Wo einst Kühe zuhause waren

Bild: Romi Immobilien AG Neue Nutzung mit altem Flair; im früheren Stall finden heute Bankette statt. Für das Ambiente wurden die ursprünglichen Wände und Decke so gut als möglich wieder hergestellt.

Architektur.  Der Greuterhof im thurgauischen Islikon ist ein Denkmal der Schweizer Industriegeschichte. Architekt, Holzbauer und Schreiner schufen aus der historischen Scheune ein modernes Hotel mit Seminarfunktion. Altholz und neue Furniere spielten dabei eine zentrale Rolle.

Prächtig und ausladend prangt die viergeschossige Scheune des Greuterhofs am Orts- ausgang von Islikon. Sie zählte einst zum Textilunternehmen Bernhard Greuters. Die erste grosse Fabrikanlage der Schweiz datiert aus dem 18. Jahrhundert. Der angebaute, zweigeschossige neue Holzelementbau steht nach hinten versetzt. «Uns ging es darum, Alt- und Neubau stimmig zu ver- einen», sagt Urs Fritzsche, Architekt und Projektleiter von der Innoraum Kräher, Jenni + Partner AG in Frauenfeld. Der Umbau des 215-jährigen, denkmalgeschützten Anwesens zum Hotel mit 38 Zimmern bedeutete vor allem eines: Feinarbeit.

Herstellung des alten Sprengwerks

So brauchte es Sondierungsbohrungen, um die ursprünglichen Öffnungen, Holzarbeiten und das Mauerwerk freizulegen und das originale Fassadenbild der Scheune zu rekonstruieren. Der Architekt weist auf eine Sandstein-Fensterlaibung im Mauerwerk des rund 200 m grossen Bankettsaals hin, früher ein Kuhstall. Die grösste Herausforderung in Sachen Rückbau sei die Holzdecke gewesen, so Fritzsche. Der Saal sollte wieder stützenfrei und authentisch erscheinen, denn seit einer Renovierung in den Achtzigerjahren übernahm eine Metallkonstruktion die statische Aufgabe. «Wir mussten die bestehende Saaldecke um 15 cm absenken und an den Hohlkastenträgern aufhängen, so wurde die Last, wie einst, auf die Aussenwände umgeleitet», sagt Pius Trost, Projektleiter Holzbau von der Ernst Herzog AG in Frauenfeld. Darüber liegt eine akustische Dämmung aus Stahlwolle und Vlies. Die historischen Fensterläden dienen als Dekorelemente. Der Einsatz von vorhandenen Althölzern aus Dachgeschoss und Kuhstall zählten zu den zentralen Holzbauarbeiten.

Kompletteinbau in den Zimmern

Für die Schreinerei Robert Fehr AG aus Andelfingen drehte sich vieles um Eichen-Echtholzfurniere. Wir gehen in eines der 38 Gästezimmer auf drei Stockwerken. Auf jedem dominiert ein historisches Thema: die Motive der Indigo-Färberei, die Stadt Frauenfeld und die Thurgauer Apfelbäume. In 35 Räumen bauten die Schreiner Nasszellen und Garderoben nach dem gleichen Prinzip ein. Aber die Rohbaumasse variierten sehr stark. «Entsprechend aufwendig waren alle Anpassungen an bestehende und neue Wände, Decken und Böden», so Robert Fehr, Geschäftsführer der gleichnamigen Schreinerei. Wie ein Möbel wurde die Nasszelle in die Hotelzimmer eingepasst. Eine Leichtbauwand grenzt Schlafbereich von Nasszelle und Garderobenschrank. Sie wurde in der unteren Hälfte fix montiert, oben jeweils angepasst.

Furniere aus einem Stamm

Die Trennwand mit beplankter Spannplatte schmückt ein Eichenholzfurnier. Es ist mit weisser Spritzbeize eingefärbt und mit «DDSoftlack» von Feyco behandelt. «Wir führten alle Oberflächenbehandlungen in unserer eigenen Spritzerei auf der Hängeförderanlage durch», so der Geschäftsführer. 30 Kubikmeter Eiche kamen zum Einsatz. Er bezieht sein Holz direkt ab Sägerei. Die Furniere konfektionierte R + S Furniere in Unterstammheim. Doch die Konfektion schliesst Ende Oktober, in der Schweiz über- nimmt dies kaum mehr jemand. Der Eurosturz habe vielen Plattenfurnierherstellern das Genick gebrochen, sagt Geschäftsführer Fehr. Die meisten Furniere würden zurzeit aus Osteuropa eingeführt.

