Sicher ist nichts, möglich ist viel

Bild: Girsberger AG Der G 125. Nach 125 Jahren wollte Girsberger den Holzdrehstuhl neu erfinden. Aufmerksamkeit ist ihm sicher.

Möbel Schweiz.  Die Schweizer Möbelbranche lebt seit Jahren mit rückläufigen Zahlen. Die Auf- hebung des Mindestwechselkurses kommt für die Branche deshalb zur Unzeit. Der Verband Möbel Schweiz will Konsumenten jetzt motivieren, Möbel aus und in der Schweiz zu kaufen.

Die Zahlen sind nicht gerade gut. «Herr und Frau Schweizer halten sich seit Jahren bei Investitionen im Bereich der Wohnungseinrichtung zurück», weiss Kurt Frischknecht, Direktor des Verbandes Möbel Schweiz. Im ersten Halbjahr 2014 lagen die Kennzahlen unter denen des Vorjahreszeitraumes. Und jetzt noch dieser Donnerstag vor drei Wochen. Die Vorzeichen sind noch einmal schwieriger geworden. Denn mit der überraschenden Entscheidung der Schweizerischen Nationalbank (SNB) am 15. Januar, den Mindestkurs von 1.20 Franken und damit faktisch die Koppelung der Schweizer Währung an den Euro aufzuheben, sind Exporte innerhalb von Minuten deutlich teurer geworden. Wohl nie zuvor waren Schweizer Produkte im Ausland so kostspielig wie derzeit. Das sind also alles andere als gute Rahmenbedingungen für eine Kehrtwende bei dem seit Jahren anhaltenden Trend. Zuletzt wuchs die Branche im Jahr 2008. Seitdem entwickelt sich der Markt jährlich leicht rückläufig. Die Branche leidet auch seit Jahren unter dem überbewerteten Franken. Jetzt sind Möbelkäufe im Ausland für Schweizer nochmals attraktiver geworden.

«Die Zahlen der ersten neun Monate des letzten Jahres zeigen, dass die Konsumenten eher billig einkaufen möchten.»

Kurt Frischknecht, Direktor Möbel Schweiz

«Aufgrund der für die Schweizer Industrie kritischen Kursentwicklung des Euro hat dieser Industriezweig in den vergangenen 36 Monaten im Inland sowie auch im Export Marktanteile verloren», heisst es in einer Medienmitteilung des Verbandes Möbel Schweiz. Die schlechte Quote der verkauften «Swiss made»-Einrichtungsgegenstände scheint seit vielen Jahren in Stein gemeisselt zu sein. Im Land erzeugte Möbel haben nur einen Anteil von etwa 30 %. Der grosse Rest wird importiert. Tendenz eher steigend, denn auch die Schweizer mögen augenscheinlich Schnäppchen. Kein Wunder, denn die Preise für Importmöbel reduzierten sich im Schnitt um rund 20 %, während sich Möbel aus Schweizer Produktion auf den Exportmärkten des Euro verteuerten. Die Folgen für viele Unternehmen: sinkender Marktanteil und stark reduzierte Margen.

Marco Wenger lächelt. Auf die Frage, wie denn das letzte Jahr aus Sicht des Geschäftsführers der Möbelfabrik Horgenglarus war, spürt man deutliche Zuversicht und grosse Zufriedenheit. Die Marke Horgenglarus findet man nicht nur im hintersten Winkel der Schweiz, sondern auch zunehmend im Ausland. Fast scheint es, als ob für Wenger Euro und Franken einerlei ist. Was der derzeitigen Realität ja auch entspricht. Aber längst nicht alle in der Branche können auf erfolgreiche Jahre zurückblicken. Der Markt für Wohnungseinrichtungen hat sich in den ersten neun Monaten 2014 nominal um 2,7 % verringert. Unterdessen haben im gleichen Zeitraum die gesamten Konsumausgaben leicht zugelegt (0,2 %).

