Reduktion mit Geschmack

Das Raute-Muster zieht sich durch das ganze Haus und bildet so einen roten Faden. Bild: David Aebi

Gestaltungskonzept.  Wird der Schreiner mit einem Umbau betraut, kann er nicht nur die Planung dessen übernehmen, sondern auch in den Gestaltungsfragen dem Kunden unter die Arme greifen. Weniger ist mehr in der Gestaltung, das zeigen verschiedene Beispiele.

Der Kunde ist König. Doch manchmal ist es ratsam, den König vor sich selbst zu schützen. Gerade dann, wenn er sich verzettelt und in einem Meer voller Ideen zu ertrinken droht. Ein Glück, wenn in dem Moment ein Schreiner zur Stelle ist und die rettende Hand bietet.

Mit geschultem Auge

Geht es um die Gestaltung und Planung eines Umbaus, kann der Schreiner den Kunden als Gesamtprojektleiter begleiten. Nicht nur in organisatorischen und planerischen Fragen, sondern auch mit einem durchgehenden Gestaltungskonzept. Denn oft ist es so, dass der Auftraggeber mit vielen Ideen und Vorstellungen um sich wirft, dabei aber die klare Linie aus den Augen verliert. Hier kann der Schreiner helfen. Er kennt sich nicht nur bestens mit den verschiedensten Materialien und Produkten aus, sein Auge ist auch in Form- und Farbgebung geschult.

Eine kernige Idee herausschälen

Doch wie geht man dabei am besten vor? Schliesslich geht es nicht darum, seinen eigenen persönlichen Stil zu finden, sondern jenen des Kunden zu interpretieren.

Das Haus der Farbe bietet Weiterbildungen zu diesem Thema an. Agatha Zobrist, Bereichsleiterin Bildung an dieser Fachschule für Gestaltung in Handwerk und Architektur, rät, sich für diesen Prozess genügend Zeit zu lassen. Man sollte sich auf den Raum, der umzubauen ist, einlassen und auch auf die Gebäudesituation eingehen. Dabei spielen die Geschichte des Gebäudes und dessen Architektur ebenso eine Rolle wie die Wünsche des Kunden.

Die Raumanalyse dreht sich um die Frage, welche Elemente die Atmosphäre eines Raumes ausmachen. Dabei lohnt es sich, die Auftraggeber sorgfältig nach ihren Vorstellungen zu befragen: Was ist erhaltenswert und wird vom Kunden geschätzt, was stört schon seit Langem? Mit diesen Anhaltspunkten kann man sich dann an das Gestaltungskonzept machen. Ziel ist es, einen roten Faden zu finden und diesen weiterzuspinnen. «Die Schwierigkeit bei einem Gestaltungskonzept liegt oft nicht nur darin, eine kernige Idee zu entwickeln, sondern vor allem auch darin, dieser treu zu bleiben», sagt die ausgebildete Werklehrerin weiter. Hat man dann den Faden fest in der Hand, dient er als Wegleitung. Man kann ihn herbeiziehen, um anstehende Entscheidungen leichter fällen oder um Arbeitsabläufe anderen Beteiligten besser erklären zu können. Diese Arbeit braucht Zeit und soll unter keinen Umständen gratis ausgeführt werden. Sauber auf Offerte und Rechnung ausgewiesen, ist für den Kunden klar ersichtlich, dass es sich dabei um einen Beratungs- oder Planungsaufwand handelt, der abgegolten werden muss.

Die Schreiner denken um die Ecke

«Mit dem gezielten Einsatz von Materialien, Oberflächen und Farben lässt sich eine Raumsituation auch bei unveränderter Einteilung neu erleben», erklärt Zobrist. Im Haus der Farbe werden Berufsleute zur Gestalterin oder zum Gestalter im Handwerk und darauf aufbauend zur Gestaltungsexpertin oder zum Gestaltungsexperten im Handwerk ausgebildet. Letztere sind nach Abschluss der Höheren Fachprüfung in der Lage, selbstständig gestalterisch anspruchsvolle Aufträge zu planen und umzusetzen. Jedes Jahr sind auch Schreinerinnen und Schreiner unter den Absolventen. Zobrist weiss aus Erfahrung: «Schreinerinnen und Schreiner sind clever. Sie können oft im wahrsten Sinne des Wortes um die Ecke denken und so Gestaltungsansätze präsentieren, die nicht alltäglich sind.»

Vom Dachboden bis zum Keller

Ein schönes Anschauungsbeispiel in Bern verdeutlicht, wie mit wenigen und simplen Gestaltungselementen der rote Faden vom Dachboden bis zum Keller durchgezogen werden kann. Die 2016 umgebaute Kindertagesstätte Lorraine überzeugt nicht nur mit ihrem Innenausbau – die beauftragten Architekten liessen es sich nicht nehmen und entwarfen kurzerhand eine zu den Häusern passende Möbelserie.

2012 gewann die Architektengemeinschaft, bestehend aus den Freiluft Architekten und Feissli Gerber Liebendörfer Architekten, den von der Stadt Bern ausgeschriebenen Projektwettbewerb zur Neugestaltung der Tagesschule Lorraine. Obwohl es laut Programm erlaubt gewesen wäre, die als «erhaltenswert» eingestuften Häuser abzureissen, entschieden sich die Architekten, diese schwer in die Jahre gekommenen Häuser zu erhalten. «Die bestehenden kleinteiligen Raumstrukturen passten sehr gut zu den Bedürfnissen der Tagesschule, die drei Altersgruppen betreut», erklärt Alexander Grünig von Freiluft Architekten. Zudem konnte die Quartier-Stimmung rund um den kleinen Platz erhalten bleiben.

