Unter Dach und Fach bringen

Bild: Michael Antonazzo

Nachfolgeregelung.  Das Erbe ist in vielen Familien ein Tabu. Will man jedoch die Nachfolge eines Unternehmens konfliktfrei regeln, muss auch über die Erbschaft gesprochen werden. Denn, Fairness bedeutet für jeden etwas anderes und lässt sich nicht in Franken und Rappen definieren.

Nachdem die Nachfolge gründlich vorbereitet wurde, ist es so weit: Der Unternehmer übergibt seinen Betrieb an einen Nachfolger. Für den bisherigen Eigentümer beginnt spätestens jetzt der Ablöseprozess, denn nun übernimmt die neue Generation die Verantwortung, leitet Veränderungen ein und gestaltet die Firma nach eigenem Gutdünken. Wenn Mitarbeitende oder Familienmitglieder den Betrieb übernehmen, bleiben die bisherigen Geschäftsführer oft noch im Verwaltungsrat und unterstützen die Nachfolger in dieser Übergangsphase.

Vor zwei Jahren hat Hanspeter Meier die gleichnamige Schreinerei in Weinfelden an die nächste Generation übergeben. Meier war während der letzten fünfzig Jahre Ansprechpartner für alle Belange – Patron wider Willen. Heute steht ein Team an der Spitze des Unternehmens: zwei Kadermitarbeiter und seine Tochter. An drei Tagen der Woche ist der frühere Geschäftsleiter noch im Betrieb anzutreffen.

Als Verwaltungsratspräsident berät er die dreiköpfige Geschäftsleitung in strategischen Fragen; als erfahrener Schreinermeister springt er bei zeitlichen Engpässen ein. Um Entscheide zu fällen, brauche es nun mehr Zeit und Kommunikation, sagt Meier, dafür seien diese aber auch besser abgestützt. Auch er habe viel dazugelernt, seit er die operative Führung übergeben habe, fügt der frühere Geschäftsleiter an.

Frühzeitig das Erbe regeln

Ganz gleich, wie man die Nachfolge geregelt hat, ob das Unternehmen an einen Investor, an Mitarbeitende oder an Familienmitglieder verkauft wird, von diesem Prozess betroffen ist nicht nur der Inhaber, sondern auch die Ehepartner und Kinder.

Das Unternehmen oder der Erlös aus dem Verkauf macht einen beträchtlichen Teil der Erbmasse aus. Und auch wenn es in vielen Familien ein Tabuthema ist, über das Erbe sollte man frühzeitig reden und den Entscheid rechtlich fixieren.

Ein Testament oder ein Erbvertrag ermöglichen es, das Erbe abweichend von den gesetzlichen Vorgaben zu gestalten. Denn nach altem Recht würde der überlebende Ehegatte ein Viertel des Vermögens erhalten und die direkten Nachkommen drei Achtel. Von der gesamten Erbschaft sind also nur drei Achtel frei verfügbar und können beispielsweise dem Nachkommen zugewiesen werden, der die Nachfolge des Unternehmens antritt. Mit der Revision des Erbrechts soll zukünftig über einen grösseren Anteil frei verfügt werden können.

Diese Aufteilung erschwert es oft, die Nachfolge vernünftig zu regeln. Das Geschäftsvermögen macht einen grossen Teil des Familienvermögens aus, und wer das Unternehmen übernimmt, muss die anderen Erben auszahlen – zu Summen, die nur wenige stemmen können. Falls das Unternehmen unter dem Marktwert veräussert worden ist, wie es innerhalb von Familienunternehmen oft vorkommt, dann können zudem die übervorteilten Erben eine Verletzung des Pflichtteils einklagen. Lange und teure Rechtsstreitigkeiten belasten nicht nur die Familie, sondern können gar ein solides Unternehmen ruinieren.

Auch Meier war sich dieses Risikos bewusst: «Viel macht man richtig, aber wenn sich die Familie vor ein ‹Fait accompli› gestellt sieht, dann entstehen Erbstreitigkeiten.» Er rät deshalb seinen Berufskollegen zu «glasklarer Transparenz» in diesem Prozess.

