Was auf uns zuwohnt

Ganz passabler Wohnraum in einer 8-Euro-Siedlung. Bild: Aus der Präsentation von Simon Tubbesing

Bau Online. Eine Leitmesse wie die Bau München ist auch eine Denkfabrik. Daran ändert sich nichts, wenn sie ins Internet verlegt wird. Engagiert sinnierten Fachleute an einer digitalen Forumsveranstaltung, wie die Zukunft des Wohnens aussehen wird. Die Ansätze sind interessant und werden auch Einfluss auf den Innenausbau haben.

Spätestens bei der abschliessenden Podiumsdiskussion wurde deutlich, dass zu Zeiten von Corona auch einer Online-Veranstaltung Grenzen gesetzt sind. Die Besetzung des Podiums war flach: Ein Teilnehmer sass alleine in einem Grossraumbüro in Hamburg und wurde über einen Monitor zugeschaltet, zwei Protagonisten des Nachmittags waren nicht dabei, weil ihre Beiträge ab Konserve kamen. Immerhin: Ein Architekt und der Moderator hielten die Stellung (wahrscheinlich in München).

Doch wie so oft war die Schlussdiskussion auch bei der Forumsveranstaltung «Zukunft des Wohnens» an der Online-Messe Bau 2021 nicht das, was man unbedingt sehen musste. Viel spannender waren die vorangegangenen Beiträge der Referenten.

Enge Gänge, hohe Wohnungen

Den Anfang machte am Mittwochnachmittag Tim Heide vom Architekturbüro Heide & von Beckerath in Berlin. Anhand eines Projekts in Berlin-Kreuzberg zeigte er, wie in einer Siedlung Wohnen und Arbeiten kombiniert werden kann. In Anlehnung an Le Corbusier und aus ökonomischen Motiven wurde ein maximales Bauvolumen realisiert. Dieses wurde so konzipiert, dass Bindungen unter den Nachbarn entstanden und die Bewohner zu «Akteuren des Gebäudes» wurden. Die relativ engen Erschliessungskorridore und Lichthöfe bekamen die Funktion von Begegnungsorten. Die Wohneinheiten selber haben teilweise doppelte Raumhöhe, um «Möglichkeiten des Selbstausbaus» zu schaffen.

Einen ähnlichen Ansatz vertrat Herwig Spiegl vom Wiener Architekturbüro «Alles wird gut». Er propagierte die Erschliessungsräume als «zentrale Elemente bei der Planung». Hier halte man sich auf, hier begegne man sich. Auch Laubengänge zählt er dazu. Seine Idee von Gemeinschaftsflächen geht aber noch weiter. Er bezeichnet gemeinschaftliche Küchen zum Beispiel als Orte des sozialen Austauschs. «Wohnungen können kleiner sein, wenn man den Ausgleich in den Gemeinschaftsflächen findet», sagt er. Denn durch das Prinzip des Teilens bekomme man als Einzelner mehr als sonst.

Zimmer zum zumieten

Die Schweiz war vertreten durch Thomas Friberg von den Zürcher Pool Architekten. Er stellte die Frage: «Welche Architektur können wir uns leisten?» Und lieferte gleich die Antwort, dass es sich dabei wohl um genossenschaftliches Bauen handelt. Er präsentierte das Beispiel der Genossenschaftssiedlung Glattpark in Opfikon ZH, die auf die Lebenssituation der Bewohnerinnen und Bewohner reagieren kann. Bei grösserem Flächenbedarf können sie einfach ein Zimmer zumieten. «Man ist flexibel, und vor allem beansprucht man immer nur so viel Wohnraum wie nötig.» Solche zumietbaren Zimmer sind in der ganzen Siedlung verteilt.

Günstig ohne Verzicht

Simon Tubbesing vom Hamburger Architekturbüro Limbrock Tubbesing stellte eine Familiensiedlung vor, die das oberste Ziel hat, möglichst günstig zu sein. Die Miete von 8 Euro pro Quadratmeter und Monat sollte nicht überschritten werden. Und Tubbesing stellte fest: Es geht, ohne dass man auf allzu viel verzichten muss, nicht einmal in puncto Nachhaltigkeit. Die Siedlung wurde aus Holz erstellt, die Oberflächen wurden roh belassen. Für den Lift hat man vorgesorgt, diesen aber nicht eingebaut. «Es war eine interessante Erfahrung, bei jedem Bauteil die Kosten zu optimieren.» Und doch hatte das Projekt auch eine Schattenseite: «Nach Abschluss bekamen wir Anrufe von Personen, die auch gerne eine 8-Euro-Siedlung erstellen würden, um sie dann für 16 Euro zu vermieten.»

Rund zwei Stunden dauerte der unterhaltsame Exkurs über die Zukunft des Wohnens. Und obschon es viel um architektonische Philosophien ging, wurde doch auch klar: Jedes städtebauliche Konzept ist letztlich abzulesen an der Ausgestaltung und dem Innenausbau der einzelnen Wohneinheiten. Und: Für Schreinerinnen und Schreiner gibt es immer etwas zu tun. 

Martin Freuler

Zukunft des Wohnens, Teil 2

Am Freitag um 10 Uhr findet im Rahmen der Bau Online eine zweite Veranstaltung zum Thema «Zukunft des Wohnens» statt. Sie kann unter diesem Link besucht werden.

Veröffentlichung: 14. Januar 2021

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