Wohlklingendes Provisorium

Im provisorischen Konzertsaal wurden 94 Tonnen Dreischichtplatten verbaut. Bild: Tonhalle Gesellschaft/Hannes Henz

Zwischennutzung.  Pop-up-Läden sind der letzte Schrei. Sie öffnen nur vorübergehend und verschwinden nach kurzer Zeit wieder. Zwei Beispiele aus der Musikszene mit hölzernem Innenleben zeigen, dass auch Provisorien auf höchstem Niveau möglich sind.

Es ist Freitagabend. Am Bahnhof Hardbrücke im Zürcher Kreis 5 herrscht buntes Treiben. Auf den schmalen Perrons warten die letzten Schlipsträger, die erschöpft ihrem Feierabend entgegenblicken, und aus den ankommenden Zügen strömen hungrige und vergnügte Leute, die sich auf einen ausgelassenen Abend im ehemaligen Indu-striequartier freuen. Aber etwas lässt den sonst so zügigen Pendlerfluss auf der engen Bahnhofstreppe ins Stocken geraten. Ein älteres Ehepaar klammert sich an das Treppengeländer und blickt suchend und etwas überfordert um sich. Wo geht es hier zur Tonhalle Maag?

Seit 2017 sind solche Szenen am Fusse des Prime Tower häufiger zu beobachten. Grund dafür ist der Umzug des Tonhallen-Orchesters Zürich. Das renommierte Ensemble musste sich für die Dauer von drei Jahren eine neue Spielstätte suchen, da die historische Tonhalle am See dringend einer Renovation bedurfte.

So kam es, dass die Tonhallen-Gesellschaft Zürich mit mehrheitlich eigenen und privaten Mitteln die Interimsspielstätte Tonhalle Maag inmitten des wummernden Ausgangsviertels errichtete. Kurzerhand wurde die bestehende industrielle Struktur der ehemaligen Zahnradfabrik Maag für 10 Millionen Franken umgebaut. Neben einem Konzertsaal kamen in der alten Fabrikhalle ein Zugangsfoyer mit Kassen und Garderoben, ein Klangraum, Einspiel-, Aufenthalts- und Umkleideräume für die Mitarbeiter des Orchesters, Lagerflächen und Büros für die Administration unter.

Sportliche Umbauzeit

Verantwortlich für den Um- und Einbau waren Spillmann Echsle Architekten AG aus Zürich. Ihnen war es wichtig, dass die industrielle Vergangenheit in allen Räumen sichtbar und spürbar bleibt. Als «Box in Box» konzipiert, wird der aus schlichtem Fichtenholz gebaute Konzertsaal von aussen in seiner rohen, industriellen Materialität erkennbar. 40 Stahlstützen tragen die Konstruktion. Beim Betreten des Konzertsaals werden die abgewinkelten Wände sicht- bar, die nach den Regeln der Raumakustik erstellt wurden.

«Eine der grössten Herausforderungen bei diesem Umbau war der enge Zeitrahmen, der uns zur Verfügung stand», sagt Katrin Zumbrunnen, Architektin bei Spillmann Echsle und Projektleiterin auf dem Maag-Areal. «Bereits 2015, während der Sanierung der Gebäudehülle, wurde nach kurzer, intensiver Planung das Dach über dem späteren Tonhallen-Einbau um einen Meter angehoben, Stützen wurden entfernt und die Baustruktur aus akustischen Gründen von der benachbarten Halle getrennt.» Dank dieser Vorbereitungsarbeiten war es dann möglich, zwei Jahre später, während der nur sechsmonatigen Bauzeit, den Konzertsaal in die alte Industriehalle einzubauen, erzählt Zumbrunnen weiter.

