Zimmer in tausend Teilen

Restauriert wurden die Holzteile aus dem Landesmuseum Zürich extern in einem klimatisierten Raum. Bild: Christian Härtel

Konservierung.  Im Landesmuseum Zürich sind insgesamt elf historische Zimmer demontiert, restauriert und wieder eingebaut worden. Hinter den alten Täfern steckt nun auch eine Menge Technik. Der Prunksaal «Casa Pestalozzi» ging durch die Hände von Restaurator Jörg Magener.

Das Landesmuseum in Zürich zeigt die kulturgeschichtliche Entwicklung der Schweiz. Das Gebäude stammt vom Architekten Gustav Gull. Passend zur Bestimmung hat er es im Stile des Historismus erdacht, jener Epoche, die sich an den Stilmerkmalen vorangegangener Zeiten munter bediente. Seit 120 Jahren beherbergt das Museum auch zehn historische Zimmer, die Gull aus allen Landesteilen zusammengetragen hat. Das Gebäude wurden nach den Massen des Interieurs geplant. Zu jener Zeit ein einzigartiges Ausstellungskonzept: Thema sind die historischen Zimmer, und dementsprechend wurden auch die Räume in den architektonischen Entwurf eingebettet.

Das prunkvollste Zimmer ganz in Holz ist das Casa Pestalozzi von 1585. Als einziges Zimmer stammt es nicht aus der Schweiz, sondern aus dem heute italienischen Chiavenna im Veltlin. Damals jedoch stand das Gebiet unter der Vorherrschaft des Bündnerlandes.

Der Beton war das Problem

Am Gebäude in Zürich wird seit Jahren gebaut, saniert und erweitert. Die historischen Zimmer im Westflügel mussten deshalb vorübergehend weichen. Der Grund: Gull hatte für die Decken mit einer Art Beton experimentiert. Dieser hatte auch lange gehalten, und dann doch zu bröckeln begonnen. Die Deckenkonstruktionen mussten ertüchtigt, zeitgemässe Technik wie Rauchmelder und elektrische Installationen neu verlegt werden. Die Innenausbauten wurden deshalb demontiert und wieder eingebaut. Dazwischen lag eine Menge Arbeit, die von vier Restauratorenteams erledigt wurde.

Tausende Teile und kein Plan

Das «Casa Pestalozzi» sowie zwei weitere Räume hat der Zürcher Restaurator Jörg Magener mit seinem Team restauriert. «Die Wand- und Deckenvertäfelungen befanden sich in einem guten Zustand. Es ging deshalb vor allem um die Konservierung der Kulturgüter. Wichtiger Bestandteil der Arbeit war auch die Dokumentation, denn über die Räume lagen bis dahin keinerlei Unterlagen oder gar Pläne vor», erklärt Magener. Also musste erstmal demontiert und katalogisiert werden. Tausende Teile wurden so erfasst und werden dieser Tage in einer Dokumentation zusammengeführt. «Damit haben es künftige Akteure leichter, falls irgendwann wieder Hand angelegt werden muss», weiss Magener.

Die Restaurierungsarbeiten wurden unter einem Dach beim Sammlungszentrum in Affoltern am Albis durchgeführt. Dafür wurde extra ein klimatisierter sowie mit Brandmelde- und Sicherheitsanlagen versehener Pavillon aufgebaut. Vor Ort hatte man zudem eine für die Arbeiten der Restauratoren geeignete Infrastruktur.

«Elementar war die Klimatisierung der provisorischen Restaurationswerkstätte. Der Ausbau der historischen Innenausbauten erfolgte bis ins Frühjahr 2017, der Einbau im Sommer 2018. Das heisst, dass die Teile während der beheizten Periode klimatisiert wurden, was in den verschiedenen Werkstätten der Restauratorenteams natürlich ungünstiger ausgefallen wäre, wenn man die lange Bearbeitungszeit von 18 Monaten bedenkt», erklärt Magener. Rissbildungen oder Verformungen an den Stücken, der Albtraum eines Restaurators, konnten so verhindert werden.

Das Hauptaugenmerk galt deshalb zunächst der behutsamen Demontage, dem Verpacken und dem Transport der Teile ins Sammlungszentrum. «Das ganze Projekt war, eine mustergültig organisierte Massnahme, was alle beteiligten Restauratoren bestätigen. Dies ist längst nicht immer so bei der Restaurierung von Kulturgütern. Auftraggeber war eben ein Museum mit entsprechenden Fachleuten und viel Unterstützung in allen Belangen», sagt Magener. Gaby Petrak, Konservatorin und Restauratorin beim Schweizerischen Nationalmuseum, hat die gesamten Arbeiten koordiniert und begleitet. «Das war für uns ein Glücksfall, als Ansprechpartner eine Expertin zu haben», weiss Magener.

Fixpunkt Kachelofen

Der Blick auf die Stundenzettel gibt einen Eindruck vom Aufwand. «Für den Prunksaal Casa Pestalozzi haben wir etwa 3000 Stunden für die Demontage, das Katalogisieren, Verpacken, den Transport und die Montage benötigt», so Magener. Für die Arbeiten der Konservierung und der Restaurierung, auch mit dem Ersatz einzelner Teile, benötigte man dagegen «nur» 650 Stunden. Dies entsprach auch der Kalkulation im Vorfeld. «Grosse Überraschungen wie sie durchaus bei Restaurierungen zum Vorschein kommen können, gab es im Landesmuseum nicht, was auch die Qualität der ganzen Vorbereitung und des Ablaufes zeigt», so der Experte.

