Wie Phönix aus der Asche

Die neue und charakteristische Decke prägt den grossen Saal. Bild: Fred Howarth

Deckenverkleidung.  Das Battersea Arts Centre in London gilt als Institution. Ein Feuer hat vor vier Jahren die grosse Halle vernichtet. Dieser Tiefpunkt markierte den Aufstieg, vor allem architektonisch. Heute wird der Saal von einer aussergewöhnlichen und funktionalen Holzdecke überspannt.

Es hätte das Ende sein können. Am 13. März 2015 brannte die grosse Halle des Battersea Arts Centre (Bac) bis auf die Mauern aus. Für das Theater im Südwesten Londons markiert das Datum der Katastrophe jedoch den Startpunkt für einen architektonischen Aufschwung. Bereits seit vielen Jahren arbeitete der Architekt Haworth Tompkins mit dem Künstler-Team zusammen, um das 1893 erstellte Gebäude in eine lebendige und anpassungsfähige Performance-Umgebung zu verwandeln. Bereits abgeschlossene Arbeiten und Teile des Gebäudevolumens blieben vom Feuer verschont. «Als die Flammen über der grossen Halle aufstiegen, sah es so aus, als ob all der Fortschritt verloren gehen würde. Aber dank der engagierten Feuerwehrleute und später der unglaublichen Grosszügigkeit von mehr als 6000 Unterstützern wurde das Gebäude gerettet und die grosse Halle wiedergeboren», erklärte David Jubb, künstlerischer Leiter und CEO des Bac bei dessen Wiedereröffnung.

Das Bürgerhaus beinhaltete in seiner langen Geschichte auch das Rathaus. Es war immer eine wichtige Begegnungsstätte, vor allem auch in den bewegten Zeiten der vorletzten Jahrhundertwende. 1974 ist das Bac dort eingezogen. Seither bildet es ein wichtiges Gründerzentrum neuer Theaterarbeit in Grossbritannien.

Neustart aus dem Alten

Glücklicher Umstand nach dem Unglücksfall war, dass der Architekt Haworth Tompkins das ganze Gebäudeensemble durch die langjährige Zusammenarbeit gut kannte. Trotzdem galt es nach dem Brand, gerade die Decke als Schlüsselelement der gros- sen Halle zu rekonstruieren, so Jacqueline Wheeler, zuständig für die Kommunikation im Architektenteam. Von der ursprünglich faserigen Putzdecke waren nur noch einzelne Gipsfriese an der Wand erhalten. Die gewölbte Deckenverkleidung mit der «umhüllenden Funktion und der Verbindung zu den Seitenwänden» erachtete man jedoch als enorm wichtig für die Raumwirkung, weshalb die Architekten sich an die Rekonstruktion der Form machten. Schliesslich gelang es mithilfe entsprechender Software die originale und passende Kurvengeometrie zu ermitteln.

Man wollte aber nicht einfach wiederherstellen, denn: «Die feste Putzoberfläche der Originaldecke war einer klaren Raumakustik nicht förderlich und verursachte bei Veranstaltungen oft unangenehme Schallreflexionen», sagt Jacqueline Wheeler. Einige Öffnungen für die Platzierung von Takelage und Beleuchtung waren vorhanden. Aber diese waren durch die begrenzte Anzahl an Punkten im Muster der Deckenverkleidung bestimmt, was für Theateranforderungen alles andere als ideal gewesen sei, erklärt Wheeler.

Die Form folgt der Funktion

Stattdessen sollte die neue Decke den Anforderungen des Hauses besser gerecht werden. Basierend auf dem elliptischen Profil und dem Muster des Originals konstruierten die Planer eine Gitterstruktur zum Dachhohlraum hin offen und akustisch transparent. Durch diese offene Bauweise können nun Installationen wie Beleuchtung und Lautsprecher an vielen Punkten platziert werden. Dazu wurde zwischen der Deckenverkleidung und dem Tragwerk des Daches eine Zwischenebene mit technischen Laufstegen eingefügt. So wurde der gesamte Bereich auch leicht zugänglich gemacht. Das darüberliegende Primärtragwerk des Dachs wurde, wie vor dem Brand, wiederum aus Stahlträgern erstellt.

Über der Deckenverkleidung aus Holz können zudem graue Vliese ausgezogen werden, um die Akustik des Saals an die verschiedenen Events wie Lesungen, Theateraufführungen oder auch Konzerte anzupassen. Auch die erneuerte Entlüftung fand im Zwischenraum der Deckenkonstruktion ihren Platz.

