Türen, grösser als der Hauseingang

Ganz dezent in der Türecke ist noch das Band «Roto NT PowerHinge» für Drehflügel bis 300 kg erkennbar. Bild: Roto Frank Schweiz GmbH

Drehkippbeschläge.  Nach wie vor setzt die Natur physikalische Grenzen. Jahrzehntelange Erfahrung und verbesserte technische Möglichkeiten erlauben heute wandgrosse Fenster mit riesigen Drehflügeln. Die Beschlägehersteller haben das scheinbar Unmögliche möglich gemacht.

Die Moden und Strömungen in der Architektur wecken nicht zuletzt auch immer wieder neue Bedürfnisse bei den Bauherren. Neue technische Möglichkeiten und immer präziser gefertigte Bauelemente wollen genutzt und ausgereizt werden. Und so haben sich Fenster von verglasten Maueröffnungen zu raumhohen Fassadenelementen mit allen erforderlichen Isolationen entwickelt.

Mit der grösseren Fläche und Elementtiefe hat sich aber auch das Gewicht enorm verändert, was zu einem ganz anderen Anspruch an die Bauteile führt. Als 1935 das erste Drehkippfenster erhältlich war, lag das maximale Flügelgewicht bei 20 kg. Mittlerweile sind 200 kg Standard.

Optisch ein Element der Fassade

«Moving Walls» – bewegliche Wände – wünschen Architekten in modernen Gebäuden. Dabei sollen die raumhohen Fenster möglichst wenig Rahmen zeigen und auch sonst keine Gliederung aufweisen. Aber selbstverständlich muss man sie wie Türen öffnen können, und sie sollen auch über eine Lüftungsstellung wie beispielsweise das Kippen verfügen. Und selbstverständlich können sichtbare Bänder bei diesen Vorgaben als störend empfunden werden.

So viel zu den Wünschen. Was davon wie möglich ist und worauf speziell geachtet werden muss, wollte die SchreinerZeitung von den Beschlägeherstellern Roto Frank Schweiz GmbH in Dietikon ZH, der Siegenia- Aubi AG in Uetendorf BE und der Gretsch Unitas AG in Rüdtlingen BE wissen.

45 Jahre Zentralverschluss

1971 kam das erste Drehkippfenster mit einem im Falz liegenden Zentralverschluss auf den Markt. Also ähnlich wie heutige Fenster. Das Flügelgewicht lag bei maximal 80 kg. 1988 kamen die ersten verdeckt liegenden Drehkippbeschläge. Damit war dann nicht mehr nur der Mechanismus, sondern auch das Band unsichtbar.

Diese Entwicklung hat bis heute angehalten, ausser dass damit bisher weniger grosse Gewichte erreicht wurden. Mit sichtbaren Bändern und der standardmässigen Belastungsgrenze von 200 kg für Dreh- und Drehkippfenster beträgt bei Gretsch Unitas die maximale Flügelfalzbreite 1700 mm und die maximale Flügelfalzhöhe 2800 mm. Roto Frank gibt 1600 mal 3000 mm an und Siegenia-Aubi sogar 1800 mal 3000 mm. Die beiden Letzten erlauben sogar reine Drehflügel mit bis zu 300 kg Gewicht.

Wer bei älteren Fenstern schon erlebt hat, wie bei einer schnellen, ungenauen Umstellung auf die Kippfunktion der gesamte Verschluss plötzlich offen ist und der Flügel nur noch am unteren Beschlagdrehpunkt hält, hat eine Vorstellung, mit welcher Präzision ein heutiger Mechanismus auch langfristig arbeiten muss.

Unaufdringlich schön

Sichtbare Bänder erfüllen heute nicht mehr nur einfach eine Funktion, sie erfüllen auch hohe Erwartungen an die ästhetische Wirkung. Neben den grösstenteils verdeckt liegenden Schrauben und der glatten, schlanken Ansicht wirkt die kompakte Konstruktion im Übergang vom Flügel zum Blendrahmen ansprechend dezent. Die hohe Tragfähigkeit und die massive Bauweise werden etwa bei Produkten von Siegenia-Aubi kaum wahrgenommen.

Noch etwas weiter gehen die komplett verdeckt liegenden Bänder. Da sind dann alle Bauteile im Fensterrahmen und -flügel integriert. So werden je nach Beschlaghersteller immer noch Gewichte zwischen 130 und 150 kg erreicht, was im Fall von Gretsch Unitas immerhin für eine Flügelfalzbreite von 1400 mm reicht. Für die schweren Flügel gibt es Kippweitenbegrenzer, Zuschlagsicherungen und Drehbegrenzer, um auch bei Windstössen gewappnet zu sein. Roto Frank bietet beispielsweise eine Dauerschmierung über Fettpolstertaschen, damit der Beschlag dauerhaft leichtgängig ist.

Massliche Veränderungen

Die Tiefe des Rahmenprofils ist durch die heutigen Dreifachverglasungen auf 110 mm und mehr angewachsen. Die sichtbare Profilhöhe wird dabei von findigen Tüftlern immer noch weiter auf ein Minimum verringert. In der Fensterproduktion verändern sich entsprechend auch die Standardmasse. So gehen die bisher üblichen 4 mm Falzluft langsam zu 12 mm über. Der Gesamtfalzbereich steigt von 20 mal 8 auf 24 mal 8 mm. Die Fälze werden also tendenziell tiefer und die Beschlagachse – Nutmitte bis Aufschlagsfläche – wächst von bisher 9 mm auf 13 mm. Damit können grösser dimensionierte Schliessplatten eingebaut werden, was der Sicherheit dient.

