Massfertigung zwischen den Grachten

Auch das Fernsehen ist zu Besuch: Aufnahmen in der Produktionsstätte TDN. Bild: Christian Härtel

Schreiner in Amsterdam.  In der niederländischen Metropole stehen Schreiner vor grossen Aufgaben. Die Stadt arbeitet an der energetischen Sanierung ihrer schiefen Häuser. Ein Augenschein der Betriebe zwischen den Grachten zeigt, wie unterschiedlich sie die Bauaufgaben anpacken.

Im Betrieb von Linda und Atse Blei im Norden Amsterdams (NL) ist gerade ein Fernsehteam zu Gast. Die Filmsequenzen und Interviews sind für die Sendung «How it’s done» bestimmt. Darin wird gezeigt, wie Produkte entstehen. Und dazu können beide fachkundig Auskunft geben, führen sie doch gemeinsam das Unternehmen TDN, das sich dem «Möbelbau 2.0» verschrieben hat, wie die Bleis ihre Strategie bezeichnen. Schreiner sind sie beide nicht, und vielleicht gerade deshalb können sie den Fernsehzuschauern gut erklären, wie heute im Möbel- und Innenausbau produziert wird.

Fokussiert auf Partnerschaft

«Früher haben wir viele Wasserbetten gefertigt, was eine Zeit lang sehr gefragt war», erklärt Linda Blei. Nach der Übernahme des elterlichen Betriebes hat sie diesen gemeinsam mit ihrem Mann hin zu einer modernen Fertigung entwickelt. Damit einher ging auch eine Spezialisierung, die Atse Blei massgeblich vorangetrieben hat. Der IT-Experte hat die Konzentration auf drei CNC-gesteuerte Maschinen vorangetrieben, die von insgesamt vier Mitarbeitern bedient werden. Neben dem Plattenzuschnitt und dem Bearbeitungszentrum gehört eine erst kürzlich angeschaffte Kantenanleimmaschine dazu. Und das ist es neben dem Büro dann auch schon.

Produziert werden im Auftrag Teile für den Möbel- und Innenausbau. Zuschnitt, Bearbeitung und Kantenbelegung – danach holt der Schreiner seine Teile wieder ab. «Nicht selten geht es dann direkt zur Baustelle oder zum Kunden, wo der Schreiner die Teile auf- oder verbaut», so Linda Blei.

Neben den eingespielten Kooperationen zwischen den Handwerkern gibt es auch andere Betriebe, die das Dienstleistungsangebot von TDN in Anspruch nehmen. «Wir arbeiten aber nur im B2B-Bereich, machen unseren Kunden also keine Konkurrenz», so Atse Blei. Aus den anfänglich 20 Kunden sind mittlerweile über 300 geworden. Zu tun gibt es also genug. Auch eine Erweiterung von Produktion und Personal wäre möglich. Aber das wollen die beiden nicht. Für die Unternehmer ist die derzeitige Grösse optimal, weil sie die Abläufe überblicken und die immer wieder nötigen Investionen im Verhältnis zum Risiko gut bewältigen können.

Ziemlich viel Arbeit

Volle Auftragsbücher haben auch die TDN-Kunden und Schreinerkollegen, die sich in unmittelbarer Nachbarschaft im Gewerbegebiet des Amsterdamer Hafens befinden. Sie sind schwer zu finden, weil weder besonders im Internet präsent noch analog auffallend, ziert auch die Stätten der Produktion meist nur ein kleines Schild mit Name und Telefonnummer.

Wenn nicht gerade eine Maschine ihren arttypischen Lärm verbreitet, geht man glatt vorüber. Auch bei Schreiner Janssen im gleichen Gebäudekomplex ist das so. Natürlich ist Janssen Kunde von TDN und hat viel Arbeit zu erledigen. Im Internet findet man den Innenausbauer nicht.

Tropenholz hat Tradition

Ebenfalls eher versteckt, arbeitet an der nächsten Strassenecke die Schreinerei PT Bouw & Meuble. Die Werkstatt zeigt sich eher typisch. Neben zahlreichen Standardmaschinen findet sich der Bankraum, der Oberflächenbereich und ein Materiallager. Die Firma ist überwiegend mit Bauschreinerarbeiten beschäftigt. Türen, Treppen und Fenster bilden den Schwerpunkt. Die Auskunft der Kollegen lautet unisono: «Wir haben sehr viel zu tun.» Auffallend ist das Massivholzlager. Dort finden sich vor allem Hölzer tropischer Herkunft. Auch die gerade entstehenden Türen sind aus Sipo gefertigt. Dies hat Tradition in den Niederlanden.Im internationalen Vergleich weist das Land stets einen der höchsten Pro-Kopf-Verbrauchswerte an Tropenholz in Europa auf.

Der Bausektor boomt seit Jahren in Amsterdam. Wohnraum in der Stadt ist knapp und teuer. Die Regierung treibt die Energiewende voran, weshalb der energetischen Sanierung der vielen historischen Stadtgebäude eine besondere Rolle zukommt. In der Altstadt finden sich viele Baustellen, an denen entkernt, Tragstrukturen ertüchtigt und Innenräume neu gestaltet werden.

