40 Meter Schweizer Holz

Herausragend: Der Napoleonturm auf dem Seerücken bei Wäldi TG besteht zu 100 Prozent aus Schweizer Holz. Bild: Urs Oskar Keller

Aussichtsturm.  40 Meter hoch, 473 Tonnen schwer, aus 100 Prozent Schweizer Holz: Auf dem Thurgauer Seerücken wurde vor einigen Monaten der Napoleonturm eröffnet – erdacht vom Ermatinger Architekten Peter Dransfeld.

Ein paar Spaziergänger stehen schon vor acht Uhr morgens als Erste vor dem neuen Napoleonturm in einem Mischwald in der Nähe von Wäldi TG auf dem Thurgauer Seerücken. Es riecht nach Harz, Lärchenholz und Herbst. Gemütlich besteigen die deutschen Ausflügler aus Konstanz den 40 Meter hohen Holzturm über eine breite Wendeltreppe mit 195 Stufen und 11 Zwischenplattformen. «Wir sind sehr zufrieden, dass unser Turm seit der Einweihung am 20. Mai 2017 auf grosses Interesse stösst und bereits Tausende anlockte», freut sich Peter Dransfeld (52), Architekt des imposanten Baumwerks. Für den quadratischen Turm erhält die Bauherrschaft, der Verein «Napoleonturm zu Hohenrain», von allen Seiten viel Lob.

Der Verein hat den bewohnten Weiler Hohenrain auf 612 m ü. M., wo sonst nur Kühe weiden und eine Sendeantenne der Polizei steht, zu einem weitum beachteten besonderen Ort gemacht. Der Turm dominiere aber nicht die Landschaft und sei von Weitem fast nicht zu erkennen, meint Architekt Peter Dransfeld. Der sogenannte Napoleonturm erinnert an Prinz Louis Napoleon (1808–1873), den späteren Napoleon III., der im nahen Schloss Arenenberg in Salenstein glückliche Jugendjahre verlebte und das thurgauische Ehrenbürgerrecht erhielt. 1829 wurde mutmasslich auf Initiative des erst 20-jährigen Prinzen ein Aussichtsturm gebaut, das «Belvédère zu Hohenrain». Der alte Turm wurde bereits 1855 wieder abgebrochen.

Der neue Napoleonturm

In fünfmonatiger Bauzeit ist der Napoleonturm in neuer Gestalt auferstanden – als moderne, 473 Tonnen schwere Holz-Stahl-Beton-Konstruktion, zu 100 Prozent aus Innerschweizer Lärche und Fichte gefertigt. 119,1 Kubikmeter Holz (60 Tonnen), 13 Tonnen Stahl und 400 Tonnen Beton (Fundament/Sockel) wurden dafür benötigt. Die Fassade besteht aus unbehandelten, 2,5 Zentimeter dicken und widerstandsfähigen Lärchenbrettern. Sie schützt den grossen Kubus über Jahrzehnte vor der Witterung und verwehrt – durch kluge 50-Grad-Brettneigung aus der Horizontale und 12 cm Abstand – doch nicht den Blick nach aussen, wenn man sich im Innern des Turmes bewegt. Für das Primärtragwerk sorgt massives Brettschichtholz aus Fichte.

Vorfertigung mit CNC-Anlagen

«Der Napoleonturm zeigt, was man mit diesem nachwachsenden Rohstoff dank Vorfertigung mit CNC-Anlagen und neuer Technologien alles machen kann. Holz ist ein konkurrenzfähiger Werkstoff», sagt Peter Schwarz, Turm-Projektleiter und eidg. dipl. Holzbaumeister. Der 30-jährige Thurgauer aus Raperswilen wurde 2009 im kanadischen Calgary Berufsweltmeister der Zimmermänner. Er ist unter anderem im Nationalteam von «Holzbau Schweiz» in der Funktion als Trainer und Chefexperte an den Schweizer Meisterschaften tätig.

Wendeltreppe mit Stahlmanschetten

Für den Aufstieg zur Aussichtsplattform wurde im Turminnern eine Wendeltreppe aus rötlichem Lärchenholz (Kanthölzer, 70 × 140 Millimeter) eingebaut. Feuerverzinkte Stahlmanschetten halten sie zusammen. Die Treppe führt über zwei grosse (Haupt-)Zwischenplattformen zur obersten Aussichtsplattform. Die 1,5 m breite Treppe wirkt wie eine Art Rückgrat des Turms und sorgt für zusätzliche Stabilität und Festigkeit. Solide und schöne Edelstahlhandläufe sorgen für weitere Sicherheit. Die quadratische, «offene» und überdachte Aussichtsplattform hat zwar aussen gemessen rund 50 m² Fläche, davon muss aber der Kreis der Treppe abgezogen werden. Somit sind es nur rund 25 m², die Platz für etwa 25 Personen bieten.

