Wie Gotthelf heute wohnen würde

Was einst eine dunkle Scheune war, ist heute eine lichtdurchflutete Wohnung mit offenem Raumgefühl. Bilder: Eckert Architekten GmbH

Umnutzung.  Alte Scheunen erfreuen sich als Wohnobjekte grosser Beliebtheit. Aufgrund strenger gesetzlicher Auflagen bringt eine Umnutzung einige Schwierigkeiten mit sich. Sind diese überwunden, ist der Weg geebnet für ein heimeliges Zuhause.

«Wir sind keine Bauern, und wir brauchen keine Scheunen. Das ist so. Gotthelfszeiten sind vorbei. Scheunen gehören unserer Vergangenheit und Ueli der Knecht auch. Wir mögen die Scheunen, aber wir brauchen sie nicht.» So die Einleitung der Broschüre des Amtes für Städtebau der Stadt Zürich mit dem Titel «Umgenutzte Scheunen – eine Beispielsammlung». Tatsächlich gibt es im Kanton Zürich zurzeit rund 5000 leer stehende Scheunen. Um diese umnutzen zu können, müssen vorgängig einige Hürden bewältigt werden. Zu diesem Zweck lohnt es sich, folgende Begriffe zu kennen.

Das Raumplanungsgesetz (RPG) definiert als Bundesgesetz die Nutzung des Bodens und die sinnvolle Unterteilung in Wohn- und Wirtschaftsgebiet. Basierend auf dem RPG erfolgt eine Richtplanung auf kantonaler und eine konkrete Bau- und Zonenordnung auf kommunaler Ebene.

Im RPG integriert ist der Ortsbildschutz, welcher das historisch gewachsene Erscheinungsbild eines Ortes bewahren will.

Der Denkmalschutz ist auf kantonaler Ebene geregelt und basiert im Wesentlichen auf den Rahmenbedingungen des Natur- und Heimatschutzgesetzes (NHG) des Bundes. Unter Denkmalschutz stehende Gebäude und Kulturgüter sollen, soweit möglich, in ihrer ursprünglichen Substanz und Optik erhalten bleiben.

Beim Schweizer Heimatschutz (SHS) handelt es sich um eine Non-Profit-Organisation, die es sich zum Ziel gesetzt hat, Baudenkmäler vor dem Abbruch zu bewahren.

«Bis vor wenigen Jahren war die Umnutzung leer stehender Scheunen aufgrund der Bauzonenordnung nur sehr schwer möglich», sagt Philipp Eckert. Der diplomierte Architekt setzt sich seit Längerem mit diesem Thema auseinander und hat mittlerweile bereits mehrere Umnutzungsprojekte realisiert. So beispielsweise ein zweiteiliges Projekt im zürcherischen Dürstelen.

Die Alten behalten, die Jungen machen

«Dürstelen zählt zu den Dörfern mit ‹geschütztem Ortsbild von regionaler Bedeutung›, deshalb dauerte es fünf Jahre, bis wir die Baubewilligung für den ersten Teil des Projektes erhalten haben», erinnert sich Eckert. Bei der zweiten Bauetappe dauerte dies gerade mal drei Monate. «Dank der Erfahrungswerte wussten wir genau, welche Faktoren berücksichtigt werden müssen und welche Anlaufstellen für welches Anliegen zuständig sind», erklärt der Inhaber der Eckert Architekten GmbH in Zürich.

So ist es wichtig, erst einmal die im Grundbuch eingetragenen Besitzverhältnisse zu klären. Denn im Regelfall müssen die Scheunen im «landwirtschaftlichen Kontext» genutzt werden. Eine Definition mit einer gewissen Spannbreite. Führen die Nachkommen den landwirtschaftlichen Betrieb der Eltern nicht weiter, sind aber im Besitz der Scheune, so kann es zu Komplikationen kommen. «Der Clou ist: Die Alten behalten, die Jungen machen», sagt Eckert.

Daneben gelte es, frühzeitig auf die Behörden zuzugehen und die Rahmenbedingungen zu klären. «Oftmals ist ein gut schweizerischer Kompromiss möglich.»

Konkretes Projekt vorlegen

Doch bei der Umnutzung einer Scheune gibt es noch eine weitere Hürde zu bewältigen: Landwirte haben oft Mühe, eine Hypothek zu erhalten, weil ihr Land nicht viel wert ist. «Banken sind kulanter, wenn sie ein Projekt vorgelegt bekommen und sehen, dass dieses Chancen hat, bewilligt zu werden», erklärt Eckert.

Beim ersten Teilprojekt in Dürstelen war eine 5,5-Zimmer-Wohnung in einer Scheune geplant. Eine Altbausanierung kam aus Kostengründen nicht infrage.