Ein Fundstück gibt den Ton an

Während der Rückbauarbeiten kamen in den ehemaligen Handwerkshäusern unter vielen Schichten alte Täfer, Verzierungen und Farben zum Vorschein, die die Geschichte der Häuser widerspiegelten. Diese beherbergten einst eine Zimmerei und später auch eine Schmiede. «Es war für uns naheliegend, diese Funde in das Gestaltungskonzept mit einzubeziehen», erklärt Grünig ihr Vorgehen. Auf dem Estrich kam zudem ein altes, verziertes Traufbrett ans Tageslicht. Diese Zierleiste war früher an der Dachkante des Hauses befestigt. Darauf konnte man noch ein Rautenmuster erahnen. Auch der freigelegte Berner Parkett wies ein Quadratmotiv auf.

Dieses quadratische Rauten-Thema haben die Architekten aufgenommen und es in den Innenräumen wiederholt. Die auf den Spitz gestellten Quadrate sind in der Lochung des Akustikdeckentäfers, auf der Brüstung zur Treppe oder auch auf den Glasscheiben der Innentüren wiederzufinden. «Wir haben auch die quadratischen Kacheln in der Küche und im Bad gedreht und sie auf den Spitz gestellt», sagt Grünig weiter. Das sei eine verhältnismässig günstige Lösung mit einer starken Wirkung.

Schöne Möbel für schöne Räume

Auch auf der Möbelkollektion Lorraine kommt das sparsam eingesetzte Rautenmuster mal funktional und mal verspielt zum Zug. Die Idee für das Mobiliar sei entstanden, weil sich keine passenden Kindermöbel finden liessen, erzählt Grünig. Alle Kinderstühle seien ihnen zu klobig gewesen. «Wir wollten für diese schönen Räume auch ansprechende Möbel. Darum entwarfen wir schlussendlich selbst einen Stuhl.» So sei dann eines zum anderen gekommen. Bis jetzt umfasst die Serie Stühle und Tische für Kinder und Erwachsene, ein Regal und einen Schrank.

Alle Möbel sind gleich aufgebaut: ein Tragrahmen aus Eiche und helle Füllungen aus Esche. Kleine, rautenförmige Öffnungen ersetzen die Griffe oder dienen der Lüftung. Dass das Konzept dieser gelungenen Kollektion aufgegangen ist, zeigt auch der dritte Rang beim Prix Lignum 2018, Region Mitte.

Koordination aus einer Hand

Auch Stefan Liechti, Geschäftsführer der Werthmüller Schreinerei AG, bietet seinen Kunden Gestaltungskonzepte an. «Es ist toll, wenn mir die Kunden so viel Vertrauen entgegenbringen und sie sich auf meine Vorschläge einlassen», sagt Liechti. Das sei seine grosse Leidenschaft. Es sei besonders anspruchsvoll und spannend, Lösungen zu finden, die eine grosse Wirkung erzielen und wenig kosten. Dabei habe er die Erfahrung gemacht, dass ein gutes Konzept häufig weitere Aufträge nach sich ziehe: «Oft steht als Erstes ein Küchenumbau an. Gelingt es mir dabei, die Wünsche des Kunden einzufangen, kann ich dieses Gestaltungskonzept später in weitere Räume ziehen», sagt Liechti. Bei solchen Aufträgen bietet es sich an, nicht nur das Gestaltungskonzept zu übernehmen, sondern die ganze Koordination und Bauleitung.

Liechti erinnert sich an den Umbau eines Reisebüros, bei dem er die Gesamtverantwortung übernommen hatte: «Da das Büro mit fünf Arbeits- und Beratungsplätzen immer erreichbar sein musste, haben wir uns für einen Umbau bei laufendem Betrieb entschieden.» Dies verlangte einen straffen Zeitplan. Es sei sehr hilfreich gewesen, dass er direkt mit der Kundin kommunizieren konnte. So hätten sie kurze Entscheidungswege gehabt. Da er auch die Koordination aller anderen beteiligten Handwerker übernommen hatte, konnte er im Vorfeld alle Arbeiten mit ihnen besprechen. Dank diesem Umstand kam es zu keinen Missverständnissen und unnötigen Verzögerungen auf der Baustelle. Nur so hätten sie es geschafft, den Umbau in einem möglichst kleinen Zeitfenster zu schaffen.

Bis zum letzten Deko-Kissen

Auch beim Gestaltungskonzept liess die Kundin dem Schreiner aus Burgdorf BE freie Hand. Die grösste Herausforderung sei es gewesen, den Raum zu entrümpeln. Dieser war überstellt gewesen und optisch mit Bildern und Katalogen überladen. Für die Broschüren brauchte es viel Stauraum: «Alle Schränke haben wir mit raumhohen Schiebetüren verkleidet und brachten so die gewünschte Ruhe in den Raum.» Liechti platzierte im hinteren Bereich des Büros eine grosszügige Theke als Blickfang. Bei den Schaufenstern lädt ein gemütlicher Wartebereich zum Stöbern in den Katalogen ein. Einheitliche Arbeitsplätze runden das Bild ab. Liechti ging so weit, dass er zusammen mit der Kundin im Warenhaus Kissen und Vasen aussuchte, um dem Gesamtbild den letzten Schliff zu geben.

www.gestaltungimhandwerk.ch
www.freiluft.ch
www.werthmuellerag.ch

IDS

Veröffentlichung: 20. Dezember 2019 / Ausgabe 50/2019

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