Offene Türen sind selten

Die Stücke der Röthlis-berger Kollektion fahren regelmässig Designpreise ein. Das hilft, eine bessere Position im Handel zu erreichen. Bild: Röthlisberger Kollektion

Von der Kollektion zum Händlernetz.  Wer seine Möbelkollektion auf den Weg gebracht hat, für den stellt sich die Frage nach dem richtigen Vertriebskonzept. Der Handel spielt eine gewichtige Rolle darin, doch zeichnen die Zeichen der Zeit auch andere Möglichkeiten auf.

Es war so etwas wie der Urknall. Dabei ging die Erfolgsgeschichte aus einer kritischen Situation hervor. Als der Schreinerei Röthlisberger in Gümligen in den 70er-Jahren der Zulieferervertrag mit der Marke Knoll aufgekündigt wurde, musste ein anderes Betätigungsfeld her. «Dank guter, auch persönlicher Beziehungen meines Grossvaters zu einigen Handelsunternehmen wie Teo Jakob wurde die Idee einer eigenen Kollektion geboren», sagt Jan Röthlisberger, zuständig für Verkauf und Marketing bei der Röthlisberger Kollektion AG. Und es musste schnell gehen. Damit war der Weg zur Zusammenarbeit mit externen Designern im damals insgesamt überschaubaren Netzwerk naheliegend. «Wir hatten Glück, mit einigen der etabliertesten Designern der Branche dieser Zeit zusammenzuarbeiten», sagt Röthlisberger. Der Fachhandel hatte zu der Zeit nicht x Kollektionen, sondern eine überschaubare Anzahl. Heute, mehr als 35 Jahre später, ist man im Unternehmen mit der Kollektion Rö in einer komfortablen Situation. Man kann sich die Designer und auch die Händler gewissermassen aussuchen. Einfache Anfragen von Händlern ohne persönlichen Kontakt lehnt man ab, und Entwürfe von Designern kommen durchaus als Bewerbung daher.

Situation heute – völlig anders

Auch andere Schreiner, die ihre Kollektionen über den Handel vertreiben, blicken auf langjährige Beziehungen zurück. Etwa die Schreinerei Spicher in Brugg. Seit nunmehr 18 Jahren arbeitet man am Verkaufsnetzwerk, ohne dabei die direkten Kundenkontakte für den individuellen Innenausbau sowie die Teile des Möbelprogramms zu vernachlässigen. Man ist gewachsen, gemeinsam mit dem Handel, und hat sich entwickelt. Wer heute anfängt, sein Möbelprogramm über den Fachhandel zu vertreiben, sieht sich einer völlig anderen Situation gegenüber. «Der Handel hat heute viele Kollektionen im Programm, um dem veränderten Kundenverhalten gerecht zu werden. Das können schon Mal gut und gerne 250 verschiedene Kollektionen sein, und alle wollen möglichst prominent im Ladengeschäft mit durchschnittlich vielleicht 500 m2 ihren Platz finden», sagt Röthlisberger. Klar ist es dann schwierig, wenn man als Neuer in ein vollgepacktes System hinein möchte.

Die Schreinerei Nut + Grat in Visp hatte vor einigen Jahren auch die Idee eines erweiterten Vertriebs über den Handel verfolgt. «Unser Eindruck war jedoch, dass der Handel heute ein schwieriges Umfeld darstellt. Zunächst muss man die Hürden nehmen, den Handel für die eigene Kollektion zu begeistern, und dann ein Konzept finden, wie man mit den Margen umgeht», sagt Beat Schnidrig, kreativer Kopf von Nut + Grat. Nach intensiver Diskussion über die Knackpunkte kam das Unternehmen zum Schluss, die Idee mit einem Handelsnetz nicht weiter zu verfolgen. «Insgesamt war das nicht zufriedenstellend für uns, denn die hohen Margen kann man nur mit Menge kompensieren», so Schnidrig.

Persönliche Kontakte – mehr Erfolg

Wie so oft scheinen die persönlichen Beziehungen ein wichtiger Punkt zu sein. «Man braucht einen Händler, der das Potenzial sieht und einen unterstützt. Diesen einen muss man finden, eine gute Beziehung aufbauen und pflegen, dann kommt irgendwann auch der zweite und dritte Partner hinzu», gibt Röthlisberger zu bedenken. Als 1977 die erste Edition der Rö-Kollektion auf den Markt kam, hatte man solche Partner. Das war ein solider Grundstein, auf dem sich aufbauen liess.

