70, das heisst mit einer im Vergleich zu Nadelholz sehr hohen Tragfähigkeit. Die Fachwerke ermöglichen die Überspannung der darunter liegenden Gebäudeteile. Eingespannte Stahlstützen, Brettsperrholz-Wandscheiben und der Treppenhausturm aus Stahlbeton dienen als horizontale und vertikale Lagerung für diesen Riegel.

Wegen der Sonderlast Schneeverwehung, die mit 11 kN/m2 anzusetzen war, nutzten die Tragwerksplaner Hohlkasten-Elemente für Decke und Boden, deren Tragfähigkeit sie alleine schon durch unterschiedliche Stegabstände variierten und die Elemente so bei gleicher Deckenhöhe lokal auf Laständerungen reagieren konnten. Weitere Vorteile liegen in der mit 42 cm geringen Bauteilhöhe.

Und so bilden die Kastenelemente den oberen und unteren Abschluss dieses Gebäuderiegels. Sie sind mit acht Metern Länge zwischen den Fachwerk-Gurten eingehängt. Brettsperrholz-Platten schliessen die Seiten der Fachwerke und bilden gleichzeitig die Luftdichtheitsebene.

«Skywalk» zum Aussichtsturm

Der röhrenartige Aussichtsturm aus Brettsperrholz mit einer Neigung von 15 Grad und einer Höhe von rund 32 Metern steht am tiefsten Punkt des Besucherzentrums. Eine Rundum-Eindeckung aus Holzschindeln schützt ihn gegen Bewitterung. Der 60 Meter lange «Skywalk» erschliesst ihn. Dieser Steg mit Aussenabmessungen von knapp 4,90 Metern Höhe und 3,40 Metern Breite wurde wie eine Brücke als Fachwerk-Konstruktion aus Brettschichtholz konzipiert. Die Fachwerke erhielten eine Wetterschutzverschalung und an den Ober- und Untergurten Abdeckbleche, sodass der Steg ebenfalls witterungsgeschützt ist.

Nur interdisziplinär zu schaffen

Das interdisziplinäre Team aus Architekten, Tragwerksplanern, Fachingenieuren für Technische Ausrüstung und Landschaftsarchitektur hat nicht nur den Wettbewerb gemeinsam gewonnen. Die Architekten haben zusammen mit den Tragwerksplanern auch eine detaillierte Werkplanung abgeliefert und die richtigen Ausführungspartner gefunden, was besonders beim Holzbau sehr wichtig ist.

Nach dreieinhalb Jahren Bauzeit fand Mitte Oktober 2020 die feierliche Übergabe des Nationalparkzentrums pandemiebedingt unter Ausschluss der Öffentlichkeit statt. Im Frühsommer wurde das Biz dann stufenweise zugänglich gemacht, und es hat inzwischen seinen uneingeschränkten Betrieb aufgenommen.

Besuchermagnet

50 Millionen Euro Gesamtkosten

Das Bundesland Baden-Württemberg hat das Besucher- und Informationszentrum (Biz) erstellen lassen. Im Oktober 2020 wurde der Bau mit Gesamtkosten von 50 Millionen Euro fertig, die reinen Baukosten lagen bei 35,5 Millionen Euro. Die Nutzfläche beträgt 3700 m2, die Bruttogrundfläche 5250 m2. Das Gebäude liegt am Ruhestein auf einer Höhe von etwa 900 Metern über Meer inmitten bewaldeter Hänge und dient als zentrale Anlaufstelle des etwa 10 000 Hektar grossen Parks, den das Land Baden-Württemberg Anfang 2014 im Nordschwarzwald eingerichtet hat. Verkürzt wird auch vom Nationalparkzentrum Ruhestein gesprochen.

www.nationalpark-schwarzwald.de

Susanne Jacob-Freitag, SJF

Veröffentlichung: 26. August 2021 / Ausgabe 35/2021

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