Wenn zwei sich streiten ...

Bei einem Riss in der Küchenabdeckung kontrolliert der Experte, ob der Steg breit genug ist. Bild: Marc Herzog

Expertisen.  Kommt es in der Küche zu Schäden, so entbrennen die Diskussionen, wer die Kosten dafür tragen muss. Finden die beteiligten Parteien keine Lösung, so kann ein unparteiisches Gutachten helfen, das Problem zu lösen.

Eines ist klar: Wo gearbeitet wird, da passieren Fehler. Nicht immer sind diese Fehler und die daraus entstandenen Schäden einem Verursacher zuzuordnen. Da stellt sich dann die Frage, wer für die Reparatur respektive Ersatzkosten aufkommen muss. Meinungsverschiedenheiten sind vorprogrammiert. Finden die beteiligten Parteien keinen gemeinsamen Weg, so macht es Sinn, einen unabhängigen Experten beizuziehen. Denn wie das legendäre Trio Eugster bereits im Jahr 1994 in ihrem Espertise-Tango festgestellt hat: «Es wär nur halb so schlimm, wemmer da än Expertise het.»

Gerhard Rasch ist stellvertretender Leiter der Abteilung Technik und Betriebswirtschaft beim VSSM. In dieser Funktion macht er regelmässig Expertisen. Er rät dazu, bei Uneinigkeit rechtzeitig Hilfe einer unabhängigen Person beizuziehen. «Wenn zwei Parteien den Weg nicht mehr finden, dann sollten sie nicht erst auf uns zukommen, wenn sie bereits nicht mehr fähig sind, miteinander zu sprechen.» Er stelle aber fest, dass man in der Schweiz im Allgemeinen eine «gute Streitkultur» pflege.

Expertise ist nicht gleich Expertise

Grundsätzlich wird unterschieden zwischen der Fachexpertise, dem Schiedsgutachten und der Gerichtsexpertise:

Die Fachexpertise ist die schnellste, einfachste und kostengünstigste Lösung. Es genügt eine kleine, schriftliche Notiz.

Das Schiedsgutachten wird in jedem Fall schriftlich verfasst. Es hat einen bindenden Charakter und ist – sofern nicht falsch, fahrlässig oder grobfahrlässig – nicht anfechtbar. Die Parteien erhalten eine verbindliche Klärung des Sachverhalts und können sich den aufwendigen und teuren Gang zum Gericht ersparen. Auf der Stufe des Schiedsgutachtens haben die Parteien jedoch in der Regel bereits einen Rechtsanwalt beigezogen. Für die Expertise muss mit Kosten ab 5000 Franken gerechnet werden. Nach oben ist die Skala offen.

Bei der Gerichtsexpertise erfolgt der Auftrag nicht mehr von den involvierten Parteien, sondern vom Gericht. Die Expertise beruht hier auf einem Formular mit klar definierten Fragen, die es so detailliert wie möglich zu beantworten gilt. Der Austausch des Experten erfolgt ausschliesslich mit dem Gericht. Zur Besichtigung vor Ort müssen sämtliche Parteien eingeladen werden. Das Gericht spricht auf der Basis des Expertengutachtens Recht. Der Weg vor Gericht ist gleichermassen nervenaufreibend, zeitaufwendig und teuer und wird deshalb nur in Härtefällen beschritten.

Rechtsschutz klären

«Eine Expertise ist in ihren Grundzügen immer gleich aufgebaut», erklärt Marc Herzog. Der selbstständige Unternehmer und Vizepräsident von Küche Schweiz führt Gutachten für den Branchenverband durch. In den meisten Fällen handelt es sich bei den Anfragen um Fachexpertisen. Auftraggeber sind Bauherren, Architekten, Küchenbauer oder Rechtsschutzversicherungen. Letztere stehen für einen weiteren, zentralen Punkt bei Streitigkeiten über die Verschuldensfrage von Schäden. Die beteiligten Parteien sollten in jedem Fall Rücksprache halten mit ihrer Rechtsschutzversicherung, um zu klären, welche Kosten übernommen werden.

Interessenkonflikte vermeiden

Gelangen telefonische oder schriftliche Anfragen an die Geschäftsstelle von Küche Schweiz, so werden diese geprüft und bei Unklarheiten zusätzliche Informationen von den Auftraggebern angefordert. Notwendig sind neben dem Antragsformular mit fix definierten Eckpunkten möglichst alle Unterlagen, die zur Klärung beitragen können, wie Offerten, Auftragsbestätigungen, Zeichnungen oder Mängellisten. Bevor die Dossiers zur Ersteinschätzung an einen der Experten weitergereicht werden, wird mit diesem erörtert, ob Interessenkonflikte vorliegen, welche die Unabhängigkeit der Beurteilung beeinträchtigen könnten.