Gerecht ist, was für alle stimmt

«Gerechtigkeit lässt sich nicht in Franken und Rappen definieren», ist Sibyl Matter, Fachanwältin für Erbrecht bei der Rechtskanzlei Solvas in Bern, überzeugt. Gerecht sei, was für alle Beteiligten stimme.

«Im Idealfall ist eine Familie im Gespräch, hat gemeinsame Wertvorstellungen und kann sich darauf einigen, wie die Unternehmensnachfolge aussehen könnte und wie dabei den Bedürfnissen aller Rechnung getragen werden kann.» Dieser Prozess braucht Zeit und Offenheit, aber er lohnt sich. Schwierig ist es dann, wenn ein Familienoberhaupt verfügt, nicht alle Familienmitglieder in die Entscheidung miteinzubeziehen. Erst recht, wenn die übrigen Familienmitglieder erst nach seinem Tod durch ein Testament erfahren, wie es sich entschieden hat.

«Gute Unternehmer zeichnen sich durch vorausschauende Planung aus, und dazu gehört natürlich auch, die eigene Endlichkeit im Blick zu haben», sagt Matter. Stellt sich der Patron dieser Herausforderung und lässt sich auf ein offenes Gespräch ein, dann ist es für alle ein Gewinn – für das Unternehmen und die Familie.

Wenn alle Mitglieder der Familie in die Diskussion einbezogen werden, wenn die Bedürfnisse und Sorgen aller ernst genommen werden, wenn alle die Facts, Möglichkeiten und Probleme im Zusammenhang mit der Unternehmensnachfolge kennen, sind oft Lösungen möglich, die gegen den Willen Einzelner nicht realisierbar wären. Wichtig ist auch, dass rechtzeitig professionelle Hilfe beigezogen wird, und nicht erst dann, wenn bereits die Fetzen fliegen. Fachleute können neue Möglichkeiten aufzeigen und helfen, der gewählten Lösung eine verbindliche Form zu geben.

Regeln festlegen, bevor man sie braucht

In familieninternen Verträgen wird nicht nur geregelt, wie das Erbe verteilt wird, sondern es können auch Fragen darüber hinaus geklärt werden. Soll das Unternehmen zukünftig in Familienhand bleiben? Bekommen alle Nachkommen denselben Anteil? Für Familien sind solche Spielregeln unabdingbar und werden gemäss der Studie «Unternehmensnachfolge in der Praxis» der Credit Suisse auch von zwei Drittel aller KMU genutzt. Laut Franziska Müller Tiberini, Gründerin des Beratungsunternehmens familienunternehmen.ch, lohnt es sich, diese Strukturen möglichst früh zu schaffen: «Am besten legt man Regeln fest, bevor man sie braucht.»

Manchmal braucht es mehrere Anläufe, um die Nachfolge des Unternehmens zu regeln. Bleibt man offen für Ideen, können sich unkonventionelle Lösungen ergeben – wie bei der Schreinerei Meier in Weinfelden.

1919 hatte der Grossvater von Hanspeter Meier in einem Schopf in Weinfelden TG eine Schreinerei mit Zimmerei gegründet. Fünfzig Jahre später leitete Hanspeter Meier die Schreinerei. Er zog ins Gewerbegebiet, erstellte einen Neubau auf der grünen Wiese und baute den Betrieb weiter aus. Seit Anfang Juli 2014 bilden Hanspeter Meier, Katja Meier, Daniel Burkhart und Bernhard Steinbacher die neue Geschäftsleitung der Meier Schreinerei AG. Die 23 Mitarbeitenden stellen Küchen und Bäder her und machen Innenausbauten. Dieses Jahr feiert die Schreinerei ihr 100-Jahr-Jubiläum: eine passende Gelegenheit, um über die neue Geschäftsleitung zu informieren.

