Zusatzlehre birgt grosses Potenzial

Besprechung: Die Zeichner-Lernenden Svenja Binggeli (links), Daniel Münger und Berufsbildner Marc Kammermann. Bild: Nicole D'Orazio

Ausbildung.  Die Technische Fachschule Bern bietet als eines von wenigen Unternehmen für Schreinerinnen und Schreiner die zweijährige Zusatzlehre als Zeichner/in EFZ Fachrichtung Innenarchitektur an. Die Abgängerinnen und Abgänger sind in der Branche heiss begehrt.

Sie zeichnen Küchen, Möbel oder ganze Ladeneinrichtungen: Gewisse Zeichnerinnen und Zeichner EFZ der Fachrichtung Innenarchitektur könnten diese gleich selber herstellen. Nämlich Schreinerinnen und Schreiner EFZ, die die Ausbildung als zweijährige Zusatzlehre absolviert haben. «Diese Fachleute haben nicht nur die Theorie gelernt, sondern haben in ihren Lehrjahren in der Werkstatt selbst produziert und waren auch auf Baustellen im Einsatz. Sie wissen, worum es geht. Das bringt ihnen einen grossen Vorteil», sagt Marc Kammermann, Berufsbildner und Leiter des Technischen Büros Innenausbau der Technischen Fachschule (TF) Bern. Er bietet jährlich zwei Plätze für die Zusatzlehre an.

Kammermann verfolgt die Idee, dass die auszubildenden Zeichnerinnen und Zeichner bei einem Auftrag vom ersten Kundenkontakt über das Zeichnen, Gestalten und Visualisieren des Projekts bis hin zur Abrechnung eingebunden werden. «Sie machen zum Beispiel die Bauplanung bei einem Küchenumbau, führen die Kundengespräche, koordinieren die Arbeit mit der hauseigenen Schreinerei und überwachen alles. Zudem erhalten sie immer ein Feedback von der Kundenseite. Dies hat sich bewährt.» Den Kunden werde die Einbindung der Lernenden klar kommuniziert, sagt Kammermann. Viele fänden das toll und wollten das System unterstützen. Die TF Bern bearbeitet laufend zwischen 70 und 90 Aufträge. «Da wir die volle Angebotspalette anbie- ten, werden unsere Lernenden auch breit geschult.»

Derzeit gibt es nur acht Lernende

Die TF Bern ist einer von wenigen Betrieben in der Schreinerbranche, die Ausbildungsplätze für die Zeichner-Zusatzlehre anbietet. Derzeit gibt es schweizweit nur acht Lernende. Die übliche vierjährige Ausbildung als Zeichnerin und Zeichner EFZ Innenarchitektur zählte in den letzten Jahren zu den zehn beliebtesten Ausbildungen bei den Jugendlichen in der Schweiz. Die Lehrstellen sind deswegen sehr begehrt.

«Das Potenzial für weitere Lehrstellen ist riesig. Unsere Branche braucht diese jungen Fachkräfte dringend, und es wäre toll, wenn in den Schreinerbetrieben mehr Ausbildungsplätze speziell für die Zusatzlehre bereitgestellt werden könnten», sagt Daniel Zybach, Leiter Grundbildung beim Verband Schweizerischer Schreinermeister und Möbelfabrikanten (VSSM). Dieser ist einer der Träger der Zeichner-Ausbildungen. Sollten Schreinerbetriebe Informationen oder Unterstützung benötigen, könnten diese auf den VSSM zugehen.

Marc Kammermann teilt Zybachs Meinung. Es brauche dringend mehr Angebote für die Zusatzlehre. Die frisch Ausgebildeten fänden nach dem Abschluss sofort einen Job und könnten sogar auswählen, wo sie arbeiten möchten. «Denn sie bringen das Gesamtpaket mit. Ich bilde meine Leute so aus, dass sie morgen in der Privatwirtschaft eingesetzt werden können.» Paradox sei jedoch, dass die TF Bern ihre Lehrstellen nur schwer besetzen könne. «Ich bin sicher, das liegt nur daran, dass die Zusatzausbildung schlicht zu wenig bekannt ist. Diese spricht bestimmt viele junge Schreinerinnen und Schreiner an.»

Einmal in der Woche nach Lenzburg

Die angehenden Zeichnerinnen und Zeichner müssen einmal in der Woche nach Lenzburg AG in die Berufsschule. Die Fächer, die sie als Schreinerinnen und Schreiner schon kennen, können sie auslassen. Zudem besuchen die Lernenden der TF Bern noch einen Skizzierkurs. «Idealerweise besetze ich unsere Ausbildungsplätze mit je einer Person, die im Haus Schreinerin oder Schreiner gelernt hat, und einer von aussen», erzählt Kammermann. Am liebsten würde er im kommenden Sommer eine dritte Lehrstelle besetzen.

Neben der zu geringen Bekanntheit sei eine weitere Hürde, dass die Betriebe in der Privatwirtschaft ihre jungen Fachkräfte nur ungern für eine Zusatzlehre freigeben möchten, da alle mit viel Arbeit eingedeckt seien. «Dabei bekämen sie noch bessere junge Fachkräfte zurück. Ich hoffe, da findet bald ein Umdenken statt.» Eine zur Schreinerin und Zeichnerin ausgebildete Fachkraft könnte zum Beispiel auch bei der Digitalisierung und der Umstellung von 2D auf 3D helfen. «Denn sie bringen alles mit und könnten als Projektleitende frischen Wind in einen Betrieb bringen.»

