Schnittstelle zwischen Kunst und Natur

Solche und ähnliche Exponate aus der Clais’schen Holzbibliothek sind während zweier Monate im Sitterwerk in St. Gallen zu bewundern. Bild: Naturmuseum Winterthur, Dani Schaffner

Ausstellung.  Die Clais’sche Holzbibliothek wird im Sitterwerk in St. Gallen einer breiten Öffentlichkeit zugänglich gemacht. Zusammen mit Material aus dem Werkstoffarchiv und Büchern der Kunstbibliothek entsteht eine Verbindung von Vergangenheit und Gegenwart.

«Mit/Ohne Anspruch auf Vollständigkeit» heisst die Ausstellung im Sitterwerk St. Gallen. Die beiden freischaffenden Grafikdesigner Annett Höland und Yves Schweizer wollen die Holzbibliothek, die sogenannte Xylothek, in die heutige Zeit transferieren. Dafür platzieren sie die Ausstellung zwischen Kunstbibliothek und Werkstoffarchiv im Sitterwerk in St. Gallen. «Es fasziniert uns, einen historischen Gegenstand mit moderner Technologie in Kombination zu bringen», erklärt Annet Höland. «Die warme Ausstrahlung und der Geruch von Holz sind etwas Besonderes», findet Yves Schweizer. Annett Höland schwärmt vom «haptischen Erlebnis». Dieses komme in der Arbeit als Gestalter, die vorwiegend am Computer stattfinde, oft zu kurz.

Zeitgemässe Darstellung

Die Holzbibliothek kann im Sitterwerk bis 22. März besucht werden. Danach kommt sie wieder ins Naturmuseum Winterthur. Dieses hatte die letzte erhaltene Holzbibliothek der Schweiz als Leihgabe für das Projekt zur Verfügung gestellt. Man erhofft sich, dass durch die Einbettung der Sammlung von Naturmaterial aus dem 18. und 19. Jahrhundert in die heutige Zeit eine nachhaltige Wirkung erzielt und die Holzbiblio- thek danach wieder zu einem Ausstellungsschwerpunkt in Winterthur wird. «Wir versuchen, die Sammlung in die heutige Zeit zu transportieren und eine zeitgemässe und interaktive Darstellung umzusetzen», erklärt Yves Schweizer.

Die Clais’sche Holzbibliothek befindet sich in verschlossenen Schaukästen. Gezeigt werden rund 70 Bände Rücken an Rücken und einige offene Exemplare. Sie sind jeweils einer einzelnen Baumart gewidmet, die Buchdeckel sind aus dem Holz des Baums, die Buchrücken aus seiner Rinde. Im ausgehöhlten Inneren finden sich Zweige, getrocknete Blätter, Blüten, Samen und teilweise auch Schädlinge des jeweiligen Baumes, auch für den Schreiner eine ideale Gelegenheit, um sein Fachwissen auf die Probe zu stellen.

Informationen per Funk

Ausgestellt werden diese Kostbarkeiten im Sitterwerk zwischen Werkstoffkorpus und Bücherregal, um die Verbindung von Werkstoffarchiv und Kunstbibliothek herzustellen. Soweit möglich, wird jedem Buch das entsprechende Materialmuster aus dem Werkstoffarchiv gegenübergestellt.

Die Holzmuster sind frei zugänglich und mit einem Radio-Frequency-Identification (RFID)-Tag versehen. Damit können die Besucher den digitalen Katalog und Informationen des Materialarchivs per Funk auf einem Lesegerät abrufen. Es entsteht eine Verbindung zwischen dem innovativen Ansatz von zeitgenössischer Wissensordnung, wie sie das Werkstoffarchiv und die Kunstbibliothek darstellen, und dem Ordnungsversuch der historischen Holzbibliothek.

In der Zeit der Aufklärung bestand ein Bedürfnis nach einem ordnenden Erfassen der Natur. Das Buch stand als Symbol für die Abgeschlossenheit eines Werkes und widerspiegelt den Wunsch, die Komplexität der Welt durch Ordnen unter Kontrolle zu bringen. Damals hatten die Holzbibliotheken vor allem zwei Funktionen: Einerseits halfen sie bei der Verbreitung forstwirtschaftlicher Erkenntnisse und dienten als Unterrichtsmaterial, andererseits befriedigten die Objekte das Repräsentationsdürfnis der Naturaliensammler.

Der Anstieg der Bevölkerung und der Beginn der Industrialisierung hatten zu einer exzessiven Waldnutzung geführt. Als man sich einer möglichen Holznot bewusst wurde, fürchtete man eine Energiekrise. Themen wie Forstwirtschaft, Botanik oder Ackerbau traten in den Vordergrund. Die Fachdisziplin Forstwissenschaft entstand. Um der Natur auf die Spur zu kommen, musste ein einheitliches System für die Erkenntnisse aus den Beobachtungen der Natur entwickelt werden. Die Holzbibliotheken entstanden als handwerkliches Kunstwerk mit Lehrcharakter.

Monatliche Gesprächsabende

Die Ausstellung soll dafür sorgen, dass dieses Wissen nicht verloren geht und sich Interessierte sowohl mit dem historischen als auch mit dem modernen Aspekt auseinandersetzen können. Zudem werden Experten und Studenten verschiedener Disziplinen eingeladen, mit der neuen Benutzeroberfläche zu arbeiten und dem digitalen System ihre eigenen Verbindungen hinzuzufügen. Sie schaffen so für die unterschiedlichen Bezüge zwischen Holz und Buch eine neue Umgebung.

Die Ergebnisse werden an monatlichen Gesprächsabenden präsentiert. Sie finden jeweils an einem Mittwoch um 18.30 Uhr statt. Am 11. Februar ist Mirko Baselgia, bildender Künstler, an der Reihe mit «Die Königin des Pflanzenreiches». Am 4. März folgt Ueli Vogt. Er ist Kurator des Zeughaus Teufen, Gärtner, Architekt und Sammler. Sein Thema lautet «Original und Imitat». Den Abschluss macht am 18. März Felice Crottogini, Forstingenieur beim Kantonsforstamt St. Gallen und zuständig für die forstliche Aus- und Weiterbildung im Kanton St. Gallen. Sein Thema lautet «Herbarium – aktuelles Lerninstrument in der Forstwartausbildung».

www.sitterwerk.ch

Die Winterthurer Holzbibliothek

Der Benediktinermönch Candid Huber aus Ebersberg in Bayern hatte die Holzbibliothek um 1790 angefertigt. Sie war für den Uhrmacher, Bergwerksdirektor und Salinenoberkommissar Johan Sebastian Clais bestimmt, daher der Name Clais’sche Holzbibliothek. Dieser schenkte sie 1795 als «Gabe der Dankbarkeit» für das Bürgerrecht der Stadt Winterthur. Die Konservierung der Holzbibliothek erwies sich als äusserst mühsam, weshalb sich die Stadt 1813 entschied, die hölzernen Bücher gegen richtige auszutauschen. So gingen die 93 Bände 1950 schliesslich an das Naturmuseum Winterthur, wo sie nach der Ausstellung in St. Gallen auch wieder hinkommen.

www.natur.winterthur.ch

bag

Veröffentlichung: 29. Januar 2015 / Ausgabe 5/2015

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