Eco-Labels: Wenn vieles wenig sagt

Viele Organisationen und Hersteller versuchen, mit Eco-Labels Ordnung und Übersicht für den Kunden zu schaffen. Bild: SZ, Noah J. Gautschi

Raumklima.  Die Ausschreibung schreit nach Eco-Standards, der Schreiner zieht den deklarierten Werkstoff aus dem Lager – reine Theorie. In der Praxis findet man vielmals das gewünschte Produkt mit der nötigen Zertifikation nicht und eine zeitintensive Beschaffung beginnt.

Die laufenden Weiterentwicklungen in der Baubranche haben zur Folge, dass die Gebäude immer besser isoliert und abgedichtet werden. Durch diesen Fortschritt bleibt die Innenraumluft jedoch um einiges länger im Gebäude, als es früher der Fall war. Die daraus resultierende geringere Luftwechselrate hat zwangsläufig eine Erhöhung der Schadstoffkonzentration in der Raumluft zur Folge.

VOC ist nicht gleich VOC

Durch die Konzentrierung der Schadstoffe über einen längeren Zeitraum steigen die Anforderungen an die Holzwerkstoffe immer mehr an. Die VOC, die flüchtigen organischen Verbindungen, sind die massgebende Einheit für die Raumluftbelastung. VOC sind je nach Flüchtigkeitsgrad noch zusätzlich unterteilt. Als Summe aller Schadstoffe im Raum steht der TVOC-Wert, welcher die Gesamtbelastung der Raumluft widerspiegelt. Der dem Schreiner wohl be- kannteste Schadstoff ist das Formaldehyd. Es zählt zu den VVOC und ist daher sehr leicht flüchtig. Im Beispiel von Formaldehyd ist schön zu erkennen, welche beispielhafte Verbesserung die Holzwerkstoffbranche schon erreicht hat.

Eine Reduktion von einem Wert über 3 ppm im Jahre 1978 auf einen Wert von 0,08 ppm im Jahre 2005 ist selbstredend. Zu viele Fachbegriffe, zu viele Abkürzungen? Um einen Durchblick bei den unterschiedlichen Bezeichnungen zu bekommen, wurden die VOC-Definitionen und Messwerte aufgelistet (siehe Box Seite 12). Immer zu beachten ist der tiefe Emissionsbereich, in welchem sich die Schadstoffkonzentrationen bei den Holzwerkstoffen heutzutage bewegen.

Richtwerte bringen keine Ordnung

Das Bundesamt für Gesundheit hat nur Richtwerte für die maximale Belastung der Raumluft definiert. «Wir brauchen eine normierte Bestimmung, wie sie im Brandschutz oder Schallschutz besteht, auch bei den Eco-Werkstoffen und der Eco-Zertifikation», sagt Adrian Egger, Produktmanager der Kuratle & Jaecker AG/Hiag AG. Ist das weiterhin nicht klar geregelt, entstehen für den Schreiner unkalkulierbare Risiken. Das Problem ist weltweit noch nicht einheitlich geregelt und wird somit für den Verbauer und Händler noch zusätzlich erschwert. Verbindlich für den Schreiner sind bei der jetzigen Rechtssituation die Bestimmungen im Werkvertrag.

Labels als Ordnungsversuch

Ein Versuch, mit den Richtwerten zu arbeiten, ist die Schaffung eines eigenen Labels, um Eco-Werkstoffe zu kennzeichnen. Fast jeder Holzwerkstoffhersteller arbeitet mit eigenen Qualitäts- und Eco-Labels, um die Bedürfnisse der Kunden zu erfüllen und die eigenen Produkte auf dem Markt zu platzieren. Oftmals setzen diese Labels jedoch auf unterschiedliche Prüfungsansätze und sind deshalb nicht untereinander vergleichbar.

Durch die unterschiedlichen Schwerpunkte in der Prüfung und Deklaration ist eine Marktübersicht fast nicht mehr möglich, ohne Abstriche in der Aussagekraft einzugestehen oder kostenintensive eigene Tests zu veranlassen.

Von Äpfeln und Birnen

«Es ist, als ob man Äpfel mit Birnen vergleichen würde. Auch wir haben teilweise grössere Schwierigkeiten, mit den unterschiedlichen Labels zu arbeiten und diese gegenüber dem Kunden zu erklären», sagt ein grösserer Holzwerkstoffhändler aus der Schweiz. Problematisch ist die unterschiedliche Gewichtung. Je nach Stärke des jeweiligen Holzwerkstoffes stehen in den Diagrammen andere VOC-Werte im Vergleich. Je nach Gewichtung der VOC werden so Ergebnisse präsentiert, die zwar für sich korrekt sind, aber nicht miteinander in einen Kontext gesetzt werden können.