In der Region mit erhöhter Lage (über 600 m ü. M.) kann es auch stark winden und es gibt Sturmwinde. Der Turm ist – nach den anerkannten und aktuellen Normen und geltenden Regeln des Schweizerischen Ingenieur- und Architektenvereins (SIA-Norm) – auf Orkanstärke gebaut. Als Orkan, Windstärke 12, wird Wind mit einer Geschwindigkeit von über 118 km/h bezeichnet. Der Napoleonturm sei erdbebensicher und die Windlast (Grundwert) wurde mit q = 1,50 kN/m² angenommen, bestätigt der zuständige Statiker Markus Krattiger von Krattiger Engineering AG in Happerswil TG. Das Bauwerk sei gut im Boden verankert und die leichtere, fast 40 Meter hohe Holz-Stahl-Konstruktion könne mitschwingen.

18 Firmen mit 30 Handwerkern beteiligt

Die Planung des Holzturms hat bereits 2012 begonnen. Die Bauzeit begann Ende 2016 und endete am 20. Mai 2017. Beteiligt waren insgesamt 18 Unternehmen und mehr als 30 Handwerker, davon 15 Holzfachleute. Projektleiter Peter Schwarz von Kämpf Holzbau AG in Raperswilen: «In unserem Betrieb sind auch Schreiner tätig. Die Zusammenarbeit in der Turm-Arge war harmonisch und eine sehr positive Erfahrung.» Die Kosten beliefen sich auf insgesamt 880 000 Franken und wurden mehrheitlich durch Sponsoren und private Spenden beglichen. Antragsteller des Vorhabens war der Verein «Napoleonturm zu Hohenrain».

Die grössten Herausforderungen

Das Kostendach für den Turm konnte nach Angaben des Vereins eingehalten werden. Die grössten Herausforderungen beim Bau seien die Logistik und das enge Zeitfenster gewesen. Die bis zu 14 Meter langen und 15 Tonnen schweren Holz-Stahl-Elemente wurden in einer ehemaligen Sandgrube, etwa 150 Meter vom heutigen Turmstandort entfernt, innerhalb von fünf Wochen zusammengebaut, bestätigt Projektleiter Peter Schwarz. Mit einem 350-Tonnen-Pneukran wurden die einzelnen Teile dann in einem Zwölf-Stunden-Einsatz millimetergenau und reibungslos auf den Turmsockel aus grauem Sichtbeton montiert und aufgerichtet. Schwarz: «Insgesamt wurden 16 000 Metallschrauben verwendet, vor allem Senkkopfschrauben.»

Hymnische Kommentare

«Just lovely!», sagt eine Touristin aus Wales entzückt. Es lohne sich, den Turm zu besteigen. Sie habe die Aussicht «extrem genossen». Ihr Begleiter, ein deutscher Rentner aus Konstanz, fügt an: «Dieses Gemeinschaftswerk begeistert mich immer wieder. Auch architektonisch ist der Turm überzeugend. Die Landschaft aus luftiger Höhe zu bestaunen – ich sah schon Eiger, Mönch und Jungfrau – ist einfach kolossal!» Er komme deshalb jeden Monat vorbei. «Hier ist ja nichts los!», klagen dagegen einige Besucher aus Zürich auf dem kostenlosen Parkplatz in Gehdistanz. Aber das ist ja gerade das Schöne: Stiller Weitblick! Nichts passiert, der Besucherandrang hält sich (noch) in Grenzen. «An den Wochenenden kommen bis zu 200 Personen nach Hohenrain», freut sich Architekt Peter Dransfeld.

Aussicht wie Napoleon

Aussichtstürme sind heute beliebt (Tierparkturm Goldau SZ, Origen-Theaterturm auf dem Julier GR etc.). Projektleiter Peter Schwarz: «Geniessen Sie die grossartige Rundumsicht, wie es vor bald 200 Jahren schon Prinz Louis Napoleon und Königin Hortense de Bauharnais vom historischen ‹Belvédère› bzw. vom Napoleonturm aus getan hatten!» Das ist nicht als Aufforderung, sondern als Einladung gedacht.

www.napoleonturm-hohenrain.chwww.holz-bois-legno.ch

Bonapartes «Lustgebäude»

Vom Belvédère zu Hohenrain

zum Napoleonturm

Im Sommer 1829 wurde mutmasslich auf Initiative des erst 20-jährigen Louis Napoleon ein Aussichtsturm gebaut, das Belvédère zu Hohenrain.

Der Thurgauer Zimmermann Peter aus Egelshofen bei Altenklingen erbaute den Holzturm für 650 Gulden, der mit einer Höhe von 21 Metern den niedrigen Buschwald überragte, sodass sich ein eindrücklicher 360-Grad-Rundblick bot. Architekt Peter Dransfeld: «Der Wald ist heute 30 m hoch, da gäbe es vom historischen Turm aus nicht mehr viel zu sehen – das ist auch der Hauptgrund, weshalb der heutige Turm nicht als Kopie des historischen nachgebaut werden konnte.»

Gemeinsam mit seiner Mutter Hortense und den illustren Gästen des nahen Schlosses Wolfsberg (u. a. Franz Liszt) soll der künftige französische Kaiser den Rundblick ins Land jeweils sehr genossen haben. Der Turm war als «Lustgebäude» brandversichert – auf der unteren Plattform sollen sich eine Tanzfläche, auf der mittleren ein kleines Restaurant und auf der oberen ein Fernrohr befunden haben. Der Turm wurde 1855 abgebrochen.

UOK

Veröffentlichung: 09. November 2017 / Ausgabe 45/2017

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