«Deshalb haben wir uns entschieden, eine ‹Wohnkiste› auf den Heuboden zu stellen», erklärt Eckert. Bei der «Wohnkiste» handelte es sich um holzverkleidetes Wohnraumvolumen, welches weitgehend berührungsfrei in die bestehende Scheune integriert wurde. Der Wohnkörper ist mit Zellulose gedämmt, seine Aussenhülle atmungsaktiv und feuchteregulierend konstruiert. Die Luft, die zwischen der «Wohnkiste» und dem Scheunendach zirkuliert, sorgt für einen ausgeglichenen Feuchtigkeitshaushalt.

Aufwendige Massaufnahme

Passend zum unkonventionellen Projekt entschied sich der gelernte Zimmermann auch für eine unkonventionelle Umsetzungsweise: Er gab die Masse des Wohnkörpers, Raumaufteilung und Materialisierung vor und vertraute bei den Detaillösungen auf die Fachkompetenz der Walter Kälin Holzbau AG aus dem zürcherischen Hinwil. Diese gab unter der Regie des stellvertretenden Geschäftsleiters Marco Eberhöfer den Zeitplan vor und stellte in einem Werkgruppenvertrag den Grossteil des Handwerkerteams zusammen. «Das Schwierige an diesem Projekt war die Logistik, da es galt, mit vorgefertigten Bauteilen ein Haus in einer Scheune zu erstellen», erinnert sich Eberhöfer. Aufwendig sei insbesondere die Massaufnahme der bestehenden Holzkonstruktion gewesen. Doch je weiter der Bau fortgeschritten sei, desto einfacher sei die Umsetzung geworden.

Lamellen als Sonnenschutz

Die Fassade der bestehenden Scheune wurde lediglich auf der Südseite durchbrochen. Grosse Fensterfronten fangen dort genügend Tageslicht auf, um den neuen Wohnraum zu erhellen. Da die Fenstergrössen aufgrund des Ortsbildschutzes beschränkt waren und bei besagter Holzscheune tatsächlich wie ein Fremdkörper gewirkt hätten, entschied man sich für einen Sonnenschutz aus beweglichen Holzlamellen.

«Die Lamellen fügen sich perfekt in das Erscheinungsbild der Scheune ein und bieten den Bewohnern einen angenehmen Sichtschutz, ohne sich negativ auf den Lichteinfall auszuwirken», sagt Philipp Eckert.

Aktuellen Bedürfnissen gerecht werden

Drei Jahre nach Beendigung des ersten Projekts wurde ein zweites Bauvolumen in die Scheune integriert. Dieses hat aufgrund der Raumhöhe mehr Berührungspunkte mit dem Scheunendach, wurde aber ansonsten in ähnlicher Weise realisiert.

Dabei haben sich neben den Hürden, die es bei der Umnutzung einer Scheune zu bewältigen gilt, auch Vorteile gezeigt. So waren dank des vorhergehenden Viehbetriebes sämtliche Anschlüsse für Strom, Wasser und Kanalisation vorhanden.

Im Zusammenhang damit, dass in einer Scheune keine Ausnutzungsziffer definiert ist, sieht Philipp Eckert einen weiteren Vorteil: «Im Gegensatz zu einem Neubau sind hier Zimmer unter 12 m2 erlaubt, so ist es möglich, dem aktuellen Bedürfnis nach kleinen Schlaf- und grossen Wohnräumen gerecht zu werden.»

Da die Gebäude im Inneren nicht aneinanderstossen, konnte man den meisten aufwendigen Details im Bereich des Brandschutzes aus dem Weg gehen und mit nichtbrennbaren Oberflächen (RF1) verfahren.

Dank der guten Wärmedämmung benötigt es daneben sehr wenig Wärme, um das Volumen zu beheizen. Die Trockenbausysteme für Bodenheizungen ermöglichten es dem Holzbauer zudem, den gesamten Bodenaufbau zu liefern.

Scheune mit Wow-Effekt

«Die neue Konstruktion in die bestehende Tragkonstruktion zu integrieren, war schon sehr speziell», sagt Marco Eberhöfer. Doch daraus habe sich ein schönes Zusammenspiel von neuen Bauteilen mit bestehendem Konstruktionsholz ergeben. «Das Wow- Erlebnis ist dadurch garantiert. Von aussen scheint es unmöglich, dass sich in einer alten Scheune ein solch schönes Zuhause befindet», resümiert er. Und so macht auch das Fazit der anfangs dieses Artikels erwähnten Broschüre Sinn: «Wir brauchen keine Scheunen – zum Lagern von Heu und Ackerfrüchten. Wir brauchen Scheunen, um die Geschichte der Stadt zu verstehen, damit die Stadt ein lebendiges Ganzes mit unterschiedlichen Bauten und Lebensformen bleibt.»

www.gute-arbeit.chwww.kaelin-holzbau.ch

mh

Veröffentlichung: 08. September 2016 / Ausgabe 36/2016

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