Die Kollektion der Schreinerei wird ausschliesslich über den Handel verkauft. Inzwischen sind es viele Partner, jeweils rund 40 Verkaufsstellen in den beiden wichtigsten Absatzländern Schweiz und Deutschland. Die Händler finden sich aber auch in vielen anderen Ländern von Spanien bis Australien, und auch der asiatische Markt kam – eher zufällig – ins Visier. «Die Schwierigkeit hierbei ist, dass man dieses Netzwerk auch pflegen muss. Denn wenn man die verschiedenen Märkte nicht aktiv bearbeitet, dann verkauft man zwar mal etwas, aber eigentlich braucht es mindestens ein bis zwei Besuche pro Jahr vor Ort, um die Beziehungen zu pflegen», sagt Röthlisberger. Die Herausforderung an die personellen Ressourcen seien beträchtlich, gibt der Marketingexperte zu bedenken. Der Einsatz sei aber nötig, denn «wenn ich aus dem Geschäft hinausgehe, kommt der nächste schon herein mit seiner Kollektion».

Klein anfangen – nicht übernehmen

Zwar gibt es Kollektionen, die fast aus dem Stand auf ein internationales Parkett kommen, dann aber mit sehr viel Kapital dahinter. Kollektionsschreinern empfiehlt der Marketingprofi deshalb, klein anzufangen. «Es gibt viele gute, kleinere Kollektionen, die vielleicht einen ebenso guten Kontakt haben. Dann kann man die Chance nutzen und neben dem aktiven Marketing mit Messeauftritten die eigene Kollektion so voranbringen», sagt Röthlisberger. Wer anders ist, eigenständig und orginelle Modelle hat, dessen Chancen sind natürlich grösser als bei vergleichbaren Produkten.

Der Handel – Fluch und Segen

Wer an den «Point Of Sale» möchte, der sieht sich zunächst mit der Handelsmarge konfrontiert. 30 bis 50 % sind üblich, je nach Marktmacht des Anbieters und je nach Grad der Überzeugung seitens des Händlers für ein Produkt und eine Kollektion. «Butterbrot» nennt Markus Spicher seinen Anteil am gesamten Kuchen deshalb etwas milde lächelnd und fügt zugleich hinzu: «Die positiven Werbeeffekte daraus für das gesamte Unternehmen sind aber vielfältig.» So kommt es durchaus vor, dass Ladenkundschaft später direkt mit einem Auftrag für eine neue Küche auf die Schreinerei zukommt. Ausserdem kennt Spicher die Bedeutung des Aktionsgrades eines Händlers nur zu gut. «Letztes Jahr hat ein kleines Ladengeschäft in Basel über 40 unserer Rohstahlboxen verkauft, und das bei einem Preis von über 2000 Franken, während andere Händlerkontakte im Laufe der Zeit schier einschlafen.»

Bei einer Händlermarge von 40 % sei der Vertrieb über den Handel zwar nicht das ganz grosse Geschäft, von dem die Schreinerei leben könne, sagt Spicher, «aber er ist eine gute Ergänzung für das gesamte Gefüge». Ausserdem bereite es grosse Freude, die eigene Kollektion in den Geschäften zu sehen. Ein nicht zu unterschätzender Faktor ist der Spass an der eigenen Präsenz, denn dieser hilft, den langen Atem zu bewahren, auch wenn das grosse Geschäft von anderen gemacht wird. «Aber klar, man muss spitz kalkulieren», sagt Spicher, auch wenn 30 000 verkaufte Stühle der Kollektion eine unglaubliche Kraft hätten. Eine Zahl, die ohne das bestehende Händlernetz sicher nicht zu erreichen gewesen wäre.

Die Marke – allgegenwärtig überschätzt

Ambivalent ist nicht nur das Verhältnis des Produzenten zum Handel. Auch das Verhältnis zu den kreativen Köpfen, die hinter und manchmal auch vor einer Kollektion stehen, hat Einfluss auf die Akzeptanz beim Handel. Einerseits hilft eine starke Marke mit möglichst grossen Namen, anderseits wird die Bedeutung der Marke allgemein überschätzt. «Die Wohnzeitschriften spiegeln nicht unbedingt die Realität wider», sagt Röthlisberger. Während jeder auf der Strasse die wichtigen Automarken kennt, sehe es bei den Möbeln doch ganz anders aus. Man kaufe eher den Tisch, der einem gefällt, als einen Tisch einer bestimmten Marke. Gut sei es natürlich dann, wenn grosse Namen mit gutem Design einhergehen, aber Marken allein würden nicht weiterhelfen im Möbelbereich.

Insofern besteht noch viel Potenzial für Schreiner mit eigener Kollektion. Es gilt, die eigene Marke zu leben, anstatt sich in die Marktmacht der Marken zu fügen. Der Handel kann dabei eine Lösung sein, auch wenn man klein anfangen muss.