«Innovationsfreudigkeit, Funktionalität, Stil und Design, Qualität, Nachhaltigkeit, Flexibilität, hohe Kundenorientierung und Zuverlässigkeit» sind die Schlagworte, mit denen die inländischen Möbelproduzenten punkten sollen. Aspekte, die von vielen Unternehmen und auch vom Handel wohl unterstrichen werden. Ob ein Produkt gekauft wird, oder doch ein anderes, hängt aber nicht selten von weiteren Faktoren ab, nämlich vom Image und vom damit in Verbindung gebrachten Lebensgefühl.

Man sitzt irgendwo in der Schweiz an einem Tisch und ertappt sich, wie man heimlich unter den Tisch kriecht, um zu sehen, ob der Schriftzug Horgenglarus daraufsteht. Wer einen solchen Status innehat, der braucht sich auch nicht um einen Wechselkurs von ungefähr eins zu eins von Franken zum Euro sorgen. Aber: Nur wenige Vertreter der Schweizer Möbelwirtschaft haben derzeit ein Lächeln im Gesicht, wenn es um das Thema Franken-Euro geht.

«Die ohnehin angespannte Lage der Schwei-zer Möbelbranche verschärft sich nun auch durch die Entscheidung der Schweizerischen Nationalbank noch erheblich», sagt Frischknecht. Das dürfte vor allem für diejenigen zutreffen, deren Produkte einfacher vergleichbar sind. Klar sucht deshalb jedes Unternehmen nach Alleinstellungsmerkmalen, um das Profil der eigenen Marke zu stärken.

Willisau Switzerland etwa präsentierte an der IMM in Köln eine Tischserie mit Oberflächen aus feinen, einzigartigen Erden. Da kann man auch eine Geschichte dazu erzählen. «Vulcano» etwa stammt aus Erden des Vulkangesteins vom Ätna. Punkten möchte man so nicht nur in der Schweiz, sondern vor allem auch im Ausland.

«Wir haben uns in den letzten Jahren stark entwickelt. Wir wollen weitere Absatzmärkte im Ausland erschliessen.»

Patrik Brunner, Ceo Willisau Switzerland

Grosses bewegen möchte auch der Verband Möbel Schweiz. Um das Verhältnis 70:30 zugunsten der Schweizer Möbelhersteller zu verändern, geht man in die Kommunikationsoffensive. In diesem Jahr will der Verband eine entsprechende Kampagne auf den Weg bringen, und er hat dafür eine namhafte Agentur beauftragt.

So möchte man die Qualität von Design und Fertigung der Möbel «Swiss made» stärker ins Bewusstsein der Schweizer Konsumenten rücken. Gerade vor dem Hintergrund des ungünstigen Wechselkurses sei dieses Vorhaben von enormer Wichtigkeit. Die Kampagne soll sich zunächst auf die Schweiz konzentrieren. Eine spätere Ausweitung des Werbens für Schweizer Möbel im Ausland sei aber nicht ausgeschlossen.

«Der Wert, die Charakteristik und die funktionale Schönheit von Schweizer Möbeln soll hervorgehoben werden.»

Kurt Frischknecht, Direktor Möbel Schweiz

Wie entscheidend der emotionale Bezug und die offene Kommunikation für das erfolgreiche Verkaufen ist, weiss auch der erfahrene Wohnberater Toni Kurmann von Möbelberger. «Wer zuhören kann und begeistert ist von dem, was er verkauft, kann auch immer wieder überzeugen. Oft mache ich dann die Erfahrung, dass der Kunde nicht weiter suchen möchte oder vergleicht», so Kurmann.

Die Wichtigkeit des persönlichen Kontakts im Verkauf zeigen auch die Zahlen. So sieht Frischknecht den Konzentrationsprozess im Detailhandel sowie in der Produktion weiter voranschreiten. «Die zehn grössten Möbelhändler haben einen Marktanteil von rund 80 %», sagt der Direktor von Möbel Schweiz. Einher gehe dies mit der fort-schreitenden Entwicklung der Teilmärkte: Einerseits gibt es den Discount-Bereich und demgegenüber ein hochpreisiges oder einfach Luxussegment.

«Wer erfolgreich verkaufen will, darf keinen Druck haben. Sonst geht dieser auf den Kunden über.»