Chancen für unerwartete Lösungen

Bereits im Jahr 2000 nahm Hanspeter Meier einen ersten Anlauf, die Nachfolge seines Betriebs zu regeln. Nachdem er von jung auf in der Schreinerei seiner Eltern gearbeitet hatte und nach dem frühen Tod seines Vaters mit seiner Mutter zusammen die Geschäfte leitete, wollte er noch einmal etwas ganz anderes machen. Mit Anfang 50 begann er die Nachfolge seines Betriebs zu planen. «Wir legten damals die juristischen Grundlagen und wandelten die Einzelfirma in eine Aktiengesellschaft um», berichtet er. Ein geeigneter Nachfolger war rasch gefunden und der Verkauf der Aktien in die Wege geleitet, als der Schreiner, der neu die Geschicke des Betriebes leiten sollte, zum voll- amtlichen Gemeindepräsidenten gewählt wurde. «Man muss die Menschen ziehen lassen», sagt Meier rückblickend. Doch damit stand er wieder am Anfang.

Nur wenig später kam ein Angebot eines Mitbewerbers aus Zürich. Dieser wollte expandieren und interessierte sich für die lokal fest verankerte Schreinerei. Doch trotz verlockendem Angebot bekam Meier Skrupel. Der Mitbewerber würde einen harten Kurs zur Renditeoptimierung verfolgen. «Diesem Risiko wollte ich meine langjährigen Mitarbeitenden nicht aussetzen», erklärt Meier und stoppte den Verkauf. Zurück auf null – und eine Chance für eine unerwartete Nachfolgelösung.

Den Neuanfang gewagt

«Alles, nur nicht schreinern, wollte ich», erzählt Katja Meier lachend. Sie machte eine Ausbildung zur Tiefbauzeichnerin, schloss ein Ingenieurstudium in Statistik und Finanzmathematik ab und fand eine Stelle bei einer grossen Versicherung.

Trotz des hohen Lohns klagte sie an den sonntäglichen Abendessen bei ihrer Familie oft über die sinnlosen Aufgaben, die Zeitvergeudung. Bis es dem Vater eines Abends den «Deckel lupfte»: «Wenn du hart arbeiten willst, in der Schreinerei gibts genug zu tun», forderte er seine Tochter heraus. Und die ging darauf ein. Eine Liste mit Aufgaben – vier Seiten lang, eng beschrieben – legte er Katja Meier vor. «Genau dies wollte ich: mich endlich nützlich machen», erzählt sie heute. Auch die letzte Warnung des Vaters: «Du arbeitest mehr und verdienst weniger», schreckte sie nicht ab.

2006 kündigte sie ihre Stelle und übernahm ihre Aufgaben in der Schreinerei. Als Erstes belegte sie die überbetrieblichen Kurse der regulären Schreinerausbildung. An jeder Maschine wollte sie einmal gearbeitet haben, die Abläufe kennen und die Fachbegriffe verstehen, um mitreden zu können. Was ihre jüngeren Mitlernenden von der damals 27-Jährigen dachten, wenn sie zusammen an der Bandsäge standen, das war ihr herzlich egal. An den Maschinen ist Katja Meier nun nicht mehr anzutreffen. Ihre Stärken sind die Personalführung, die Finanzplanung, das Marketing und der Vertrieb an Privatkunden.

Ein Team an der Spitze

Bald zeichnete sich im Betrieb ein Nachfolgeteam ab: Bernhard Steinbacher, der direkt nach seiner Lehre zur Meier Schreinerei AG gekommen war, fiel dem Patron schon früh als fähiger Schreiner auf und wurde gefördert. Heute leitet er die Produktion und die Ausbildung der Lernenden.

Daniel Burkhart, den Dritten im Bunde, hatte Meier bereits in dessen Lehre entdeckt. Noch vor seinem Abschluss wechselte er ins Büro und wurde Projektleiter. Er ist verantwortlich für die Akquise, macht die Auftragsplanung und ist zuständig für die gesamte EDV. Die operativen Aufgaben sind klar verteilt. «In dieser Konstellation macht jeder, was er gut kann», so Meier. Man vertraue sich blind, bestätigt Bernhard Steinbacher. Damit standen für den Inhaber nun alle Signale auf Grün. Dieses Team sollte zusammen die neue Geschäftsleitung bilden und den Betrieb übernehmen. 2017 war es so weit. Meier verkaufte seine Aktien an die drei Geschäftsleitungsmitglieder.