Entweder Handelsnetz oder direkter Verkauf, das existiert für Markus Spicher nicht. Die Schreinerei verkauft einen Teil der Kollektion schwerpunktmässig über den Handel und auch mittels Kollegen. Andere Arbeiten, die eigentlich auch Teil der Kollektion sind, vertreibt Spicher nur direkt. Dazu gehören Tische oder Betten. Stücke, bei denen die individuelle Anpassung und auch der Verkaufspreis unter Einbeziehung der Marge des Handels für das Unternehmen wirtschaftlich und auch praktisch nicht funktionieren würde, denn über die Vielfalt von zahlreichen Materialien freue sich ein Handelsunternehmen nicht unbedingt, sagt Spicher. «Da ist der direkte Weg zu uns eindeutig der bessere. Wir kommunizieren das offen und kommen dem Handel nur selten in die Quere. Falls doch, hat dieser Vorrang.» Das Modell funktioniere so gut für beide Seiten.

Neue Kanäle – neue Möglichkeiten

Bei Nut + Grat konzentriert man sich wieder auf den direkten Weg des Vertriebs. «Wir verkaufen weiterhin direkt und bespielen unseren Showroom im Wallis», sagt Schnidrig. Das Internet könnte hier künftig ein Treiber für Veränderung sein, denn nicht wenige Kunden sind gut informiert. Sie wissen oft vorab, was sie wollen, und kommen mit konkreten Vorstellungen zum Anbieter – sei es vom Preis oder von der Gestalt des Möbels.

Der Vertrieb von Möbeln über das Internet steht unter ständiger Beobachtung. Bislang sind es vor allem die günstigeren Möbel, die so verkauft werden. Aber die Entwicklung ist voll im Gange. Immer mehr Internetportale entstehen, die auch höherpreisige Produkte anbieten. Wenn man sich die aktuelle Entwicklung in der Konsumgüterbranche ansieht, bleibt der Eindruck, dass sich ein Sowohl-als-auch breitmacht. Bei der Automarke angefangen über die Sportmarke bis hin zum mittelständischen Traditionsunternehmen verfolgen viele eine Art Doppelstrategie, wenn nicht eine Multistrategie. Man verkauft, wo verkauft werden kann: über den eigenen Webshop, mit Partnern in Kooperationen, über Handelsunternehmen und in eigenen Stores. An den klassischen Modellen rüttelt das massiv, und das ist durchaus angebracht.

«Eigene Wege zu finden über direkte Projekte, etwa bei Hotelinvestitionen oder über Kooperationen mit gemeinsamen Ladengeschäften, scheint ein gangbarer Weg zu sein», sagt Schnidrig. Diese durchaus markanten Veränderungen in der Branche gehen einher mit dem Umstand, dass viele Möbelproduzenten heute eher «Möbel-Verleger» sind denn Manufakturen. Sie produzieren nicht mehr selbst, sondern promoten nur noch ihre Design-Kollektionen.

Emotionaler Wert – globaler Handel

Das schafft Platz für solche, die auf Werte setzen. Einige Hersteller schaffen es, dem Kunden den Eindruck zu vermitteln, er sei dabei, wenn das Möbel hergestellt wird – ein Umstand, den Schreiner erfüllen könnten. Der emotionale Mehrwert beim Kauf eines Stückes steht im krassen Gegensatz zu einem globalisierten Handelsgefüge, bei dem es um Kostenreduktion und Gewinnmaximierung der führenden Unternehmen in den Medien geht. «Das Thema Internet und seine Auswirkungen ist etwas, was wir genau beobachten. Für uns natürlich ganz entscheidend ist die Frage, ob das Ganze auch im Designbereich funktionieren wird. Derzeit brauchen wir den Fachhandel, denn dieser muss beraten und erklären, zum Beispiel, warum ein Stuhl ein Vielfaches von dem anderen kostet, der einfach über das Internet zu bestellen ist», so Röthlisberger. Trotzdem: Das Internet kommt, doch wie genau das aussehen wird, ist noch völlig offen. Bislang sieht der Verkaufsprofi kein Modell, das nachhaltig den Vertrieb von hochpreisigen Möbeln in ein stimmiges Konzept gegossen hätte.

www.roethlisberger.chwww.spicher.chwww.nutundgrat.ch

Die Rolle des handels

Gesucht: die Erfahrungen der Leser

Direktes Marketing oder ein Agieren im Vertriebsnetz mit Händlern – haben Leserinnen und Leser die Wege ausprobiert? Was leistet der Handel, und ist er sein Geld wert? Welche Erfahrungen haben die Leser gemacht? Ist der klassische Handel ein Auslaufmodell? Und wenn ja, wo sehen die Leser die Kanäle im Verkauf heute und morgen?

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Veröffentlichung: 06. November 2014 / Ausgabe 45/2014

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