Vom Hirngespinst zum Standard

Es gibt noch viel zu tun,um bis 2050 die Energieziele des Bundes zu erreichen. Grosses Energiesparpotenzial gibt es bei den Altbauten. Bild: Fotolia, Jürgen Fälchle

Niedrigenergie.  Durch neue Vorschriften im Energiebereich wird das Minergiehaus zum Standard bei Neubauten. Also Ziel erreicht? Nur teilweise, sagt ein Dämmstoffexperte im Interview, denn bei den Sanierungen von Altbauten gibt es noch viel zu tun.

SchreinerZeitung: Was beschäftigt die Dämmstoffhersteller zurzeit?
Daniel Schild: Sicherlich die Verschärfungen der Vorschriften bei der Wärmedämmung. Das heisst für uns, dass wir bessere Dämmstoffe mit einem niedrigeren Lambda- Wert entwickeln müssen. Man sieht aber auch, dass gute Dämmstoffe alleine nicht mehr ausreichen, intelligentes Bauen ist gefragt.
Inwiefern?
Es hilft zum Beispiel nur wenig, wenn ein super Dämmstoff eingesetzt wird, aber gleichzeitig viele Wärmebrücken vorhanden sind. Hier sind Systeme gefragt und man muss das ganze Bauteil respektive sogar das ganze Gebäude betrachten, nicht nur die Dicke der Wärmedämmung.
Dann rückt die Wärmedämmung also mehr in den Hintergrund?
Grundsätzlich ist die Dämmung der wichtigste Faktor für die Energieeffizienz eines Gebäudes. In Anbetracht der heutigen Vorgaben bringt aber eine weitere Verschärfung im Neubaubereich kaum noch etwas. Viel wichtiger ist es jetzt, die Renovationen zu forcieren, um auch die Energieziele 2050 zu erreichen.
Warum sind die Renovationen so wichtig?
Die Anforderungen in diesem Bereich sind mittlerweile mit einem U-Wert von 0,25 W/m2K beinahe auf dem Niveau eines Neubaus. Will man noch Fördergelder beantragen, liegt der Wert sogar bei 0,20 W/m2K. Derzeit liegt aber die Renovationsrate bei nur etwa einem Prozent pro Jahr. Theoretisch wird also ein Gebäude in der Schweiz nur alle 100 Jahre saniert. Für die Praxis bedeutet dies, dass viele Bauten energetisch gesehen in einem schlechten Zustand sind. Deshalb ist es wichtig, die Renovationsrate zu steigern. Und gerade in diesem Bereich gibt es viel Potenzial für den Schreiner, wenn es um Dachraumausbauten oder Innendämmungen geht.
Kann der Schreiner in Zukunft solche Dämmarbeiten überhaupt noch aus- führen?
Ich glaube schon, der Schlüssel dazu ist die Weiterbildung, denn Neuerungen und Veränderungen gibt es im Handwerk ständig in allen Bereichen. Es ist noch nicht so lange her, da wusste fast niemand, was es mit Dämm- und Luftdichtheitsebenen auf sich hat. Heute werden Dämmungen, Dampfbremsen und Klebetechnik in sehr hoher Ausführungsqualität eingesetzt. Das zeigt, dass die Akteure der Baubranche lernfähig sind. Deshalb denke ich nicht, dass es beispielsweise neue Spezialberufe braucht.
Haben die Diskussionen rund um den Landverbrauch und die Zweitwohnungen einen beschleunigenden Effekt auf die Renovationsrate?
Das ist in den Regionen sehr unterschiedlich. In Ballungsgebieten, wo Land und Wohnraum knapp sind, wird verdichtet. Dabei werden oft Ersatzneubauten oder auch Aufstockungen in Holzbauweise realisiert.
Zurück zu den Energievorschriften: Welche Rolle nimmt künftig der Verein Minergie oder die MuKEn ein?
Da muss man klar sagen: Wäre in den 90er- Jahren der Verein Minergie nicht gewesen, dann stünden wir mit der Energiegesetzgebung nicht da, wo wir heute sind, nämlich praktisch auf Minergieniveau. Im Fokus der Strategie von Minergie sind heute vor allem die Qualitätssicherung und die Modernisierung des Gebäudebestandes.
Der Druck durch die Minergieanforderungen war also ein Glücksfall für die Dämmstoffhersteller …
Primär war es ein Glücksfall für die Schweiz. Wir leben heute in sehr effizienten und vor allem komfortablen Wohnungen. Dadurch wurde aber natürlich auch eine Nachfrage geschaffen, die von immer mehr Anbietern bedient wird.
Gibt es denn internationale Standards, die auch einen Einfluss auf die Schweiz haben, ähnlich wie in anderen Normen?
Politisch gibt es in Europa die EU-Richtlinie über die Gesamtenergieeffizienz von Gebäuden, die den Bau von «nearly zero energy buildings», also nahezu Nullenergiehäusern zum Ziel hat. Dies soll für den Neubau ab 2020 gelten. Wie die einzelnen Länder dies erreichen, ist aber ihnen überlassen, weil es halt einfach sehr grosse Unterschiede beim Klima gibt. In Finnland zum Beispiel gibt es viel strengere Anforderungen bei der Dämmung von Dächern. Dort werden U-Werte von maximal 0,09 W/m2K verlangt.
Finanzielle Förderungen wie etwa durch das Gebäudeprogramm stehen manchmal in der Kritik. Wie wichtig sind solche Massnahmen?
Klar, solche Fördermittel schaffen einen zusätzlichen Anreiz, ein Gebäude energetisch zu sanieren. Ebenso wichtig ist es aber, dem Eigentümer auch andere Argumente vor Augen zu führen. Unumgängliche Instandhaltungsarbeiten wie das Reparieren eines undichten Daches oder das Renovieren einer verwitterten Fassade bedingen einen gewissen Aufwand. Gleichzeitig setzen sie den energetischen Stand des Bauteils für die vielleicht nächsten 40 Jahre fest. Diese Chance darf daher nicht verpasst werden.
Und wenn man nicht nur das Minimum macht, braucht man sich länger keine Sorgen über neue, strengere Energievorschriften zu machen. Wer Ende der 90er ein Haus nach Minergiestandard baute, galt damals noch als Spinner. Energetisch gesehen gilt dieses Haus heute immer noch als Neubau, weil es die heute geltenden Mindestanforderungen nach wie vor erfüllt.
Ein bekannter ETH-Professor vertritt den Standpunkt, eigentlich spiele die Wärmedämmung nur eine untergeordnete Rolle, wenn die Energie CO2-neutral erzeugt wird.

