Leben von der Handarbeit

Geigenbauerin Mahdieh Shahraki (v. l.), Schreiner Thomas von Rickenbach, Schindelmacherin Eva Gredig und Skibauer Lucas Bessard. Bild: Alpines Museum

Alpines Handwerk.  Das Alpine Museum der Schweiz wird zur Werkstatt: In der neuen Ausstellung arbeiten Handwerkerinnen und Handwerker aus Bergregionen und zeigen, was es heisst, heute von der Handarbeit zu leben. Nah am Alltag, jenseits von Romantik und Nostalgie.

Drei, vier gezielte Hammerschläge auf die Klinge des L-förmigen Schindelmessers und schon lässt sich das kuchenstückförmige Holzscheit – die sogenannte Spälte – mit einer Kippbewegung des Messers in formschöne Schindeln spalten. Was bei der Schindelmacherin Eva Gredig einfach aussieht, verlangt in Wirklichkeit viel handwerkliches Geschick. Das stellen die Besucher fest, die sich in der Schindelwerkstatt an eigenen Schindeln versuchen.

Facetten des Handwerks

Die Schindelwerkstatt ist eine der Stationen auf dem Rundgang der Themenausstellung «Werkstatt Alpen. Von Macherinnen und Machern». Mittels vieler weiterer Stationen gewährt die Austellung im Alpinen Museum in Bern den Besuchern Einblick in die verschiedenen Facetten des traditionellen Handwerks. Dass in den Alpenregionen auch modernste Technologien zum Einsatz kommen, zeigt sich unter anderem am Beispiel von Thomas von Rickenbach. Entgegen nostalgischen Vorstellungen bezeichnet der Inhaber der Vonrickenbach Swiss AG in Muotathal die 5-Achs-CNC-Maschine als «wichtigstes Werkzeug». Er betont dabei den Wert der Schreinerlehre. «Um eine solche Maschine bedienen zu können, braucht es viel Know-how bei der Holzbearbeitung», sagt er. «Man muss das traditionelle Handwerk gelernt haben.» Fehle die Ausbildung, so habe man ganz klare Nachteile und «stehe immer wieder an».

Von Rickenbach ist einer von sieben Protagonisten des Einführungsfilms, welcher die Ausstellungsbesucher zu Beginn des Rundgangs in das Thema eintauchen lässt. Neben einer Weberin, einer Schuhmacherin und einem Käser sind mit der Geigenbauerin Mahdieh Shahraki, der Schindelmacherin Eva Gredig und dem Skibauer Lucas Bessard drei weitere Vertreterinnen und Vertreter der Holzbranche im Beitrag zu sehen.

Arbeit in der Gastwerkstatt

Beim Rundgang erleben die Besucher die Entstehung eines handwerklichen Produktes. Auf zwei Stockwerken werden die Stationen von der Rohstoffbeschaffung und der Materiallagerung über die Verarbeitung bis hin zur Vermarktung und zum Verkauf in unterschiedlicher Weise dargestellt. 150 Arbeitsstunden stecken in einer Geige, wie Geigenbauerin Mahdieh Shahraki verrät. Der weitaus überwiegende Teil davon sei Handarbeit. Das Bauen der Geige sei vergleichbar mit dem Erlernen, das Instrument zu spielen. «Es erfordert viel Geduld und Erfahrung», erklärt Shahraki.

Das Handwerk der Geigenbauerin wird in der Gastwerkstatt bis Mitte Dezember jeweils von Donnerstag bis Samstag erlebbar. Hier können Besucher den Lernenden der Geigenbauschule Brienz BE bei der Arbeit über die Schulter schauen. Die Gastwerkstatt ist das Zentrum der Ausstellung. Im Januar und Februar sind hier Mitglieder des Schweizer Verbands der Geigenbauer und Bogenmacher am Werk, und im März können Besucher an verschiedenen Kursen des Kurszentrums Ballenberg selber zum Macher werden.

Nähe zum lokalen Material

Mit wie viel Freude sich die Besucher als Handwerker versuchen, zeigt sich in der Schindelwerkstatt, wo über die ganze Ausstellungsdauer hinweg eine Schindelwand entstehen soll. Hier zierte den Scheitstock bereits wenige Tage nach Ausstellungseröffnung ein Zettel mit den Worten: Bitte nur so viele Schindeln spalten, wie Sie auch an den Rahmen nageln mögen.