Viel Arbeit im Nassbereich

Eine handwerkliche Herausforderung seien die gewünschten, regelmässig durchlaufenden, horizontalen Maserungen der Furniere gewesen; das gilt insbesondere für die Waschtischmöbel mit vielen Ecken und Kanten. Die Duschwände beplankte man mit Fichte und anschliessend mit Fermacell «Powerpanel H2O». Die Abdichtung der Duschbereiche, die Anschlüsse im Wand- und Bodenbereich sowie der Duschboden mit Gefälle führten ebenfalls die Schreiner aus. Es brauchte eine solide Unterkonstruktion mit allen erforderlichen Anschluss- fugen, um eine optimale Abdichtung zu gewährleisten, so der Fachmann. Die hochwer- tige Ausstattung mit begrenztem Budget auszuführen, sei eine Herausforderung gewesen. «Doch wenn der Materialumschlag organisiert ist, dann bestehen gute Gewinnaussichten», meint er. So konnten die Monteure vor Ort bleiben und die Arbeit in einem «Rutsch» machen.

Türen mit viel Automatik

Eine besondere Anforderung stellte sich auch im Bereich der Türen. Für eine Gemeinschaftsküche auf den Fluren braucht es eine Brandschutztür mit einem speziellen Flügel. Dieser steht immer offen und verschliesst sich im Brandfall automatisch. Es sei das verrückteste Teil in der Angebots-palette, meint Robert Fehr und lacht. Bei Massen von 2,46 × 2,91m und speziellem Dämmmaterial durfte ein bestimmtes Gewicht wegen der Bänder nicht überschritten werden. Der Türflügel ist EI30- und EI60-zertifiziert. EI30-zertifiziert sind auch die Hotelzimmertüren. Sie verfügen ausserdem über eine Schalldämmung vom 39 dB sowie ein massives Futter. Eine weitere Spezialität ist die hintere Ausgangstür im Erdgeschoss. Mehr Technik geht kaum. Sie verfügt über Panikfunktion E von innen nach aussen. Ausserdem ist sie mit einem WK2- Schloss gegen Einbruch gesichert. Und von aussen kommt ein Zutrittkontrollsystem für die Nacht mit Freischaltungsoption für den Tagesbetrieb zum Einsatz. Für Robert Fehr war es die «friedlichste Baustelle» im vergangenen Jahr. «Der Ort hat eine besondere Ausstrahlung, diese überträgt sich auch auf die Mitarbeiter.»

Stimmige Aussenanlagen

Zum Areal zählen noch zwei Wohnbauten mit einem modern angelegten Barockgarten und Pro-Specie-Rara-Bepflanzung. «Viele Lösungen am Bau entstanden über die Bauzeit», so der Architekt Fritzsche. Das sei dank den kompetenten und kreativen Hand-werkern möglich gewesen. So tauchten zum Beispiel immer wieder statische Fragen auf. Die Ernst Herzog AG lieferte Baumeister- und Holzbauarbeiten aus einer Hand. Für die veränderte Lastabtragung im Altbau infolge Umnutzung war dies von grossem Vorteil. Auch die Fassade erhielt ihr originales Antlitz zurück. So wurden etwa die Holzlatten alle nummeriert, geputzt, gebürstet und von den Holzbauern wieder montiert. Die alten grossen Scheunentore waren zugemauert und konnten freigelegt werden. In Michael Brandenberger, Unternehmer der Romi Immobilien AG, war ein qualitätsbewusster Bauherr am Werk.

www.innoraum.chwww.herzogag.chwww.r-fehrag.ch

Umbau mit Sozialem Zweck

Greuterhof und Stiftung

Der Greuterhof geht zurück auf den Thurgauer Färber und Unternehmer Bernhard Greuter. Er gründete damit Ende des 18. Jahrhunderts eine der ersten Textilfabriken der Schweiz und baute sie als eine klosterähnliche Anlage. Heute unterstützt die Stiftung Greuterhof unter anderem Jugendliche mit einer Ausbildung für den ersten Arbeitsmarkt. Sie verkaufte einen Grossteil ihrer Liegenschaften an die Romi Immobilien AG, um sich zu sanieren. Mit dem Kauf verbunden war der Wunsch, entsprechende Ausbildungsplätze für Jugendliche zu schaffen. Das Seminarhotel bietet inzwischen 15 Ausbildungsplätze in Service, Küche und Hauswartung . Die Verbindung von altem Ambiente und zeitgemässer Nutzung stand im Zentrum des Architekturkonzepts. Der Umbau dauerte rund ein Jahr. Die Eröffnung war Ende 2014. Die Bau-summe soll nicht genannt werden.

www.greuterhof.ch

MZ

Veröffentlichung: 08. Oktober 2015 / Ausgabe 41/2015

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