Schallschutz für den ungestörten Schlaf

Hoffnung für die Bewohner von fluglärmbelasteten Gebieten: Geprüft wird der Einsatz von automatisierten Schallschutzfenstern. Bild: Fotolia, Bildmontage SZ

Fluglärm.  Davon träumen die Anwohner von Flughäfen: Ihre Schallschutzfenster öffnen sich in der Nacht automatisch, sobald die letzte Flugbewegung erfolgt ist. Der Traum könnte bald Wirk- lichkeit werden. Der Bund untersucht den Einsatz solcher Fenster – die Branche sieht Chancen.

Grosse Gebiete im Bereich von Flughäfen sind von Fluglärm über den zulässigen Grenzwerten betroffen. Dieser lässt sich in seiner Ausbreitung nicht aufhalten, denn Lärmschutzwände funktionieren hier nicht. Um für lärmgeplagte Anwohner in den Lande- und Startzonen eine Erleichterung zu schaffen, müssen geeignete Massnahmen an den Gebäuden getroffen werden. Hier steht das Fenster im Fokus der Aufmerksamkeit.

Ein Projekt des Bundesamtes für Umwelt (Bafu) untersucht derzeit, ob in fluglärmbelasteten Gebieten in der Nacht automatisierte Schallschutzfenster zum Einsatz kommen können. In diesem Zusammenhang hat das Bafu die Berner Fachhochschule (BFH) beauftragt, eine Übersicht über den Markt für derartige Fenstersysteme zu erstellen. Diese Untersuchung sollte den Schreiner und Fensterbauer interessieren, denn er könnte sich hier ein zusätzliches Geschäftsfeld erschliessen.

Der Zürcher Flughafen als Flugverkehrsdrehscheibe verzeichnet durchschnittlich rund 300 Starts und Landungen pro Tag. Dabei gibt es bebaute oder in Bebauungsplanung befindliche Siedlungsgebiete, in denen die zulässigen Grenzwerte des Fluglärms überschritten werden. Die Gebiete erstrecken sich im Westen bis Baden, im Osten bis Winterthur, im Norden bis zum Rhein und im Süden bis über das Stadtgebiet von Zürich, es sind also Zonen mit zahlreichen Bewohnern. Innerhalb dieses Gebietes liegen Parzellen, die von Fluglärm über dem Grenzwert betroffen sind. Von 24 Uhr bis 5 Uhr in der Früh herrscht Flugverbot, das von Zürich freiwillig auf den Zeitraum von 23.30 Uhr (inklusive Verspätungsabbau) bis 6 Uhr erweitert wurde.

Viele Menschen schlafen bei geöffnetem Fenster, und in der flugfreien Zeit ist dies auch problemlos möglich. Jedoch ist es nicht komfortabel, nachts aufstehen zu müssen, um das Fenster zu öffnen oder zu schliessen. Besser wäre es, wenn die Fenster in der Nacht, wenn kein Fluglärm mehr herrscht, automatisch öffneten und morgens vor Lärmbeginn auch automatisch wieder schlössen – und das möglichst geräuschlos. Die 2015 revidierte eidgenössische Lärmschutz-Verordnung (LSV) setzt auf automatisierte Schallschutzfenster.

Eine Marktübersicht zum Anfang

Im Rahmen eines Projekts wurde die Berner Fachhochschule vom Bafu beauftragt, eine Marktübersicht über aktuell verfügbare Schallschutzfenster und Antriebssysteme zu erstellen. Zuerst mussten die Anforderungen an die Fenster hinsichtlich der erforderlichen Luftschalldämmung gemäss den geltenden Vorschriften festgelegt werden sowie die wesentlichen Kriterien für die automatischen Antriebe.