Markenübergreifende Labels

Eine bessere Basis zum Vergleich bieten markenübergreifende Labels. Sie werden von Grosshändlern oder Verbänden kontrolliert und bieten eine Übersicht über die aufgenommenen Werkstoffe. Ein bekanntes Schweizer Label ist Lignum 6.5, das sich auf die Formaldehyd-Emission konzentriert. Eine ganzheitliche Übersicht bietet Natureplus, ein international ausgerichtetes Baustofflabel oder das HWZ-Gütesiegel der Kuratle & Jaecker AG.

Durch die markenübergreifende Betrachtung bietet sich ein guter Überblick, der jedoch den Nachteil hat, dass nicht aufgenommene Werkstoffe nicht verglichen werden können.

Schwierig beschaffbare Materialien

Nachfolgendes Beispiel zeigt die vielfach auftretende Problematik zwischen Planern und Ausführenden: Ein Planer setzt in der Ausschreibung für eine Verkleidung die Anforderung, eine 25-mm-MDF-Platte in Eco-Zertifizierung zu verwenden. Nun stellt der Schreiner bei der Materialbestellung mit Schrecken fest, dass dieser Holzwerkstoff nur in 16- und 19-mm-Stärke mit einer Eco-Zertifizierung beschaffbar ist.

Die Knacknuss: Wenn seitens Planer in der Ausschreibung nicht konkret auf die vorhandenen Produkte eingegangen wird und der Schreiner die Beschaffbarkeit vor der Offerteingabe nicht abklärt, ist er laut Werkvertrag zur korrekten, ausgeschriebenen Ausführung verpflichtet. Hier kann der Auftrag für den Schreiner teuer werden und das ganze Bauvorhaben zeitlich blockieren. Adrian Egger, direkt in den geschilderten Fall involviert, konnte eine Kompromisslösung anbieten: «Mithilfe der Lignum-Deklarationsliste haben wir eine MDF-Platte in der Stärke von 25 mm gefunden, die auch bei den VOC-Angaben den Eco-Vorschriften entspricht».

Abklären und absichern

Die Produktliste der Lignum ist eine Aufzählung geeigneter Holzwerkstoffe für den Innenraum. Sie ermöglicht einen subjektiven Vergleich der Produkte und wird oft auch für die Erstellung der Ausschreibung verwendet. «Wir empfehlen diese Liste unseren Kunden. So können sie einen groben Überblick erhalten und sich ein wenig absichern», sagt Adrian Egger.

Belastung durch Verarbeitung

Ein grosses Problem ist die verbreitete Meinung, dass Holzwerkstoffe hauptschuldig für die VOC-Belastung eines Raumes seien. «Wenn Probleme auftreten, wird die Schuld vielfach im Innenausbau gesucht», sagt Pierre Scheidegger, Projektleiter beim VSSM. «Wird beispielsweise ein Schrank aus Spanplatten entdeckt, ist das vielfach bereits die Erklärung für eine erhöhte Schadstoffbelastung.» Stattdessen ist nachgewiesen, dass bei den heutigen Holzwerkstoffen kaum mehr Schadstoffe entweichen.

Oft kommt es bei Messungen trotz zertifizierten Holzwerkstoffen aufgrund der Weiterbearbeitung durch den Schreiner zu einem schlechten Ergebnis. Sobald an einem zertifizierten Werkstoff eine Bearbeitung erfolgt, muss diese ebenfalls in die Gesamtplanung eingebunden werden. Wenn eine Spanplatte fertig furniert und lackiert einen guten Emissionswert aufweist, kann sich das ändern, wenn zum Beispiel eine Schlitzung, Bohrung oder zusätzliche PU-Verleimung erfolgt. Sogenannte Ausführungsfehler machen einen Grossteil der Fehlarbeiten im Bereich der Schadstoffzertifizierung aus.

Begleitung durch einen Spezialisten

Das Zuziehen eines Fachplaners ist im Zweifelsfall ratsam. Noch besser ist der Kontakt jedoch schon in der Projektierungsphase eines Auftrages. «Wir haben uns auf Bauberatungen spezialisiert und können mit unserem eigenen Labor auch unabhängige Raumtests durchführen», sagt Barbara Jehle, Geschäftsführerin der Bau- und Umweltchemie AG in Zürich. Durch ihre Erfahrung und Marktnähe können spezialisierte Fachplaner eine unabhängige Meinung einbringen und Probleme ganzheitlich angehen.