15 Zentimeter Niveaudifferenz

In der ganzen Stadt stehen die Gebäude zwischen den Grachten auf Holzpfählen, die in den feucht-sandigen Boden getrieben wurden. Durch Senkungen und das langsame Vermodern der Pfähle sind viele der Gebäude etwas schräg und verschoben. Eine Herausforderung für alle Handwerker, besonders auch für Schreiner, die mit solcher Bausubstanz zurecht kommen müssen. «In den schmalen Stadthäusern sind Niveaudifferenzen zwischen zwei Aussenwänden von 15 Zentimetern keine Seltenheit», bemerkt Atse Blei mit einem Lachen. Mit niederländisch-heiterem Pragmatismus werden so die Beine eines Tisches schon Mal entsprechend zugerichtet, sprich abgelängt, damit ein wohnliches Auskommen möglich ist.

Schreiner Roderik Koekkoek arbeitet oft in der Altstadt und ist deshalb mit diesen Gegebenheiten vertraut. «Ich verwende bei der Massaufnahme Lasergeräte, die mir helfen, die Waagrechte und den rechten Winkel zu finden. Gute Kenntnisse in Mathematik und Geometrie sind dabei ebenso hilfreich», sagt Koekkoek. Wie er benutzen viele Kollegen ebenso die Möglichkeiten der digitalen Massaufnahme vor Ort. Dienstleister TDN kommt das entgegen. Der digitalen Fertigung ist es einerlei, ob es viele Teile mit unterschiedlichen Massen gibt. «Dennoch arbeiten auch viele Schreiner auf konventionellem Wege. Massaufnahme, Entwurf und Zeichnung kommen dann zu uns, und wir digitalisieren die weiteren Prozesse», erzählt Blei.

Jeder macht, was er am besten kann

Generalisten wie Koekkoek gibt es viele. Und wie so mancher seiner Kollegen arbeitet er allein und hat einige Schreinerakteure als unmittelbare Nachbarn. «Jeder hat so seine Stärken und Spezialitäten, in denen er bevorzugt agiert. Es kommt aber immer wieder vor, dass ich im Laufe der Erfüllung eines Auftrages darum gebeten werde, alle möglichen anderen kleinen Probleme zu beheben», erklärt Koekkoek. Das sieht er durchaus als Gebot der Stunde an. Denn es sei so viel los in Amsterdam, dass Schreiner ihre Fähigkeiten und Aufgaben erweitern müssten. «Alle Handwerker sind sehr beschäftigt. Das betrifft nicht nur die Schreiner», sagt Roderik Koekkoek.

Der Eindruck trügt wohl nicht: In den Niederlanden sind viele offen für vertikale Kooperationen. «Das Netzwerken ist äusserst wichtig. Im Durchschnitt sind die Betriebe sehr klein und spannen öfter zusammen. Diesen Ansatz haben wir professionalisiert, indem wir die Teilefertigung übernehmen, sodass auch der Ein-Mann-Betrieb grössere Einheiten stemmen kann», sagt Atse Blei. So gewinnt der Kleinbetrieb eine Termin-, Qualitäts- und Preisgarantie. Dabei ist es für TDN egal, welche Beschläge die Kunden verwenden. Eine umfängliche Bibliothek aller Beschlaghersteller ist im Programm hinterlegt, auf die Blei zurückgreifen kann. «Wenn ein Schreiner einen neuen Weg geht, können wir ihm damit viel Arbeit abnehmen, denn er muss erst mal gar nichts ändern. Die Bohrungen für die Beschläge passen, ohne dass er mit neuen Beschlägen einen Aufwand hat», erklärt Atse Blei.

Datendurchgängigkeit als Knackpunkt

Die grösste Herausforderung sei es, all die verfügbaren Daten in die Werkstatt zu bringen. Nicht immer passe die Software zu den Maschinen, weshalb seine IT-Kompetenz stets gefragt sei. «Wir wählen unsere Maschinen vor allem auch danach aus, wie offen diese für Daten sind. Die Maschinenproduzenten sagen zwar stets, dass die Datendurchgängigkeit kein Problem sei, in der Praxis stellt sich das jedoch oft anders dar», so Atse Blei.

Das Wichtigste sei, dass die Probleme im Büro gelöst würden, bevor die Aufträge in die Werkstatt gehen. Der digitale Prozess vermeidet, dass ein Auftrag in der Werkstatt zu Kopfzerbrechen über die Detaillösung führt. Damit definiert Blei die Knackpunkte der digitalen Schreinerei ziemlich genau. «Vor 20 Jahren kannte ich den Unterschied zwischen einer MDF- und einer Spanplatte nicht wirklich. Heute erkläre ich den Schreinern durchaus, wie sie etwas machen sollten», sagt er.

www.tdn.nuwww.jansseninterieurbouw.nlwww.koekkoekschrijnwerken.nl

ch

Veröffentlichung: 12. März 2020 / Ausgabe 11/2020

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