Einsatzmöglichkeiten als Motivation

Die Polyvalenz war der Hauptgrund für Svenja Binggeli, warum sie sich für die Zusatzlehre entschieden hat. Sie ist eine der vier Lernenden der TF Bern und im zweiten Lehrjahr. «Am Einführungstag hier in Bern wurde die Möglichkeit der Zusatzlehre erwähnt, und mir war damals schon klar, dass ich das machen möchte», sagt die 21-Jährige aus Moosseedorf BE. «Ich kann so wählen, ob ich in der Werkstatt oder doch lieber im Büro arbeiten möchte oder kann den Job wechseln.» Der Zeithorizont von sechs Jahren hätte sie nicht abgeschreckt. Im Büro zu sitzen, sei eigentlich nie ihr Ziel gewesen, doch mittlerweile habe sie sich daran gewöhnt. «Wir gehen aber zum Glück oft mit auf Montage, um zu sehen, was wir geplant haben. Das finde ich immer toll.»

Daniel Münger aus Murzelen BE (erstes Lehrjahr) hat die Schreinerlehre ausserhalb der TF Bern absolviert und danach als Schreiner wie auch als Zimmermann gearbeitet, weil er nicht sofort eine Weiterbildung machen wollte. Da er bei Floorball Köniz in der Nationalliga A Unihockey spielt, wurde ihm das aber körperlich zu viel, und er suchte eine Alternative. «Ich wollte ins Büro wechseln, aber nicht etwas völlig Neues machen, sondern auf meinem Gelernten aufbauen», erzählt er. «Ich finde es toll, hier die eigenen Projekte begleiten zu können.» Er hätte sich früher nie vorstellen können, im Büro zu arbeiten. «Ohne den Sport wäre das für mich schon schwierig.»

Die Schule macht Spass

Die Zusatzlehre macht beiden Spass. «Die zwei Jahre sind schnell rumgegangen», meint Svenja Binggeli. Vom Lernaufwand her müsse sie als Zeichnerin mehr investieren als bei der Schreinerlehre. Auch Münger freute sich, wieder zur Schule zu gehen. Dass sie nach Lenzburg fahren müssten, sei okay, weil es nur einmal in der Woche sei und sie zusammen mit dem Auto fahren. Die Zusatzlernenden bilden eine Klasse, die üK würden sie mit jenen der vierjährigen Ausbildung absolvieren.

Die Arbeit in der Werkstatt vermissen beide. «Es fehlt mir, das Holz in der Hand zu halten und Möbel zusammenzubauen», sagt Daniel Münger. Er möchte nach der Zusatzlehre in einem Schreinerbetrieb als Projektleiter oder in der Arbeitsvorbereitung tätig sein. «Am liebsten in Kombination als Monteur. Denn ich möchte schon noch raus.» Svenja Binggeli geht nach dem Abschluss im Sommer zuerst für neun Monate nach Hawaii, um Englisch zu lernen. «Danach kann ich mir vorstellen, in Richtung Verkauf zu gehen», sagt sie. Ob in einer Schreinerei oder in einem Architekturbüro, kann sie noch nicht sagen. «Während des zweiten Lehrjahres absolvieren wir ein ein- bis zweiwöchiges Praktikum in einem Architekturbüro oder in einer Schreinerei, um noch die andere Seite zu sehen. Die Arbeit ist ja nicht die gleiche.»

Lohneinbusse als kleines Hindernis

Beide denken, dass die Zusatzlehre bei jungen Schreinerinnen und Schreinern begehrt sein würde, wenn sie bekannter wäre. «Schwierig ist wohl einfach, wieder auf einen Lehrlingslohn zurückzugehen, wenn man mal normal verdient hat», glaubt Svenja Binggeli. «Ich kann aber sagen, dass sich der Zusatzaufwand lohnt.»

www.tfbern.chwww.vssm.ch

Die Lehre zur Zeichnerin oder Zum zeichner EFZ Innenarchitektur

Rund 50 Abschlüsse pro Jahr

Mit jährlich über 1600 Lehrabschlüssen gehört der Beruf der Zeichnerin und des Zeichners in der Schweiz zu den zehn populärsten beruflichen Grundbildungen. Derzeit absolvieren rund 6000 Personen eine Berufslehre Zeichner/in EFZ in einer der fünf Fachrichtungen Architektur, Ingenieurbau, Innenarchitektur, Landschaftsarchitektur und Raumplanung. Die Fachrichtung Innenarchitektur gehört mit jährlich rund 50 Absolventinnen und Absolventen zu den kleineren Fachrichtungen.

Die Lehre kann überlicherweise in vier Jahren absolviert werden. Wer bereits einen Fachmaturitäts-, einen Maturitätsabschluss oder eine EFZ-Lehre vorweisen kann, der kann die Zweitausbildung in drei Jahren machen. Für Schreinerinnen und Schreiner (oder Innendekorateurinnen und -dekorateure) gibt es die zweijährige Zusatzlehre. Die Lehrmeistervereinigung für Zeichner/in Fachrichtung Innenarchitektur (LVIBZ) ist ein Zusammenschluss von Ausbildungsbetrieben in der Deutschschweiz. Diese ist für die Ausbildung sowie die Weiterbildung der Ausbildenden verantwortlich. Sie überwacht und pflegt die ganze Ausbildung und das Qualifikationsverfahren und gehört zu Plavenir, der Berufsbildung Raum- und Bauplanung.

www.lvibz.ch

nicole d’orazio, ndo

Veröffentlichung: 09. März 2023 / Ausgabe 10/2023

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