Auch eine Tendenz ist bei einigen Herstellern, dass sie die Falzinnen- wie auch aussenkanten mit Radius 4 mm runden, um ein Reissen der Oberflächenbeschichtung zu vermeiden. Auch das muss beim Dimensionieren der Beschläge berücksichtigt werden.

Sichere Verschraubung

Die tieferen Profile und schmaleren Ansichten fordern aber so schon ihren Tribut, sodass für die Befestigung nicht mehr so viel Material zur Verfügung steht und der Verschraubung eine grosse Aufmerksamkeit zu schenken ist.

Die Beschlägehersteller haben keinen Einfluss auf das verwendete Holz und die effektiven Dimensionen. Gretsch Unitas beispielsweise richtet sich nach der europäischen Norm TBDK für die Befestigung tragender Bestandteile von Dreh- und Drehkippbeschlägen. Dort werden die Auszugswerte der Befestigung bestimmt. Der Fensterhersteller muss sicherstellen, dass dieser Wert mit dem verwendeten Holz und den Schrauben erreicht wird. Das kann auch bedeuten, dass je nach Holzsorte erst eine Verschraubung mit Muffen den gewünschten Erfolg bringt.

In der Schweiz dürfen nur geprüfte Bauteile zum Einsatz kommen, womit diese Festigkeit gewährleistet ist, wenn die Vorgaben genau eingehalten werden.

Auswirkungen

Schwellenlose Türen sind anspruchsvoll. Sie brauchen spezielle, höher gesetzte Falz-Eckbänder, da dem Beschlag kein unteres Rahmenfries als Befestigung zur Verfügung steht. Mit dem Beschlag wird das ganze Gewicht auf das stehende Fries übertragen. Bei 200 kg Flügelgewicht sollte klar sein, dass dieser Rahmenteil auf festem Grund steht oder sehr gut mit der Wand verbunden ist, damit er sich nicht mit der Zeit absenken kann. Auch mit der grösseren Falzluft sind die Grenzen schnell erreicht.

Grosse und schwere Fensterflügel stellen aber auch noch ganz andere Anforderungen, die schon bei der Beschlägewahl berücksichtigt werden müssen: Bei raumhohen Flügeln von 200 kg Gewicht ist die Schliessfunktion aus der Kippstellung für manche Menschen nur bedingt möglich, da einiges an Kraft aufzuwenden ist.

Motorisierte Lösungen

Gerade Personen, die körperlich nicht mehr so fit sind oder in einem Rollstuhl sitzen, dürften damit ihre Probleme haben. Gerne wird dann gleich an eine motorisierte Lösung gedacht. Es gibt motorisierte Fenster, deren Motor verdeckt liegt und die sogar ohne Griff auskommen. Bis zur Kippstellung ist das speziell bei schlecht erreichbaren Fenstern sinnvoll. Für die Drehstellung können sich sinnvolle Anwendungsmöglichkeiten aber auch reduzieren. Nach Erfahrungen der Firma Gretsch Unitas werden Fenster in rund 95 % der Fälle gekippt und nur in 5 % gedreht. Gerade bei motorischer und vielleicht auch automatisierter Lüftung darf aber etwas nicht vergessen werden: In gekippter Stellung gilt ein Fenster versicherungstechnisch als geöffnet, egal in welche Richtung die Öffnung zeigt, und ist somit in Bezug auf Einbruchsversuche nicht versichert.

Mechanisch, ohne Kraftaufwand

Selbst für betagte Menschen im Rollstuhl gibt es aber durchaus auch rein mechanische Alternativen, die leicht bedienbar sind: Gretsch Unitas bietet zum Beispiel eine «Lüftungsfangschere». Das Fenster öffnet dabei in der ersten Griffstellung nur bis zu einem vertikalen Spalt von 10 cm. In dieser Position kann es dann auch mit einem Schlüssel gesichert werden, damit es nicht weiter aufgemacht werden kann, was im Zusammenhang mit kleineren Kindern sinnvoll sein kann. In der zweiten Stellung – Griff nach oben – öffnet es dann ganz. Der Beschlag ist komplett im Falz liegend, wodurch kein Unterschied zu normalen Beschlägen sichtbar ist.

Umgekehrt macht Sinn

Fensterhersteller können sich aber auch noch anders mit ihrem Produkt differenzieren. Es gibt die Möglichkeit, einen Kippdrehbeschlag zu verwenden. «Tilt First» (TF)ist die englische Bezeichnung für diese andere Bedienreihenfolge.

Geschlossen zeigt der Griff nach unten. Waagrecht kommt die Kippposition und nach oben geht der Flügel auf. Also gleich wie bei der vorgängig beschriebenen «Lüftungsfangschere». Auch hier geht es um die Sicherung beispielsweise in Kinderzimmern, damit nicht gleich der Flügel geöffnet wird, sondern in der Kippstellung fixierbar ist, wenn ein entsprechender abschliessbarer «TF-Griff» verwendet wird. Das Kind kann somit lüften, aber nicht aus dem Fenster fallen. Für den Fensterbauer ändert sich in der Produktion nicht viel: Er braucht ein paar andere Elemente, am Einbau und Aufwand ändert sich hingegen nichts.

Auch sehr grosse und schwere Fensterflügel lassen sich auf spezielle Anforderungen anpassen und können auf diese Weise leicht und risikofrei bedient werden.

www.roto.chwww.siegenia.comwww.g-u.com

ab

Veröffentlichung: 12. Januar 2017 / Ausgabe 1-2/2017

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