Von analogen und digitalen Fenstern

Im Holzbau ist die Digitalisierung weit fortgeschritten: Thomas Wehrle spricht an den Windays. Bild: BFH

Fachtagung.  Bereits zum zehnten Mal haben vergangene Woche die Windays stattgefunden, die Fachtagung der Fenster- und Fassadenbranche an der Berner Fachhochschule. Wegen Corona war das Jubiläum nur eintägig und online. Doch an Gehalt haben die Windays nichts verloren.

Natürlich, man hätte der zehnten Austragung der Windays etwas mehr Pomp und Glamour gewünscht. Ein Glas zum Anstossen, Hände zum Schütteln und eine schöne Lokalität, die zur guten Stimmung beiträgt. Doch es lässt sich eben nicht alles digitalisieren. So freute sich am vergangenen Donnerstag Peter Staub, Direktor des Departements Architektur, Holz und Bau der Berner Fachhochschule (BFH), dass die Windays anders als gewohnt, aber dennoch stattfinden können. Erfreulich auch, dass rund 180 Teilnehmerinnen und Teilnehmer aus der Schweiz, aus Deutschland, Österreich und Liechtenstein den Weg in den virtuellen Raum gefunden hätten. Und Christoph Rellstab, Leiter der Höheren Fachschule Holz der BFH, sagte: «Wenn man mich vor zwei Jahren gefragt hätte, ob ein solcher Anlass auch rein digital ausgetragen werden kann, hätte ich selbstverständlich Nein gesagt.» Nun, nach über einem Jahr Corona, habe die BFH viel Erfahrung in Sachen Online-Unterricht und Webinare.

Die eintägige Fachtagung der Fenster- und Fassadenbranche war in drei Blöcke aufgeteilt. Sie startete am Vormittag mit den Themen Markt, Entwicklungen und Innovationen. Norbert Winterberg, Leiter Management und Marktforschung an der BFH, machte den Auftakt mit dem Referat «Trends und Entwicklungen im Bau-, Fenster- und Fassadenmarkt». Die Schweiz sei bis jetzt glimpflich durch die Pandemie gekommen. Laut den neuesten Zahlen des Staatsekretariats für Wirtschaft sei das Bruttoinlandprodukt (BIP) zwar um drei Prozent gesunken, in der Eurozone betrage der Rückgang aber sechs Prozent. Der Bauingenieur und Ökonom zeigte anhand der Baubewilligungen die Marktentwicklung auf. Die Anzahl sei 2019 und 2020 erstmals seit zehn Jahren angestiegen. Zudem seien die Baukosten pro Bewilligung höher. Das komme daher, dass grössere oder luxuriösere Gebäude erstellt würden. «Wir können davon ausgehen, dass sich der Markt zügig erholen wird», sagte Winterberg. Die Prognosen im Fenstermarkt gehen von einem Wachstum von 3,5 Prozent aus.

Lokale Einflüsse

Es folgte ein Blick in die grosse, weite Welt. Matthias Dick, Business Development Manager der Sika Europe Management AG, zeigte die Entwicklungen auf dem internationalen Fenster- und Fassadenmarkt auf. Die beiden Märkte würden sich, global betrachtet, stark unterscheiden, sagte Dick: «Der Fenstermarkt unterliegt viel stärker den lokalen Gegebenheiten als der Fassadenmarkt. In den verschiedenen Weltregionen haben sich ganz unterschiedliche Fenster-Öffnungsarten durchgesetzt. Dazu kommt, dass die Materialverfügbarkeit der Werkstoffe sehr unterschiedlich ist.» Das mache den Fenstermarkt sehr komplex und die Preisunterschiede gross. Ganz anders verhalte sich der Fassadenmarkt. «Er erlebt derzeit eine Globalisierung.» Dick sieht die Herausforderungen in den Konsolidierungen am Fenstermarkt. Zudem seien Themen wie die Ökologie der Fassaden, die Effizienz in der Wärmedämmung und die Individualisierung nach wie vor aktuell.

Peter Schober, Abteilungsleiter Bautechnik und Fachbereichsleiter Fenster von Holzforschung Austria, stellte das sogenannte Morgenfenster vor. «Wir verwenden diesen Begriff, weil die oft gebrauchte Bezeichnung ‹das Fenster der Zukunft› für uns zu weit weg erscheint, während das Morgenfenster nahe am Jetzt ist und schon morgen Einzug in die Überlegungen der Branche halten könnte», sagte er. Ziel seines Teams war es, smarte und energieeffiziente Fensterprototypen zu entwickeln. Die Fenster sollten keine konventionellen Dreh-Kipp-Beschläge aufweisen. Man suchte nach anderen Bewegungsmustern, Möglichkeiten von mechatronischen Antrieben und automatisierten Lüftungen. Entstanden sind vier Prototypen: das flächenbündige, nach innen öffnende Dreh-Fenster, das nach aussen öffnende Parallel-Abstell-Dreh-Fenster, das Schwing-Klapp-Fenster und das Abstell-Schiebe-Fenster. «Wir haben alle Typen der Öffentlichkeit präsentiert. Dabei kamen das nach innen öffnende Dreh-Fenster und das Abstell-Schiebe-Fenster am besten an. Wir denken, dass es Potenzial für neue Fenstergenerationen gibt.»