Die Aufgabenstellung an die BFH lag dann in der Erstellung eines Marktüberblicks über verfügbare Schallschutzfenster und über automatische Antriebssysteme, welche die definierten Anforderungen erfüllen. Im folgenden Schritt musste aus den Produkten, die gefunden wurden (Fenster und Antriebe), eine repräsentative Auswahl getroffen und miteinander kombiniert werden. In diesem Zusammenhang erhielt die Eidgenössische Materialprüfungs- und Forschungsanstalt Empa in Dübendorf den Auftrag, die Luftschalldämmung der jetzt mit einem automatischen Antrieb ausgestatteten Fenster zu messen. Mit diesem Vorgehen sollte die Luftschalldämmung der Kombinationen von Fenstern und Antrieb mit den Ursprungswerten der Fenster verglichen werden. Zusätzlich war die Geräuschentwicklung der automatischen Öffnungssysteme in Kombination mit den Fenstern zu überprüfen.

Zur Festlegung der Anforderung an die Luftschalldämmung der Fenster wurde im Rahmen dieses Projekts eine Tabelle (siehe rechts) der eidgenössischen Lärmschutz-Verordnung herangezogen. Diese besagt, dass bei Fluglärm der Spektrum-Anpassungswert Ctr (siehe Kasten links) zu verwenden ist. Bei nächtlicher Lärmbelastung bis und mit 70 dB wird R’w + Ctr mit mindestens 32 dB festgelegt, bei nächtlicher Lärmbelastung über 70 dB mit mindestens 38 dB. Zusätzlich wird das bewertete Bau-Schalldämm-Mass (R’w) mit mindestens 35 dB und höchstens 41 dB festgelegt. Bei R’w handelt es sich um das bewertete Bau-Schalldämm-Mass, das normalerweise am eingebauten Fenster individuell für das jeweilige Bauwerk und die Einbausituation ermittelt wird.

Anforderungen an das Schalldämm-Mass

Ziel dieses Projektes ist es jedoch, geeignete Fenster über das im Labor ermittelte bewertete Schalldämm-Mass Rw auswählen zu können. Der Schritt vom bewerteten Bau-Schalldämm-Mass (R’w) zum im Labor ermittelten Schalldämm-Mass Rw ergibt sich aus der Norm SIA 181. Diese stellt folgenden Zusammenhang zwischen Rw und R’w her: Rw = R’w + KF. Der Faktor KF ist ein Korrekturwert zu akustischen Bauteilkennwerten aus Labormessungen mit unterdrückter Flankenübertragung zur Berücksichtigung von Schallübertragungen über flankierende Bauteile, wie zum Beispiel Decken und Wänden am Bau. Aufgrund vorliegender Erfahrungen und bekannter Vorgehensweisen im Umfeld der Untersuchung wurde der Korrekturfaktor KF im Rahmen dieses Projektes vorerst mit 2 dB festgelegt. Die Messungen, welche die Empa durchführt, können aber noch dazu führen, dass dieser Faktor an neue Erkenntnisse angepasst werden muss. Damit ergeben sich folgende Anforderungen an das im Labor ermittelte Schalldämm-Mass der Fenster:

  • Lärmbelastung ≤ 70 dB ➝ Rw + Ctr ≥ 34 dB und Rw ≥ 37 dB
  • Lärmbelastung > 70 dB ➝ Rw + Ctr ≥ 40 dB und Rw ≥ 43 dB

Anforderungen an die Öffnungssysteme

Die zu prüfenden Öffnungssysteme sollen ein automatisches und zeitabhängiges Öffnen und Schliessen des Fensters ermöglichen: es soll nachts nach Ende des Flugbetriebs öffnen und morgens vor Wiederaufnahme des Flugbetriebs schliessen, ohne dass der Bewohner aktiv werden muss. Zusätzlich soll eine manuelle Bedienung des Fensters möglich sein. Und natürlich ist die Geräuschentwicklung der Antriebe ein wichtiges Kriterium, wie auch die erzielte Luftwechselrate, welche für die sommerliche Nachtauskühlung der Wohnungen wesentlich ist.