Wenn man den Fokus nur auf ein einzelnes Gebäude legt, mag das zutreffen. Man muss es aber im gesamten gesellschaftlichen Kontext sehen: Energie ist etwas sehr Wertvolles, egal auf welche Art sie gewonnen wird. Deshalb sollte man damit sparsam umgehen, soweit es möglich und sinnvoll ist, denn die Schweiz verbraucht grundsätzlich sehr viel Energie und wird diese in Zukunft weiterhin benötigen. Eine auf das jeweilige Klima abgestimmte, kombinierte Lösung zwischen Wärmedämmung und CO2-neutraler Energiegewinnung erachte ich deshalb als gute Lösung.

In diesem Zusammenhang spielt aber auch die graue Energie eine Rolle, die im Dämmstoff steckt?

Ja, das ist ein viel diskutiertes Thema. Manchmal wird behauptet, dass man die für die Herstellung des Dämmstoffes verwendete Energie nie einsparen könne. Offizielle und von verschiedenen Stellen kontrollierte, standardisierte Berechnungen zeigen jedoch, dass eine Wärmedämmung spätestens nach einer Heizperiode bereits energetisch amortisiert ist.

Aber klar, bei der Herstellung unserer Glaswolle wird Energie benötigt. Dank der Verwendung von Recyclingglas, technischen Verbesserungen und dem Einsatz von Strom aus Flusswasserkraftwerken konnten wir den Grauenergiegehalt unserer Produkte minimieren.

Je nach Gewichtung können solche Bilanzen aber ganz unterschiedlich ausfallen.

Hier spielt einerseits die Gebäudeform, also Einfamilien- oder Mehrfamilienhaus, sowie die Gebäudelage ein Rolle. Es kann durchaus sein, dass ein mittelmässig gedämmtes Haus in der Stadt ökologischer ist als ein sehr gut gedämmtes auf dem Land. In Letzterem sind die Bewohner vielleicht auf ein zusätzliches Auto angewiesen, was die gesamte Bilanz negativ beeinflusst. Andererseits können natürlich nicht alle in der Stadt leben.

Oft hört man von Hightech-Dämmstoffen wie Vakuumisolationspaneelen oder Aerogelen, eine Alternative für die Zukunft?
Während meines Engagements als Bauphysiker haben wir ab und zu auf Vakuumisolationen gesetzt. Dies aber ausschliesslich in Spezialfällen, wo es nicht anders ging, denn diese Paneele dämmen zwar sehr gut, sind aber schwierig in der Planung und Umsetzung, weil sie sich nicht schneiden lassen. Aerogele lassen sich zwar zuschneiden, technisch sind aber bisher nur Dicken von etwa 20 mm machbar. Zudem sind beide Dämmmaterialien relativ teuer.
Wie werden denn Gebäude in 30 Jahren gedämmt sein?

In den letzten Jahrzehnten fand eine Revolution statt bei der Wärmedämmung. Künftig werden die Veränderungen sicherlich nicht mehr so gross sein. Ich erwarte also eher eine Evolution, zum Beispiel Verbesserungen bei den Lambda-Werten. In 30 Jahren wird das Nullenergiegebäude aber Standard sein, mit einer Wärmedämmung, die ein gutes Kosten-Nutzen-Verhältnis aufweist. Ähnlich wie sie heute bereits eingesetzt wird.

Zur Person

Daniel Schild hat 1998 seine Lehre als Schreiner abgeschlossen. Von 1998 bis 2002 absolvierte er das Holzingenieurstudium an der Berner Fachhochschule Bau und Holz in Biel (BFH). Danach arbeitete er als Bauphysiker an der BFH und bei der Gartenmann Engineering AG. Vor rund sieben Jahren kam er zur Saint-Gobain Isover SA und leitet dort heute als Direktor Marketing die Bereiche Produktlancierungen, Sortimentsplanung und -gestaltung sowie Kommunikation.

www.isover.ch

ph

Veröffentlichung: 27. August 2015 / Ausgabe 34/2015

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