«Man muss vertrauen und delegieren»

Geschäftsführerin Barbara Hüsser (r.)schaut in der Werkstatt vorbei. Hier im Gespräch mit Schreinerin Rahel Humbel. Bild: Nicole D'Orazio

Arbeitszeitmodelle.  Barbara Hüsser leitet die Hüsser Innenausbau AG in Bremgarten AG in einem 60-Prozent-Pensum. Nach dem ersten Kind hat sie sich dazu entschieden, und es funktioniert. Auch über die Hälfte der Mitarbeitenden sind mittlerweile in einem Teilzeitpensum angestellt.

SCHREINERZEITUNG: Frau Hüsser, Sie sind als Geschäftsführerin der Hüsser Innenausbau AG in einem Teilzeitpensum tätig. Weshalb haben Sie sich dazu entschieden?
BARBARA HÜSSER: Als ich das erste Kind bekommen hatte, diskutierten mein Mann und ich, wie wir die Betreuung aufteilen. Wir einigten uns auf ein 80-Prozent-Pensum bei ihm und 60 Prozent für mich. In der Mutterschaftspause habe ich gesehen, dass das funktioniert. Man muss jedoch auf gute Mitarbeiter zählen können, diesen vertrauen sowie Kompetenzen und Funktionen abgeben. Es ist aber so, dass ich in der Praxis mehr arbeite als die 60 Prozent.
Was heisst das?
Ich habe drei fixe Arbeitstage definiert. An den freien Tagen bin ich dennoch telefonisch oder per E-Mail erreichbar.
Können Sie an den freien Tagen überhaupt abschalten?
Nein. Job und Familie strikt zu trennen, geht nicht. Aber das liegt auch an meiner Persönlichkeit. Wenn ein Kunde ein Anliegen hat, will ich ihn nicht vertrösten. Meine Mitarbeitenden lassen jedoch nichts von sich hören, wenn ich abwesend bin. Ausser es gibt einen Notfall.
Sind Ihre drei Arbeitstage dementsprechend vollgepackt?
Ja, das ist so. Wobei ich heute bei der Arbeit effizienter bin als früher. Ich versuche, das Beste aus meiner Zeit herauszuholen.
Machen Sie jeweils eine Übergabe mit Ihren Mitarbeitenden, bevor Sie abwesend sind?
Nein, es hat sich alles eingespielt. Jede und jeder hat seine definierten Arbeitsbereiche und weiss, was zu tun ist.
Wie reagierten Ihre Angestellten, als Sie ihnen mitteilten, dass Sie Ihr Pensum reduzieren?
Weil ich eine Frau bin, war das irgendwie klar. Mir wurde viel Verständnis entgegengebracht. Wenn ich ein Mann wäre, hätte es bestimmt geheissen: Das geht nicht. Spannend war auch, dass ich damit die Mitarbeitenden auf den Geschmack gebracht habe. Einige fragten, ob sie auch reduzieren dürften. Mittlerweile arbeitet über die Hälfte des Betriebs Teilzeit. Auch in der Werkstatt. Ein Mitarbeiter arbeitet 40 Prozent, die anderen in der Regel 80.
Wie haben Kunden und Geschäftspartner reagiert?
Zu mir persönlich hat nie jemand etwas gesagt. Ich denke, das liegt daran, dass ich eine Frau bin. Hier ist die Geschlechterfrage für einmal ein Vorteil. Ich musste mich nicht rechtfertigen. Es ist eher so, dass die Leute finden, dass ich als Mutter viel arbeite. Mein Mann wird hingegen dafür bewundert, dass er einen Papitag einlegt.
Hatten Sie Bedenken, ob Sie das alles schaffen?
Ja, natürlich. Ich bin immer wieder am Anschlag. Aber ich kann nicht anders. Ganz aufzuhören, kam für mich nie infrage.
Wie hat sich die Kommunikation innerhalb des Betriebs verändert?
Ich muss mich mehr informieren, weil ich nicht mehr alles mitbekomme. Aber das hat auch Vorteile, weil ich gar nicht alles wissen kann. Die Kommunikation ist vielleicht etwas schwieriger, weil ich nicht immer da bin. Aber es funktioniert.
Welche Arbeiten und Kompetenzen delegieren Sie an Ihre Angestellten?
Die ganze Projektleitung und Technik sind von mir losgelöst. Und alles, was in der Werkstatt passiert, wird vom Werkstattleiter gemanagt. Ich bin für die strategische Leitung, den Verkauf, das Marketing und teils für das Personal verantwortlich.
Würden Sie anderen Führungspersonen, auch Männern, ein Teilzeitpensum empfehlen?
Warum nicht? Ich finde, man gewinnt viel. Man wird ein Stück weit effizienter und man erhält mehr Familienzeit. Man muss sich so nie vorwerfen, etwas verpasst zu haben. Und die Familienkonstellation ist ausgeglichener, wenn beide arbeiten.
Was ist nötig, damit ein Teilzeitpensum als Führungsperson funktioniert?
Supermitarbeitende. Man muss delegieren können und Vertrauen haben. Für einen Kontrollfreak wird es schwierig.
Schreiben Sie in Stelleninseraten ein Teilzeitpensum aus?
Ja. Insbesondere bei Stellen, die schwierig zu besetzen sind wie zum Beispiel in der Projektleitung oder der Arbeitsvorbereitung, bieten wir bewusst ein Pensum zwischen 70 und 100 Prozent an. Wir erhoffen uns davon, dass beispielsweise ein junger Vater, der eine modernere Arbeitsform leben möchte, sich bewirbt.
Melden sich mehr Frauen?
Nein, bisher war das nicht der Fall.
Hat sich im Betrieb viel verändert, da die Hälfte der Leute in Teilzeit arbeitet?
Man muss sicher mehr miteinander absprechen und in der Planung berücksichtigen, wer wann da ist. Doch es funktioniert wirklich gut. Auch in der Projektleitung, wo wir zwei Personen in Teilzeit haben. Das hätten wohl die wenigsten gedacht.
Ist die Teambildung schwieriger, wenn nicht immer alle anwesend sind?
Nein, das finde ich nicht. Es ist allerdings anspruchsvoller, einen Termin zu finden, an dem alle anwesend sein können. Beispielsweise für eine Mitarbeiterinfo oder einen Apéro. Oft ist es dann so, dass auch die kommen, die frei haben. Sie nehmen ihre Kinder einfach mit. Das geht gut. Die Corona-Pandemie macht es uns derzeit viel schwieriger, das Team zu stärken, als es die Teilzeitpensen tun.
Ist der Aufwand in der Administration gestiegen?
Ja, er ist zu Beginn sicher höher, da man mehr Mitarbeitende hat. Doch ist alles organisiert, dann ist es ein Selbstläufer.
Sollten Unternehmen vermehrt Teilzeitpensen anbieten?
Unbedingt. Ein Betrieb, der gute Leute will, ist er viel attraktiver auf dem Arbeitsmarkt, wenn er auch Teilzeit ermöglicht. Ich hoffe, dass die Branche diesbezüglich den Wandel sieht und diesen mitmacht.
Bieten Sie Gleitzeit an?
Wir haben mehrmals darüber gesprochen. Doch einige Angestellte sind froh um gewisse Strukturen. Zum Beispiel wenn noch Absprachen nötig sind, ist es für denjenigen, der zuerst da ist und auf den anderen warten muss, mühsam, etwa für Monteure. Tendenziell ist aber angedacht, dass wir bei den Arbeitszeiten offener und sicher nicht restriktiver werden wollen.

