Gelebte Diversität erzeugt Vorteile

Schreinerinnen sind eine Bereicherung für die Branche. Bild: Reto Schlatter

Arbeitszeitmodelle.  Frauen sind in der Schreinerbranche zwar in der Minderheit. Doch immer mehr Betriebe stellen weibliche Mitarbeitende an, was nachweislich positive Auswirkungen hat. Das grosse Ziel sollte sein, Schreinerinnen ins Team zu integrieren und nicht nur zu dulden.

«Ich wünsche mir mehr Akzeptanz und Wertschätzung für Frauen.» – «Teilzeit arbeiten und eine bessere Vereinbarkeit mit der Familie wären wünschenswert.» – «Ich würde nichts ändern, ich liebe diesen Beruf.» Die Schreinerzeitung hat Anfang Oktober auf der Social-Media-Plattform Instagram eine nicht repräsentative Umfrage durchgeführt, welche sich an Schreinerinnen richtete. Das Ziel war, herauszufinden, wie es ist, als Frau in einer Männerdomäne zu arbeiten, und was die Schreinerinnen in ihrem Beruf ändern würden, wenn sie es könnten. Die Befragten äusserten noch weitere Wünsche betreffend weniger Zeitdruck, weniger schwere Lasten heben sowie höheren Löhnen.

In der Auswertung wurde allerdings sichtbar, dass mehr Männer als Frauen an der Umfrage teilgenommen hatten: 50 Frauen bei 300 Teilnehmenden. Dies kann man positiv deuten, als Anzeichen für das Interesse der Schreiner an der Thematik. Fest steht, dass Frauen in der Schreinerbranche eine Minderheit sind. Genaue Zahlen bei den Berufstätigen gibt es nicht, bei den Lernenden sind rund 20 Prozent weiblich. In diesem Artikel wird der Frage nachgegangen, ob die Schreinerinnen bereits Insiderinnen in ihrem Beruf und Betrieb sind und tatsächlich dazugehören. Damit sind wir beim Thema Diversität sowie dem Umgang damit.

Was heisst Diversität?

Der Begriff Diversität steht für Vielfalt und meint den bewussten Umgang mit Vielfalt in einer Gesellschaft oder eben hier im Beruf der Schreinerin und des Schreiners. Unterschiedliche Menschen stellen eine kulturelle Bereicherung für Teams dar. Dies bestätigen die in dieser Serie bereits früher interviewten Schreinerinnen. Sie stellten fest, dass sie sich mit einem grösseren Feingefühl, aber auch mit grossem Engagement immer mehr durchsetzen würden, dass sie die Männerteams auflockern würden, der Umgang unter den Angestellten angenehmer werde und die Toleranz gegenüber Frauen insgesamt grösser geworden sei.

Diversität ist der Normalfall

Diversität bezieht sich nicht nur auf den Unterschied betreffend dem Geschlecht, sondern auch auf jenen in Bezug auf das Alter, die physischen Fähigkeiten oder Beeinträchtigungen sowie die ethnische, kulturelle und religiöse Herkunft der Mitarbeitenden. Bereits ein Blick in ein Klassenzimmer genügt, um festzustellen, dass Diversität nicht die Ausnahme ist, sondern der Normalfall. Hier ist ein Umdenken in der Gesellschaft und auch in der Schreinerbranche gefordert.

Ausserdem sind diverse Unternehmen erfolgreicher, innovativer und zukunftsfähiger. Deswegen – und auch weil es aufgrund des demografischen Wandels und des sich abzeichnenden Fachkräftemangels schlichtweg immer weniger junge Schweizer Schreiner gibt – muss sich jede Schreinerei Gedanken zum Umgang mit mehr Vielfalt machen. Schreinerinnen und andere Minderheiten nehmen ihren Beruf aus einer anderen Warte wahr und bringen Innovationen, wovon alle profitieren.