Automatisch – aber zu laut

Urs Uehlinger, Leiter des Bereichs Fenster, Türen und Fassaden der BFH, berichtete in seinem Referat «Motorisiert, leise und smart – Das neue Standardfester» über die Schwierigkeit, Schallschutz und Lüftung zu vereinen. «Die Luftqualität in Innenräumen kann mit automatisierten Fenstern geregelt werden», sagte Uehlinger. Doch die Funktionsgeräusche der Fenster seien nach wie vor zu laut. Das Öffnen und Schliessen verursacht Knack-Geräusche, die einen in der Nacht aufwecken. Darum arbeitet die BFH derzeit am Innosuisse-Projekt «M-Window». Ziel sei es, ein Fenster zu gestalten, das steuer-, integrierbar und lautlos ist und die Raumlüftung automatisch regeln kann. Dabei müssen die Kosten und der Nutzen im Gleichgewicht bleiben. «Neben diversen konstruktiven Aspekten gibt es auch noch einige technische Herausforderungen zu bewältigen. Ich spreche von Fenstergrösse, Gewicht, Bauanschluss und Wärmebrücken, aber auch davon, dass es schwierig ist, solche Fenster bei Renovationen einzupassen», sagte Uehlinger. Zudem dürfe man bei automatisierten Fenstern nicht vergessen, dass die Monteure zum Beispiel in Elektrik geschult werden und die Planer mehr Wissen mitbringen müssen.

Im nächsten Referat stellte Marcus Schiere, Wissenschaftlicher Mitarbeiter der BFH, die Frage: «Können wir uns in der Fensterentwicklung immer noch Realversuche leisten, um an verlässliche Informationen hinsichtlich der Festigkeit zu kommen?» Er präsentierte zwei Methoden, die Finite-Elementen-Methode (FEM) und die Digital Image Correlation (DIC), mit denen man auf rein rechnerischem Weg eine statisch-mechanische Analyse eines Fensters machen kann. Das sei nicht nur zeitsparender, sondern auch kostengünstiger. «Wir haben in den Simulationen die Möglichkeit, verschiedene Parameter zu verändern. Zum Beispiel fragen wir uns, welchen Einfluss eine Zweifach- oder Dreifachverglasung auf die Fensterstatik hat. Oder inwiefern sich mehr oder weniger Klebstoff im Fenster auf dessen Stabilität auswirkt.»

Wachsende Bedeutung

Auch am Nachmittag gab es spannende Inputs abzuholen. Der zweite Block stand unter dem Motto «Bauen und Energie». Andreas Luible, Leiter des Kompetenzzentrums Gebäudehülle und Ingenieurbau an der Hochschule Luzern, zeigte die Auswirkungen der unterschiedlichen Bemessungsnormen auf. Das Merkblatt SIA 2057 wird im August voraussichtlich aktiv werden. Damit wird eine einfache und sichere Bemessung von Glas möglich. Interessant wird für viele Schweizer Anwendungen unter anderem das vereinfachte Nachweisverfahren für Mehrscheibenisolierglas sein.

Als Geschäftsleiter des Vereins Minergie blickte Andreas Meyer Primavesi in die Zukunft. Das Fenster werde als zentrales Element in einem Gebäude immer wichtiger, damit die Energierichtwerte noch eingehalten werden können. Den Abschluss des zweiten Blocks machte Beat Rudin, Geschäftsführer und Leiter Technik beim Schweizerischen Fachverband Fenster- und Fassadenbranche (FFF). Er warf einen Blick in die Geschichte und auf die Grundlagen des Qualitätsmanagements und der Werkseigenen Produktionskontrolle (WPK).

Rolf Baumann, Leiter des Instituts für digitale Bau- und Holzwirtschaft der BFH, eröffnete den dritten Block. Seit zehn Jahren präge der Begriff Industrie 4.0 die Branche. Sowohl die Massenfertigung als auch die Einzelfertigung strebten die individuelle Fertigung mit Losgrösse eins an. Für die Einzelanfertigung könnte eine dezentrale und moderne Aufstellung ein möglicher Weg sein. Hierfür können mit der «Werkstatt der Zukunft», einer Demo-Umgebung im Originalmassstab, neue Technologien und Konzepte simuliert werden. Laut Baumann fehlt es in der Regel nicht an Technologie, sondern an ihrem Einsatz. Hierfür gilt es, die virtuellen und physischen Werte zu kennen sowie richtig einzuordnen.

Thomas Wehrle, Leiter Technik bei der Erne AG Holzbau, zeigte auf, wie sein Unternehmen das Thema Digitalisierung implementiert hat. Weil der Holzbau schon früh mit der digitalen Planung begonnen habe, sei man heute bis auf die Baustelle digitalisiert. Nun gelte es, die Daten und Modelle digital an die Bauteile anzuhängen und weiter auszubauen. Zusätzlich gelte es, die Mitarbeitenden auf dem Weg des digitalen Prozesses mitzunehmen.

Positionen der Experten

In der Abschlussdiskussion sassen sich mit Christoph Rellstab, Rolf Baumann, Thomas Wehrle und Peter Wicki, Leiter Entwicklung Bau bei der Zug Estates AG, zwei Forscher, ein Unternehmer und ein Immobilienvertreter gegenüber. Wicki sieht eine grosse Herausforderung darin, dass die Branchen bei der Digitalisierung unterschiedlich weit sind. Früher seien die besten Leute auf der Baustelle jene mit schnellen Lösungen gewesen, heute seien die besten jene, bei denen alles perfekt funktioniere. Baumann sieht eine Problematik darin, dass noch viel nur digitalisiert und nicht digital transformiert werde. Auch Wehrle sieht eine Gefahr, dass nur über die Digitalisierung von Prozessen geredet wird und die Beteiligten nicht mitgenommen werden. Laut Wicki und Wehrle werden in Zukunft nur noch Bim-erfahrene Unternehmen an grossen Projekten mitwirken. Einhellig war man der Meinung, dass Bim heutzu- tage finanziell noch ein schwieriges The- ma sei.

www.bfh.ch

Isabelle Spengler und Noah Gautschi

Veröffentlichung: 22. April 2021 / Ausgabe 17/2021

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