Bei der Demontage einer solchen Wand- und Deckenverkleidung gibt es verschiedene Einstiegspunkte. «Im Falle von Casa Pestalozzi waren die Ansatzpunkte ziemlich eindeutig, da der Kachelofen als Fixpunkt vorhanden war. Startpunkt war somit der Anschluss der Täfer auf beiden Seiten des Ofens», erklärt Magener. Die Teile wurden nach der Katalogisierung von den Restauratoren selbst verpackt und gingen sodann ins Sammlungszentrum. «Dies ergab einen guten Mix an Verantwortlichkeiten und Zuständigkeiten, was dann auch bei allen Teams gut funktioniert hat», so Magener.

Dann mussten alle Teile gereinigt werden. Dies geschieht mit dem Pinsel, Flächen werden mit einer leicht alkoholischen Lösung gesäubert, sofern die Oberflächenbehandlung dies zulässt. Beim Casa Pestalozzi war diese der Zeit entsprechend mit Wachs endbehandelt worden.

Um sicherzugehen, welche Oberflächenbeschichtung ein Restaurator vor sich hat, werden wiederum Analysespezialisten mit entsprechender Ausstattung an Verfahrenstechnik, wie dem Spektrometer, hinzugezogen. Aufgrund der zeitlichen Einordnung und des Erfahrungswissens im Restauratorenhandwerk bestätigt sich meist die Einschätzung der Fachleute.

Einzelne Teile mussten aber auch nachbearbeitet, die grosse Rosette der Deckenleuchte ersetzt werden. «Eine Bedingung des Museums war, dass für die elektrischen Installationen und Rauchmelder keine neuen Löcher in die Decke und Wandvertäfelung gebohrt werden. Die neuen Leuchten brauchten aber dickere Kabel, die nicht durch die Bohrungen passten», erzählt Magener. Die Originalrosette hätte auf 35 Millimeter aufgebohrt werden müssen. Man entschied sich, diese nicht anzutasten, sondern zu ersetzen und das Original im Sammlungszentrum einzulagern. Solch ein Vorgehen ist durchaus üblich, wenn die nötigen Eingriffe die historisch wertvolle Substanz zerstören würden. Schliesslich weiss niemand, ob irgendwann in vielen Jahren wieder dünnere Kabel möglich werden.

Neuanfertigung von Hand

Die Replik der grossen Rosette war dann eine der wenigen Neuanfertigungen von Jörg Magener. «Generell versucht man immer, zu ersetzende Teile mit den traditionellen Techniken zu erstellen. Wenn man eine Oberfläche mit leichten Unebenheiten hat, reflektiert das Licht anders und hat so einen ganz anderen Charakter, als wenn es perfekt mit der Maschine geschliffen wäre. Zudem sind manche Arbeiten von Hand schneller erledigt, als wenn man extra dafür eine Maschine einrichten würde», so der Experte. Das heisst, dass von Hand gehobelt wird; nicht zuletzt deshalb sind Restauratorenwerkstätten voll mit Profilhobeln und allerhand altertümlichen Handwerkzeugen.

Die vielen Teile in den Werkstätten sind enorm wichtig. Stets wird versucht, altes Holz zu verwenden, wenn Teile ersetzt werden müssen. Dieses stammt aus Stücken, deren Restaurierung nicht mehr sinnvoll erscheint. Jeder alte Schrank ist damit potenzieller Teileträger für die Arbeit eines Restaurators. Müssen Teile wie im Casa Pestalozzi ersetzt werden, braucht es einen reichhaltigen Fundus. Denn neben Nussbaum für die Rahmen und Füllungen der Wand- und Deckentäfelung wurden auch verschiedene Obsthölzer, Eschenmaser, Kastanie für die Decke und gefärbtes Ahornholz verwendet.

Montage der besonderen Art

Die Montage von Tausenden von zum Teil kleinen Stücken wäre ohne die vorangegangene Dokumentation, auch mithilfe von fotogrammetrischen Aufnahmen, kaum möglich. Erstaunlich ist jedoch, dass alle Teile am Ende wieder perfekt gepasst haben. Wenn man Setzungen des Gebäudes über die Jahrzehnte und Klimaschwankungen beim Holz annimmt, verwundert dies doch etwas. «Dank der Klimatisierung der Werkstätte gab es kaum Bewegungen am Holz. Die Handwerker vor 500 Jahren waren zudem auch klug und haben mit den Nut- und Kammverbindungen die Grundlage gelegt, Bewegungen auffangen zu können. Zudem muss man bedenken, dass die Täfelungen schon über 300 Jahre alt waren, bis sie ins Landesmuseum kamen», erklärt Magener.

Auch die Unterkonstruktion der Decke konnte wiederverwendet werden. Das lichte Mass der Konstruktionshölzer hat sich zwar durch die neue Betondecke und den nun einbetonierten Stahlträgern etwas verändert, doch konnte dadurch auch ein Befestigungssystem in die tragende Decke integriert werden. So war die Verwendung von neuen Aufhängern möglich. Nach der Decke wurde zunächst der Boden wieder montiert, und am Schluss die Wandtäfer.

Eröffnungstermin für die restaurierten Räume ist der 11. Oktober 2019.

www.nationalmuseum.chwww.joergmagener.ch

ch

Veröffentlichung: 29. August 2019 / Ausgabe 35/2019

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