Die Firma zertifiziert ebenfalls Bauten und Bauprodukte mit dem Label GI, Gesundes Innenraumklima. Der Firmengründer Reto Coutalides hat mit seinem Buch «Innenraumklima – Wege zu gesunden Bauten», ein umfassendes Gesamtwerk mit Fallbeispielen, Erklärungen und Planungsgrundlagen geschaffen.

Genaues Abklären

In der Schweiz fehlt momentan eine rechtliche Grundlage für Schadstoffe in Innenräumen. Teilbereiche sind in Normen, Verordnungen oder Richtlinien geregelt oder angesprochen. Da aber keine allgemein gültigen Grenzwerte festgelegt sind, wird die Baubranche weiterhin auf die vorhandenen Labels zurückgreifen müssen, und es wird keinen Normwert geben. Bei der Werkstoffauswahl sollten die Zertifizierungen genau angeschaut werden und im Zweifelsfall sollte nochmals Rücksprache mit Planern und Spezialisten genommen werden.

www.vssm.chwww.raumlufthygiene.chwww.holzwerkstoffe.chwww.lignum.chwww.natureplus.chwww.bag.admin.ch

Die Publikation «Innenraumklima – Wege zu gesunden Bauten» ist unter der Rubrik «Leserservice» auf Seite 33 zu finden.

Die unterschiedlichen VOC und wichtige masseinheiten

VOC

Volatile Organic Compound oder auf Deutsch gesagt eine flüchtige organische Verbindung. Flüchtig bedeutet, dass diese Stoffe einen niedrigen Siedepunkt aufweisen und deshalb bei üblichen Temperaturen verdampfen. Durch die Verdampfung werden die Stoffe an die Raumluft abgegeben und sind dann je nach Konzentration schädlich für den Nutzer.

TVOC

Total Volatile Organic Compound bedeutet die Summe aller flüchtigen organischen Verbindungen. Dieser Summenwert wird in der Regel zur Raumluftbewertung benutzt. Er geht nicht auf die Schädlichkeit der einzelnen Stoffe ein, sondern gibt die Belastung aller im Raum vorhandenen Stoffe in der Raumluft wieder.

VVOC

Very Volatile Organic Compounds sind sehr leicht flüchtige organische Verbindungen. Diese Stoffe verdampfen sehr schnell und sind für eine kurze Zeit in einer sehr hohen Konzentration in der Raumluft präsent. Als Beispiel stehen hier Aceton, Alkohol oder Formaldehyd.

SVOC

Semi Volatile Organic Compound steht für den Wert der schwer flüchtigen organischen Verbindungen. Diese Stoffe verdampfen langsam, dafür über eine längere Zeit von bis zu zwei Jahren und teilweise noch länger. Zu diesen Produkten zählen Lacke und Holzschutzmittel mit Bioziden, einige Flammschutzmittel und Weichmacher. Auch ausgezeichnete lösungsmittelfreie Lacke sind gerne Quellen für SVOC.

MVOC

Microbial Volatile Organic Compounds sind von Mikroorganismen produzierte flüchtige organische Verbindungen. Diese Ausdampfungen treten oftmals bei Schimmelpilzbefall auf.

OVOC

Odour Active Volatile Organic Compounds sind geruchsaktive flüchtige organische Verbindungen. Sie werden auch als Geruchsstoffe bezeichnet, da sie schon unter den Grenzrichtwerten riechbar sind.

POM/PAK

Particulate Organic Matter oder polyzyklische aromatische Kohlenwasserstoffe sind staubgebundene organische Verbindungen. Diese Schadstoffe kommen bei bitumenhaltigen Bauteilen vor. Als Beispiele stehen Bitumenlacke, Kleber und Lacke für Stirnholzparkette oder asbesthaltige Baustoffe.

Messwert: ppm

Parts per million steht für Teile von einer Million. Ein guter Weg, sich diese Masseinheit zu merken, ist der Vergleich zu Prozentangaben, nur bezieht sich das Prozent auf 100 und ppm auf eine Million.

Messwerte: µg/m3 und mg/m3

Der Wert gibt die Schadstoffbelastung von einem Kubikmeter Luft in Mikrogramm oder Milligramm wieder. Dieser Vergleichswert wird zum Beispiel beim Label Natureplus mit Mikrogramm und beim Label HWZ-Gütesiegel mit Milligramm verwendet.

njg

Veröffentlichung: 29. Januar 2015 / Ausgabe 5/2015

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