Unterschiedlichkeit wirkt sich aus

Diversität erzeugt Vorteile in der Kommunikation, im Arbeitsklima, in der Arbeitseffizienz sowie mit innovativeren Produkten. Dies besagt eine Studie des Prüfungs- und Beratungsunternehmens PWC aus dem Jahre 2019. Unternehmen mit sehr hoher Diversität und Inklusion würden rund einen Drittel ihres Umsatzes mit innovativen Produkten und Dienstleistungen erzielen, heisst es in der Studie. Diese Vorteile kämen aber nur dann zum Tragen, wenn die Unterschiedlichkeit der Mitarbeitenden auch tatsächlich willkommen sei.

Inklusion ist das Ziel

Doch was ist nötig, damit eine andersartige Person tatsächlich zu einer Gesellschaft respektive zu einem Betrieb dazugehört und Insider-Status geniesst? (Siehe obige Tabelle.) Dies zeigt sich an hoher Zugehörigkeit in Kombination mit dem Geschätztwerden und Willkommensein von Unterschiedlichkeit. Hier spricht man von Inklusion. Die Aussagen der Schreinerinnen in der Instagram-Umfrage deuten auf eine hohe Zugehörigkeit und damit auf Insider-Status hin. Aber Hand aufs Herz: Wie stark müssen sie sich dennoch an die dominante, männliche Arbeitskultur anpassen? Dies würde heissen, sich zu assimilieren?

Schreinerinnen und Schreiner sollten sich dazu Gedanken machen und sich austauschen. Schreinereien tun gut daran, ein inklusives Klima zu fördern, denn es nutzt die Stärken und Besonderheiten des Einzelnen und vermittelt gleichzeitig ein starkes Wir-Gefühl, wodurch Konflikte abnehmen und die Leistungsfähigkeit aller steigt. Von einem entsprechenden, inklusiven Arbeitsklima profitieren alle und die Motivation steigt. Es entsteht ein Ganzes.

Durch die Linse der eigenen Identität

Was in der obigen Tabelle sehr einleuchtend erscheint, ist in der Praxis nicht immer leicht umzusetzen. Was hindert einen Betrieb daran, trotz der offensichtlichen Vorteile von mehr Diversität, eine Schreinerin oder einen Mann mit einem anderen kulturellen Hintergrund anzustellen? Zunächst haben alle Menschen unbewusste Vorurteile, sogenannte «unconcious bias». Dies ist ein Begriff, den die Verhaltensökonomin und Harvard-Professorin Iris Bohnet geprägt hat. Diese Vorurteile und mentale Muster steuern unsere Wahrnehmung. Ob wir dies wollen oder nicht. Wir haben daher die Tendenz, Mitarbeitende einzustellen, welche uns ähnlich sind. Das sind in der Regel Schweizer Männer. Das Bekannte scheint weniger risikoreich. Oder man hat mit dem Bekannten bisher gute Erfahrungen gemacht. Um diesen Vorurteilen beizukommen, müssen neue Spielregeln geschaffen werden, zum Beispiel mit der bewussten Erhöhung des Frauenanteils.

Was man sieht, ist, was man glaubt

Anita Luginbühl ist Vizepräsidentin des Verbandes Schweizerischer Schreinermeister und Möbelfabrikanten (VSSM). Sie bewegt sich seit Jahrzehnten in Führungspositionen und in Männerdomänen. Luginbühl rät, sich unter Frauen zu vernetzen und auszutauschen, wie sie in einem früheren Interview sagte. Dieser Ratschlag ist Gold wert. Denn Assimilation kann sehr anstrengend sein. Auf dem Weg zur Inklusion ist aber auch der Dialog mit Schreinerinnen und Schreinern notwendig. Es braucht zudem Botschafterinnen, welche Vorbilder sind und ihre weiblichen Seiten leben. Sie schaffen eine höhere Visibilität des Andersartigen.

