Versäumnisse und ihre Konsequenzen

Das Circle Convention Center bot den Rahmen für einen eindrücklichen fiktiven Strafprozess. Bild: Monika Hurni

Gerichtsfall.  Mit der fiktiven Gerichtsverhandlung unter dem Titel «Ein Unfall vor Gericht» zeigte die Suva vergangenen Freitag im Circle Convention Centre am Zürcher Flughafen eindrücklich auf, was passieren kann, wenn Sicherheitsvorkehrungen missachtet werden.

Es ist eine dieser Stresssituationen bei der Topbau AG, man ist mit der Arbeit in Verzug und ausgerechnet jetzt fällt ein Mitarbeiter krankheitsbedingt aus. Unverzüglich meldet sich Firmeninhaber Martin Meister bei der Temporent AG, wo ihm von Claude Muster ein Mitarbeiter vermittelt wird. Der 38-jährige Erich Temporär ist gelernter Metallbauer und hat bereits auf vielen unterschiedlichen Baustellen in einem Temporäreinsatz Erfahrungen gesammelt. Er meldet sich auf der Baustelle bei Polier Sandro Polieri. Dieser gibt ihm zwischen zwei dringenden Telefonaten erste kurze Anweisungen, überreicht ihm den Schlüssel und den Auffanggurt für die Hubarbeitsbühne und verspricht, später vorbeizuschauen. Temporär hat schon mit den Installationen an der Decke begonnen, als Polieri vorbeischaut und sieht, dass der temporäre Mitarbeiter Mühe hat, die Hubarbeitsbühne zu bedienen. Der Polier teilt seine Bedenken seinem Chef, Martin Meister mit, macht sich aber vorerst eher Gedanken über die Gerätschaften als über die Sicherheit des temporären Mitarbeiters. Eine Fehleinschätzung, wie sich später zeigen wird. Temporär fährt über ein Kantholz, welches er bei der Kontrolle der Baustelle nicht gesehen hatte. Er verliert das Gleichgewicht, stürzt über vier Meter in die Tiefe und zieht sich schwerste Verletzungen zu – dies, weil er den Auffanggurt zwar angezogen, aber nicht eingehängt hat.

Die Klärung der Schuldfrage ...

Bei dieser Ausgangslage setzt die fiktive Gerichtsverhandlung im Circle Convention Center im Zürcher Flughafen vergangenen Freitag an. Der Geschädigte, Erich Temporär, sowie die drei Angeklagten, Martin Meister, Sandro Polieri und Claude Muster, werden von Schauspielern dargestellt, beim Richter und den beteiligten Anwälten handelt es sich um echte Berufsleute.

Nach der Schilderung des Falles will Moderatorin Katja Reichenstein von den Besuchern wissen, ob sie die Hauptschuld bei der Baufirma oder der Vermittlungsfirma sehen. Die überwiegende Mehrheit hebt den Stimmzettel für die Baufirma.

Die zentrale Frage während der Verhandlung ist, ob die Vermittlungsfirma gewusst hat, dass Temporär auf einer Hubarbeitsbühne arbeitet. Meister gibt an, dies am Telefon mitgeteilt zu haben, was Vermittler Muster bestreitet. Er sagt aus, von einem normalen Arbeitsgerüst ausgegangen zu sein, für welches keine spezielle Ausbildung erforderlich ist.

...führt zu einem happigen Urteil

Die Anklage im Strafprozess lautet schliesslich auf fahrlässige schwere Körperverletzung. Das Urteil ist happig: Polier Sandro Polieri wird zu zwölf Monaten Gefängnis bedingt und zur Bezahlung eines Drittels der Gerichtskosten von 9000 Franken verurteilt, Firmenchef Martin Meister zu acht Monaten Gefängnis bedingt und zur Bezahlung eines weiteren Drittels. Claude Muster hingegen wird, auf dem Grundsatz «im Zweifel für den Angeklagten», freigesprochen. Das letzte Drittel der Verfahrenskosten geht zulasten des Staates. Das Urteil gegen die Baufirma empfindet ein Grossteil der Anwesenden als zu hart, insbesondere, weil der Verunfallte die Sicherheitsvorschriften zwar gekannt, aber nicht eingehalten hatte. Im anschliessenden Zivilprozess lautete das Verdikt, dass die Baufirma zwei Drittel und die Temporärvermittlung ein Drittel des Schadens tragen muss, dies mit einer Haftungsreduktion von 20 % wegen des Fehlverhaltens des Verunfallten.

Erhöhtes Unfallrisiko bei Temporären

Fakt ist laut Suva-Statistik: Schwere Unfälle geschehen 50 % häufiger bei temporären Mitarbeitenden als bei Festangestellten.

Peter Fahrni, Experte Sicherheit und Gesundheitsschutz der Suva, richtete deshalb den dringenden Appell an die Anwesenden, temporäre Mitarbeitende wie Festangestellte zu behandeln und sie auch dementsprechend zu instruieren.

Wer Zeuge der fiktiven Verhandlung werden und sehen möchte, ob das Gericht auch bei den weiteren Verhandlungen zum gleichen Urteil kommt, der hat noch zweimal die Gelegenheit: Am Dienstag, 4. Oktober, im Kultur- und Kongresszentrum (KKL) in Luzern und am Dienstag, 1. November 2022, im Kursaal in Bern.

www.suva.ch/gerichtsevent2022

Monika Hurni

Veröffentlichung: 25. August 2022 / Ausgabe 34/2022

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