«Bei der Übernahme einer Expertise erfolgt in einem ersten Schritt eine Begehung und Besichtigung des Objektes. Dabei werden Fragen aufgenommen, Feststellungen gemacht und Schlussfolgerungen gezogen», erläutert Herzog. Gestützt auf den schriftlichen Bericht, werde den jeweiligen Parteien ein Vorschlag respektive eine Empfehlung unterbreitet.

«Es gibt aber auch einfachere Vorgehensweisen», sagt Herzog. Insbesondere bei einer Drittbeurteilung im B2B-Bereich, wenn es beispielsweise zu Streitigkeiten zwischen einem Generalunternehmer und einem Küchenbauer komme, werde oft gemeinsam vor Ort nach der Lösung gesucht, und der Gutachter halte die Beschlüsse dann in einem Expertisen-Protokoll fest.

Reparatur statt Gutachten

Beim VSSM gehen jährlich zwischen 50 und 100 Anfragen für Expertisen in unterschiedlichen Bereichen ein. Eine erste telefonische Beratung ist kostenlos. «Nach diesem Gespräch entscheiden sich einige der Antragsteller, auf eine Expertise zu verzichten», sagt Gerhard Rasch. Dies sei insbesondere bei kleineren Schäden der Fall. Da komme es immer wieder vor, dass der Kunde die Entscheidung treffe, die Kosten für eine Fachexpertise doch lieber gleich in die Reparatur des Schadens zu stecken.

Vorgängige Abmachung treffen

Kommt es zu einem Gutachten, so rät Rasch den involvierten Parteien, bereits im Voraus eine klare Abmachung zu treffen. Dies aus dem einfachen Grund, weil die Empfehlung bei einer Fachexpertise im Gegensatz zum Schiedsgutachten oder Gerichtsurteil nicht bindend ist.

«Ideal ist es, wenn sich beide Parteien vorgängig einverstanden erklären, die Beurteilung anzuerkennen und die Empfehlung des Experten umzusetzen», sagt Rasch.

Eine Absprache sei auch bezüglich der Kosten für das Gutachten sinnvoll. Wird von der einen Partei ohne Absprache eine Expertise angefordert, so trägt der Auftraggeber auch deren Kosten. Sinnvoller ist es, die Kosten aufzuteilen oder eine Schuldungsvereinbarung zu treffen. Das heisst, dass die Kosten ganz oder teilweise vom Schadensverschulder getragen werden. Schwierig werde dies dann, wenn es darum geht, einen prozentualen Anteil des Verschuldens festzustellen, sagt Rasch. Oft seien sich die Parteien so weit einig, das beschädigte Objekt nicht zu ersetzen, dafür aber einen Preisabschlag zu vereinbaren. In diesem Fall kommt dem Experten die Aufgabe zu, die Höhe des Preisabschlages festzulegen. Dies sei eine ziemlich knifflige Aufgabe. «Besonders heikel ist es, wenn es sich um ästhetische Mängel handelt, diese lassen einen grossen Ermessensspielraum», erklärt Rasch. Technische Mängel liessen sich viel besser eingrenzen.

Transparente Kostenansätze

Die Fachexpertisen sind beim VSSM, ähnlich wie bei Küche Schweiz, in der Regel zweiteilig aufgebaut: aus einem Ortstermin und einem schriftlichen Gutachten. Die Kosten variieren je nach Zeitaufwand. Finde man bereits bei der Besichtigung einen Lösungsweg, so betrage der zeitliche Aufwand zwischen einer und fünf Stunden, das entspreche in etwa einer Kostenspanne von 600 bis 1000 Franken plus Fahrkosten, erläutert Rasch. Sei ein schriftliches Gutachten nötig, so seien mindestens weitere 500 Franken einzukalkulieren. Im Normalfall bewege sich der Preis einer zweiteiligen Fachexpertise zwischen 2000 und 5000 Franken. Eine Preisspanne, die auch seitens von Küche Schweiz bestätigt wird. Es sei wichtig, dem Kunden gegenüber transparente Kostenansätze zu haben, sodass dieser von vornherein abwägen könne, ob es sich bei kleineren Schäden rechne, einen Experten beizuziehen, sagt Marc Herzog.