Die Social-Media-Kampagne der Branchenorganisation Lignum Holzwirtschaft Zentralschweiz (LHZ) «Frauen in der Holzbranche» sowie diese Artikelserie machen dies ebenfalls sehr gut. Denn sehen heisst glauben. Richten Sie Frauentoiletten ein, hängen Sie Bilder von Schreinerinnen auf und denken Sie daran, dass Väter mit Töchtern viel eher auf Gleichstellung achten und ihre Töchter viel stärker fördern. Auch in Familien kommt es vor, dass keine männlichen Nachfolger vorhanden sind. Dies könnte auch der Schreinerbranche blühen, wie im nebenstehenden Kasten über Fachkräftemangel zu lesen ist.

Zur Autorin

Marianne Breu (56) ist Pädagogin, Soziologin und Laufbahncoach. Ihre Doktorarbeit verfasste sie zum Thema «Arbeitszeit- flexibilisierung und gesellschaftlicher Wandel. Eine soziologische Analyse von Ursachen und Wirkungen der Arbeitszeitflexibilisierung». Sie setzt sich mit dem gesellschaftlichen sowie dem Wandel des Arbeitsmarktes auseinander und beobachtet darin insbesondere die Rolle der Frau. Breu ist in ihrer eigenen Firma im Bereich Consulting und Personalentwicklung tätig.

www.mariannebreu.ch

Serie Lohn- und Arbeitszeitmodelle

Die Arbeitswelt verändert sich, neue Berufe werden geschaffen, intelligente Programme und Roboter werden ein- gesetzt, und die Digitalisierung erlaubt ein hohes Tempo. Nur eines blieb unverändert: die 42-Stunden-Woche. Hat das Modell Normalarbeitszeit aus- gedient? Wie sieht das Arbeitsmodell der (nahen) Zukunft aus? Welche Ansprüche stellt die neue Generation an die Arbeitswelt? Ist das 80-Prozent-Pensum die neue Vollzeit? Die lose Serie «Neue Lohn- und Arbeitszeitmodelle» geht diesen Fragen nach.

www.schreinerzeitung.ch

Fachkräftemangel im Beruf der Schreinerin und des Schreiners

Die Zahlen sind deutlich

Gemäss den aktuellsten Zahlen einer Studie über Frachkräftemangel von 2016 des Staatssekretariats für Wirtschaft Seco sind die Anzeichen im Beruf Schreinerin/Schreiner stärker als in anderen Holz verarbeitenden Berufen. Der Fachkräftemangel wird an sechs Indikatoren gemessen: Arbeitslosenquote, Quote der offenen Stellen, Zuwanderung, Qualifikationsanforderungen, langfristiges Beschäftigungswachstum und demografischer Ersatzbedarf. Diese werden zu einem Gesamtindex zusammengefasst. Beim Schreinerberuf liegt dieser bei 5,5 und ist höher als der Durchschnitt der Holz verarbeitenden Berufe (5,1). Bei den Schreinerinnen und Schreinern wird einzig das Beschäftigungswachstum negativ eingeschätzt. Alle anderen Indikatoren weisen auf einen Fachkräftemangel hin. Die Arbeitslosenquote der Schreiner lag im September 2021 bei 1,6 Prozent, gesamtschweizerisch betrug die Arbeitslosenquote 2,6 Prozent. Das Seco benennt folgende Handlungsfelder zur Behebung des Problems:

• Erhöhung der Erwerbsbeteiligung und der Arbeitspensen

• Rekrutierung von ausländischen Arbeitskräften – aufgrund der Umsetzung der Masseneinwanderungs-Initiative ist dies nur limitiert möglich

• Verbesserung der Vereinbarkeit von Beruf und Familie

• Schaffung guter Bedingungen für ältere Arbeitnehmende

• Nach- oder Höherqualifizierung der Fachkräftepotenziale

• Potenzial von Quer- und Wiedereinsteigenden erkennen.

Marianne Breu

Veröffentlichung: 28. Oktober 2021 / Ausgabe 44/2021

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