Geheimnisse sind tabu

Um den Verkaufswert festzulegen, liessen sie die Immobilien schätzen, berechneten das Warenlager und die Betriebsmittel. Sie entschieden sich gegen eine externe Bewertung, waren doch alle Zahlen immer offengelegt. «Es herrschte von Beginn an absolute Transparenz», sagt Meier. An den finalen Preis tasteten sie sich langsam heran: Einen Preis, den die Jungen tragen konnten und der gleichzeitig den abtretenden Inhaber für das Lebenswerk vergütet. «Möglichst viel Geld rausholen zu wollen – damit wäre das Ziel verfehlt gewesen», meint Meier.

Beim Verkauf der Firma galt es, auch die zwei anderen Kinder von Meier zu berücksichtigen. «Man muss über das Erbe reden, auch wenn dies keiner will», stellt Meier klar. Geheimnisse sind tabu, Offenheit gefordert. Als sich der Verkauf an die neue Geschäftsleitung abzeichnete, lud Meier zum Familienrat ein. Der Jurist, der den Prozess von Beginn an begleitet hatte, erklärte an diesem Treffen, wie der Verkauf ablaufen würde und was dies für das spätere Erbe der einzelnen Familienmitglieder bedeuten wird. Dabei hat die Familie Meier ganz bewusst nicht die Partner miteinbezogen. «Weil das eine reine Familienangelegenheit ist», erklärt Katja Meier.

Die neue Generation machen lassen

Als Verwaltungsratspräsident berät Hanspeter Meier die Geschäftsleitung heute in strategischen Fragen. «Dabei versuche ich mit eiserner Disziplin, mich nicht aufzudrängen», sagt er nachdrücklich.

Die neu gewonnene Freizeit zu nutzen, musste er erst einmal lernen. Zusammen mit seiner Ehefrau hat er einen Camper gekauft und reist damit durch Europa. «Ich muss ganz weg sein, sonst stehe ich doch nur wieder im Büro», gesteht er.

Vor 15 Jahren hatte der Prozess begonnen, der zum heutigen Nachfolgeteam geführt hat. «Die Mitarbeitenden würden deshalb nicht von einer Veränderung reden», erklärt Daniel Burkhart. Die Geschäftsleiter sind über eine lange Zeit in ihre Aufgaben reingewachsen und wurden schon vor dem Verkauf in wichtige Entscheide eingebunden. Und auf «Veränderungen nur der Veränderung wegen» hat das Team verzichtet, fügt Burkhart an.

Vielleicht mag in einigen Fragen die Person geändert haben, aber die Kultur, die werde beibehalten. Was mehrere Anläufe brauchte und lange dauerte, wurde gut. Oder gar «perfekt», wie Meier sagt. Das 100-Jahr-Jubiläum kann kommen.

www.meier-schreinerei.chwww.solvas.chwww.familienunternehmen.ch

Serie

Betriebsnachfolge im Fokus

In einer losen Folge beleuchtet die SchreinerZeitung die Problematik rund um die Betriebsnachfolge. Erschienen sind bereits «Übergabe an die nächste Generation», «Mehrere Wege führen ans Ziel» und «Die Weichen rechtzeitig stellen». Mit dem nächsten Thema «Abkoppelung und Neuanfang» schliesst die Serie.

www.schreinerzeitung.ch

Mediation

Konflikte konstruktiv beilegen

Eine familieninterne Unternehmensnachfolge birgt oft Konflikte, die sich verhärten und zu Zerwürfnissen führen können. Eine Mediation kann darin unterstützen, ein gegenseitiges Verständnis zu erreichen. Bei einer Mediation geht es darum, die Bedürfnisse der beteiligten Parteien offen und vorurteilsfrei zu ergründen und mitzuteilen – eine entscheidende Voraussetzung, um einen Konflikt lösen zu können. Mediatoren schaffen eine vertrauensvolle Atmosphäre, wo auch Emotionen Platz haben. Ungewohnte Fragetechniken oder Kreativitäts- und Visualisierungsmethoden helfen, einen Konsens zu finden.

www.swiss-mediators.org

ho, ho, sz

Veröffentlichung: 29. August 2019 / Ausgabe 35/2019

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