Distanz wahren

«Bei einer Expertise muss stets die ganze Kette in die Beurteilung miteinbezogen werden», sagt Gerhard Rasch. «Was wurde geplant, was angeglichen, was ausgeführt und nicht zu vergessen: Ist die Nutzung sachgerecht?» Als Experte sei es wichtig, eine gewisse Distanz zu wahren, neutral zu bleiben und sich in der Einschätzung nicht beeinflussen zu lassen. «Das Problem der Kunden darf nicht zu deinem eigenen Problem werden.» Als Experte sind vertiefte Kenntnisse der Normen unabdingbar.

Beim VSSM arbeitet man ausserdem eng mit Prüflabors wie beispielsweise jenem der Berner Fachhochschule (BFH) zusammen. «Für Laborauswertungen braucht es sehr präzise Aufgabenstellungen», sagt Rasch.

Suche nach der Schadensursache

Die typischsten Schäden in der Küche stehen in Zusammenhang mit Feuchtigkeit. Rasch nennt etwa den Fall von kunstharzbeschichteten Küchenfronten, mit PVC- oder ABS-Kanten, neben einem Geschirrspüler. Hier kann es durch den Dampf zu einem Verseifen des Leimes, zum Aufquellen der Trägerplatte und zu einem Ablösen der Kante kommen. Da gelte es dann, in erster Linie zu klären, welcher Leim beim Bekanten eingesetzt worden ist. EVA-Leim sei nur hitzebeständig bis zu einer Temperatur von 90 bis 95 Grad Celsius, PUR-Leim hingegen bis zu 140 Grad Celsius. Schäden in der Küche entstehen jedoch meist durch ein Zusammenspiel mehrerer Faktoren. Nicht selten seien diese auch auf eine unsachgemässe Nutzung zurückzuführen.

Dazu nennt Rasch das Beispiel einer MDF-Front mit eingefräster Griffmulde. «Fängt der MDF an zu spalten, und bei der Besichtigung zeigt sich, dass tagelang Wasser in der Mulde liegen geblieben ist, stellt sich dann schon die Frage, ob die Nutzung noch als fachgerecht bezeichnet werden kann.»

Andersherum könne auch zu wenig Luftfeuchtigkeit zum Spalten von Plattenmaterialien führen. Dies geschehe immer wieder einmal bei Häusern im Minergie-P-Standard. Die Liste an möglichen Gründen für Schäden sei lang, sagt Rasch. Deshalb gelte es, nie den Blick für das Ganze zu verlieren.

Grosse Zunahme der Anfragen

Das Expertenteam von Küche Schweiz ist in den vergangenen Monaten von drei auf sieben Personen aufgestockt worden. «Im Jahr 2019 haben wir eine Verdoppelung der Expertisen verzeichnet gegenüber 2018», erklärt Geschäftsführer Rainer Klein. 2020 seien die Anfragen nochmals leicht gestiegen – auf 15 Expertisen. Genauso viele Anfragen seien nun bereits im ersten Quartal 2021 eingegangen. «Die Kunden verbringen mehr Zeit in den eigenen vier Wänden. Sie haben mehr verfügbares Geld und eine erhöhte Bereitschaft, ihre Interessen wahrzunehmen.» Marc Herzog sieht noch einen weiteren Grund: «Meines Erachtens hat diese Entwicklung mit dem Preisdruck zu tun, aber auch mit der Beziehung zum Kunden. Die Beziehung Käufer zu Verkäufer ist viel distanzierter geworden, deshalb sucht man weniger den Dialog und geht schneller auf Konfrontation.»

Zu Den Experten

Marc Herzog ist Geschäftsführer der Herzog Küchen AG in Unterhörstetten TG. Seit 2013 ist er für den Branchenverband Küche Schweiz als Experte tätig. Er verfügt über 20 Jahre Berufserfahrung und kennt sich insbesondere im Bereich des Produktemanagements und der Konstruktionen aus.

www.küche-schweiz.ch

Gerhard Rasch ist stellvertretender Leiter des Bereiches Technik und Betriebswirtschaft beim VSSM. In dieser Funktion macht er seit elf Jahren regelmässig Expertisen. Rasch hat eine Weiterbildung zum Sachverständigen für Schäden an Gebäuden absolviert.

www.vssm.ch

Monika Hurni, Mh, mh

Veröffentlichung: 29. April 2021 / Ausgabe 18/2021

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