Sinnliche Wegweiser

Die Schreinerelemente schaffen Kontraste und helfen den Bewohnern, sich in den Gebäuden zu orientieren. Bild: Rasmus Norlander

Spezielle Anforderungen.  Mit dem gezielten Einsatz von Materialien haben die Schreiner in den Neubauten des Taubblindenheims Tanne differenzierte Tast- und Duftqualitäten geschaffen. Sie helfen den Menschen mit eingeschränktem Seh- und Hörvermögen bei der Orientierung.

Wie baut man für Menschen, die kaum oder gar nicht sehen und hören? Diese Frage war zentral bei der Planung eines Projekts in Langnau am Albis ZH. Die Tanne, die Schweizerische Stiftung für Taubblinde, sah für ihr Zentrum zwei Ergänzungsbauten vor, ein Wohn- und ein Schulgebäude. «Die Herausforderung bestand darin, zusammen mit der Bauherrschaft alle Bedürfnisse zu formulieren und gestalterisch so umzusetzen, dass die Elemente in Zusammenhang stehen», sagt Architekt Sylvain Villard vom Basler Büro Scheibler & Villard. Bis zu diesem Zeitpunkt gab es in der Schweiz kein Referenzprojekt, das vergleichbare Anforderungen erfüllen musste.

Zwar gebe es Normen und Empfehlungen beim Bauen für Menschen mit Hörsehbehinderung, kognitiven und motorischen Einschränkungen, aber sie seien nicht immer deckungsgleich, sagt Tanne-Gesamtleiter Mirko Baur. Also glich man eine sogenannte Good-Practice-Sammlung mit den eigenen Erfahrungswerten ab. Die Bauherrschaft beabsichtigte neben der Schaffung von zusätzlichem Raum vor allem die Optimierung des Bestandes für die Klientinnen und Klienten, die neben Hörsehbehinderungen teils auch Mobilitätseinschränkungen und Pflegebedürfnisse mitbringen.

Die zentrale Strategie zur besseren räumlichen Orientierung bestand in der Schaffung von Kontrasten. Solche, die sich ertasten, akustisch wahrnehmen, riechen oder – dank der Gegensätze Hell-Dunkel innerhalb einer Farbgebung – auch fürs Auge lange visuell erfassen lassen. «Im Vordergrund aller Arbeiten stand also die kontrastreiche Wahrnehmung», sagt Architekt Villard. So wurden die Neubauten je einer Farbfamilie zugeordnet. Warmes Rot für das Wohnhaus, Grün für das Schul- und Betriebsgebäude.

Eine Sache für die Schreiner

Die Farben und Kontraste wurden zu einem grossen Teil über die Schreinerarbeiten transportiert. «Wir fertigten Wandverkleidungen, Möbel, Schränke, Türverkleidungen, Garderoben, Sockel und die Signaletik in beiden Gebäuden», sagt Projektleiter Thomas Jutz von der Schreinerei A. Bründler AG im aargauischen Auw.

Alle Material- und Formvorgaben orientierten sich an den Bedürfnissen der Bewohner. «Materialisierung und Form unterstreichen das Lebensfelder-Konzept», sagt Mirko Baur. Das bedeutet, dass sich Schulzimmer anders anfühlen, ansehen und anhören als etwa der gemeinsame Wohnbereich in den Wohngruppen. Entscheidend dafür ist die raffinierte Ausführung des Hybrid-Baus mit dem Kern aus Beton und der Zimmerschicht aus Holz. Weiter sollten die Lebensfelder altersgerecht differenziert werden. In puncto Funktionalität mussten die Anforderungen an die Nutzungen wie Wohnen, Gastronomie oder Wäscherei berücksichtigt werden. «Im Zweifelsfall hatten die Bedürfnisse der Klientinnen und Klienten mehr Gewicht», sagt Baur.