www.huesser-innenausbau.ch

Nicole D'Orazio

ZUR PERSON

Barbara Hüsser (37) hat nach der Kantonsschule an der Pädagogischen Hochschule Sekundarlehrerin studiert. Als es darum ging, wie es mit dem Schreinereibetrieb der Eltern weitergehen soll, entschied sie sich mit Mitte 20, noch eine Schreinerlehre zu absolvieren. Nach einer Wirtschaftsschule übernahm Hüsser immer mehr Verantwortung im Betrieb und hat seit sieben Jahren die Leitung der Hüsser Innenausbau AG inne. Der Betrieb beschäftigt 24 Mitarbeitende, davon fünf Lernende. Hüsser ist verheiratet und hat drei Kinder.

Nicole D'Orazio

Serie Lohn- und Arbeitszeitmodelle

Die Arbeitswelt verändert sich, neue Berufe werden geschaffen, intelligente Programme und Roboter werden ein- gesetzt, und die Digitalisierung erlaubt ein hohes Tempo. Nur eines blieb unverändert: die 42-Stunden-Woche. Hat das Modell Normalarbeitszeit aus- gedient? Wie sieht das Arbeitsmodell der (nahen) Zukunft aus? Welche Ansprüche stellt die neue Generation an die Arbeitswelt? Ist das 80-Prozent-Pensum die neue Vollzeit? Die lose Serie «Neue Lohn- und Arbeitszeitmodelle» geht diesen Fragen nach.

Nicole D'Orazio

www.schreinerzeitung.ch

 

Veröffentlichung: 29. April 2021 / Ausgabe 18/2021

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