Holzschachtel in der Halle

Der Konzertsaal ist ein Provisorium und soll nächstes Jahr, nach Ablauf der drei Jahre, wieder abgebaut werden. Er wurde darum als Raum-im-Raum-Konzept in die Halle gesetzt. Er wirkt wie eine Holzschachtel, bei dessen Anblick der vergängliche Charakter klar ersichtlich ist. «Für den Konzertsaaleinbau haben wir uns aus verschiedenen Gründen für Dreischichtplatten aus nordischem Fichtenholz entschieden», erklärt Zumbrunnen. «Da der Saal als Provisorium erstellt wurde, musste der Rückbau in die Materialwahl mit einbezogen werden. Hierfür eignet sich ein Holzbau sehr gut. Zudem besitzt Holz eine ausserordenlich gute akustische Eigenschaft, und dessen Optik und Haptik bilden eine schöne Ergänzung zur industriellen Umgebung. Letztendlich war es auch eine Kostenfrage, da das Budget für dieses Projekt klein war und wir auf schlichte und günstige Materialien angewiesen waren.» Das verbaute Holz stammt aus Österreich. «Natürlich hätten wir gerne Schweizer Holz verwendet, es war in der kurzen Zeit aber schlicht nicht möglich, an 94 Tonnen Schweizer Holz zu kommen», sagt Zumbrunnen.

Holzbox wird Klangbox

Der Konzertsaal ist rechteckig und hat eine Grundfläche von 946 Quadratmetern. Er ist unterteilt in eine multifunktionale Parkettfläche, welche unterschiedlich bestuhlt werden kann, und ein Obergeschoss mit fix bestuhltem Rang und Chor sowie zwei seitliche Längsgalerien. Es können maximal 1224 Sitzplätze pro Aufführung angeboten werden. Für die Akustik im Saal war das renommierte Akustikbüro Müller-BBM aus München zuständig. Dieses verwandelte die Holzbox in eine Klangbox.

Andreas Zweifel ist Projektleiter Tragwerksplanung bei der Pirmin Jung Ingenieure AG und arbeitete eng mit den Akustikern bei der Projektentwicklung zusammen. «Es war enorm spannend, das Projekt aus der Perspektive eines Akustikers zu sehen», sagt Zweifel. «Bei der Planung wurde auf die Platzierung jeder Schraube eingegangen, jede Dreischichtplatte musste exakt gleich dick sein. Auch die Unterkonstruktion, die sonst nicht ins Gewicht fällt, wurde vom Akustiker bis ins Detail überprüft.»

Spezialfall mit 2,5 Millionen Löchern

Auch Johannes Egli, Bereichsleiter Schreinerei bei der Egli Zimmerei AG aus Oberhelfenschwil SG, betrat in vielerlei Hinsicht Neuland mit diesem Projekt. Egli machte mit seinem Team den gesamten Bodenaufbau, Galerien und Podesterien im Saal. Und gerade der Boden hat es wortwörtlich in sich. Unter den demontierbaren Bodenelementen verläuft ein ausgeklügeltes Lüftungssystem. Dieses gewährleistet die Zuluft und Befeuchtung des Konzertsaals.

Der Luft werden pro Stunde 412 Liter Wasser beigemischt, bevor sie über 2,5 Millionen Löcher im Eichenparkett in die Holzbox strömt. «Um diese Lochung ohne Ausreisser bohren zu können, mussten wir erst einige Tests machen», sagt Egli. Die 45 Millimeter dicken Bodenelemente mussten von beiden Seiten angebohrt werden. Von unten haben die Löcher einen Durchmesser von sechs Millimetern, von oben durch das Eichenparkett einen von vier Millimetern. «Die Lochbohrungen hätten unsere CNC- Maschine zu lange blockiert, und so gaben wir die Elemente für die Bohrungen extern», erzählt Egli weiter.

Alleine für das Parkett im Erdgeschoss stellte die Schreinerei 440 Bodenelemente her. Nahezu jedes Element musste separat gezeichnet werden, da sich das Lochbild, vor allem wegen der demontierbaren Bestuhlung, bei jeder Bodenplatte unterschied. «Alles, was wir bei diesem Projekt in die Hände nahmen, wurde zum Spezialfall», sagt sich Egli.

