Vertragslos ab 1. Januar 2021

Die letzte Chance für eine Rettung des Gesamtarbeits-vertrags ist vertan. Bild: VSSM

Entscheid.  Das Hickhack um einen neuen Gesamtarbeitsvertrag (GAV) nimmt ein böses Ende. Nachdem die Gewerkschaften nun auch die Übergangslösung verhindert haben, steht die Branche ohne GAV da.

Die Delegierten des Verbands Schweizerischer Schreinermeister und Möbelfabrikanten (VSSM) hatten Mitte November mit einem überwiegenden Mehr dem neuen Gesamtarbeitsvertrag für das Schreinergewerbe zugestimmt. Der ebenfalls zur Abstimmung vorgelegte Vorschlag für ein Vorruhestandsmodell (VRM) wurde deutlich abgelehnt.

Kein GAV ohne Vorruhestandsmodell

Die Arbeitgeberseite hatte also mit einem eindeutigen Zeichen vorgelegt: Die Gewerkschaften Unia und Syna waren an ihren Berufskonferenzen gefordert, die bereits im Sommer getroffene Zustimmung zum ausgehandelten GAV von ihren Gremien zu bestätigen. Wie bekannt wurde, haben die Gewerkschaftsvertreter nun dem neuen GAV eine Abfuhr erteilt. Dies mit der Begründung, dass der neue Gesamtarbeitsvertrag für sie nur im Paket mit dem vorgeschlagenen Vorruhestandsmodell annehmbar gewesen wäre. Ein Umstand, auf den der VSSM im Vorfeld der Entscheidungen hingewiesen hatte.

Auch die letzte Chance verpasst

Eine letzte Chance gab es noch, den vertragslosen Zustand per 1. Januar 2021 zu verhindern. Vorsorglich hatten die drei Vertragspartner beim Staatssekretariat für Wirtschaft (Seco) nämlich die Verlängerung des aktuell geltenden GAV für das Jahr 2021 beantragt. Eine solche Übergangslösung hätte einen wertvollen Zeitgewinn zur Ausarbeitung von Lösungswegen ermöglicht. Die Gewerkschaften haben nun auch diese Möglichkeit zerschlagen und müssen daher den vertragslosen Zustand verantworten.

Nur Verlierer

Mit diesen Entscheidungen der Gewerkschaften stehen die Schreinerinnen und Schreiner ab 1. Januar 2021 ohne gültigen Gesamtarbeitsvertrag da. VSSM-Zentralpräsident Thomas Iten zeigt sich in einer ersten Reaktion enttäuscht über den Entscheid der Gewerkschaften, denn: «In dieser Situation gibt es leider nur Verlierer – besonders die Mitarbeitenden unserer Betriebe.» Thomas Iten verweist dabei auf folgende verheerenden Konsequenzen: «Mit dem Wegfall der paritätisch unterstützten Weiterbildungsfinanzierung gehen wertvolle Gelder für die Entwicklung der Schreinerinnen und Schreiner und somit unserer ganzen Branche verloren.»

Zudem öffne der vertragslose Zustand Türen und Tore für die ausländischen Unternehmer, die nun ohne Rücksicht auf Mindestlöhne und Arbeitsbedingungen im Schweizer Markt tätig sein können.

Widersprüchliches Verhalten

Diese Tatsache beschäftigt auch Jack Breitenmoser, Inhaber und Geschäftsführer eines grösseren Montageunternehmens in der Ostschweiz sowie Präsident der VSSM-Fachgruppe Montage: «Alle Unternehmen aus dem EU-Raum können und dürfen nun in der Schweiz arbeiten, ohne sich an die jeweiligen Schweizer Mindestlöhne zu halten. Das ist faktisch Lohndumping. Genau das nehmen die Gewerkschaften mit dem provozierten vertragslosen Zustand in Kauf, obwohl sie sich ständig für den Lohnschutz der Schweizer Arbeitnehmer im Rahmenabkommen mit der EU stark machen. Dieses Verhalten ist für mich widersprüchlich und asozial.»

Kritik auch aus der Südschweiz

Auch die Schreiner im Kanton Tessin trifft der vertragslose Zustand hart. Sektionspräsident Renato Scerpella äussert sein Unverständnis zum Verhalten von Unia und Syna. «Die Gewerkschaften haben versucht, der Schreinerbranche ein Vorruhestandsmodell aufzuzwingen, das die Mehrheit der Arbeitnehmer und Arbeitgeber in dieser Form nicht wollen», kritisiert Scerpella. «Dass dies zu einem vertragslosen Zustand geführt hat, ist eine Ohrfeige für alle Schreiner und ein Affront gegenüber denjenigen, die sich für die Branche und für gute Bedingungen einsetzen sowie ihre Arbeit gerne und gut ausführen.»

Der VSSM empfiehlt seinen Mitgliedsbetrieben trotz vertragslosem Zustand die guten und bewährten Arbeitsbedingungen gemäss aktuellem Übergangs-GAV 2018 – 2020 beizubehalten und stellt sich auf einen längere Zeit ohne GAV ein.

www.vssm.chwww.syna.chwww.unia.ch

Die Konsequenzen

Vertragsloser Zustand: Das muss der Arbeitgeber wissen

Der vertragslose Zustand, der für das ganze VSSM-Verbandsgebiet, ausgenommen Sektionen Deutsch-Freiburg und Oberwallis, gilt, zieht einschneidende Konsequenzen nach sich. So fehlen finanzielle Mittel für Projekte und Vorhaben des VSSM sowie bei der Unterstützung der Weiterbildungswilligen. Weiter gilt für arbeitsrechtliche Mindeststandards und für Entsandte nicht mehr der GAV, sondern die gesetzlichen Bestimmungen des Obligationenrechts und des Arbeitsgesetzes (Beispiel: keine Mindestlöhne mehr).

Nachfolgend die wesentlichen Punkte, die der Arbeitgeber im Zusammenhang mit dem vertragslosen Zustand wissen bzw. befolgen sollte:

  • Bestehende Einzelarbeitsverträge sind weiterhin gültig
  • Bei Änderungen von Einzelarbeitsverträgen braucht es die Zustimmung der Arbeitnehmenden. Ohne deren Zustimmung ist eine Änderung nur mittels einer Änderungskündigung möglich
  • Die Zentrale Paritätische Berufs- kommission (ZPK) wird in einem Schreiben über den Wegfall der Berufsbeiträge informieren
  • Weiterbildungswillige sollen nach Möglichkeit weiterhin aktiv unterstützt werden
  • Die Branchenlösung Siko Schreinergewerbe kann in den Betrieben unverändert beibehalten werden
  • Mitarbeitende sind über die Folgen eines vertragslosen Zustandes zu informieren.

pATRIK ETTLIN, PET

Veröffentlichung: 17. Dezember 2020 / Ausgabe 51-52/2020

Artikel zum Thema

09. Mai 2024

Digital zu neuem Personal

Social Recruiting.  Viele Schreinereien kennen die Herausforderung: Volle Auftragsbücher und ein überlastetes Team – aber über herkömmliche Wege sind kaum Fachkräfte zu finden. Ist das Netzwerk ausgeschöpft, müssen Unternehmen neue Wege beschreiten, etwa über Social Media.

mehr
04. April 2024

Kontakte fürs Leben

Unternehmenstag.  Gut 80 Firmen haben am Mittwoch vergangener Woche den Unternehmenstag Holz in Biel genutzt, um sich den Studierenden an der Berner Fachhochschule zu präsentieren. Dabei eröffneten sich spannende Chancen für die Zukunft.

mehr

weitere Artikel zum Thema:

Wirtschaft