Am Anfang standen Modelle

Die Architekten hatten neben den gewachsenen Ansprüchen an die Funktionalität eines Theaters auch den Anspruch, die Reliefoberfläche der alten Decke mit Gipsformteilen gestalterisch auch in der neuen Deckenverkleidung aufzunehmen.

Zunächst stand eine einschichtige Gitterstruktur zur Diskussion. «Die hat sich aber im Verhältnis zum erhaltenen Mauerwerk unwesentlich angefühlt», so Wheeler. Schliesslich kam man auf eine mehrschichtige Konstruktion mit Abstandhaltern zwischen den einzelnen Lagen, was nun eine räumliche Struktur bildet.

Mit dem Bau von Modellen und Prototypen beauftragte man ein spezialisiertes Unternehmen, um verschiedene Konstruktionen testen zu können. An die Abmessungen der ursprünglichen Gipsformteile musste man sich mittels Fotografien annähern, da keine Zeichnungen oder Pläne des Originals vorhanden waren und auch die Fragmente aus dem Schutt nicht wirklich weiterhalfen.

In der Entwurfsphase plante man, die dreischichtigen Elemente vollständig in Form vormontiert auf die Baustelle zu liefern und sie als Ganzes mittels Hebewerkzeugen an der Stahlkonstruktion zu montieren. «Die Masse der vorhandenen Türen schränkten jedoch die Auswahl an Hebewerkzeugen ein», so Wheeler. Schliesslich kam vom Produzenten die Idee, die Decke Schicht für Schicht zu montieren, was mit einem modifizierten Detail der Bolzenbefestigung einherging. «In echtem Bac-Stil wurde ein grosser Teil der Arbeiten improvisiert und immer wieder nachjustiert, während wir ständig neu bewerteten und abglichen, um auf die Umstände zu reagieren und unsere Pläne bei Bedarf zu ändern», erklärt Jacqueline Tompkins.

Aus Pappel und Birke

Damit die einzelnen Elemente möglichst leicht blieben, wählte man einen Kern aus Pappelholz und verwendete nur für die Deckschichten Birkenfurnier. Hergestellt wurden die insgesamt 18 gewölbten Segmente und 12 Fenster-Wandanschlusselemente aus 18 Millimeter starkem Sperrholz mittels Vakuumpresse. Die Ausfräsungen erfolgten auf einem Bearbeitungszentrum. Feinere Details wie Linienfräsungen verstärken den räumlichen Eindruck der Deckenverkleidung noch.

Am Ende konnten zwei Personen mit einem einfachen Rollengerüst die komplette Holzdecke in zwölf Wochen montieren. Die Verbindung zur tragenden Stahlkonstruktion wurde mittels Messingverschraubungen hergestellt.

Sanfte und wirkungsvolle Eingriffe

Wichtig für die gelungene Neugestaltung des Saals sind aber auch andere Faktoren. So hat der Architekt die Mauern, die das Feuer überstanden haben, in ihrem Erscheinungsbild belassen und konserviert. Sie erzählen nun die Geschichte des Raumes mit all ihren Farb- und Materialschichten.

Beim neuen Parkettboden hat man die Richtung gewechselt. Mit dem nun quer zur Längsachse des Raumes verlaufenden Holzbild wirkt der Saal nicht mehr tunnelartig. Die Türen zum Seitenflügel in Eiche erhielten ebenfalls eine gitterartig gefräste Oberfläche in einfacher Form, genauso wie die dort neu entstandenen Deckenverkleidungen. «Das Bac wurde nicht einfach restauriert, sondern revolutioniert. Die grosse Halle ist heute einer der aufregendsten und flexibelsten Veranstaltungsorte in London», sagt Toby Jones, Schauspieler und Schirmherr des Bac. Für Jones ist es geradezu eine alchemistische Schönheit, die, mit der Anmutung der Katastrophe, aus den Trümmern erwachsen sei und so mit der künstlerischen und politischen Geschichte des Gebäudes in Einklang stünde.

Die Saison des Phönix

Wiedereröffnet wurde das Bac mit einer Spielzeit, die den Titel «Phoenix» trug. Für die unterschiedlichen Aufführungen wurden über 2000 Tickets zum Preis von einem englischen Pfund abgegeben. Der Kreis schliesst sich: denn das Gebäude war einst als Rathaus und als offener Ort für die Bürgerschaft ersonnen. Beides war beim Bau 1893 äusserst politisch aufgeladen, ganz wie es dem Theater selbst eigen ist.

www.bac.org.ukwww.haworthtompkins.com

ch

Veröffentlichung: 14. November 2019 / Ausgabe 46/2019

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