«Aus ästhetischen Gründen sollten die Elemente unsichtbar befestigt werden. So mussten wir Sacklöcher bohren, um die Schrauben zu versenken. Selbst die Schraube dafür zu finden, war nicht ganz einfach. Erschwerend dazu kam, dass wir absolut keinen Spielraum in der Messgenauigkeit hatten. Es musste alles beim ersten Mal sitzen. Nachzubessern war in diesem straffen Zeitrahmen nicht möglich», sagt der diplomierte Schreiner Techniker HF weiter.

Das Radio gab den Ton an

Für die Auskleidung des Saals wurde die Strabag AG engagiert. Sie verbaute weit über 100 Tonnen Holzelemente im Akkord. Zudem stellte die Firma 24 leicht gewölbte Paneele her, die an die Decke gehängt wurden. An die Wände montierten die Arbeiter, fein abgewinkelt, 46 flache Reflektoren. So konnten die rechten Winkel im Saal gebrochen werden, damit sich der Schall optimal verbreitet. Silvan Brühlmann ist als Bauführer der Abteilung Holzbau bei der Strabag tätig und begleitete das Projekt von Anfang an: «Auf der Baustelle lief stets irgendwo ein Radio. Je weiter die Arbeiten im Konzertsaal fortschritten, desto besser verbreitete sich der Schall – zum Schluss so gut, dass man am anderen Ende des Raumes den Radiomoderator verstand.»

Nach zwei Jahren in der Interimsstätte begeistern sich Musiker und Musiksachverständige bis über die Grenzen der Schweiz hinaus für die Holzbox. Deren Klang wird gerühmt, und es wurden bereits die ersten Stimmen laut, die sich für einen Fortbestand des Provisoriums aussprachen.

www.tonhalle-maag.chwww.spillmannechsle.chwww.eglizimmerei.chwww.strabag.chwww.pirminjung.ch

Blitz club, München

Die Klangfarbe der Baubuche

Ganz ähnlich der Tonhalle entstand in einem Gebäudeteil des Deutschen Museums in München (D) ein provisorischer Musiktempel. Der Blitz Club hat sich aber einer ganz anderen Musik- richtung verschrieben. Hier wummern die Bässe der elektronischen Musik bis in die frühen Morgenstunden. Bis zur Generalmodernisierung des Museums, welche für das Jahr 2023 geplant ist, ist der Klub im ehemaligen Forum der Technik untergekommen. Das Gebäude aus dem Jahr 1935 wurde 2017 umgebaut und beherbergt nun ein Restaurant, Eventräume und den Klub. Die rund 600 Quadratmeter grosse Fläche gliedert sich in zwei Tanzflächen unterschiedlicher Grösse und in eine Bar.

Algorithmus steuert CNC

Auch bei diesem Projekt wurde ein Raum-im-Raum-Konzept gewählt. Für die 35 Meter lange und 8 Meter breiten Tanzfläche «Blitz» entwickelten die Architekten vom Studio Knack zusammen mit den Raumakustikern wabenartige Wand- und Deckenelemente, die speziell für die elektronische Musik optimiert wurden. Dafür verwendeten sie Baubuche.

Neben der «warmen» Klangfarbe von Holz im Allgemeinen wirkt sich die hohe Rohdichte der Buche positiv auf die Raumakustik aus. Über die Wände der zweiten Tanzfläche «Plus» zieht sich ein stetiger Fluss von 10 000 «Tälern» und «Graten», die in MDF-Platten gefräst wurden. Dafür wurde extra ein Algorithmus entwickelt, der die Fräsbahnen erzeugte und dann die CNC-Maschine direkt ansteuerte.

www.studio-knack.dewww.blitz.club

IDS, IDS

Veröffentlichung: 03. Mai 2019 / Ausgabe 17/2019

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