Grosse Materialmengen

Entsprechend den hohen Anforderungen sei der Auftrag sehr materialintensiv gewesen, sagt Schreiner Jutz. Teilweise hätten Lieferengpässe die termingerechte Lieferung erschwert, was auf Ausführungsseite eine Neukoordination verlangt habe. Die grössten Mengen wurden von Eiche und Tanne massiv benötigt. Bei der Tanne wurde die Oberfläche geölt, in Schul- und Wohngebäude in verschiedenen Weisstönen pigmentiert. Aus Tannenholz fertigten die Schreiner die Wandelemente und Schränke. Eiche bot sich wegen seiner Robustheit, Griffigkeit und den möglichen Helligkeitskontrasten an. Einbaugarderoben und -schränke sowie Innenfutter von Türen und Fenstern wurden in Eiche massiv gefertigt, gewachst und geölt. Für Hutablagen, Sitzbänke und Korpusse kamen Dreischichtplatten mit geräuchertem und geöltem Eichenfurnier zum Einsatz. Die Rahmung besteht aus Massivholz.

Das Innenleben der Schränke wurde mit farbig beschichteten Platten ausgeführt. Hingegen kam bei Wandelementen und Schranksichtseiten rotes oder grünes Linoleum, matt und handwarm, zum Einsatz. «Bei der Verarbeitung musste ein besonderes Augenmerk auf die Sauberkeit gelegt werden, weil auf der weichen Oberfläche nach dem Verpressen auch geringste Spuren sichtbar bleiben», sagt Jutz.

Signale in Eiche

Detailarbeiten anderer Art waren bei den Beschriftungstafeln zur Orientierung der Bewohnerinnen und Bewohner nötig. An den Tafeln aus massiver Eiche konnten Gegenstände montiert werden, wie beispielsweise zwei Ringe als Symbol für die Turnhalle, ein Schneebesen als Symbol für die Küche, eine Kaffeetasse als Symbol für die Lounge. Diese Gegenstände wurden an Spiralkabeln angebracht, die mit Schrauben auf das Holz montiert wurden. So hilft das Ertasten den Menschen mit Hörsehbehinderung bei der Identifizierung und Lokalisierung der Räumlichkeiten. Rund 1000 Signaletik-Tafeln wurden verbaut.

Besondere Akustik

In beiden Gebäuden spielten für die Schreiner die akustischen Baumassnahmen eine zentrale Rolle. «Wir benötigten zusätzlich zu den Akustikdecken schalldämpfendes Material», sagt Villard. Die Architekten entwarfen einen in vielen Räumen durchlaufenden Fries aus stehenden Holzlatten, dahinter liegt schallschluckendes Material, wie bei Akustikpaneelen üblich. «Die Herausforderung waren Einteilung und Anordnung der schmalen Holzleisten im oberen Drittel der Wände, sodass die Abstände auch vom Betrachter als gleichmässig wahrgenommen werden», sagt Jutz. In der Cafeteria stand die akustische Verkleidung im Zusammenhang mit der Raumlüftung. So wurde ein am Deckenrand verlaufender metallener Lüftungskanal mit Holz verkleidet. Auf dieser Verkleidung brachte man dann die akustischen Elemente an, ebenfalls abgedeckt durch ein durchlaufendes Band an feinen Holzleisten.

www.schreinerei-bruendler.chwww.scheiblervillard.ch

Tanne

Mit den Händen sehen

Die Tanne, Schweizerische Stiftung für Taubblinde, ist das Kompetenzzentrum für Menschen mit angeborener Hörsehbehinderung und verwandten Formen von mehrfacher (Sinnes-)Behinderung. Die Einrichtung ist Lebens- und Förderungsraum für Kleinkinder, Kinder, Jugendliche und Erwachsene. Die Infrastruktur bestand bisher aus zwei Gebäuden und einem Wohnhaus samt Poststelle aus dem 19. Jahrhundert. Mit dem Neu- und Umbau wurde sie erweitert um ein Wohngebäude mit integrierter Kindertagesstätte und um ein Schul- und Betriebsgebäude mit einem öffentlichen Café und einem Laden. Eine erste Machbarkeitsstudie zur Erweiterung der Räumlichkeiten hatte die Stiftung bereits 2014 gestartet. Die beiden Neubauten wurden 2019 bezogen, die letzten Umbauarbeiten sollten demnächst abgeschlossen sein.

www.tanne.ch

Manuela Ziegler, mz

Veröffentlichung: 06. Mai 2021 / Ausgabe 19/2021

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