Das Fichtenholz, das Eva Gredig für ihre tägliche Arbeit verwendet, stammt aus dem Bündner Safiental, der Heimat der Schindelmacherin. «Das beste Holz für das Dach eines Stalls wächst neben dem Stall», sagt sie und erklärt damit auch, warum die Nähe und der Bezug zum lokalen Material einen Standortvorteil bedeuten und zum wichtigen Qualitätsfaktor werden kann.

Von Preisen und von Werten

Auf die beiden Erfolgsfaktoren des heimischen Holzes und der Freude am Handwerk setzt auch Skibauer Lucas Bessard aus dem waadtländischen L’Isle. «Es ist schön, mit den eigenen Händen ein Objekt zu kreieren, das man sich zuvor vorgestellt hat», findet er. In seiner Werkstatt ermöglicht er dieses Erlebnis auch seinen Kunden, indem er sie beim Bau eines eigenen Skis unterstützt. Doch mit der Freude am Handwerk ist es nicht getan. Deshalb setzt sich die Ausstellung auch mit der Frage auseinander, was es braucht, um vom Handwerk leben zu können.

So können die Besucher bei einer Station den Preis verschiedener handgefertigter Objekte schätzen und angeben, wie viel sie bereit wären, für das jeweilige Objekt zu bezahlen. Nach dem Aufdecken der Informationen zu den Material- und Produktionskosten und zur Arbeitszeit wird wohl einigen der Besucher klar, dass oft ein grosser Unterschied zwischen dem Preis und dem Wert eines Gegenstandes besteht.

Produktevielfalt auf dem Objektberg

Handwerksprodukte können eine wichtige Rolle spielen für die Identität einer Gemeinde oder die Entwicklung einer Region. Die positive Rückwirkung der Betriebe ist umso grösser, je mehr Wert auf lokale Wertschöpfungsketten gelegt wird. Die Produktevielfalt des alpinen Handwerks wird an der Ausstellung mit einem «Objektberg» deutlich gemacht. Dabei werden die Produkte verschiedenster Handwerksbetriebe aus dem alpinen Raum gezeigt.

Positive Assoziationen

Das Schweizer Berggebiet macht laut Bundesamt für Statistik 77 Prozent der Gesamtfläche der Schweiz aus. Hier befinden sich 30 Prozent aller Arbeitsplätze. Rund 10 Prozent der Erwerbstätigen arbeiten schweizweit in einem handwerklichen Beruf.

Mit der zunehmenden Technologisierung sind die handwerklichen Berufe, gerade auch in alpinen Regionen, zunehmend unter Druck geraten. Während einige von ihnen im Laufe der Zeit ausgestorben sind, haben es andere geschafft, sich weiterzuentwickeln und sich den veränderten Bedingungen anzupassen. Die Ausstellung zeigt auf, wie viel Innovation und Erfindergeist im alpinen Handwerk stecken und wie es gelingt, den Spagat zu schaffen zwischen Tradition und Innovation.

Begünstigt wird das alpine Handwerk durch eine zunehmende Rückbesinnung auf alte Werte. Thomas von Rickenbach stellt fest, dass allein schon die Herkunftsbezeichnung «aus den Bergen» positive Assoziationen weckt.

Alpines Museum der SChweiz

Ausstellung und Gastwerkstatt

Die Ausstellung «Werkstatt Alpen. Von Macherinnen und Machern» dauert bis am 27. September 2020. In der Gastwerkstatt arbeiten bis am 14. Dezember jeweils donnerstags bis samstags Lernende der Geigenbauschule Brienz. Im Januar und Februar sind Mitglieder des Schweizer Verbands der Geigenbauer und Bogenmacher am Werk, und im März können Besucher an verschiedenen Kursen des Kurszentrums Bal- lenberg selber zum Macher werden.

Adresse: Helvetiaplatz 4, Bern Öffnungszeiten: Dienstag bis Sonntag, 10 bis 17 Uhr

www.alpinesmuseum.ch

mh, mh

Veröffentlichung: 14. November 2019 / Ausgabe 46/2019

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