Die Marktuntersuchung der BFH wurde vom FFF (Schweizerischer Fachverband Fenster- und Fassadenbranche) und der SZFF (Schweizerische Zentrale Fenster und Fassade) unterstützt. Neben den nachweislich zu erfüllenden Schalldämm-Massen war es bei der Suche auch wichtig, Fenster zu finden, welche die marktüblichen Anforderungen erfüllen. Daher wurde in erster Linie nach Fenstern in den gängigen Rahmenmaterialien und Öffnungsarten gesucht, die heute eine breite Akzeptanz im Markt aufweisen. Im Bereich der automatischen Antriebe wurde nach Produkten gesucht, welche die zu Beginn des Projekts bekannten Anforderungen erfüllen und welche an den Fenstern, die den Suchkriterien entsprechen, verwendet werden können. Aufgrund der zahlreichen Rückläufe auf die Marktbefragung der BFH wurde festgestellt, dass für alle üblichen Rahmenmaterialien und Öffnungsarten Fenster zur Verfügung stehen, die das geforderte bewertete Schalldämm-Mass R’w einhalten.

Bei Dachflächenfenstern finden sich im unteren Schalldämmbereich genügend Produkte im Angebot. Es war wichtig, Standardprodukte zu finden und zu untersuchen, welche die Anforderungen erfüllen, um die Akzeptanz für das Projekt auch bei der Realisierung möglichst hochzuhalten. Die Marktuntersuchung zeigt: Es gibt einsatzfähige Systeme.

Erfüllte Kriterien bei allen Materialien

«Für das Projekt war es uns wichtig, dass Produkte in den heute üblichen Rahmenmaterialen zur Verfügung stehen. Bei fassaden-verbauten Fenstern ging es um Holz, Holz-Metall, Kunststoff und Metall. In allen Materialien haben wir Fenster gefunden, welche die Anforderungen an das bewertete Schalldämm-Mass in beiden abgefragten Wertebereichen erfüllen», sagte Wolfgang Rädle, wissenschaftlicher Mitarbeiter der BFH. Bei Dachflächenfenstern sind die gängigen Materialien Kunststoff-Metall oder Holz-Metall. Eine Qualitätsstreuung zeichnet sich ab bei den unterschiedlichen Verschluss-Systemen – dies ist jedoch nicht abschliessend untersucht. Es scheint einen Einfluss der Verschlussmechanik auf die Luftschalldämmung zu geben. Daher wird es bei den automatischen Öffnungssystemen möglicherweise die Zusatzforderung geben müssen, dass diese den Flügel nicht nur schliessen, sondern auch verriegeln müssen.

Repräsentative Produkte im Untersuch

Wenn man in ein Fenster einen automatischen Antrieb einbaut, müssen eventuell zusätzliche Fräsungen und Bohrungen angebracht werden. Oder es werden Lufträume verbaut, die im Falzbereich oder unter den Abdeckungen vorhanden waren. Diese Umbauten könnten die Luftschalldämmung des Fensters beeinflussen. Deshalb ging es im nächsten Schritt darum, an repräsentativen Produkten zu untersuchen, inwiefern die Luftschalldämmung des Fensters durch den Einbau eines automatischen Öffnungssystems und dessen Verschlussfunktion beeinflusst wird. Zusätzlich musste in diesem Projektschritt die Geräuschentwicklung der automatischen Antriebe untersucht werden.

Dazu wurde aus den bei der Marktuntersuchung gefundenen geeigneten Produkten sechs Fenster in den gängigen Rahmenmaterialien und Öffnungsarten mit sechs dazu passenden Antrieben ausgewählt und bei unterschiedlichen Fensterbauern in Auftrag gegeben. Auch hier war es wieder wichtig, dass die Fenster hinsichtlich des Rahmenmaterials und der Öffnungsart den Kriterien entsprechen, welche heute eine breite Marktakzeptanz aufweisen. Diese sechs Fenster wurden an die Empa geliefert und im Labor auf das bewertete Schalldämm-Mass der Fenster und die Geräuschentwicklung der Antriebe untersucht. Bis heute sind von den sechs Fenstern fünf untersucht, bei vier von diesen Fenstern haben sich die Ursprungswerte des bewerteten Schalldämm-Masses Rw + Ctr mit einer maximalen Abweichung von –1 dB nach unten bestätigt. Nur bei einem Fenster ist die Abweichung nach unten grösser ausgefallen. Die Untersuchung der Geräuschentwicklung der automatischen Antriebe ist momentan noch nicht abgeschlossen.

