Wenn aus Altem etwas Neues entsteht

Die Frontfassade des Spychers zeigt ein harmonisches Zusammenspiel von Alt und Neu. Bild: Michi Läuchli

Revitalisierung.  In Lyssach durfte ein jahrhundertealter Spycher unter Auflagen der Denkmalpflege renoviert werden. Der geschichtsträchtige Multifunktionsbau ist der einzige bewohnbare Spycher im Kanton Bern, was ihn aussergewöhnlich macht.

Fährt man in Lyssach BE der Dorfstrasse entlang, fällt einem das Gebäude mit der einladenden und aufwendig dekorierten Fassade auf. Auf den ersten Blick ist nicht zu erkennen, dass das frisch renovierte Haus schon mehr als 200 Jahre alt ist.

Schützenswerte Geschichte

Frühe Schriftquellen belegen die Existenz eines «Speichers mit Ofenhaus und Wohnung» schon vor 1821. Dabei handelte es sich um einen klassischen Multifunktionsbau, der seit seiner Anfangszeit als Speicher, Ofen- und Wohnhaus sowie Wagenremise diente. Von der kantonalen Denkmalpflege wurde der Spycher als «K-Objekt» eingestuft, was bedeutet, dass er als schützens- und erhaltenswert gilt und die Denkmalpflege beim Bauvorhaben miteinbezogen werden musste. Da schon im Ursprung eine Mehrfachnutzung stattfand, war es möglich, den Spycher wieder zu Wohnzwecken umzubauen, was ihn im Kanton Bern einzigartig macht.

Spannende Gegensätze

Rechts, wo sich früher der Ofen befand, zeigt sich nun eine grosse Fensterfront mit Blick auf einen Coiffeursalon. Die asymmetrische Architektur scheint gelungen, so wurde der rechte Teil der Fassade mit der ursprünglichen Sandsteinmauer und Eingangstür belassen. Im Obergeschoss darüber thront der aufwendig dekorierte Laubengang, wo sich auch der Eingang zur zweistöckigen Wohnung der Bauherrschaft befindet, welche auch den Coiffeursalon betreibt. Dadurch wurde eine sinnvolle und auch der früheren Mehrfachnutzung entsprechende Lösung umgesetzt.

Hand in Hand zum Erfolg

Die Schreinerarbeiten hat die Schreinerei Werthmüller in Burgdorf BE ausgeführt. Inhaber und Geschäftsführer Stefan Liechti berichtet von der guten Zusammenarbeit zwischen Bauherrschaft, Architekten, Denkmalpflege und Schreinerei, was dem Vorhaben zum Erfolg verholfen habe. «Mit grosser Freude und einem respektvollen Umgang gegenüber dem Gebäude arbeiteten alle Parteien Hand in Hand», sagt Liechti. Es sei das Hauptziel der Beteiligten gewesen, den Bestand und die Geschichte möglichst zu erhalten, was etwa die alten Steinwände im Erdgeschoss zeigen würden. Auch die Bauherrschaft habe mit viel Herzblut am Projekt mitgearbeitet. Die Altholzteile, Wände und Balken wurden vom Bauherrn gebürstet und restauriert. Die Schreiner wiederum durften vor Ort die Werkstatt des Bauherrn benützen, wodurch ein enger Bezug entstanden sei.

Bemustern und ausprobieren

«Für uns war das Projekt einmalig. Die Planungsphase war sehr intensiv und spannend, wir haben viel diskutiert, bemustert und ausprobiert», sagt Liechti. Die Gestaltung des Innern und des Äussern des Hauses hat das Architekturbüro Team K aus Burgdorf anhand fotorealistischer Zeichnungen mit der Bauherrschaft erarbeitet und definiert. Dabei wurde darauf geachtet, dass möglichst viel vorhandenes Material verwendet werden konnte.

Alles aussergewöhnlich

Die runden Metallteile, welche sich im Coiffeursalon immer wieder finden, lehnen sich in der Formensprache an die Bögen der Laube an. Für die Metallteile fertigte die Schreinerei Grundträger und Schablonen an, die dem Metallbauer zum Biegen der Stahlplatten dienten. Schweissnähte an den geölten Schwarzblechen zeigte man dabei bewusst, um die ursprüngliche, rustikale Optik zu bewahren. Die runde Unterkonstruktion der Empfangstheke wurde aus Topan-MDF erstellt. «Anspruchsvoll waren die drehbaren Spiegelsäulen, da die Grundplatten vorgängig in den Unterlagsboden integriert werden mussten. Damit sind die Platten nachträglich nicht mehr sichtbar. Passgenau mussten sie eingemörtelt werden, damit die Säule später im Lot steht, nicht verkantet und keine Geräusche erzeugt», erklärt Liechti. Die Auskleidung der LED- beleuchteten Empfangstheke wurde in 3-Schicht-Altholzplatten ausgeführt, da zu wenig Altholz vorhanden war. Gleich dahinter befindet sich eine kaum sichtbare Tür, die sich harmonisch in die mit schwarzem Flies hinterlegte Lamellenwand einfügt. Die gleiche Lamellenwand, hergestellt aus vorhandenem Altholz, finden Kunden im Salon wieder, geschickt wurde die Wand dort als Sichtschutz eingebaut.

Verwendung vorhandener Materialien

Wo es möglich war, wurde das Altholz verwendet, dass im Dachraum des benachbarten Bauernhauses lagerte. Das geschah auch mit den Beschlägen: Bestehende wurden wiederverwendet, neue von der Firma Hager in Schmiedeisenausführung ergänzt. Die Küche wurde aus Kirschbaum und 3-Schicht-Fichtenplatten hergestellt, wobei der Kirschbaum vom Bauherrn selber stammte. Aus den Ausschnitten für das Abwaschbecken und den Glaskeramikherd fertigte die Schreinerei Schneidbretter, die sie später der Bauherrschaft als Geschenk übergab. Wo Wände weichen mussten, wurde das ausgeschnittene Material wiederverwendet und beispielsweise zu Türen umfunktioniert.

Maximale Raumnutzung

Alle Nischen wie Dachschrägen, Treppenstufen und Leerräume konnten sinnvoll ausgenutzt werden. In den Stufen liessen sich Schubladen realisieren, im Kniestock plante man ebenfalls Schubladen, die zudem durch LED beleuchtet sind. Auch im Kniestock im Bad gibt es Schubladen, die als Doppel die gleichen Platten haben wie die Wand. Der Spycher hat mit seiner Vergangenheit und dem aussergewöhnlichen Umbau viel zu erzählen.

www.werthmuellerag.chwww.team-k.ch

Michi Läuchli

Veröffentlichung: 10. November 2022 / Ausgabe 44/2022

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