Toni Kurmann, Wohnberater Möbelberger

«Die Mitte jedoch schrumpft», sagt Frischknecht. Diese Entwicklung werde sich durch den attraktiven Euro-Kurs aus Sicht der Konsumenten weiter fortsetzen. Eine dadurch verstärkte Preissensibilisierung und gleichzeitig geringe Preistransparenz führe bei den Konsumenten auch zur Preisverwirrung und fördere den Discountverkauf. Die zunehmende Bedeutung von Internetplattformen als Informations- und Kaufkanal tue ihr Übriges dazu.

Nicht zuletzt aufgrund dieser Erwartungen möchte man ein zweites grosses Projekt in der Branche anschieben: die Durchführung einer nationalen Einrichtungsfachmesse. «Wohlgemerkt geht es nicht um eine weitere Möbelmesse für Konsumenten, sondern um eine Einrichtungsfachmesse. Darin enthalten sollen nicht nur Möbel sein, sondern auch Textilien, Licht, die Bereiche Küche und Büro sowie Accessoires. Die erste Messe soll 2017 parallel zur Heimtexsuisse stattfinden. Aber bis dahin sind noch einige Hürden zu nehmen», so Frischknecht. Zwar ist die designbegeisterte Schweiz mit Konsumenten- und Interessierten-Veranstaltungen reich gesegnet, aber eine Fachveranstaltung, die den Möbelverkäufer ins Visier nimmt, gab es bislang nicht. Das wäre in der Tat ein grosser Schritt, Möbel aus Schweizer Produktion in den öffentlichen Fokus zu rücken. Jährlich nehmen etwa 35 Schweizer Aussteller an der für den internationalen Handel wichtigen IMM in Köln teil. Dies dürfte auch so bleiben, wenn die erste Messe im eigenen Land 2017 stattfindet, hoffentlich.

Fakten

Die Schweiz ist ein ausgesprochenes Importland von Möbeln. Der Wert der Einfuhren übersteigt den der Exporte etwa um den Faktor fünf.

Laut eidgenössischer Aussen-handelsstatistik haben die Importe von Möbeln in den ersten neun Monaten des letzten Jahres um 1,49 % zugenommen. Gleichzeitig verringerte sich der Wert der eingeführten Möbel über alle Gruppen hinweg um 1,33 %. Bei den Ausfuhren ging die Menge um 2,37 % zurück, während das wertmässige Volumen um 0,97 % wuchs.

In beide Richtungen ist Deutschland der mit Abstand wichtigste Handelspartner. Bei den Importen von Büro-, Küchen-, Schlafzimmer- und anderen Möbeln (ohne Sitzmöbel) entfällt rund die Hälfte des Handelsvolumens auf das Nachbarland. Bei den Exporten in dieser Gruppe stellt sich die Lage nicht viel anders dar. Wobei gerade im letzten Jahr die Schweizer Möbelproduzenten in anderen Ländern wachsen konnten. Allerdings gehen diese Zunahmen von teilweise recht niedrigem Niveau aus. Neben Spanien und Portugal betrifft dies die skandinavischen Länder und Frankreich. Auch die Absatzmärkte in Rumänien, Polen und Griechenland haben zugelegt. Bei den Sitzmöbeln fällt neben einigen der genannten Länder vor allem das Wachstum auf dem US-amerikanischen Markt auf. Die Aussagekraft der amtlichen Statistik ist jedoch nicht allzu hoch einzuschätzen, da viele importierte Waren aus Dritterzeugerstaaten stammen und über Transitländer die Schweiz erreichen. Bedeutsam dürfte dies vor im Falle Chinas sein.

www.ezv.admin.ch

Handel und produktion

Möbel Schweiz

Seit nunmehr 18 Monaten vereint der Dachverband «Möbel Schweiz» die Produktionsbetriebe und den Möbelhandel unter einem Dach. Dies widerspiegelt sich in den beiden Sektionen Verband Schweizer Möbelindustrie und Schweizerischer Möbelfachverband. Derzeit sind etwa 50 Herstellerbetriebe Mitglied des Vereins.

www.möbelschweiz.ch

ch

Veröffentlichung: 05. Februar 2015 / Ausgabe 6/2015

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