Chance für den Fensterbauer

Fazit: Das Projekt öffnet Fensterbauern Möglichkeiten, ihre Produkte in diesem Umfeld einzubringen und so Mehraufträge zu generieren. Die Hersteller können anhand vorliegender Anforderungen überprüfen, ob sie Fenster im Programm haben, welche die Anforderungen, die im Rahmen dieses Projektes bereits definiert worden sind oder noch definiert werden, erfüllen und für die bereits Prüfnachweise vorliegen, welche diese Eignung belegen.

«Zielsetzung des Projektes ist es, dass wir Fenster, für die bereits Nachweise über die Luftschalldämmung vorliegen, und entsprechende automatische Öffnungssysteme auf die für das Projekt wichtigen Kriterien überprüfen. Wenn beide Komponenten getrennt für sich die geforderten Werte erfüllen, muss der Hersteller die Kombination dieser Elemente nicht noch einmal prüfen lassen», führte Rädle aus.

Aus diesem Projekt ergibt sich für das Handwerk ein zusätzliches Geschäftsfeld, denn es werden zahlreiche Neubauten mit diesen Fenstern ausgerüstet werden müssen. Ein weiteres Geschäftsfeld erschliesst sich in der Modernisierung bestehender Wohngebäude. Die Endergebnisse des Projektes werden in der zweiten Jahreshälfte 2015 erwartet.

www.ahb.bfh.chwww.bafu.ch

MessWerte

Dezibel dB

Die Schallintensität wird in Dezibel, dB, gemessen. Die Hörschwelle (absolute Stille) liegt bei 0 dB. 40 Dezibel misst man in einem ruhigen Wohnquartier ohne Verkehr, und der Fluglärm von Jets liegt bei 110 dB im Abstand von 250 Metern. Die Erhöhung des Schallpegels um 10 dB empfindet das menschliche Ohr als Verdoppelung des Lärms.

Anpassungswerte C und Ctr

Zur Anpassung von Schallschutzmassnahmen an bestimmte Standard-Lärmquellen, die zum Beispiel mit einem Schallspektrum ermittelt wurden, wurden die Spektrum-Anpassungswerte C und Ctr eingeführt. Die bewerteten Schalldämm-Masse werden mit dem Spektrum-Anpassungswert korrigiert.

  • Der Anpassungswert C (Spektrum 1) berücksichtigt unter anderem Wohnaktivitäten oder Düsenflugzeuge in geringem Abstand.
  • Der Anpassungswert Ctr (Spektrum 2) berücksichtigt städtischen Strassenverkehr oder Düsenflugzeuge mit grossem Abstand.

Bewertetes Schalldämm-Mass Rw

Das Schalldämm-Mass R eines Bauteils ist von der Frequenz des Schalls abhängig, wobei sich der bauakustische Bereich von 100 Hz bis 3150 Hz erstreckt. Mit R wird das 10-fache logarithmische Verhältnis von der auf das Bauteil auftreffenden Schallleistung zur vom Bauteil abgegebenen Schallleistung angegeben.

Das bewertete Schalldämm-Mass Rw wird durch Messungen im Vergleich mit einer Bezugskurve ermittelt und in dB angegeben. Damit kann man für die verschiedenen Frequenzbereiche das Mass der Schalldämmung genau nach- vollziehen. Zur Vereinfachung wird dieses Diagramm dann einem genormten Diagramm gegenübergestellt und mit einer Ausgleichsberechnung auf einen Wert reduziert, der in dB angegeben wird.

jp

 

Veröffentlichung: 25. Juni 2015 / Ausgabe 26-27/2015

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